91. Joke's on me

336 16 11
                                    

V, drei Wochen später

Hektisch drückte ich den Summer, um die Haustür zu öffnen und starrte ungeduldig in den Hausflur. Wie lange konnte man für die zwei Stockwerke brauchen. Nervös tippte ich mit meinem Fuß auf meinen Flurboden, als Sam endlich um die Ecke des Treppenabsatzes gebogen kam und mich anstrahlte.
„Da bist du ja endlich."
„Hä, ich bin doch ausnahmsweise mal pünktlich?" irritiert schaute er zu mir auf. Nachdem ich meinen Kopf schief legte und meine Gesichtszüge anpasste, schien er verstanden zu haben.
„Achso, sorry, hab noch die Tür für'n Kinderwagen aufgehalten. Bist du etwas nervös?" belustigt schaute er mir in die Augen, als er vor mir ankam und zog mich in eine feste Umarmung.
„Entspann dich, wir haben noch sau viel Zeit."
„Tut mir leid, aber ich bin am Ende meiner Nerven. Komm rein.". Er streifte sich die Schuhe von den Füßen und legte die dünne Jacke an meiner Garderobe ab, als wir ins Wohnzimmer liefen.
„Ich hab dir was vom Bäcker mitgebracht.". Er legte die übergroße Tüte auf meinen Tisch und befreite auch seine Taschen von Handy, Portemonnaie und Schlüssel.
„Ich krieg nichts runter, aber danke dir." winkte ich ab.
„Ne ne, so geht's nicht. Tagsüber Wein trinken geht nur mit was im Magen. Sonst kommst du da ja vollkommen zerstört an, das kann ich nicht verantworten.".
Trotzig öffnete ich die Tüte, riss mir ein Stück vom Splitterbrötchen ab und steckte es mir provokant in den Mund, während ich ihn absichtlich anstarrte.
„Na geht doch. Das Temperament kannst du dir beibehalten, ist bisschen hot." zwinkerte er mir entgegen. Ich griff als Antwort nur nach meinem Kosmetikspiegel und zog behutsam den Lidstrich.
„Fuck!" verärgert betrachtete ich die schiefe, schwarze Linie neben meinem Auge, befeuchtete das Wattestäbchen und versuchte zu retten, was zu retten ging.

Sam füllte mir ein Glas Wein ein und drehte die Musik etwas auf, während ich mich weiter fertig machte, um mich etwas zur Ruhe zu bringen. Er hatte eine Gabe dafür, Menschen zu lesen und Stimmungen zu verändern. Und ich war ihm nie dankbarer dafür als in diesem Moment.
Ich entspannte mich zunehmend und blickte zufrieden meinem Spiegelbild entgegen. Ich wollte schön aussehen, aber nicht zu sehr hergerichtet. Es sollte nicht aussehen, als hätte ich Stunden in die Vorbereitungen investiert. Joke's on me.

Ich rauchte mit Sam noch eine Zigarette im Wohnzimmer, bevor ich mich aufraffte und endlich in mein Kleid schlüpfte. Dieses schlichte, schwarze Kleid lag eng an meiner Haut, als ich den seitlichen Reißverschluss zuzog. Der hohe Schlitz am Bein machte das Kleid etwas aufregender, sodass ich keinen Schmuck brauchte. Bis auf... einen Ring, den ich doch noch schnell über meinen Zeigefinger schob. Ich hatte niemandem von dem Ring erzählt und ließ einfach mein Gefühl entscheiden, ihn heute zu tragen.
Prüfend beäugte ich mich in dem großen Spiegel und fragte mich just in diesem Moment, warum ich mir so einen Kopf machte. Kopfschüttelnd wandte ich mich ab und lief erwartungsvoll ins Wohnzimmer, wo Sam auf mich wartete.
„Und, was meinst du?". Er schien vertieft auf sein Handy, bis ihn meine Stimme aufschreckte. Mit der rechten Hand strich er sich die dunkle Strähne aus den Augen. Seine Augen musterten mich von oben bis unten. Theatralisch öffnete der den Mund und zog Luft ein. Etwas beschämt drehte ich mich vor ihm und musste mir das Grinsen unterdrücken. Ziemlich genau das war die Reaktion, die ich mir insgeheim erhoffte, auch wenn ich es nicht laut aussprechen wollte.
„Du meinst also, so kann ich gehen?" fragte ich ihn amüsiert.
Als Antwort stand Sam auf und stellte sich vor mich. Seine Hand strich meine welligen Haare über die Schulter, seine Augen suchten meine.
„Du siehst wirklich schön aus, V. Ganz ernsthaft.". Er nahm mich in den Arm und hielt mich für einige Sekunden bei sich. Endlich spürte ich, wie die Nervosität etwas von meiner Entspannung abgelöst wurde und die Zuversicht in mir wuchs, diesen Abend irgendwie zu überstehen.

„Wann kommt dein Uber?" hörte ich Sam aus der Küche fragen, während ich die kleine Tasche packte. Handy, Portemonnaie, Kopfhörer, Taschentücher, Drehzeug, Feuer, Lippenstift, Schlüssel. 
„Vier Minuten, muss mich bisschen beeilen. Kannst du mir mein Parfum ausm Bad geben? Das rosane, ganz vorne.". Wortlos lief Sam ins Bad und reichte mir den kleinen Flacon.
Ein letztes Mal blickte ich prüfend in den körpergroßen Spiegel, strich noch einmal das Kleid glatt und wandte mich dann an Sam.
„Ok, ich glaub ich habs.". Ich griff noch einmal nach meinem Weinglas auf dem Tisch und kippte einen großen Schluck hinunter. Der sollte mich für den Weg über Wasser halten.
„Mach dir keine Gedanken, das wird super. Und wenn was sein sollte, meldest du dich, ja?"
„Versprochen."
„Und spätestens heute Nacht erwarte ich ne Nachricht, wie es war."
„Bekommst du. Jetzt lass uns los, sonst trau ich mich nicht mehr.". Sam lachte mir entgegen und öffnete die Haustür für uns, hielt auffordernd die Hand in Richtung Ausgang.
„Nach dir, damit ich sichergehe, dass du nicht die Tür hinter mir zudrückst, dich verschanzt und doch noch kneifst.". Ich musste kichern bei dieser Vorstellung. 

Blick zu den Sternen  - Apache 207Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt