26. Komm zu mir

606 14 0
                                    

V

Ich saß oder lag, eher halb, in meinem Bett im Krankenhaus. Soviel wusste und erkannte ich auch anhand meiner Umgebung. Ich stand noch ziemlich neben mir, war hauptsächlich müde, doch hatte ich alles verstanden, was mir in den letzten Stunden über meinen gesundheitlichen Zustand erklärt wurde. Durch die Medikamente hielten sich die Schmerzen im Rahmen, doch ich merkte das Pochen an verschiedenen Stellen an meinem Körper. Der Arzt hatte angekündigt, Volkan zu informieren und ihn vielleicht zu mir zu bringen. In dem Moment, in dem er es aussprach, wusste ich, dass das vielleicht davon abhing, ob er mich so sehen wollte. Ich überlegte hin und her, nestelte an meinen Fingern aus Nervosität, ob er kommen würde. Ich war verhältnismäßig klar in meinem Kopf und konnte mir ziemlich nüchtern vorstellen, wie scheiße dieser Abend gewesen sein muss aus Sicht von außen. Meine eigenen, wahrscheinlich wahnsinnig beängstigenden und beschämenden Erinnerungen waren nicht greifbar. Wie weggezaubert. 
Ich hörte ein leises Klopfen und ein Lichtspalt strahlte in mein abgedunkeltes Zimmer. Der große Schatten, der sich auf dem Fußboden abbildete, brachte mir die Gewissheit, dass er mich sehen wollte und sofort bildeten sich Tränen der Erleichterung in meinen Augen. Volkan trat zaghaft auf mich zu und peripher nahm ich die Stimme des Arztes wahr, der mir noch einmal deutlich machte, mich zu melden, falls was sein sollte.

Die Tür wurde von außen geschlossen. Das Schweigen im Raum war laut. Er kam immer näher auf mich zu, hielt den Kopf etwas gesenkt. Trotz des wenigen Lichts sah ich, dass er keine Brille trug, die seine Augen verborg und erkannte, dass nur noch Sekunden fehlten, bis er weinte. Er versuchte stark zu sein, für uns beide, doch auch an ihm ging dieser Tag nicht spurlos vorbei. Er hockte sich neben mein Bett und legte den Kopf auf meine Hand, in dem noch ein Katheter steckte. Seine Hände griffen nach meinen Fingern und hunderte Küsse bedeckten meine Haut, bis ich die Nässe seiner Tränen spürte, die an meiner Hand hinabliefen. Mein Herz tat weh und ich griff mit der unverkabelten Hand nach seinem Kopf und strich vorsichtig über sein zusammengebundenes Haar. Auch mir liefen mittlerweile die Tränen herunter. Da waren wir nun. In meinem Einzelzimmer, im Dunkeln, weinend. Nach einer Ewigkeit richtete er sich wieder auf und zog mich sachte, soweit es die Kabel zuließen, an seine Brust. Ich nahm seinen Duft wahr, der für mich schmerzstillendste Geruch der Welt. Behutsam küsste er meine Schläfe und meine Stirn, sehr darauf bedacht, nicht an die geschwollenen Stellen in meinem Gesicht zu kommen. Seine heisere Stimme, die fast nur noch ein Flüstern war, erfüllte den Raum.
„Es tut mir leid, Canım. Unfassbar leid. Ich hätte dich nicht alleine lassen sollen. Ich fühle mich furchtbar." flüsterte er im Kuss gegen mein Haar.

Ich schüttelte schnell den Kopf und richtete mich wieder von seiner Brust auf, um ihm direkt in die Augen zu sehen.
„Volkan, du hättest daran nichts machen können. Wäre es nicht am Backstage passiert, dann in der Toilette oder sonst wo.". Mit belegter Stimme versuchte ich ihm die Schuld zu nehmen. Ihn traf keinerlei Schuld. Niemand außer dieser Typ hatte Schuld. 

„Du erinnerst dich daran?" fragte Volkan vorsichtig, abschätzend, ob ich es aushielt, schon darüber zu reden. 

„Nur wenige Fetzen. Ich hab schon mit der Polizei gesprochen, die mir ungefähr erzählt haben, was passiert ist.". Während ich sprach, musste ich wegsehen. Er war derjenige, der mich am besten kannte und wusste, wie schlimm dieser Übergriff für mich war. Was es für mich bedeutete, in eine solche Hilflosigkeit zu geraten. Doch mein Bedürfnis kippte. Ich wollte nicht von ihm entfernt sein und mich vor ihm verstecken. Ich brauchte ihn heute näher bei mir, denn je. 
„Komm zu mir, bitte." flüsterte ich ihm zu. Er schaute mich etwas verwirrt an. Ich schob meinen schmerzenden Körper etwas mehr an den anderen Bettrand und öffnete die Bettdecke für ihn. Etwas zaghaft schlüpfte er dann doch aus seinen Schuhen und legte sich neben mich. Er legte vorsichtig den Arm um mich, sodass ich meinen Kopf erst an seiner Schulter, dann auf seiner Brust ablegen konnte. Ich hatte versucht, so lange wie möglich wach zu bleiben, bis mich die Erschöpfung und die Wirkung etlicher Medikamente einholte und sein warmer Körper mich in den Schlaf brachte. 

Blick zu den Sternen  - Apache 207Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt