64. Es tut mir leid

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Volkan

Nachdem wir ausstiegen, verschränkte V bereits die Arme vor Kälte vor ihrer Brust. Hier auf den Feldern war es selbst im Sommer gegen Abend etwas frischer.
„Ist dir zu kalt? Sollen wir doch woanders hinfahren?"
„Ist schon gut, wird bestimmt gleich beim Laufen wieder."
Ich kam auf ihre Höhe und wir liefen einen noch recht breiten Weg entlang in Richtung Nichts. Mein Handy hatte ich noch im Auto lautlos gestellt, ich wollte auf keinen Fall abgelenkt werden. Immer wieder formulierte ich in meinem Kopf all die Sätze, die ich ihr sagen wollte, doch fühlte sich nie ein Satz richtig genug an. Immer wieder holte ich Luft, um anzusetzen und doch schafften es die Worte nicht über meine Lippen. V schaute in die Ferne, während wir liefen. Sie wirkte ruhig, genau so, wie noch bei meiner Mutter eben. Ein wenig wünschte ich mir, sie würde aufgebrachter sein und mich anschreien, damit mir der Einstieg nicht so schwerfiel und ich nur reagieren musste.
„Das Spazieren meintest du wirklich ernst, oder?". Ihre schöne Stimme überraschte mich komplett.
„Ich...Ich weiß nicht, wo ich anfangen soll. Oder eher wie.". Sie antwortete nicht. Worauf auch, ich hatte ja nichts mit Inhalt gefüllt.
„Es tut mir leid."
„Dass du nicht weißt, wo du beginnen sollst?". Sie forderte mich wirklich heraus.
„Nein...Es tut mir leid, wie ich mich verhalten habe. Ich kann mich leider an nicht viel erinnern, was die Sache nochmal schlimmer macht. Ich habe mich absolut daneben benommen.". Die Stimmung zwischen uns spannte sich an.
„Kannst du dich erinnern, was du zu mir gesagt hast?". Ihre Stimme war hart und wütend. Szenenhaft kamen Worte aus der letzten Nacht in meinen Kopf, die alles andere als cool waren.
„Dunkel, ja.". Sie nickte nur und ihre Körperhaltung spannte sich an.
„Volkan, es pisst mich an. Jedes Mal, wenn du irgendeine Scheiße nimmst, enden unsere Abende in einer völligen Katastrophe und nicht genug, dass du einfach ekelhaft wurdest, hast du mir schon wieder unterstellt, dass ich einen Anderen hätte und mir noch unter die Nase gerieben, wie viele geile Frauen auf dich abfahren. Was ist dein fucking Problem?". Das kam unerwartet. Sie so wütend zu hören, ließ mich fast ein wenig zurückschrecken. Ich hörte ihr weiter zu, da mir ohnehin die Worte fehlten.
„Es verletzt mich verdammt nochmal. Ich komme für dich her, um dich zu sehen und Zeit zu verbringen und du redest diesen Unsinn. Wenn du andere Frauen ficken willst, bitte. Aber dann lass mich frei von dir. Lass mich mein Leben weiterleben und halt dich nicht an mir auf."
„Dich frei lassen?!" Sie antwortete nicht.
„Fühlst du dich mit mir gefangen?"
„Nein."
„Sondern?". Sie seufzte auffällig laut als Reaktion auf meine Frage.
„Die letzten Wochen waren super schwierig... in meinem Kopf sind so viele Gedanken und Ängste. Du nimmst mir meine ganze Coolness und ich werde zu Wachs in deinen Händen." sprach sie ganz ruhig, den Blick mittlerweile zu Boden gesenkt. Immer wieder versuchte ich Blickkontakt herzustellen.

„Wenn du das so sagst, klingt das gar nicht so schön.". Ich fühlte mich zurückgewiesen. Ihre eigentlich so schönen Worte klangen schmerzhaft.
„Nein! Und du hast nichts Besseres zu tun, als dir die Birne voll zu knallen und mir das Gefühl zu geben, nicht genug zu sein.". Ihre Stimme hatte sich aufgebaut und mich überrumpelt. Pause.

„Volkan, sag es mir ehrlich, läuft was mit anderen Frauen oder möchtest du das?"
„Nein, verdammte Scheiße"
„Und warum verhältst du dich dann so? Bin ich dir nicht genug?"
„Du willst mich doch verarschen, oder? Nicht genug?!". Sie schwieg und biss sich auf die Lippe.
„Was? Was willst du noch sagen?"
„Scheiß drauf."
„Nein, jetzt hau raus"
„Du bist nicht gekommen, Volkan. Nach über zwei Wochen ohne Sex in der ersten Nacht zusammen. Wie kann das sein, frage ich mich. Findest du mich nicht mehr sexy genug oder hat eine andere übernommen?"
„Wie bitte? Meinst du das Ernst?". Sie schaute mich nicht an und ich merkte die Wut in mir aufkochen und wie meine Fäuste sich verkrampften. Es traf mich.
„Geht's noch? Du glaubst echt, ich ficke ne andere während der Tour? Wie kommst du dazu, so eine Scheiße zu denken, Alter!". Meine Stimme entwickelte sich zu einem Schreien. Sie blieb abrupt stehen und trat auf mich zu.

„Du bringst mich dazu! DU!" Ihr Finger schlug gegen meine Brust, genau auf den Fleck, unter dem mein Herz schlug.
„Du machst mich fertig, Volkan. Du traust dich damit zu prahlen, wie viele Frauen mit dir pennen würden, wenn ich es nicht täte, wie geil sie dich finden. Und dann höre ich in deinen Audios Frauenstimmen, nachts! Was meinst du, wie sich das anfühlt? Du machst mich unsicher und dass ich mich klein fühle, verletzbar. SO bin ich verdammt nochmal nicht, ok?! Du lässt mich eifersüchtig werden und an mir zweifeln, ob ich je gut genug für dich sein kann. Du fickst meinen Kopf, verstehst du das?!".
„Alter, das gleiche machst du doch mit mir! Es ist nicht so einfach, wie du gerade sagst. Nicht nur du bist diejenige, die in der Beziehung ständig einsteckt. Ich fühle mich genau so klein und unsicher. Vor allem, wenn ich sehe, wie dich die Typen anschauen. Und alle denken, dass du Single bist. Das ist abgefuckt. Du bringst mich dazu, nicht mehr klar zu denken und mich jeden Tag in Frage zu stellen. Dieses Leben ist aber eben nicht leicht, das hast du von Anfang an mitbekommen! Aber deshalb suche ich mir doch nicht irgendeine Olle für die Tour.". Sie ließ keine Sekunde vergehen, ehe sie zurück schrie. 
„Und deswegen darf ich mich nie wieder daran stören, wie es ist, weil ich es ja wusste? Soll für immer den Mund halten? Du willst mich auf dem Klo ficken und sobald wir rauskommen, kennen wir uns nicht mehr? So funktioniert das nicht, man. Du gibst mir keine klaren Vorgaben und handelst, wie es dir gerade passt. Aber vielleicht ist das eben so schön einfach. Du lässt mich aber damit zurück, checkst du das?"
„Und du nimmst mich gar nicht erst mit. Dein Leben in Berlin, deine Freunde. Du brauchst mich doch gar nicht. Oder eher, du willst gar nicht und bist dir nicht zu schade, mir das auch zu zeigen. Wo war die Aufmerksamkeit für mich, die letzten zwei Wochen. Ständig hörte ich nur Arbeit hier, Treffen da und zwischendurch bleibt ein bisschen Zeit für deinen Freund am Handy. Du gibst doch einen Fick darauf. Ich fühle mich wie eine nette Nebenbeschäftigung".

Oh oh. V ging einen Schritt zurück und schaute mich wütend an.
„Dann sag mir in Gottes Namen, was ich hier mache.". Es war keine Frage mehr. Wir hatten zu viel gesagt, zu viel Wut war gerade zwischen uns, dass wir keinen klaren Gedanken mehr fassen konnten. Es wurde einfach nur ausgepackt und gegen die andere Person geschossen.
„Wozu machen wir das alles dann hier noch? Wenn wir uns doch nicht gut tun? Warum Volkan?" Sie schrie mir mitten ins Gesicht und ich sah die Tränen in ihren Augen.
„Man Fuck, weil ich dich liebe.". Der Ausdruck in ihren Augen wurde schlagartig eine Spur weicher. Sie schaute in meine Augen und mein Blick schien sie das erste Mal wirklich zu erreichen.
„Du tust was?".
Erst jetzt merkte ich, welche Worte über meine Lippen gekommen waren und sofort spürte ich den Kampf in mir. Nochmal konnte ich es nicht sagen, sie hatte gerade quasi gesagt, dass wir getrennte Wege gehen sollten.
Ich ging wieder einen Schritt auf sie zu und griff mit beiden Händen fest nach ihrem Gesicht und hielt es knapp vor mein eigenes. Meine Stimme war nur noch ein Flüstern und doch sprach ich mit ihr mit Nachdruck. Ich war noch immer so verzweifelt und wütend, vor allem über mich selbst.
„Es ist so, und ich kann nicht mehr ohne dich, selbst wenn ich wollte." erklärte ich mich. Sie schloss die Augen und die Träne fand endlich ihren Weg nach draußen und trafen auf meine Finger an ihrer Wange. In mir stieg Wärme auf und ich setzte fort.
„Das ist das Schwierige daran. Ich will dich in meinem Leben, als meine Partnerin, als die wichtigste Person. Und gleichzeitig versuche ich vor die wegzulaufen, weil ich einfach zu viel Schiss davor habe, wie viel Einfluss du auf meine Gefühle hast.".

Blick zu den Sternen  - Apache 207Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt