40. Ich singe nur für dich

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Der letzte gemeinsame Sonntag, bevor Volkan auf seine Tour fuhr, verging viel zu schnell. Wir hatten nach der vergangenen Nacht lange geschlafen und uns das Frühstück ins Bett geholt. Noch mit dem aufgetürmten Geschirr auf den Nachtschränkchen, blieben wir einfach im Bett liegen, nah beieinander. Mein Kopf ruhte auf seiner nackten Brust und ich liebte es, dem stetigen Geräusch seines Herzens zu lauschen und das auf und ab seiner Atmung zu beobachten. Unsere Finger verschränkten sich immer wieder ineinander, während mir die Augen zufielen und ich vor mich hin döste.
Volkan starrte seit einigen Minuten auf sein Handy, tippte mehrere Nachrichten, bis er Worte fand.
"Hey Babe? Bist du wach?". Mein leises Seufzen gegen seine Brust schien für ihn wach genug zu sein.
"Ich muss heute Abend schon zu Johannes, wie es aussieht. Die wollen noch was vorbereiten. Ist jetzt doch bisschen anders, ich weiß. Ich würde dich später dann zu dir fahren, wenn du willst.".
Ich wusste nicht, was ich darauf sagen sollte. Ich wollte mich nicht schon heute verabschieden und vergrub mein Gesicht im Kissen neben ihm. Seine Hand ging wie von selbst zu meinem Rücken und streichelte meine freiliegende Haut. Er drehte sich zu mir, beugte sich über mich und küsste meinen Nacken. Ich überlegte, ob ich die Worte in meinem Kopf wirklich lautwerden lassen wollte. Doch mein Mund ließ die Worte einfach so heraus.
"Ich werde dich krass vermissen, glaube ich..". Meine Stimme war durch den vielen Stoff gedämpft, doch er hörte mich, drehte mich auf die Seite, sodass mein Rücken seine Brust berührte und zog mich sofort in eine Umarmung.
"Ich dich doch auch..." flüsterte er mir ins Ohr. Ich drehte mich zu ihm, dass wir uns ansehen konnten und strich eine lockere Haarsträhne hinter sein Ohr.
"Du musst dir jetzt besonders viel Mühe geben bei den Konzerten, damit sich der Abschied auch wirklich lohnt."
"Ich singe nur für dich." sagte er sanft mit einem Lächeln auf den Lippen, sodass sich kleine Fältchen um seine Augen bildeten. Ich dachte kurz an seine Lieder und zog gespielt empört meine Augenbrauen zusammen. Er verstand.
"Also, die schönen Songs!". Er lachte laut auf und fing an die Melodie von Kleine Hure zu Summen. Ich konnte mich ebenfalls nicht halten und lachte laut mit. Er zog mich noch näher an sich und versteckte sein Gesicht in meiner Halsbeuge, sodass ich sein herzliches Lachen umso lauter hörte. Es tat gut, aus der ernsten Stimmung zu kommen, auch wenn es nur eine Frage der Zeit war, sich der Realität wieder zu stellen. Eine Weile lagen wir Haut an Haut noch in seinem Bett und genossen die innige Zweisamkeit, bis es Zeit wurde, unsere kleine Höhle zu verlassen.

Volkan zog sich das umliegende Shirt von gestern an, lief zielstrebig durch sein Schlafzimmer und packte einige seiner Sachen auf einen Haufen auf dem Bett. Er hielt sich verschiedene Stücke an den Körper und posierte dabei, um mir seine Auswahl zu präsentieren. Ich legte mich auf den Bauch vor ihn und beobachtete ihn und wie er die Kleidung sorgfältig in die Reisetasche legte. Dann kam mir ein Gedanke.
"Kann ich ein Shirt von dir haben?"
"Du kannst dir alles nehmen, was du willst."
"Kann ich das Shirt haben, das du trägst?"
"Ernsthaft?!". Ich nickte eifrig und ohne zu protestieren, schob er es sich über den Kopf und warf es mir zu. Ich führte es direkt zur Nase. Sein Geruch.
Volkan verstand nun und lächelte mir entgegen. Er setzte sich kurz auf die Bettkante neben mich und gab mir einen Kuss auf den Kopf.
Mir fiel plötzlich wieder ein, dass ich etwas für ihn besorgt hatte und sprintete zu meiner Handtasche, die noch immer im Flur am Boden lag, wo ich sie gestern Abend nach meinem Ankommen achtlos hingeworfen hatte. Noch wie ich im Flur stand, begann ich mit Volkan zu sprechen und ihm mein plötzliches Aufstehen zu erklären.
"Ich hab' noch was für dich. Keine Ahnung, ob du es magst und ich erwarte nicht, dass du es trägst, aber...". Ich kam wieder im Schlafzimmer an, stellte mich vor ihn an die Bettkante, sodass er nun etwas zu mir aufsehen musste. Ich hielt ihm die kleine Schatulle entgegen.
"Ich wollte dir im Gegenzug auch ein kleines Herz mitgeben." sagte ich mit etwas Aufregung in der Stimme. Mir wurde selbst fast schlecht bei dem Kitsch. Er saß noch immer auf dem Bett und freute sich wie ein kleiner Junge über das Geschenk. Eilig zog er die Schleife auf und nestelte an dem Deckel. Er öffnete die kleine Schachtel und zog ein grobgliedriges, vergoldetes Armband hervor. Er drehte es, um es von allen Seiten betrachten zu können und fand auf der kleinen Platte am Verschluss ein eingraviertes Herz. Er blieb stumm.
"Ich ähm... naja wollte, dass du weißt, was du mir bedeutest" schob ich noch eilig hinterher. Er nickte mit gesenktem Kopf.
Diesmal war ich diejenige, die sich zu ihm beugte, an sein Kinn fasste und seinen Kopf zu mir anhob, um ihm in die Augen sehen zu können. Sie waren mit Tränen gefüllt, was mich kurz überraschte. Sanft strich ich über seine Wange.
"Findest du es so scheußlich?". Seine Mundwinkel zuckten.
"Ey, bring mich doch nicht zum Lachen! Wie krass kann man einen Moment kaputt machen?". Im Lachen zog er mich zu sich aufs Bett, umschlang mich mit seinen Armen und küsste mich. Halb auf ihm liegend blickte ich ich hoch in sein Gesicht und spürte seinen Kuss auf meiner Stirn.
"Danke Canım, es gefällt mir sehr gut. Machst du es mir gleich um?".

Als alles eingepackt war, fuhr Volkan mich mit dem Auto zu mir. Seine Hand lag während der gesamten Fahrt in meinem Schoß und umfasste meinen Oberschenkel. Mein Blick klebte durchgängig an der Scheibe, um etwas Ablenkung zu finden.
Vor meiner Tür wurde ich langsam nervös, denn die Vorstellung, mich gleich zu verabschieden, war nicht schön. Ich hatte mich so an ihn gewöhnt und trotz seiner zuversichtlichen Worte, machte ich mir dennoch Sorgen um die Zeit während der Tour. Es würde die erste längere Zeit sein, in der er nicht da war. Nach Wochen, in denen wir uns eigentlich täglich gesehen oder gehört hatten.
Ich stieg gedankenverloren aus und erst seine Umarmung ließ mich wieder in der Realität ankommen.
Er umarmte mich fest und murmelte immer wieder etwas vor sich hin. Seine Hände umfassten mein Gesicht und wir küssten uns noch einmal lang und intensiv. Ich wollte mir in diesem Moment einprägen, wie sich seine Lippen anfühlten.
"Viel Erfolg für die Shows und pass auf dich auf." flüsterte ich mit geschlossenen Augen.
"Pass du auf dich auf, bin bald wieder da"
Ich nickte als Reaktion und lief langsam in Richtung meines Hauses.
Ich drehte mich noch einmal zu ihm und winkte. Lässig stand er gegen sein Auto gelehnt und hob nur die offene Hand. Er wartete, bis ich im Hausflur verschwunden war und fuhr dann ab. Dass ich schluchzend auf dem nächsten Treppenabsatz saß, konnte er nicht mehr sehen.

Blick zu den Sternen  - Apache 207Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt