81. Mach's gut, Eve

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Volkan

„Na, war dein Kumpel nicht bereit, dich vor mir zu retten?" da war sie also wieder.
„Das ist mein Bruder." gab ich trocken zurück. Sie nickte und begann zu grinsen.
„Außerdem muss mich niemand vor dir retten. Du bist doch harmlos."
„Meinst du?" sie schaute von unten zu mir hoch und trat einen weiteren Schritt an mich heran. Ihre Fingerspitzen fuhren über die Seide meines Oberteils und streichelten meine Haut darunter.
„Bin mir ziemlich sicher."
„Na gut, Volkan. Dann spricht doch nichts dagegen, mit mir noch was zu trinken und zu tanzen.". Ich zuckte nur mit den Schultern und folgte ihr die paar Meter in die Tanzrunde.
„Auf Ex?"
Als Antwort kippte ich das frische Glas Jacky Cola und bewegte meinen Körper wieder zur Musik. Ich spürte ihre Finger, wie sie über meinen Bauch zu meinem Rücken fuhren und ihren Weg zu meinem Arsch bahnten. Wenn ich ihr Gesicht ausblendete und nur die braunen Haare sah, hätte es auch V sein können, die hier mit mir tanzte und mich berührte. Doch V war größer und hatte eine ganz eigene Art zu tanzen. Viel... geschmeidiger. Und ihre Finger lösten immer ein Kribbeln auf meiner Haut aus...Ich schloss die Augen und stellte mir eine Sekunde lang vor, wie es mit ihr wäre. Ein Lächeln breitete sich auf meinen Lippen aus und ich genoss es.
„Na endlich wirst du etwas fröhlicher." und CUT! Die Realität war wieder da. Fuck.
Ich konnte den Moment von eben leider nicht zurückholen und beschloss, einfach noch eine Mische zu trinken.

Ich konnte irgendwann nicht mehr zählen, wie viele Drinks ich getrunken hatte. Ich sah doppelt und grölte laut in die Runde. Ich wurde die Kleine auch im Laufe des Abends nicht mehr los und spürte immer wieder ihre Hände an mir. Als ihre Hand meinen Bauch hinunterfuhr und am Bund meiner Leinenhose angelangte, reichte es mir.
„Ey, isch will dis nich".
„Hm?".
„Nich anfassen" schrie ich ihr über die Musik hinweg noch lauter zu.
Sie zog ihre Hand weg und guckte mich mit großen Augen an.
Ich drehte mich um und mir wurde schlagartig klar, ich hatte für heute Nacht genug. Ich stolperte die Treppe hoch in Richtung der Schlafzimmer und knöpfte unterwegs, wenn auch ziemlich unbeholfen, mein Hemd auf und kämpfte mit dem Knoten der Hose. Schon jetzt in der Ruhe und Dunkelheit merkte ich das Drehen, was sich gleich mit Bett noch verschlimmern würde. Ich ließ mich bäuchlings in die Matratze fallen und versuchte mich nicht auf den Schwindel zu konzentrieren. Mein Bruder war noch nicht im Bett und schien noch mit den anderen zu feiern. Wie spät war es überhaupt? Während ich noch nachdachte, holte mich irgendwann die Müdigkeit ein.

Ein Rumpeln riss mich aus dem ohnehin schon sachten Schlaf. Der ekelhafte Geschmack nach Galle und Kippen drehte mir den Magen um und langsam öffnete ich ein Auge. Die Sonne ging gerade erst auf. Ich versuchte wieder in den Schlaf zu finden, doch drückte meine Blase unangenehm. Als ich aus dem Bad tapste und meinen Bruder leicht schnarchen hörte, entschloss ich, runter in die Küche zu gehen. Die untere Etage war ein absolutes Chaos und ich musste Schlangenlinien um die herumliegenden Sachen am Boden gehen, um in die Küche zu gelangen. Im Kühlschrank fand ich eine frische Flasche Wasser und griff nach den Kippen auf dem Tresen. Auf der Wiese vor dem Pool legte ich mich auf eine der Liegen und beobachtete den sich rosafärbenden Himmel. Es war so ruhig hier.
Mein Kopf lehnte entspannt an dem Plastik der Liege und ich lauschte dem leichten Vogelgezwitscher. Ganz von allein kamen wieder meine Gedanken an V, gefolgt von Selbstvorwürfen und einer tiefen Traurigkeit. Ich wollte nicht schon wieder so mies drauf sein, sondern nur die schönen Gedanken zulassen und rief mir die angenehmen Erinnerungen an V und unsere gemeinsame Zeit zurück. Ihr Gesicht erschien vor meinem inneren Auge und ich erinnerte mich an jedes Detail. Mit einem Lächeln schlief ich langsam wieder ein.

„Yo! Was machst du hier draußen?!" mein Zucken führte fast dazu, dass ich von der Liege fiel.
„Boah, Alter, erschreck mich doch nicht so heftig."
„Sorry, dachte du sonnst dich nur. Wir haben's fast 10, hast du die ganze Nacht hier gepennt?!" Musti setzte sich mir gegenüber auf die freie Liege und steckte sich eine Kippe an.
„Ne, nur bisschen gechillt. Gibt's Frühstück oder so? Sterbe fast vor Hunger."
„Die Lieferung kommt erst heute Nachmittag. Lass uns mit'm Auto bisschen rumfahren und gucken, was es gibt."
Nachdem wir alle geduscht und uns fertig gemacht hatten, fuhren wir in ein kleines Café an der Küste und aßen eher Mittag als Frühstück. Am Tisch wurde gerade noch über die letzte Nacht gesprochen, als ich den verpassten Anruf von Julian auf meinem Handy sah.
Ich stand auf und wandte mich noch kurz an meinen Bruder.
„Geh kurz telefonieren, bin gleich wieder da."
„Tamam"
Ich lief etwas abseits vom Café und blickte auf die Klippen vor mir und das angrenzende Meer, als ich auf den Hörer tippte.
„Juli, mein Lieber, was verschafft mir die Ehre?"
„Hey, mein Bruder, wie geht's dir?"
„Soweit, soweit. Bin gerade auf Malta, bisschen Urlaub. Und dir?"
„Soweit auch alles fit.". Es entstand eine kurze Pause und ich war verwirrt, ob er nur angerufen hatte, um Smalltalk zu führen.
„Hör zu, ich wollte mit dir sprechen, aber wenn du im Urlaub bist, machen wir das vielleicht danach.". Er klang unsicher, weckte in mir aber ganz schöne Neugier.
„Was gibt's denn? Schieß los."
„Ähm... Ich glaub ich hab gestern bisschen Mist gebaut."
„Okay? Wieso, was passiert?"
„Ich war gestern feiern... mit Luisa und... naja V war auch da, weißt du...". PAM. Da wieder der Schlag ins Gesicht. Ich räusperte mich, doch konnte ich nichts sagen.
„...ich hab ihr gesagt, wie schade ich das mit euch finde... und... dass du sie vermisst."
„okay..." ich wollte noch abwarten, was weiter geschah.
„Sie hats ziemlich hart genommen und mich direkt unterbrochen. Ich glaub sie hat auch geweint. Ich wollte nicht, dass sie sich schlecht fühlt und eigentlich hatte ich Hoffnung, dass das wieder wird. Aber... als wir dann alle nach Hause sind, ist sie mit nem Typen ins Taxi. Ich dachte, das solltest du wissen. Also für den Fall, dass du dir doch noch Hoffnungen gemacht hast.".
Ich schluckte hart, um meine Emotionen wieder in den Griff zu bekommen. Sie hatte mit einem anderen Typen die Nacht verbracht.
„Volkan, bist du noch dran?"
„Ja... ja bin ich. Weiß nicht, was ich grad sagen soll. Danke dir auf jeden Fall... ich meld mich, wenn ich wieder in Berlin bin. Lass dann treffen, ok?"
„Ja, machen wir. Sorry, Bruder."
„Ciao."
Eine Weile stand ich an der Klippe und hörte mein Blut in den Ohren rauschen. Ich nahm ihre Worte sehr ernst vor ein paar Wochen, dass ich sie in Ruhe lassen sollte, doch hielt sich die ganze Zeit noch ein kleines bisschen Hoffnung, dass das zwischen uns vielleicht irgendwann nochmal hätte was werden können. Ich liebte sie zu sehr, um sie einfach zu vergessen, wie sie es von mir verlangt hatte.
„Hey, alles ok?" mein Bruder kam langsam über den Kies des provisorischen Parkplatzes am Hang gelaufen.
„Geht. Baui hat V gestern im Club gesehen. Sie ist mit dem Typen mitgefahren."
„Autsch. Tut mir leid, das zu hören."
„Ich glaub, ich muss sie echt loslassen, Abi... sie tut es ja auch." ich atmete tief ein und aus, mein Versuch nicht wieder zu weinen. Pragmatisch denken, Volkan.
„Ich hab noch so viele Sachen von ihr. Könntest du ihr die irgendwann mal vorbeibringen? Mich will sie da sicher nicht sehen."
„Klar, kann ich machen. Ich regel das."
„Danke, Abi". Er nahm mich fest in die Arme und klopfte aufmunternd auf meine Schulter. Als er sich wieder in Richtung des Lokals aufmachte, blieb ich noch einen Moment stehen und dachte nach. Ich muss sie gehen lassen. Wie sie damals schon im Streit sagte, „Lass mich frei". Ich zog wieder mein Handy aus der Tasche und suchte ihren Namen in meinem Chatverlauf. Sie war schon so weit heruntergerutscht, doch fand ich sie sofort. So oft hatte ich geguckt, ob sie ein neues Bild hatte, oder den Chat geöffnet und hunderte Nachrichten getippt, aber sie doch nie abgeschickt. Dieses Mal sollte es anders sein.

Volkan 13:32: Ich weiß, du hattest mich gebeten, mich nicht mehr bei dir zu melden. Das will ich respektieren. Deine Sachen, die noch bei mir liegen, würde dir Hakan vorbeibringen. Er ruft dich die nächsten Tage mal an, wenn das ok ist.
Volkan 13:33: Du sollst wissen, dass du alles für mich bist und für immer einen besonderen Platz in meinem Herzen hast. Mach's gut, Eve. 

Blick zu den Sternen  - Apache 207Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt