76. Wasser, Wein, Wodka?

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V

Etwas apathisch ließ ich mich, nachdem ich Volkan mit dem Auto wegfahren sah, auf mein Sofa fallen und die Tränen liefen unkontrolliert aus meinen Augen. Es fühlte sich an, wie in einem Film und ich war eine entfernte Zuschauerin. Niemals konnte das doch mein Leben sein.
Ich fühlte mich so verzweifelt und stellte mir immer wieder vor, wie Volkan mit einer anderen Frau im Bett lag, wie er ihre Berührungen genoss und sich ihr hingab. Das waren immer wieder die Momente, in denen ich etwas hysterisch schluchzte. Die Vorstellung, wie eine andere Frau mit ihren Fingern über seine Brust fuhr, seine Lippen küsste und... Stopp. Hör auf.
Ich hielt es nicht mehr in meiner Wohnung aus, ich musste hier raus. Im Eiltempo griff ich meine Tasche, sammelte Handy und Schlüssel ein und zog die Tür hinter mir zu. Sofort fühlte ich mich etwas leichter, entfernt von dem eben noch dagewesenen Schlachtfeld zu sein. Ziellos lief ich durch die Straßen in meinem Kiez, vollkommen ohne Plan, wo ich hinwollte. Doch jedes Mal wenn ich überlegte zurückzugehen, spürte ich dieses beklemmende Gefühl in meiner Brust. In der Eile hatte ich meine Zigaretten auf der Fensterbank liegen lassen, sodass ich in den nächstbesten Späti lief. Ich setzte mich auf eine Bank in dem schon dunklen Park, nicht weit weg von meiner Wohnung und inhalierte gierig den ersten Zug. Nachdem ich die Kippe austrat, steckte ich mir sofort die nächste an. Ich war wie unter Strom, angespannt und nicht mehr wirklich ich selbst.
Die Vorstellung, in meine Wohnung zurückzukehren und mich allein ins Bett zu legen, löste einen Schauer in mir aus. Mir wurde schlagartig klar, dass ich das nicht musste. Ich musste nicht nach Hause, ich musste nicht allein da durch. In einer Bewegung zog ich mein Telefon aus der Tasche und tippte den Namen in die Suchleiste ein. Es klingelte.
„Sam, hi. Ich bin's, V."
„Hey, ja, ich weiß, alles ok? Warum rufst du an?". Allein seine Stimme zu hören, brachte mir wieder die Tränen in die Augen. Ich fühlte mich sofort etwas geborgener und gleichzeitig so allein. Unter den Tränen fiel es mir schwer, die Worte geradeheraus zu bringen und stockte immer wieder.
„Kann ich zu dir kommen?"
„Natürlich kannst du kommen, was ist los?". Ich brauchte einen Moment, um den folgenden Satz aussprechen zu können. Niemals hatte ich gedacht, diesen Satz auszusprechen.
„Volkan und ich, wir haben uns getrennt. Ich schaffs einfach nicht allein zu Hause zu sitzen..."
„Oha..." Sam atmete hörbar aus und schien selbst etwas ratlos.
„Scheiße... Komm erstmal her und dann erzähl in Ruhe."
Nachdem wir auflegten, wischte ich mir wieder die Augen trocken, rauchte den Rest meiner Kippe auf und rief mir einen Uber zu Sam. In meinem Sitz überkam mich die Müdigkeit und schloss für einige Minuten die Augen. Ich nickte tatsächlich kurz weg und kam kurz zur Ruhe.
„He, hallo? Lady? Wir sind da.". Noch etwas neben mir stehend griff ich meine Tasche und lief die letzten Meter zu seiner Haustür. Noch im Hausflur kam Sam auf mich zugelaufen und nahm mich fest in seine Arme. Ich ließ nun endgültig los und ließ meinen Emotionen freien Lauf, drückte mein Gesicht in seine Schulter. Er zog mich, noch immer in seinen Armen, in seine Wohnung, bis wir im Wohnzimmer ankamen. Ich hörte eine Frauenstimme im Hintergrund.
„Hey ihr beiden, ich hab euch was zu trinken hingestellt, falls ihr was braucht, ruf mich einfach an, Sam. Ich lass euch mal ein bisschen alleine..". Durch meine verschleierte Sicht erkannte ich Sarah wieder. Sie lächelte mich aufmunternd an, bis sie aus dem Raum ging und ich die Tür ins Schloss fallen hörte.
„Komm, wir setzen uns erstmal hin. Wasser, Wein, Wodka?"
„Erstmal ein Wasser, bitte.". Er hielt mir das Glas hin und ich trank es in einem Zug aus. Ich musste meine Wasserreserven nach dem ganzen Weinen wieder auffüllen.
Sam steckte sich eine Zigarette zwischen die Lippen, zündete sie an und hielt sie mir entgegen.
„Hier drin? Wir können doch raus gehen..."
„Bei solchen Themen darf man auch mal drinnen rauchen.". Er schenkte uns nebenbei ein Glas Wodka ein, den Wein wollte er scheinbar direkt skippen.
„Willst du ein bisschen erzählen? Oder sollen wir einfach bisschen chillen und dich ablenken?"
„Ich weiß nicht so richtig. Ich weiß nicht, was ich sagen soll.". Und doch sprudelten die Worte nur so aus meinem Mund und ich erzählte ihm, was heute Abend passiert war. Sein Blick wandelte sich von Erstaunen, zu Traurigkeit, hin zu Entsetzen und Wut. Irgendwann nahm er mich einfach in den Arm und sagte nichts mehr. Ich fühlte mich wie ein Häufchen Elend und lebte jede Situation von vorhin noch einmal nach.
„Ich verstehe es einfach nicht. Wir waren doch kaum ein Paar, noch gar nichts so richtig zusammen erlebt. Ich hatte so viele Vorstellungen, was wir sein könnten, wie unsere Zukunft aussehen kann... Wieso hat er das gemacht?! Dann hätte er doch keine Beziehung mit mir eingehen müssen... Meinst du es ging ihm darum, mir wehzutun? Dass er einfach diesen Reiz braucht?"
„V, nein. So würde ich ihn nie einschätzen. Sonst wäre er auch nicht extra dafür hergekommen, sondern hätte gar nichts gesagt oder dir ne Nachricht geschickt. Ich glaube ihm tatsächlich, dass er dich liebt und dass es ihm leid tut."
„Aber... wenn man liebt, macht man so etwas doch nicht. Es bedeutet doch, dass er nicht glücklich war, dass es nicht genug war, was wir hatten. Wir haben uns gerade vorher krass gestritten. Vielleicht war es ihm auch einfach zu anstrengend."
„Ihr habt euch am gleichen Abend doch gesagt, dass ihr euch liebt. V, es macht keinen Sinn, egal, wie viel wir rumüberlegen. Es macht keinen Sinn, dass er mit ner anderen gepennt hat."

„Ich hätte mich einfach nie darauf einlassen sollen. Ich habe mit dem Feuer gespielt, Sam. Ich habe mich von ihm anziehen lassen, bis ich mich verliebt habe. Ich war die dumme Motte, die immer wieder ins Licht geflogen ist. Und jetzt stehe ich da. Ich wusste einfach, warum ich mich so lange nicht auf Beziehungen eingelassen habe. Ich wusste es, Sam." flüsterte ich die letzten Worte und wieder bildeten sich Tränen in meinen Augen und es entstand eine Pause, in der wir wohl beide nicht so recht wussten, was wir sagen sollten.
„V, das glaube ich nicht. Du warst mutig und hast dich geöffnet. Konnte man doch nicht ahnen, dass es so schmerzhaft endet... Ich glaube damit hat niemand von uns gerechnet. Ich dachte echt, das mit euch hält.". Traurig richtete er die Worte an mich, während ich nach meinem Glas griff und den Wodka in einem Zug exte. Scheiß Liebe.

„Ist vielleicht ne blöde Frage, aber was willst du jetzt machen?". Ich musste einen Moment über seine Frage nachdenken und beobachtete das brennende Gefühl, dass sich meine Kehle abwärts bewegte.
„Puh, ich... keine Ahnung. Nichts, schätze ich. Ich meine ich hab ihn rausgeschmissen und gesagt, er soll mich vergessen. Ich kann ihm das nicht verzeihen, Sam. Du weißt, wie wichtig mir Vertrauen ist... und ich kann ihm einfach nicht mehr vertrauen. Es tut so unfassbar weh und ich fühle mich so hintergangen, als würde ich ihn nicht mehr kennen.".

Ich war so fertig, mein Körper so müde und einfach erschöpft. Immer wieder spürte ich, wie meine Augen allmählich schlapp machten. Es war gefühlt keine einzige Träne mehr vorhanden, ich hatte sie alle geweint.
„V, ich würd sagen, du schläfst heute einfach hier, einverstanden?"
„Was ist denn mit Sarah? Das ist für sie doch blöd, ich kann echt nach Hause fahren.". Insgeheim hoffte ich, dass er mein Angebot ablehnte. Es gab keine schlimmere Vorstellung, als jetzt allein nach Hause zu müssen.
„Sarah versteht das schon. Und wenn nicht, kann sie ja bei sich schlafen. Ich mach das Sofa ready und du gehst erstmal duschen, erstmal den Tag abwaschen?" sprach er sanft zu mir. Ich nickte ihm erleichtert entgegen und setzte mich auf.
„Ich hab nichts bei, kannst du mir was zum Schlafen leihen?"
„Na klar, ich suche gleich was raus.".
Noch während ich mich auf den Weg ins Bad machte, hörte ich Sam telefonieren und wie er die Situation erklärte.
„Sarah kommt gleich her, ist alles kein Problem" hörte ich ihn mir entgegenrufen. Seine Stimme kam näher, bis ich ihn im Türrahmen auftauchen sah.
„Hier is ne Zahnbürste und was zum Schlafen.".
„Ich weiß nicht, wie ich dir danken soll."
„Musst du gar nicht. Du warst immer für mich da, jetzt möchte ich mich mal revanchieren". Er zog mich etwas zu sich und drückte einen Kuss auf die Schläfe.

Auf der Couch konnte ich einfach nicht in den Schlaf finden und schien mich selbst zu bestrafen. Erst kamen all die schönen Erinnerungen mit Volkan in meinen Kopf, dann sein Geruch, der sich in meiner Nase festzusetzen schien und anschließend die Erinnerung an seine weichen Lippen. Ich gab mir den eigenen Todesstoß, als ich die wenigen Fotos von uns durchscrollte und mir sein Gesicht noch fester einprägte. Ich blieb in der Erinnerung hängen, wie wir eng umschlungen im Bett lagen und uns nur ansahen. Als wir noch wir waren.

Blick zu den Sternen  - Apache 207Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt