25. Wie im Labyrinth

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Volkan

Ich wartete bereits einige Stunden und telefonierte zwischenzeitlich mit Hakan und Johannes, die kurzerhand entschieden, mit mir zu warten. Sie hatten die Situation in der Location geregelt und eine kurze Info an die Fans gegeben, warum sie heute doch alleine feiern würden. Es lief nicht optimal, aber das tat an diesem Abend scheinbar gar nichts.
Als die beiden das Krankenhaus betragen, waren ihre Gesichter blass und ihre Mimik hatte etwas mitleidiges. Mein Bruder nahm mich fest in die Arme und wiederholte den Satz, den ich langsam nicht mehr hören konnte. Es tut mir so leid schallte es in meinen Ohren immer und immer wieder, wie ein Echo. Es tat mir auch leid und die Selbstvorwürfe machten sich in mir breit. Ich wusste, dass ich keinen Einfluss auf die Situation mit den K.o.-Tropfen hatte, jedoch hätte ich sie vor dem körperlichen Übergriff schützen können. Stattdessen posierte ich auf Fotos und verbreitete gute Stimmung. Meine Gedanken waren wie im Labyrinth gefangen. Immer wieder beschäftigte mich die Frage Was wäre wenn... in gefühlt einhundert verschiedenen Ausführungen. 
Ein junger Arzt in weißem Kittel lief auf mich zu und beendete für einen Moment das Durcheinander.
„Herr Yaman? Das sind Sie, oder?". Er erkannte mich, seine Frage war also mehr als unnötig, auch wenn er versucht hatte, professionell zu sein. Ich erhob mich, sobald er nur den ersten Buchstaben meines Namens ausgesprochen hatte und schaute ihn erwartungsvoll an.

„Kommen Sie kurz mit nach nebenan? Dort haben wir ein wenig Ruhe.". Ich folgte ihm wortlos und nahm auf einem der beiden Stühle Platz in dem kleinen Beratungsraum nebenan. Ich stellte mir kurz vor, welch schlimme Nachrichten in diesem Raum überbracht wurden und mein Blick schweifte über die kleine Taschentuchbox auf dem Tisch und zu den vielen Flyern zu verschiedenen Themen im Regal hinter ihm.

Ein Seufzen leitete ein, dass er nun sprechen wollte.
„Ihrer Freundin geht es gut, so viel vielleicht vorab.". Erleichterung. Meine Schultern wogen in dieser Sekunde zehn Kilogramm weniger und ich spürte wieder die Feuchtigkeit in meinen Augen. Ich hatte spontan das Verlangen, ihn zu umarmen, konnte mich jedoch bremsen. 

„Sie ist ansprechbar und hatte mich gebeten, vorher mit Ihnen zu sprechen. Das Nasenbein ist angebrochen und die Jugale geprellt. Zudem ist eine Rippe geprellt und sie hat einige Hämatome. Jedoch keine inneren Verletzungen.".

„Jugale?". Wieso sprach er in einer anderen Sprache mit mir. Ich verstand kein Wort und fühlte mich ein bisschen blöd, überhaupt nachfragen zu müssen. 

„Entschuldigung... das Jochbein..der Wangenknochen". Ich nickte.

„Wir haben tatsächlich GBL in ihrem Blut feststellen können.". Mein fragender Blick unterbrach ihn erneut.

„Das sind K.o.-Tropfen, entschuldigen Sie. Manchmal kommen die Begriffe zu automatisch.". Ich nickte erneut. Den Begriff hatte die Ärztin auch schon genannt. Ich war mir noch immer nicht sicher, ob ich den Typen vor mir mochte. Gleichzeitig wirkte er sympathisch, aber auch ein wenig, als würde er mit einem Kind sprechen. 

„Ihre Freundin war auf dem besten Weg zu einer Überdosis, deswegen wurde sie auch ständig bewusstlos. Sie wird kaum Erinnerungen an den Abend haben. Ob das gut ist oder eben nicht, wird sich leider erst noch zeigen. Es wurde zudem eine vaginale Untersuchung durchgeführt..". Er schien etwas unangenehm berührt und schaute an mir vorbei durch den Raum als fände er an den Wänden die richtigen Worte. Ich hing dennoch an seinen Lippen.

„Die Abwehrverletzungen zeigen deutlich, wie sehr sie sich gewehrt haben muss, aber das GBL, also die Tropfen setzen wirklich sehr außer Gefecht.". Er machte eine kurze Pause, als wollte er jeden einzelnen Punkt in seinem Kopf abhaken, um nichts zu vergessen.

„Es war sichtbar, dass sie vor kurzem sexuellen Kontakt gehabt haben muss, jedoch wurden keine Spermaspuren oder grobe Verletzungen festgestellt. Eine Schwangerschaft konnten wir ebenfalls ausschließen. Sie bekommt wahrscheinlich dennoch zur Sicherheit PEP, das ist ein Medikament, das bei einem HIV-Risiko vorsorglich eingesetzt wird. Wir gehen jedoch auf Grundlage der Untersuchung nicht von einer Vergewaltigung aus.". Mein Kopf schwirrte immer mehr und meine Anspannung ließ langsam nach. Diese Info schmälerte nicht im Ansatz, wie furchtbar das alles war, doch war es eine Sorge weniger. 

Er räusperte sich und sprach nun etwas leiser.
„Wir wissen von Frau Steinert, dass sie sexuellen Kontakt zu ihr hatten, wir gehen daher von den Irritationen und normalen, leichten Verletzungen aus.". Er bewegte seine Finger, um Anführungszeichen nachzubilden. Der letzte Satz war mir fast ein wenig unangenehm und brachte mir für eine Millisekunde Erinnerungen an unsere gemeinsame letzte Nacht ein, in der noch alles gut war und ich sie in meinen Armen halten konnte. Ich verbot mir sofort die Gedanken und kehrte zu unserem Gespräch zurück.

„Haben Sie irgendwelche Fragen, Herr Yaman?"

„Kann ich sie sehen? Wann kann sie gehen?" ich wurde nun doch ziemlich ungeduldig, trommelte mit meinen Fingern auf dem Eichentisch vor mir, auf dem ich meine Hände abgelegt hatte.

„Ich bringe sie gleich hin, wenn Sie möchten. Bereiten Sie sich mental vielleicht etwas vor, ihr Gesicht ist ziemlich blau und geschwollen, aber glücklicherweise sieht es schlimmer aus, als es ist. Sie wird auf jeden Fall diese Nacht hierbleiben. Morgen werden wir neu entscheiden. Die Polizei wird zudem heute noch mit ihr sprechen wollen.".

Ich stand auf, sein Zeichen mich nun zu ihr zu bringen. Ich versuchte mich auf den Anblick vorzubereiten, wusste jedoch auch, wie Gesichter nach einer Schlägerei aussahen. Ich hatte oft genug Fäuste abbekommen und auch verteilt. 

Blick zu den Sternen  - Apache 207Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt