105. Ich war glücklich

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Volkan

Mit ihren Händen in meinem Nacken, zog sie mich immer näher zu sich und aus unserem sanften Kuss war mittlerweile eine stürmische Knutscherei mitten in ihrem Hausflur geworden. Ihre Nägel bohrten sich in meine Haut an meinem Nacken und unregelmäßig versuchten wir zwischen den Küssen zu Luft zu kommen. Sie drängte sich mehr und mehr an mich, sodass ich ihren Körper an mir spürte und hungrig nach mehr mit meinen Händen auf und ab fuhr. Ich zog sie näher an mich.
Wir waren wie in Ekstase. Als hätten wir all die Küsse, die wir in den letzten Monaten nicht hatten küssen können, in diesem Moment nachholen müssen.
Immer wieder verlor sie das Gleichgewicht, sodass ich sie vor dem Stürzen versuchte zu schützen. Ich dirigierte sie zwei Schritte rückwärts, bis ihr Rücken gegen ihre Wohnungstür stieß und ihr einen kleinen Laut vor Überraschung entwich. Ich drückte sie leicht gegen die Tür, dass unsere Körper aneinandergepresst waren und führte meinen Kuss von ihren Lippen weiter zu ihrem Hals. Es dauerte nicht lang, bis ich das leise Stöhnen hörte und mich sofort erinnerte, wo wir uns gerade befanden.
Mein Kopf schreckte für einen Moment hoch, ich kam wieder im Hausflur an und schaute mich um, ob sich bereits Zuschauer bei unserem öffentlichen Rummachen versammelt hatten. Ihre Finger glitten derweil über meine Schultern, zu meiner Brust, hin zu meinem Hemd, das sie unbeholfen versuchte aufzuknöpfen.
„Lass uns reingehen, hm?" flüsterte ich mit rauer Stimme. Ihr Blick verriet mir, dass auch sie nicht mehr wahrgenommen hatte, wo wir uns befanden. Ihr Blick war verwaschen, die Lippen wieder geschwollen und rot, wie vorhin. Ohne auf eine Reaktion zu warten, öffnete ich die Tür und lief ihr nach in die Wohnung. Mit einem Mal war das Knistern zwischen uns verpufft und V versuchte offensichtlich ein Gähnen zu unterdrücken, während sie die Schuhe auszog. Sie tapste in Schlangenlinien durch ihr Wohnzimmer in die Küche, schenkte uns beiden ein Wasser ein, ehe sie mich in einem knappen Satz wissen ließ, dass sie kurz ins Badezimmer ging.
Noch immer spürte ich die Aufregung von eben. Mein Herz klopfte noch ziemlich heftig gegen meine Brust und der Gedanke daran, was heute noch passieren würde, ließ meinen Bauch kribbeln.
Nach einer Weile, in der ich mich auf dem Sofa ausgebreitet und durch mein Handy gescrollt hatte, öffnete sich die Badezimmertür.
Sofort legte ich das Handy bei Seite, ehe V schon neben mir zu stehen kam. Sie hatte sich abgeschminkt, die Haare in einen hohen Zopf gebunden und nur noch Tanktop und Leggins an. Ich lächelte sie sanft an, doch realisierte ich erst jetzt, wie glasig und müde ihre Augen waren und wie betrunken sie tatsächlich war.
„Ich... geh auch nochmal schnell ins Bad, ja? Bin gleich wieder da."
Ihre Hand fuhr noch einmal hoch zu meinem Gesicht und strich sanft über meine Wange. Auf ihren Lippen zeichnete sich wieder ein sündhaftes Lächeln ab, ehe ich loslief ins Bad.

Über das Waschbecken gebeugt, fing ich das kühle Wasser in meinen Händen auf und ließ es über mein Gesicht laufen. Ich versuchte klar zu kommen. Ich blickte in mein Spiegelbild, schaute mir selbst prüfend in die Augen, nachdem ich meine Haare noch einmal gerichtet und einen kleinen Klecks Zahnpasta für einen besseren Atem im Mund verteilt hatte.
Ich konnte meinem eigenen Blick nicht ausweichen und wie von selbst begannen die nüchternen Gedanken. Normalerweise wäre ich wahrscheinlich selbst so betrunken gewesen, dass ich keinen Gedanken mehr daran verschwendet hätte, was hinter dieser Tür gleich passieren würde.
Doch der Moment von eben brachte mich zum Grübeln.
Wollte ich so das erste Mal wieder mit ihr schlafen, wenn sie so betrunken war? Vielleicht würde sie nüchtern gar nicht diese Entscheidung treffen und wäre morgen sauer auf mich, ihre Situation mehr oder weniger ausgenutzt zu haben. Oder sie wäre sauer auf sich selbst. Ich stützte mich auf dem Waschtisch ab und wagte einen letzten Blick in den Spiegel. Die Entscheidung stand längst fest. So wollte ich es nicht.
Wäre es heute Abend, als wir allein bei mir waren und beide nur ein bisschen Wein getrunken hatten, dazu gekommen, wäre es anders gewesen. Doch so fühlte es sich einfach nicht richtig an.
Neben dieser Entscheidung kam direkt ein flaues Gefühl in meiner Magengegend auf, wie sie reagieren würde, wenn ich sie zurückwies. Ich wollte sie nicht kränken oder ihr das Gefühl geben, sie nicht zu begehren. So war es ganz und gar nicht. So, wie sie mich eben im Hausflur küsste und berührte, hätte ich sie am liebsten noch an Ort und Stelle entkleidet und ihr gezeigt, wie sehr ich sie wollte. Das hatte sie hoffentlich auch schon gespürt.
Seufzend drückte ich die Klinke der Badezimmertür herunter, gefasst darauf, gleich eventuell auch die Haustür von außen schließen zu müssen. Oder sie vor meiner Nase zugeschlagen zu bekommen.
Ich lief zur Couch, in der Erwartung, sie dort liegen zu sehen, doch täuschte ich mich. Irritiert warf ich einen Blick in ihre Küche und zuletzt in ihr Schlafzimmer. Ein Schmunzeln breitete sich bei mir aus, denn V hatte sich auf ihr Bett gesetzt und schien sich vor Müdigkeit auf die Seite gelegt und die Beine in eine unbequem aussehende Haltung angewinkelt zu haben. Leise hörte ich ihren Atem und beobachtete sie einen Moment in dem sanften Licht der Nachttischlampe. Fuck bin ich verliebt.
Ich beugte mich zu ihr herunter, griff unter ihre Beine und ihren Rücken und drehte sie in einer flüssigen Bewegung so, dass sie richtig mit dem Kopf auf ihrem Kissen lag und die Beine ausstrecken konnte. Ich nestelte die beige Bettdecke unter ihrem schlafenden Körper hervor und zog sie hoch, bis über ihre Schulter. Aus der Küche holte ich zur Sicherheit einen Eimer und eine Flasche Wasser, die ich auf ihrem Nachtschrank deponierte.
Ein letztes Mal kniete ich mich neben ihr Bett, beugte mich zu ihr und küsste ihre Stirn. Meine Lippen ruhten für einige Sekunden auf ihrer Haut und zeitgleich sog ich ihren himmlischen Duft ein, bevor sie sich unter mir bewegte. Sofort zuckte ich zurück, um sie nicht noch einmal aus ihrem Schlaf zu reißen.
Wieder stand ich da und überlegte. Es fühlte sich, trotz unserer Nähe von eben, falsch an, mich einfach neben sie zu legen. Die letzten Monate hatten mich so verdammt vorsichtig gemacht, dass ich nicht einfach Dinge entscheiden wollte, vor allem nicht in ihrer eignen Wohnung... und ihrem Bett. Kurzerhand griff ich das zweite Set Kissen und Decke, löschte das kleine Licht und lief ins Wohnzimmer. Ich wollte sie nicht allein lassen, falls es ihr in der Nacht doch schlechter ging. Eigentlich wollte ich sie einfach nicht allein lassen.
Leise schlich ich noch einmal auf den Balkon, steckte mir eine Zigarette an und scrollte durch mein Handy. Vollkommen untypisch hatte ich keine offenen Nachrichten, nichts, was mich jetzt kurz beschäftigen konnte. Noch während ich das Handy zurück in meine Hosentasche schob, dachte ich über den Abend nach.
Ich war glücklich. Dieses Gefühl blieb bis zuletzt übrig. Sie machte mich glücklich.

Blick zu den Sternen  - Apache 207Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt