46. Eine absolute Hassliebe

475 15 0
                                    

Volkan, am gleichen Tag

Als ich langsam wach wurde und zu mir kam, erinnerte ich mich recht schnell, wo ich mich befand. Wo genau, war durch mein kleines Fenster im Tourbus nicht erkennbar, da die Autobahnen Deutschlands ziemlich gleich aussahen. Mein Körper schmerzte von den vergangenen Auftritten und dem nicht sehr bequemen Bett. Einen Teil der Tour, den ich wahrhaftig nicht genoss. Ich richtete mich etwas auf und tastete die dünne Matratze neben mir ab und suchte mein Handy. Es war Montag und bereits nach 13 Uhr, was hieß, dass wir bald in einer neuen Stadt ankommen würden. Wir hatten immer das Ziel, vor 15 Uhr die Location zu erreichen, um noch alles Nötige zu schaffen. Ich ließ mich zurück in mein Kissen fallen und der kleine Restgeruch aus dem Kissenbezug stieg mir in die Nase. Es war V's Geruch. Tausend Bilder von ihr schossen mir bei dem Duft in den Kopf.
Ich öffnete Whatsapp und sah ihre Nachricht von heute Morgen. Aus meiner Sehnsucht von eben wurde schnell Anspannung. Ich konnte kaum glauben, dass sie sich wieder so in die Arbeit gestürzt hatte, obwohl sie erst eine Woche wieder da war und mir war es wichtig, ihr das auch zu sagen. Ich war selbst nicht besonders gut in der Selfcare wenn es um die Arbeit ging. Von außen war das natürlich immer ein bisschen einfacher zu betrachten.
Ich rutschte vorsichtig aus meinem kleinen Bett heraus und taumelte durch den Gang im oberen Geschoss des Tourbusses. Unten saßen bereits die anderen und unterhielten sich lautstark. Es waren bereits einige Dosen mit Jack und Gin geöffnet und mir stieg etwas Galle auf. Ich hatte nicht einmal an Alkohol denken können. Ich quetschte mich an den anderen vorbei in die kleine Küche und suchte nach dem Toastbrot. Eine Scheibe hatten sie mir gelassen, vielen Dank auch. Ich schob sie kurzerhand in den Toaster und blieb mit dem Rücken zu allen anderen stehen. Ich hatte noch keinen Kopf zum Reden, geschweige denn für betrunkene Gespräche.

„Ich hab noch ein bisschen Knäckebrot, wenn du magst?" hörte ich die leise Stimme neben mir und erkannte Charlie. Bereits in den vergangenen Tagen fiel mir auf, dass sie meine Nähe suchte und sich immer wieder „Zufälle" ergaben, sodass sie mich ansprechen konnte.

„Ne, passt schon, danke dir. Ein Toast reicht mir, wir kommen ja auch bald an, denke ich."

„Wäre wirklich kein Ding, du musst doch Kräfte sammeln für später." Ich spürte ihre Hand auf meinem Oberarm und drehte mich prompt weg, um aus der Berührung zu kommen.

„Ich brauche nichts, danke.". Noch abweisender hätte ich nicht sein können. Ich musste versuchen, das Ganze in einem professionellen Verhältnis stehen zu lassen, schließlich würden wir noch einige Zeit zusammenarbeiten und mit dem Bus unterwegs sein.

„Hör mal, Volkan. Ich hab in den letzten Tagen etwas nachgedacht.. also über dich natürlich.. und auch über mich und finde-". Sie wurde von einem lauten Schreien hinter uns unterbrochen. Sasan hatte bei irgendeinem Kartenspiel gewonnen und war aufgesprungen. Alle beobachteten ihn und seine strahlenden Augen und auch ich nutzte den Moment zu flüchten und mich zu den anderen zu setzen. Ich setzte mir wieder die Fassade auf, die ich häufig trug, wenn ich nicht nur mit meinen Freunden zusammen war. Nicht jeder musste mein Innerstes kennen.

In der Arena angekommen sortierten wir alles und liefen in den Backstagebereich, um die Sachen abzulegen. Mein Magen knurrte laut und ich machte mich direkt auf den Weg zum Catering, um endlich etwas Anständiges zu essen. Nachdem ich den Teller füllte, setzte ich mich auf die herumstehende Couch, steckte mir die Kopfhörer in die Ohren und stach die Nudeln auf die Holzgabel. Ich hatte tatsächlich schon schlechter gegessen. Nachdem ich die zweite Portion verschlungen hatte, breitete ich die Arme aus, legte den Kopf in den Nacken und hörte in meine Playlist, bis sich neben mir Gewicht in die hellbeige Couch legte. Mein Kopf schnellte nach oben und mein Blick ging nach rechts. Charlies Lippen bewegten sich und ich schaute sie verwirrt an. Ich griff nach meinem rechten Kopfhörer und zog ihn langsam heraus.

Blick zu den Sternen  - Apache 207Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt