45. Lass deine Hose an

534 18 3
                                    

V

Am Montag machte ich erst um 19:30 Uhr Feierabend, sammelte noch die letzten Überstunden, um mein Vorhaben umsetzten zu können und lehnte mich auf dem Drehstuhl zurück, als der PC herunterfuhr. Während ich noch die Reste vom Schreibtisch aufsammelte und das Geschirr vom Tag in die kleine Teeküche brachte, warf ich einen Blick auf mein Handy. Mich erwartete eine etwas angespannte Nachrichten von Volkan, der der Meinung war, dass ich mich mit der Arbeit übernahm, da es erst meine zweite Woche wieder im Büro war. Ich wusste, dass er sich eigentlich nur sorgte und natürlich wäre ich lieber pünktlich auf meiner Couch gewesen, doch konnte ich ihm ja nicht sagen, wofür ich das hier machte. Ich seufzte und schob das Handy erst einmal zurück in die Hosentasche. Eins nach dem anderen.
Ich lief noch ein paar Straßen von meiner Wohnung entfernt zum Supermarkt und kaufte die nötigsten Dinge für die kommenden Tage ein. Zwischen den Cerealien und Konserven, versuchte ich Volkan zu erreichen, doch auch nach dem fünften Klingeln erreichte ich ihn nicht. Mir fiel auf, dass seine Show in wenigen Minuten beginnen würde. Ich war zu spät dran. In welcher Stadt er sich gerade befand, konnte ich aus dem Kopf nicht mehr sagen.

V: 19:55 : Bin jetzt auf dem Heimweg, vielleicht hören wir uns ja später noch? Viel Erfolg für heute Abend! Lass deine Hose an ;)

Als ich zu Hause ankam, packte ich die Lebensmittel aus, verstaute sie in den Schränken und dem Kühlschrank und legte mir gleich ein paar Dinge zum Kleinschneiden bereit. Ich war leider keine besonders gute Köchin, doch ein paar Nudeln in Gemüse konnte ich gerade noch zubereiten. Das Kochen hatte oft eine meditative Wirkung auf mich und insbesondere durch die doch eher eintönigen Schritte verloren sich häufig meine Gedanken dabei. Genau das brauchte ich heute. Schnell blendete ich die Musik, die ich als Begleitung angemacht hatte, im Hintergrund aus und dachte über das vergangene halbe Jahr nach. Es gab einige Veränderungen in meinem Leben und Momente, wie diese, in denen sich alles ganz normal anfühlte, waren irgendwie selten geworden. Die vielen Veränderungen kamen natürlich auch mit Volkan, auch während wir noch befreundet waren, war vieles nicht mehr wie zuvor. Einiges brachte positive Momente mit sich, mal auch weniger positive.

Doch wäre ich mit dieser Entwicklung wirklich unzufrieden, hätte ich dann all diese Entscheidungen getroffen? Wie automatisiert kamen diese vielen, zum Teil überfordernden Fragen in meinen Kopf und ich konnte sie nicht mehr stoppen. Ich schnitt im Akkord die Mohrrüben und die Zucchini und mit jedem weiteren Schnitt schien ein neuer Gedanke an die Oberfläche zu geraten.
Alles in allem fühlte ich mich sehr wohl mit Volkan, doch ich merkte auch, was diese Beziehung mit mir machte. Oft verunsicherte er mich, oder ich fühlte mich kleiner, wenn auch nicht schwächer. Es war nicht so, dass er das forcierte, er mich absichtlich versuchte klein zu halten oder mich zu dominieren versuchte. Ganz im Gegenteil, ihm gefiel meine eigentlich so straighte Art und mein Selbstbewusstsein. Doch irgendetwas brachte mich dazu, bei ihm weicher zu sein und mich an ihn anzulehnen. Ich hatte über Jahre gebraucht, meine Stärke zu entwickeln, und doch schien ich meine Stärke und mein Selbstbewusstsein an der Türschwelle samt meiner Schuhe und meiner Jacke abzulegen. Wieso aber schob ich Volkan die Schuld für dieses Empfinden zu. Er hatte sich, so glaube ich jedenfalls, nicht so sehr verändert in den letzten Monaten. Ich hatte natürlich eine vollkommen andere Seite an ihm kennen und dann auch lieben gelernt, doch im Grunde blieb er gleich. Nahm er mich ebenso wahr? Hatte ich mich in seinen Augen vielleicht gar nicht so verbogen? Und wenn ich es doch getan hatte, war es wirklich so verwerflich? Ich schob die heiße Pfanne vom Herd. In meinen Gedanken gefangen, verging das Kochen so schnell, dass ich es gar nicht wirklich mitbekommen hatte. Mein Appetit war ebenso nicht mehr vorhanden, sodass ich es erst einmal Abkühlen ließ und mich stattdessen auf den Balkon setzte und das Treiben auf der Straße beobachtete. Ich rauchte eine Zigarette, dann eine zweite, holte mir ein Glas Wasser, bis mein Appetit doch ein wenig zurückkam und die Sonne lange untergegangen war.
Nachdem ich doch eine Schale des Gekochten gegessen hatte und duschen war, checkte ich noch einmal mein Handy, doch noch immer war keine Nachricht von ihm da. Und wieder traf  mich die kleine Enttäuschung. Das Konzert musste eigentlich schon lange vorbei sein. Ich schluckte das bittere Gefühl, wünschte ihm noch eine gute Nacht, machte mich bettfertig und schlief umgehend ein.
Am nächsten Morgen sah ich eine Audio, die er mir nachts um vier geschickt hatte. Er klang wahnsinnig betrunken, anteilig verstand ich auch nicht, was er mir sagte und im Hintergrund hörte man lautes Grölen und Kichern und auch eine Frauenstimme, die ihn fragte, mit wem er sprach. Ich konnte sie etwas zu gut verstehen, sodass mir klar wurde, wie nah sie an ihm stehen musste. Ich hatte keinen Spaß daran, die Audio zu hören und beendete sie, noch bevor ich alles gehört hatte. Ich hatte genug. Sie versetzte mir einen Stich in den Magen und in mein Herz. Ich wollte nicht eifersüchtig sein und doch war da dieses widerliche Gefühl. 

Blick zu den Sternen  - Apache 207Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt