60. Du willst ins Publikum?

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V

Seit Volkan weg war, hatte ich ein komisches Gefühl in der Magengegend. Die Nervosität vor unserem Gespräch morgen stieg an, so viel war klar. Ich widmete mich wieder dem Chaos im Bad, sobald die beiden losgingen und machte mir Musik über meine mitgebrachte Box an. Der Nachmittag wurde immer entspannter und ich sehnte mich nach einer Zigarette. Verbotenerweise drehte ich mir eine Kippe, öffnete weit das Hotelfenster und bastelte mir einen kleinen Aschenbecher. So entspannt wie Volkan, der immer und überall rauchte, unabhängig von den Konsequenzen, konnte ich nicht sein. Ich saß mehr oder weniger entspannt auf dem Boden vor dem kleinen Couchtisch und rauchte die Zigarette, als ich ein zaghaftes Klopfen an der Tür hörte. Ich fühlte mich sofort erwischt und schmiss meine Zigarette in das Wasserglas. Verzweifelt fuchtelte ich in der Gegend herum, als hätte es den Rauch in Raumerfrischer verwandelt. Demütig lief ich zur Tür und öffnete sie, in der Erwartung, mich gleich entschuldigen und rechtfertigen zu müssen.
Doch...Sophie stand vor mir. Sie trug ein leichtes Sommerkleid mit Jeansjacke und hatte eine Flasche Sekt in der Hand. Ihr Grinsen war vielsagend.
„Dachte, wenn man uns schon zurücklässt, können wir die Zeit auch genießen.". Ich war baff und drehte mich wortlos aus der Tür, damit sie eintreten konnte. Sophie blühte richtig auf und erzählte viel von sich und ihrem Leben in Leipzig. Hakan und sie dateten noch nicht allzu lang und doch überlegte sie, nach Berlin und Umgebung zu ziehen, um mit ihm wirklich eine reelle Chance zu haben. Das half auch nichts, Sophie. Real war in dieser Welt wirklich nichts mehr.
Wir hatten unsere Flasche schon geleert und den improvisierten Aschenbecher mehrfach genutzt, als ich den Moment auskostete und die Minibar plünderte. Der Sekt und ihre Anwesenheit machten mich scheinbar mutig. Wir machten uns eine weitere Flasche Sekt auf und verfielen ins nächste Gespräch, als die Musik durch einen eingehenden Anruf unterbrochen wurde.
Volkan
„Hey, du bist auf laut, Sophie ist hier."
„Hi Sophie..." man hörte Hakan im Hintergrund etwas brabbeln, als habe er sie auch grüßen wollen.
„Wollte nur fragen, ob du schon los bist, aber klingt eher nicht danach."
„Ist es schon so spät?"
„Kurz nach sechs schon"
„Oh. Wir haben Sekt getrunken... und irgendwie die Zeit vergessen, machen uns gleich los."
„Trinkt doch entspannt aus, klingt ja nett eure kleine Runde. Müssen wir mal machen, wenn wir wieder in Berlin sind."
„Das ist ne Mädelsrunde... da bist du und auch dein Bruder nicht erwünscht."
„Das glaub ich erst, wenn ichs sehe. Passt auf euch auf und bis gleich."
„Bis gleich.". Sophie grinste mich an. Ich sah ihre Neugier aufblitzen und doch traute sie sich nicht, nach mir und Volkan zu fragen. Wir drehten die Musik wieder auf und machten uns gehbereit. Ich entschied mich kurzerhand auch für ein kürzeres Kleid, wenn auch in freundlichem schwarz und Plateausandalen dazu. Als kleines Accessoire legte ich die Kette um, die Volkan mir kurz vor seiner Tour schenkte. Sophie war schon ziemlich angetrunken, sodass ich mich auf dem Gang bei ihr einhakte, um sie im schlimmsten Fall auffangen zu können. Vor dem Hotel rauchten wir noch eine, während wir auf den Uber warteten. Sophie kam richtig in Feierstimmung und ließ die Musik vom Fahrer aufdrehen, wippte auf ihrem Sitz und sang laut mit. Ich konnte nicht anders, als mich mitreißen zu lassen, sodass wir laut zu Cher's „Strong enough" sangen und auf unseren Sitzen tanzten. Die Fahrt zur Arena war leider nicht sehr lang, sodass wir etwas enttäuscht aus dem Wagen ausstiegen, die Kleider wieder zurecht zogen und auf die Securities am Seiteneingang zuliefen.
Mittlerweile war mein Auftreten vor dem Sicherheitspersonal selbstsicherer, ich wusste, was ich zu sagen hatte und irgendwie fühlte ich mich an den Orten... richtig. Auch heute checkte er die Liste und fand unsere Namen problemlos. Ich hatte seit gestern schon wieder den Weg in die kleine Lounge vergessen und auch Sophie schien nicht mehr allzu orientiert. Ich zog mein Handy aus meiner Tasche und rief Volkan kurzerhand an.
„Hey, alles gut?". Seine Stimme war etwas besorgt.
„Meine Orientierung ist ziemlich mies, kannst du uns vor der Tür abfangen, damit wir nicht dran vorbeilaufen?"
„Ernsthaft?"
„Ja, ernsthaft."
„Ok, ich komme."
„Bring Hakan mit." rief ich ihm noch durch das Telefon zu, bevor ich auflegte und er hätte Antworten können. Wir liefen die Gänge, die uns am Einlass beschrieben wurden, entlang und bei der nächsten Kurve nach rechts entdeckte ich die beiden Männer im Gang stehen mit Bechern in der Hand. Sophie quiekte laut, als sie Hakan sah und lief schneller auf die beiden zu. Als sie ankam, fing Hakan sie auf und sie küssten sich lang und intensiv, als hätten sie sich wochenlang nicht gesehen. Volkan schmunzelte mich an und blickte vom Boden auf, als ich vor ihm stand.
„Ach darum ging es dir..."
„Ich weiß nicht, was du meinst..." schmunzelte ich ihm unschuldig zu. Er schaute sich kurz um und beugte sich dann so weit zu mir hinunter, bis er mein Ohr erreichte.
„Du siehst unfassbar heiß aus in diesem Kleid. Ich würde es dir am liebsten hier und jetzt ausziehen." flüsterte er. Seine Hand glitt über meinen Rücken und ein Schauer bildete sich.
„Stehst du also auch auf Publikum, wenn du mich fickst?". Da sprach erneut der Mut durch den Sekt aus mir. Kurz war ich besorgt, einen Schritt zu weit gegangen zu sein, doch zog er sofort die Luft scharf ein und der Druck auf seiner Hand in meinem Rücken wurde stärker.
„Ich glaube ich vergesse einfach alles um mich herum, wenn du da bist." flüsterte er zurück. Meine Knie wurden schlagartig weich.
Ich küsste seine Wange und löste mich aus unserer Nähe, um ihm zu bedeuten, reinzugehen. Seine Hand ruhte weiterhin auf mir und er leitete mich in den Raum. Die anderen hatten bereits die Musik hochgedreht und rein nach der Stimmung zu urteilen, floss schon einiges an Alkohol. Ganz angepasst an Sophies und meinen Pegel.
„Wir haben eigene Getränke hergebracht, was trinkst du?"
„Ihr habt eigene Getränke hergebracht?". Ich musste lachen bei der Vorstellung, dass Volkan wie ein 16-jähriger einen Sixer Bier hertrug.
„Das Catering in den Arenen bietet immer nur Schmutz. Saft und bisschen Chips... Niemand will das."
„Verstehe. Habt ihr Gin?"
„Klar. Gin Tonic?". Ich nickte nur. Volkan mischte mir meinen Drink und nippte selbst daran, bevor er ihn mir reichte und wir rüber zum Tisch zu den anderen gingen.
Ich grüßte in die Runde und setzte mich auf einen freien Platz auf der anderen Couchseite.
Can, den ich gestern kurz in dem kleinen Raum kennenlernte, in dem Volkan nach der Show duschte, saß neben mir und strahlte mich an.
„Schön dich wieder zu sehen. V war das, richtig?"
„Genau, hi"
„Volkan meinte, du kommst aus Berlin? Wie ist es da zu wohnen? Ich überlege auch hinzuziehen."
Ich erzählte ihm von Berlin und wir tauschten uns eine Weile über die mehr oder weniger touristischen Spots und das Clubleben, das ich absolut nicht nutzte, aus, als Johannes sich neben mir auf das Sofa setzte. Er umarmte mich zur Begrüßung halb von der Seite und stieß mit mir an.
„Ich würd dich gleich wieder mitnehmen zur Lounge draußen, wenn du magst? Dann bist du nicht alleine."
„Meinst du es gibt ne Möglichkeit, dass ich mir die Show vom Zuschauerraum aus ansehe?"
„Du willst ins Publikum?" überrascht fragte er noch einmal nach.
„Ja! Ich hab richtig Bock auf die Stimmung. Und auf Tanzen und Mitsingen."
„Äh... ja, bestimmt. Warte kurz.". Er wandte sich von mir ab und versuchte Kontakt zu Hakan herzustellen.
„V würde gern vom Innenraum zusehen heute. Kriegen wir das noch unbemerkt hin?". Sophie setzte sich auf und rief mitten in die Unterhaltung.
„Ich will auch von da aus zusehen!". Sie war richtig aufgeregt, während Hakan sie nur überrascht ansah und noch nach Worten suchte.
„Ja, kriegen wir bestimmt hin, dann müsst ihr aber gleich rein. Dann siehts eher aus wie Gästeliste.". Sophie und ich gaben uns ein High Five und ich kippte meinen Drink herunter, um zu zeigen, dass ich bereit war zu gehen.
„Gut, dann sehen wir uns später, Leute. Viel Spaß!". Ich blickte mich um und sah Volkan zuletzt an. Er sah etwas überrascht aus, stand dann im gleichen Moment auf, in dem ich mich erhob. Ich drängte mich an den ausgestreckten Beinen der anderen vorbei, um zur Tür zu gelangen, an der Hakan schon auf uns wartete. Volkan kam uns nach und ich hörte seine leise Stimme neben mir.
„Du willst heute Fangirl sein?"
„Ich bin dein größtes Fangirl, Apache.". Seine Mundwinkel zuckten, doch so richtig gut kam der Satz nicht an.
„Sorry, sollte nicht komisch kommen. Ich hab Lust, das Konzert richtig zu genießen und die Stimmung zu erleben. Ist das blöd für dich?". Sein Lächeln nahm die leichte Spannung aus der Situation von eben.
„Ich darf dich nur nicht angucken, dann geht das schon. Ich wünsche euch viel Spaß, vielleicht holt euch der Sänger danach ja kurz Backstage für Fotos."
„Ich würde alles dafür geben." sagte ich in einer übertriebenen Stimmlage, sodass er meinen Sarkasmus verstand. Er fuhr kurz mit seiner Hand über meine Schulter, als ich mich in Richtung Tür drehte, um Hakan zu folgen, als ich meinen Namen hörte.
„Ach und V..."
„Ja?"
„Schöne Kette." setzte er mit einem Zwinkern nach. Ich liebte...das.
Hakan ging mit Sophie und mir aus der Tür und besprach sich gerade mit einem der Securities, wo er uns am besten in den Innenraum lassen konnte, als hinter uns noch Rufe kamen.
„Wir wollen auch noch mit, das wird von unten bestimmt nochmal viel geiler.". Die Blonde und eine ihrer Freundinnen, die ich gestern auf dem Balkon belauscht hatte, liefen geradewegs auf uns zu, um sich anzuschließen.
„Sind Volkans Haare denn schon ready?" Hakan schaute skeptisch ins Gesicht der Blonden.
„Als ob ich meine Arbeit nicht fertig machen würde. Seine Haare sehen perfekt aus."
„Gut, also vier auf einmal wird schwierig, müssen mal gucken, wie wir euch verteilen." sagte der große, dunkel gekleidete Mann. Hakan flüsterte noch etwas mit Sophie, bis er sich verabschiedete und zurück in den kleinen Raum ging. Wir folgten dem riesigen Aufpasser, der uns mittlerweile Pässe in die Hand drückte, damit wir nach dem Konzert auch zurück konnten. Ich steckte meinen schnell in das Seitenfach meiner Tasche.
„So, hinter der Tür geht's los, ich helfe euch über die Absperrung, was danach passiert, liegt in eurer Hand.". Sein letzter Satz klang fast etwas bedrohlich.
Es war ihm ein leichtes, uns über die Metallabsperrung zu heben. Er ließ uns bewusst nicht in der ersten Reihe ab, um größere Konflikte zu vermeiden. Sophie und ich lächelten die um uns stehenden entschuldigend an und hörten, wie sich neben uns zwei junge Mädchen aufregten. Es war mir mehr als unangenehm.
„Ey..!" Das laute Rufen riss mich aus meinem schlechten Gewissen. Der große Typ stand noch einmal an der Absperrung und Sophie drängelte sich zu ihm durch. Als sie zurückkam, hielt sie zwei Flaschen in der Hand und grinste mich an.
„Eine Empfehlung des Hauses, sagt er". Ich schaute sie verwirrt an, öffnete die Flasche und mir stieg sofort der Geruch von Gin in die Nase. Auch Sophie verstand, wer uns hier etwas empfohlen hatte und wir stießen an.
„Sorry, kennt ihr jemanden vom Team, oder wieso durftet ihr hier einfach rein und bekommt was zu trinken?". Eine der beiden Mädels hatte sich nun überwunden, uns direkt anzusprechen und war schlagartig zuckersüß.
„Ich kenne den Typen, der die Kabel trägt.". Mein Mund war schneller als mein Kopf und Sophie versuchte ein Lachen zu unterdrücken.
„Und der hat die Connection, euch hier reinzubringen?!". Sie war ungläubig, ich auch.
„Ja, hatte noch einen gut bei ihm. War gar nicht so leicht, ihn zu überreden.". Ich zog meine Schultern nach oben und drehte mich nun etwas weg.
„Meinst du, der könnte uns auch ins Backstage bringen? Ich würde Apache so gerne mal persönlich kennenlernen. Ich glaube wir würden uns richtig, richtig gut verstehen." fragte sie freundlich und legte den fordernden Unterton, der zu Beginn noch spürbar war, ab.
„Ich glaube so viel Einfluss hat er leider dann doch nicht, aber genießt das Konzert, vielleicht wird das ja mal was mit dem Kennenlernen.". Sanft lächelte ich ihr entgegen.
„Dass du da so cool bleiben kannst. Hätten die so über... du weißt schon wen... gesprochen, ich wäre richtig eklig geworden, glaube ich." sprach Sophie leise neben mir. Wieder zuckte ich mit meinen Schultern und nahm noch einen großen Schluck aus der Wasserflasche. Die Lichter der Arena wurden langsam gedimmt und die Trommler setzten routiniert zum Konzertstart ein.

Blick zu den Sternen  - Apache 207Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt