54. Fühl ich

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V

Während wir zum Parkhaus der Arena liefen, wollte Volkan kleinteilig von mir hören, wie diese Überraschung zu Stande kam und seit wann ich wusste, dass ich kommen würde. Ich erzählte ihm von Hakan und meinen Gesprächen und meiner Aufregung in den letzten Tagen.
„Penner, der hat nichts gesagt! Nichts!" Volkan lachte fröhlich, doch mich holte die Stimmung der letzten Tage ein und aus meinem Lachen wurde eine leichte Traurigkeit.
„Volkan, wir müssen in den nächsten Tagen nochmal über die letzten zwei Wochen sprechen, glaube ich. Definitiv nicht heute, aber das wäre mir wichtig.". Er nickte verstehend und schien selbst nach passenden Worten zu suchen.
„Das wäre mir auch wichtig. Wollen wir Samstagabend essen gehen? Dann nehmen wir uns ein bisschen Zeit für uns. Allein.".
„Ja das wäre schön.". Unsere Blicke hingen aneinander und sein Lächeln steckte mich wieder an. Was war heute nur in der Luft.
Bevor wir die Tür erreichten, hinter der sich das halbwegs öffentliche Parkhaus befand, nahmen wir etwas mehr Abstand voneinander und automatisch entstand eine Distanz, die ich bisher zwischen uns kaum kannte. Er stieß die Tür nach außen auf und hielt sie mir offen. Nachdem ich hinaus trat, liefen bereits einige Fans auf ihn zu und riefen seinen Namen. Ich war vollkommen überrumpelt, hatte beim besten Willen nicht mit so vielen, ausdauernd wartenden Fans gerechnet. Sie liefen auf ihn zu, kreischten laut und riefen ihre Liebesbekundungen. 
„Ganz hinten rechts steht der Wagen, ich komme gleich nach.". hörte ich ihn noch sagen, bevor er von seinen Personenschützern und dann auch seinen Fans erreicht wurde. Ich konnte recht unbemerkt an der Menschentraube vorbei gehen und folgte seiner kurzen Anweisung. Ich suchte mein Telefon aus meiner kleinen Tasche und sah eine Nachricht von Sam.

Sam 23:54: Hey Kleines, hat alles geklappt? Hat er sich gefreut? Hat er dich direkt ins Hotelzimmer gezerrt? Will alles wissen!
V 00:14: Es war so krass ihn zu sehen, hat sich richtig gefreut :) Leider noch kein Hotel, erst ist noch ne kleine Afterparty.
V 00:14: Vielleicht können wir morgen telefonieren vor der Show. Schlaf gut

Ich steckte das Handy wieder ein und wurde instant von einem Auto geblendet, was mir für einen kurzen Moment mit Fernlicht in die Augen strahlte. Ich lief zu dem Wagen, im Wissen, wer sich darin befinden würde und setzte mich auf die Rückbank.
„Ich hätte euch auch so gefunden. Jetzt sehe ich nur noch Sternchen.". Ich lachte Hakan durch den Rückspiegel an.
„Du sahst so verloren aus, dachte ich helfe bisschen nach. Wo ist Volkan?".
„Fans haben vor der Tür auf ihn gewartet, er macht noch Fotos.". Erst jetzt bemerkte ich, dass bereits auf dem Beifahrersitz eine junge Frau saß, die ihre Hand in Hakans Schoß gelegen hatte und seine Hand hielt. Hakan schien meinen Blick zu bemerken.
„Ah, ähm, Sophie, das ist V, ne Freundin von Volkan, meinem Bruder.". Sie drehte sich zu mir und hatte ein wärmendes Lächeln.
„Hi, freut mich. Sorry, ich bin bisschen überfordert mit dem allem hier. Ist heute mein erstes Konzert von den beiden.". Sie hob grüßend die Hand.
„Alles gut, ich hab auch keine Ahnung, wie das hier läuft. Wie hat es dir heute gefallen?". Ich fing für einige Minuten an, mit ihr zu plaudern und mochte sie auf Anhieb. Sie strahlte eine ähnliche Ruhe aus, wie Hakan und in mir taten sich hunderte Fragen auf, die ich jetzt jedoch nicht stellen konnte. Volkan kam endlich angelaufen und joggte symbolisch die letzten Meter zu uns. Er ließ sich mit einem Seufzen in den Sitz neben mir fallen und entschuldigte sich.
„Ah endlich lerne ich dich kennen, Hakan hat ja ein Geheimnis aus dir gemacht, das hat ewig gedauert, bis er mit der Sprache rausgerückt ist. Freut mich, ich bin Volkan...- der Bruder." Volkan hielt seine Hand nach vorn und Sophie griff und schüttelte sie zaghaft.
„Kommt mir bisschen vor wie im Film. Der ganze Abend ist so...surreal..." kicherte sie leise vor sich hin. 

Fühl ich, Sophie. Fühl ich. So sah mein letztes halbes Jahr aus und ich kam in Situationen wie heute auch immer noch nicht drauf klar. Hakan fuhr die weit entfernteste Ausfahrt, die das Parkhaus anzubieten hatte, raus und manövrierte den Wagen, wie das Navi es ihm anzeigte.
„Ich hätte fahren sollen, bei deiner Fahrweise wird wieder allen schlecht, Bruderherz.".
„Schnauze" hörte man Hakan vorn belustigt schimpfen.
Volkan griff nach vorn in die Mittelkonsole und holte gekühlte Dosen aus einem versteckten Fach. Er öffnete sie und hielt die ersten zwei nach vorn. Danach hielt er mir eine geöffnete Dose hin und prostete mir zu.
„Auf die gute Show". Wir schauten uns tief in die Augen und Volkan beugte sich zu mir, um mich auf die Wange zu küssen. Ich schloss meine Augen und genoss seine Zärtlichkeit.
Sophie räusperte sich vorn auffällig und flüsterte etwas Hakan zu.
„Ach, mein Bruder ist ein Idiot. Erst heißt es, ey wir sagen das niemanden, bitte halt dicht und dann kann er die Finger nicht mal zehn Minuten bei sich behalten. Baby, du weißt einfach von nichts, du hast nichts gesehen oder mitbekommen, okay?" Sophie schmunzelte und nickte.
„Du hast ihr nichts gesagt?!". Volkan griff, während er sprach, nach vorn zu seinem Bruder und klopfte anerkennend auf seine Schulter.
„Wenn du zu mir sagst, Sag es keinem, halte ich mich dran. Indianerehrenwort, schon immer. Wie ist es denn jetzt? wollt ihr das vor dem ganzen Team offen machen?".
„Spinnst du?! Niemals.". Volkan lachte spöttisch. Und mir versetzte es einen Stich.
„Niemals?" Ich versuchte meine Frage nur zu hauchen.
„Oh ne, kacke, so meinte ich das nun auch nicht. Ihr beide habt echt ein Talent, immer auf den Feinheiten rumzuhacken. Niemals...heute. So meine ich das." Es war ihm unangenehm. Vielleicht setzte ich das gleich auf meine imaginäre Liste für unser Gespräch am Samstag.
Wirst du mich für immer als deine Partnerin verleugnen müssen? Notiert.
„Bro, wo hastn du meine Bauchtasche?". Sophie griff in den Fußraum und hielt ihm seine Louis Vuitton hin. Er nestelte nach seiner Kippenschachtel. Netter Versuch, um aus der unangenehmen Situation zu kommen. Er hielt sie mir hin und reichte sie dann ebenfalls nach vorn. Die Fahrt fühlte sich letztlich zu kurz an. Wir bogen in die Tiefgarage des Hotels ein, noch bevor ich die Hälfte meines Drinks geschafft hatte. Als wir ausstiegen, kippte ich alles auf einmal hinunter und schüttelte mich kurz von dem starken Whiskeygeschmack. Volkan stand mit hochgezogenen Augenbrauen vor mir, setzte selbst an, um die Dose zu leeren.
„Na das wird ja witzig heute."
Wir liefen zu den Fahrstühlen und Hakan und Sophie trödelten etwas versetzt hinter uns. Man hörte irgendwann die leisen Knutschgeräusche, sodass Volkan und ich etwas mehr Abstand zu den beiden erzeugten. Wir blieben vorerst allein vor den großen Metalltüren der Aufzüge stehen und schauten uns an. Durch seine blöde Brille konnte ich seine Augen nicht mehr sehen. Ohnehin hatte ich es häufig schwer, seinen Blick richtig zu deuten und blieb oft eher ratlos und verunsichert zurück. Er brach meine Gedankenketten.
„Ich kanns nicht abwarten, wenn wir endlich allein sein können im Zimmer.". Seine Stimme war bei diesem Satz so sexy rauchig.
„Wer sagt, dass ich dich mitnehme?" protestierte ich süffisant. 
„Willst du mich echt bei Hakan und Sophie schlafen lassen? Da bekomme ich kein Auge zu.".
Ich ging einen kleinen Schritt näher auf ihn zu und schaute hoch in sein Gesicht.
„Ich würde jetzt nicht zu sehr darauf hoffen, dass das in meinem Zimmer anders wäre." flüsterte ich. Ich musste grinsen und lief in den gerade öffnenden Fahrstuhl. Volkan lehnte sich mit der Schulter gegen die Fahrstuhltür, um sie zu blockieren und musterte mich ausführlich. Ich musterte ihn ebenfalls selbstbewusst und versuchte meinen verführerischsten Blick aufzusetzen. War ich wirklich nach einem Drink schon an diesen Punkt angekommen?! Ohne den Blick abzuwenden, rief Volkan kräftig nach Hakan.
„Abi? Der Fahrstuhl ist da". Man hörte Kichern und als die beiden auf uns zu liefen, musste man nicht lange raten, was abging. Hakans Lippen waren über und über mit dunklem Lippenstift und auch sein Hals war vollständig bedeckt. Sophie blickte grinsend zu Boden und hielt fest Hakans Hand, als sie zu uns in den Fahrstuhl stiegen. Volkans stand seitlich hinter mir. Seine Hand hatte er locker auf meine Hüfte gelegt und ich spürte den leichten Druck seiner Finger. Ich bewegte mich etwas weiter nach hinten, bis sich unsere Körper endlich berührten und schaute zu Boden. Wie aufgeheizt konnte die Stimmung noch werden?!
Nach einigen Sekunden der Stille drehte sich Hakan zu uns und riss uns aus der Situation.
„Dein Zimmer ist hier übrigens auch im Hotel, deinen Koffer hab ich schon ins Zimmer gestellt, als ich Mama vorhin hergebracht hab. Und hier..." Hakan kramte in seiner Jackentasche und baute unnötig Spannung auf. „... ist deine Zimmerkarte. Zimmer 426". Er hielt mir die weiße Checkkarte entgegen.
„Mein Koffer! Den hätte ich ja total vergessen in der Arena. Danke...". Wir erreichten die 15. Etage und noch bevor wir auf den Gang traten, wandte ich mich an Volkan.
„Ich glaub, ich geh nochmal kurz ins Zimmer. Ich muss mich endlich mal umziehen und ein bisschen frisch machen."
„Komm doch erstmal mit auf einen Drink...bitte."
Ich versuchte kurz nachzudenken. Ich fühlte mich eklig und wollte dringend duschen, doch würde es viel Zeit kosten, bis ich zurück sein würde. Es war mittlerweile ohnehin sehr spät geworden, lange könnte ich heute nicht durchhalten.
„Okay, ja.". Ich ging wieder einen Schritt auf Volkan zu, zurück in den Fahrstuhl.
„Du weißt Bescheid, könnte bisschen verrückt werden. Also mehr morgen als heute, aber naja. Keine Fotos, kein Verurteilen. Alles erlaubt.". Volkan legte seinen Arm über meine Schulter und wir gingen die letzten Meter bis zur Tür, hinter der die Aftershow Party sein sollte.
„Alles erlaubt, ja?".
Er zog die Luft scharf ein, drehte sich dann aber Richtung Tür und atmete schwer aus. 

Blick zu den Sternen  - Apache 207Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt