108. Ja? Nein?

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Als wir aufgelegt hatten und ich durch den Flur in mein Wohnzimmer lief, strahlte mich bereits der wunderschöne Strauß auf meinem Couchtisch an. Die Überraschung war dermaßen groß, dass ich auf der Stelle auf und ab hüpfte, sekundenlang mit offenem Mund auf die riesigen Lilien starrte und überlegte, ihn direkt wieder anzurufen, um mich zu bedanken und es dann doch verwarf. Er würde ja gleich persönlich vor mir stehen. Durch die Vorfreude auf ihn, war ich schlagartig so aufgekratzt, dass ein hysterischer, zweiter Anruf, in dem er meine quiekende Stimme sowieso nicht verstanden hätte, wahrscheinlich unnötig und etwas verstörend gewesen wäre. Ich musste mich etwas beruhigen, damit er nicht gleich wieder auf der Schwelle kehrt machte.
Mit einem Glas Wasser und einer Decke um die Schultern, setzte ich mich auf den Balkon, zog an meiner Zigarette und beobachtete ungeduldig das Treiben auf der Straße vor mir. Menschen, die langsam durch die Straßen schlenderten, andere die es eilig hatten und stürmisch über die Straße huschten, um wo auch immer anzukommen. Erst, als ein dunkler Wagen etwas versetzt vor meiner Haustür hielt, stellte sich wieder die Nervosität ein und brachte gleich das aufgeregte Kribbeln im Bauch mit. Ich musste nicht warten und schauen, ob er es tatsächlich war und lief bereits eilig durch meine Wohnung zur Gegensprechanlage und wartete, bis das Summen mich erlöste. 1... 2... 3...
„Hallo?"
„Ich bins, mach mal auf" lachte er. Wie früher.
Sofort rutschte mein Herz bis in meine Hose. So lang hatte ich ihn diesen Satz nicht mehr sagen hören und da war es nun endlich.

„Hey" verlegen lächelte ich ihn an. Seine Anwesenheit allein machte mich bereits nervös.
„Da bin ich schon wieder". Er lächelte mich an, als er die letzten Meter von der Treppe aus zwischen uns aufholte, im Gehen die Sonnenbrille in seiner Jackentasche verstaute und die letzten Stufen mit schweren Schritten ging. Er hatte eine kleine Reisetasche dabei, die er neben sich auf den Boden stellte, als er vor mir stand. Wir schauten uns an und wie aus dem Nichts, holte mich der Gedanke wieder ein.
„Danke für die Blumen, die sind wirklich wunderschön." platzte es aus mir heraus, während ich einen halben Blick hinter mich in die Wohnung warf, um ihm zu verstehen zu geben.

Ein Lächeln bildete sich auf seinen Lippen und seine Augen fuhren sanft über meine.
Er lehnte sich zu mir hinunter, schien einen kleinen Moment zu überlegen, küsste mich dann flüchtig auf die Wange und zog mich in eine Umarmung. Ich spürte seine warmen Hände durch meinen Sweatshirtstoff hindurch an meinem Rücken.
„Sehr gerne" hauchte er mir entgegen.
Ich seufzte zufrieden an seiner Brust und legte auch fest die Arme um ihn. Einige Sekunden standen wir halb in meiner Wohnungstür, halb auf dem Hausflur, bis wir uns voneinander loskamen und ich grinsend mit gesenktem Kopf vorausging in meinen Flur. Bitte bringt jemand diese Schmetterlinge endlich zum Schweigen.
Volkan schob sich den schwarzen Wollmantel von den Schultern, ehe er auch die Schuhe abstreifte und mir in das Wohnzimmer nachlief.

„Magst du was trinken?". Er schüttelte auf meine Frage nur mit dem Kopf, lächelte mich an und setzte sich locker auf die Couch. Ich setzte mich neben ihn, legte den angewinkelten Arm auf die mit Cord bezogene Rückenlehne auf und stütze meinen Kopf auf meiner Hand auf, während ich ihn eindringlich beobachtete. Er spiegelte meine Körperhaltung, flog mit seinen Augen über mein gesamtes Gesicht, bis wir uns gegenseitig in die Augen sahen und uns nicht mehr lösen konnten. Es war wie Feuer zwischen uns. Seine Augen waren dunkel und zogen mich an. In meinem Bauch breitete sich das Kribbeln aus, das ich gestern Abend bereits deutlich wahrnahm, das mich fast dazu gebracht hatte, mit ihm zu schlafen. Immer tiefer blickten wir uns in die Augen, bis ich mein Lächeln nicht mehr zurückhalten konnte, das sich immer weiter in meinem Gesicht ausbreitete und meine Augen erreichte. Wieder beobachtete er genau, wie sich die Mimik in meinem Gesicht veränderte. Und während ich auch ihn eindringlich beobachtete, konnte ich nicht greifen, welcher Gedanke mich so zum Lachen brachte, doch wurde aus meinem Kichern schnell ein herzhaftes Lachen, das Volkan sofort ansteckte. Ich kippte vor Lachen nach vorn an seine bebende Brust, spürte seine Hände an meinen Armen, die mich hielten und gleichzeitig streichelten. Ob er wusste, warum wir so albern lachten?
Langsam beruhigte ich mich, blieb jedoch einfach an seiner Brust gelehnt und atmete seinen holzig süßen Duft ein. In einer Bewegung zog er mich an sich und lehnte sich, mit mir in seinen Armen, nach hinten, sodass ich nun halb auf ihm lag. Seine Beine schob er unter mir hervor auf die Couch und streckte sich aus. Seine Fingerspitzen fuhren einen gleichmäßigen Rhythmus über meinen Rücken und auch meine Finger fuhren an seinem Oberkörper auf und ab, zeichneten unsichtbare Muster auf dem dunklen Baumwollstoff seines Shirts. Ich war überrascht und gleichzeitig so froh, dass wenigstens er sich traute, diesen Schritt zu probieren. Schließlich waren wir nüchtern und konnten jetzt nicht auf die Enthemmung des Alkohols setzen.
Doch vielleicht brauchten wir auch einfach keinen Alkohol mehr, um die Hemmungen fallen lassen zu können. Wir wollten beide nicht nur befreundet sein, das wurde mir mit jeder Sekunde in seinen Armen und jedem Kuss deutlicher. Eigentlich war mir das von Anfang an, seit wir uns auf Johannes Geburtstagsparty sahen, mehr als klar. Ich würde immer für Volkan romantische Gefühle haben.
Meine Gedanken verloren sich in der Vorstellung, so hier mit ihm zu liegen. Es war surreal, wie in einem Traum und doch war sein sich hebender Brustkorb ein absoluter Beweis dafür, dass das hier gerade wirklich passierte. Ich lag tatsächlich auf seiner Brust und es war sein Herzschlag, der stetig gegen seine Brust klopfte und mein Ohr erreichte.

„Wie war euer Frühstück?" hörte ich seine tiefe Stimme nach einiger Zeit aus dem Nichts fragen.
„Ganz gut, war lecker...". Ich merkte, wie ich nachdenklich wurde und nun meinen Satz nur halbherzig rausbrachte.
„Aber?" versuchte er mein Satzende weiterzuführen, lachte dabei etwas auf, während seine Fingerspitzen über meine Schulter fuhren.
„Ich hab mich irgendwie blöd verhalten. Oder es fühlt sich jedenfalls so an. Sasan hat mich gefragt, ob ich Single bin. Und ich hab ja gesagt. Also, theoretisch bin ich das ja auch, aber ich hab direkt ein schlechtes Gewissen bekommen.". Abwartend schielte ich von seiner Brust auf in Richtung seines Gesichts, um eine Reaktion ausmachen zu können.
„Okay. Willst du darüber reden?"
Wer war er auf einmal?!
Ich stützte mich seitlich seines Oberkörpers von dem Sitzpolster ab, drückte mich soweit hoch, dass ich mich aufsetzen konnte, ohne ihm dabei weh zu tun und setzte mich vor Volkan, der sich ebenfalls aufrichtete und jetzt abwartend in mein Gesicht sah. Sein Ausdruck war sanft, es war keine Verärgerung oder Enttäuschung daraus abzulesen, was mich für einen Moment erleichterte. Ich zog meine Beine an in einen Schneidersitz und schaute ihm nun direkt in die Augen. Wieder fuhr mein Blick über sein sein Gesicht, um auch die kleinsten Expressionen lesen zu können. Doch er blieb neutral, ließ mir Zeit und hörte zu. Alle Nervosität hatte ich für den Moment verbannt.

Blick zu den Sternen  - Apache 207Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt