4. Zitrone-Minze

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Die Nacht war kalt und mein Mantel zu dünn. Ich stand eine Weile vor Julians Haus und versuchte vergeblich einen Uber für mich zu gewinnen, jedoch akzeptierte niemand meine Anfrage.
Ich ging ein paar Schritte Richtung U-Bahn, bis ich meinen Namen hörte. Ich blickte hinter mich. Niemand.
"Ey, hier oben"
Mein Blick schnellte nach oben und trotz der Dunkelheit erkannte ich die dunklen Haare und die unnötige Sonnenbrille sofort.
"Will dich niemand mitnehmen?"
"Hätte ihn wohl doch nicht so schnell abschießen sollen." ich hörte ein kleines Lachen.
"Warte kurz da"
Nach wenigen Minuten kam Volkan aus der Tür, die nächste Kippe zwischen den Lippen.
"Ich bring dich schnell, dann kann ich guten Gewissens auch endlich abhauen"
"Das musst du nicht, fahr ruhig direkt zu dir, ich verrate es keinem von oben"
"V, das ist weniger ein Angebot als eine Bitte. Es ist arschkalt, spät und du willst Öffis fahren? So ein schlechter Fahrer bin ich nun auch nicht, oder?!"
"Du hast ziemlich viel getrunken, ist ein no-go für mich. Vielleicht nimmst du auch lieber ein Taxi, du hast bestimmt mehr Glück, Mr. Gangsterrapper."
"Du hast absolut recht, aber lass mich dich bringen. Meine Mutter hat uns so erzogen, weißt du.."
"Die Mutterkarte zu ziehen ist fies"
"Aber wirkt es?"
Ich ließ ihn stehen und begann langsam meinen Weg die Straße hinunter anzutreten. Ich drehte mich nochmal zu ihm.. "kommst du, oder bist du schon festgefroren?"
Durch das Gehen wurde uns schnell warm. Volkan bot mir zum 5. Mal seine Jacke an, er würde nicht frieren. Er war, hier allein mit mir, ganz anders als mit seinen Jungs und wir verstanden uns richtig gut. Als wir bei mir ankamen, war es mittlerweile 4 Uhr früh. Es gab kaum eine Pause in unserem Gespräch und seine herzliche Art machte es schwer, ihn nicht zu mögen.
"Danke für's Bringen, das war ein schöner Spaziergang. Lass uns dir jetzt aber ein Uber bestellen, von hier klappts bestimmt"
"Ich bin mittlerweile nüchtern, ich werde mich zu meinem Auto fahren lassen. Das soll nicht blöd kommen, aber kann ich schnell mal bei dir ins Bad? Bin dann auch sofort raus, versprochen" Er wirkte so unsicher, als hätte er gerade nach einem Zweitschlüssel gefragt.
"Na klar, kein Problem. Dann kannst du dich auch noch kurz aufwärmen.".
Oben angekommen veränderte sich sein Wesen erneut. Er zog wie selbstverständlich seine Schuhe aus, legte seine Jacke ab und auch die Sonnenbrille verschwand in der Jackentasche.
"Wo geht's lang?" Fragte er erstaunlich zurückhaltend.
"Äh da vorne, linke Tür."
Ich setzte einen Tee auf und zog die wärmsten Socken an, die ich finden konnte. Volkan kam gerade durch das Wohnzimmer in die Küche und etwas unbeholfen versuchte er, das Gespräch zu beginnen.
"Schön hast du es hier, danke fürs Reinlassen. Ich hau' dann jetzt ab, dann kannst du endlich schlafen".
"Hab n' Tee aufgesetzt, falls du magst. Glaube schlafen ist gerade eh nicht mehr drin bei mir"
"Sicher? Musst' dir echt keine Mühe machen. Ich weiß, dass es super spät ist und du es nicht unhöflich meinst."
"Du kannst bleiben oder gehen, einen Tee trinke ich so oder so noch. Du kannst mir aber auch gerne einfach sagen, welchen du möchtest". Er entschied sich für Zitrone-Minze.
In Decken gehüllt saßen wir auf meiner Couch und irgendwann wusste ich schon gar nicht mehr, worüber wir lachten. Mein Bauch tat weh und sobald ich in seine Augen sah, musste ich von vorne beginnen. Wir zogen noch einmal auf den Balkon, beide mit dicken Hausschuhen und von Decken ummantelt. Wir schwiegen einen Moment und lauschten der ungewöhnlichen Stille in Berlin.
"Wofür steht das V?
"Eve" sagte ich prompt, ohne eine Erklärung oder Ausflüchte.
"Warum ein englischer Name und was hast du gegen E's?"
"Das kann jemand ohne ein E im Namen nicht nachvollziehen" antwortete ich absichtlich theatralisch.
Er wippte mit seinem Oberkörper etwas nach rechts, um mich anzustupsen, damit ich fortführte.
Ich erzählte ihm die Geschichte meines Namens, berichtete von meinem Vater und meiner Aversion gegen Vokale. Er kommentierte nichts, hörte mir zu.
"Volkan, die Sonne geht bald auf, ich muss ins Bett. Vielleicht pennst du einfach auf der Couch, dein Auto wird morgen auch noch da sein, was meinst du?"
"Sind wir wohl doch nicht alleine nach Hause gegangen, hm?" Nach einer kurzen Pause setzte er nach.
"Ich bleibe gerne. Ich erwarte morgen früh dann eine kleine Auswahl an Frühstück und Säften. 12 Uhr wäre mir recht." Witzelte er. Nun war ich diejenige, die ihn von links anstieß und anschließend zurück in die Wohnung ging.
Nachdem ich meine Schlafzimmertür schloss und mich ins Bett legte, schlief ich sofort ein.
Ein klingeln weckte mich. Die Haustür!
Ich sprintete, noch vollkommen benebelt, zur Tür und wartete, um zu sehen, wer kam.
"Wo kommst du denn her!?"
"Hab anscheinend den falschen Schlüssel gegriffen. Stehe seit 10 Minuten unten und probiere mich durch. Bist du Hausmeisterin oder was soll das?!"
In seinen Händen balancierte er verschiedene Bäckereitüten und einen Träger mit zwei Kaffee.
Am kleinen Finger sah ich meinen Haustürschlüssel klimpern und nahm ihm ein paar Dinge aus der Hand.
"Wusste nicht, was du magst, soll ein kleines Dankeschön für deine Gastfreundschaft sein."
"Du musst doch keine Gegenleistung bringen, du hättest das gleiche gemacht..."
Wir aßen auf der Couch das Frühstück, bis sein Handy klingelte. Seine Finger waren voll Marmelade, sodass er Julian auf laut stellte.
"Morgen Juli"
"Hast du deine Perle hier gestern echt einfach stehen gelassen, Dikka? Die hat voll geheult, als sie ausm Bad kam. Was ging, hast du ‚ne geilere gefunden? Wehe, das hat sich nicht gelohnt, Sam musste die voll trösten."
Seine Augen weiteten sich beim Zuhören und etwas hektisch versuchte er, den Lautsprecher auszustellen und den Raum zu verlassen.
"Hab mich nicht so gut gefühlt und hatte kein Bock mehr. War bisschen anstrengend, die Kleine..." Pause "ja, komme später vorbei... bringe ich mit. Ciao"
Er tat als sei nichts und pfiff dazu noch unschuldig, bis wir beide anfangen mussten zu lachen.
"Du hast nicht mal Tschüss gesagt? Die Arme hat sich bestimmt extra im Bad frisch gemacht und du haust ab, du Arsch!" Er legte beschämt seine offenen Hände vor sein Gesicht und lachte laut in sie hinein.
"Ich weiß, aber das hat sich so angeboten und übrigens scheint sie nicht ganz so traurig gewesen zu sein. Dein Freund Sam hat sie anscheinend nach Hause begleitet..." vielsagend schaute er mich an.
"Sam?!?! Das kann nicht sein, wie schön für ihn!"
"Hab noch nie jemanden sich so freuen gesehen, dass jemand anderer Sex hatte."
"Sam trauert seit Ewigkeiten seiner Ex nach und hat es endlich geschafft, eine andere klar zu machen!" Wir schienen beide überrascht über meine Wortwahl und schauten uns an. Triumphierend hielt ich noch immer ein Stück Simit in die Höhe und sah, wie Volkan die Informationen verarbeitete und sich sofort über mich lustig machen würde. Wir rauchten noch eine zusammen, sprachen jedoch kaum miteinander.
"V, ich geh jetzt los." Ich sah, wie er wieder seine Augen bedeckte und zu Apache wurde. Wir umarmten uns fest, wobei er sich ziemlich beugen musste.
"War richtig cool, Eve. Lange nicht so gute Gespräche..."
Ich machte ein gekünsteltes Kotzgeräusch und er verstand sofort meine Anspielung auf meinen vollen Namen.
"Du spinnst doch. Wir sehen uns" erwiderte er noch.
Ich wartete noch, bis er nicht mehr im Treppenhaus für mich zu sehen war. Und nun war Sam an der Reihe, mir alles von letzter Nacht zu erzählen.

Blick zu den Sternen  - Apache 207Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt