49. Lass die Selbstzweifel

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Volkan

Ihre Nachricht pisste mich an. Wir hatten ohnehin weniger Kontakt in den letzten Tagen und jetzt hatte sie keine Zeit zu telefonieren, nicht einmal kurz? Ich wollte nur ihre verdammte Stimme hören und sie wies mich wieder zurück. Ich fühlte mich, wie damals mit meiner Ex, kurz bevor wir uns trennten. Diese Distanz zwischen einander machte mich krank und nun nahm sie nicht einmal mehr meine Anrufe an. Wie sollte das die nächsten zwei Wochen weitergehen, wenn wir auf unsere Handys angewiesen waren. Ich musste schwer Schlucken, als ich erneut den Anfang ihrer Mailbox hörte und stoppte mich, ihr draufzusprechen. Ich hätte mich wahrscheinlich nicht zusammenreißen können. 
Noch mehr pisste mich jedoch mein Bruder an, der aufgedreht meine Gardine am Bett aufriss, während ich noch in meinen Gedanken hing. Er war viel zu gut drauf und konnte mich mit seiner Fröhlichkeit nicht anstecken. Am liebsten hätte ich ihm eine reingehauen, um nicht mehr dieses Grinsen auf seinem Gesicht sehen zu müssen. Nachdem ich ihn das dritte Mal angekackt hatte, ließ er mich endlich allein und ich lag einige Minuten im Bett, um zu schauen, ob sie sich doch noch meldete. Ich rief sie an, doch wieder einmal erklang nur die Stimme ihrer bescheuerten Mailbox.
Sie war gestern Abend unterwegs gewesen, schrieb mir auch noch eine süße Nachricht, dass ich echt dachte, es sei wieder alles gut und dann kam heute diese beschissene Ausrede, nachdem ich sie anrief. So funktionierte doch keine Beziehung auf Entfernung, wenn man sich nicht mal schrieb, geschweige denn hörte.
Sachte hörte ich Schritte auf mich zukommen, bis Johannes im Gang stand und vorsichtig zu mir hinunterschaute, ohne etwas zu sagen.
"Was ist?" schnauzte ich ihn an.
"Hab gehört, du bist schlecht drauf. Hab' leider den Kürzeren gezogen und wurde von den anderen vorgeschickt.". Ich lauschte seinen Worten und spürte wieder Wut aufkommen. Lässig lehnte er sich gegen eines der Doppelstockbetten.
"Willst du was frühstücken...? Oder... reden?". So zaghaft wie er sprach, schien er Angst zu haben, mir diese Frage zu stellen. Ich konnte mit ihm nicht offen reden und ihm alles über V erzählen. Die Sache mit V sollte eben erstmal losgelöst von meiner beruflichen Karriere sein, doch Johannes war mein bester Freund, seit Jahren. In meinem Kopf entstand eine rege Diskussion und ich musste nachdenklich ausgesehen haben. Johannes kam einen Schritt auf mich zu, noch immer auf der Hut, als könnte ich jederzeit explodieren.
"Wir können auch erstmal was frühstücken und du überlegst in Ruhe, ob wir reden wollen. Kein Stress.".
Ich nickte und meine Wut verflog ein wenig. Kein Druck, das war gut, das brauchte ich.
Ich rutschte an die Bettkante und zog eine Jogginghose und ein T-Shirt über und folgte ihm nach draußen. Wir holten zwei Kaffee und einige Backwaren und suchten ein stilles Plätzchen. Jedes Mal, wenn mich jemand auf dem Weg ansprach und etwas fragen wollte, unterbrach Johannes sie und sie verstummten sofort.
"Lass da hinten hin, da müssten wir alleine sein.". Ein letztes Mal zückte ich mein Handy, in der Hoffnung ihren Namen zu lesen. Ich brauchte ein Zeichen von ihr, dass mit uns alles ok war. Doch da war nichts.
Johannes ließ sich auf den Stufen einer kleinen Treppe nieder und begann sein belegtes Brötchen auszupacken. Ich setzte mich zu ihm und starrte auf mein trockenes und kläglich belegtes Sonnenblumenkernbrötchen. Wieder begann der Kampf. Sprechen oder nicht.
"Kann ich dir etwas erzählen, ohne dass du direkt reagierst?" brachte ich nach einigen Momenten heraus.
"Klar". Seine Worte waren gedämpft, er könnte durch den vollen Mund ohnehin nicht viel antworten. Ich zögerte noch, bis es aus mir herausplatzte.
"Ich hab mich krass in V verknallt und wir sind seit ein paar Wochen zusammen.". Seine Augenbrauen schnellten nach oben, doch er versuchte gleich wieder einen neutralen Ausdruck hinzukriegen und nickte nur zur Kenntnis nehmend.
"Die Entfernung macht es gerade richtig beschissen und es sind noch nicht mal zwei Wochen. Sie schreibt total abweisend, dass sie gerade nicht telefonieren kann und keine Zeit hat und ich drehe langsam durch. Ich kann einfach gerade nichts machen. Erst ist sie nicht rangegangen, jetzt ist das scheiß Handy aus und ich sitze wie ein Idiot im Bus und warte. Ich kenne mich so nicht, man.". Johannes nickte nur.
"Ja, jetzt sag was, man"
"Du wolltest doch keine Reaktion"
"Alter". Ich war im Begriff wieder aufzustehen, auf so etwas hatte ich keinen Bock. Johannes griff nach meiner Schulter und drückte mich zurück auf die Steine, sodass ich mich wieder vollständig hinsetzte.
"Krass bist du dünnhäutig, jetzt chill doch kurz, ich sag doch was dazu.". Er machte eine kurze Pause und zog die Kippenschachtel aus der Jackentasche und hielt sie mir hin. Ich nahm eine zwischen die Lippen und ließ sie mir von ihm anzünden, als er endlich begann zu sprechen.
"Also. Das mit V ist krass, weil du ja auch seit Wochen alles abstreitest, was in die Richtung geht. Ich hab mich schon gewundert, warum du dir niemanden geklärt hast in den letzten Wochen, dachte aber eher an irgendeine andere, die dir den Kopf verdreht hat. Wie kam das mit ihr denn?". Ich erzählte ihm im absoluten Schnelldurchlauf von den letzten Monaten und das alles rauszulassen, tat gut. Endlich mit jemandem sprechen zu können, brachte ein wenig Erleichterung. Er hörte meinen Worten aufmerksam zu, bis er tief seufzte.
"Also faktisch ist doch gar nichts los. Du vermisst sie, klar. Aber warum machst du dir solche Sorgen. Vertraust du ihr nicht und denkst, sie liegt mit nem anderen im Bett?"
"Nein... das eigentlich nicht aber auch solche Gedanken kommen dann von allein. Sie ist eine tolle und wunderschöne Frau, was will sie mit mir. Vielleicht sind ihr die Umstände einfach zu viel geworden."
"Lass die Selbstzweifel, man. Sie würde das Ganze nicht mit dir eingehen, wenn sie nichts an dir fände. Du steigerst dich auch vielleicht ein bisschen gerade rein, vielleicht hat sie wirklich gerade viel zu tun und meldet sich später. Und wenn nicht, kannst du sie immer noch darauf ansprechen dann."
Ich war nachdenklich. Ich kannte es von mir, in manchen Situationen über zu reagieren, doch kannte ich dieses Verhalten nicht von V und das machte mich so unsicher.
Zwischen Johannes und mir war nun seit einiger Zeit Stille eingetreten und ich ließ mir die Worte durch den Kopf gehen.
"Du hast Recht, glaube ich... Vielleicht reagiere ich ein bisschen zu krass."
"Naja ich glaube du hast Angst, dass sie kein Bock auf so ein Leben hat und sich wieder trennt. So war es ja nun auch das letzte Mal. Aber es ist eben nicht gleich. Diesmal ist es V an deiner Seite. Und bisher ist doch nichts in die Richtung passiert, außer, dass sie eine distanzierte Nachricht geschrieben hat und nicht ans Handy geht. Vielleicht hat sie auch was, will dich auf der Tour aber damit nicht belasten, hast du daran mal gedacht? Chill und rede mit ihr, sobald du kannst. Sonst manipulierst du die Beziehung doch selbst, bis sie sich wirklich trennt."
Ich fühlte mich, als wäre ich das erste Mal verliebt und machte meine ersten Erfahrungen mit einer Frau. Und jetzt holte ich mir Rat von einem Vater, den ich ja nie hatte, das hatte immer Hakan übernommen.
Hinter uns hörte ich die anderen Jungs, die zu uns kamen. Sie stellten sich vor uns vor die Treppe und zündeten sich ebenfalls eine Kippe an, sprachen angeregt miteinander. Es ging mir besser nach unserem Gespräch und ich lehnte mich etwas zu Johannes, um ihm unauffällig zu danken. Seine Hand klopfte vorsichtig auf meine Schulter und ich hatte das Bedürfnis ihn zu umarmen, wollte jedoch die anderen um mich herum nicht auf meine Situation aufmerksam machen. Ich suchte seinen Blick und nickte ihm zu. Er verstand mich wortlos.

Blick zu den Sternen  - Apache 207Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt