69. Welche Verbindung denn?!

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Volkan

Im Hotel zog ich mir schnell die verschwitzte Kleidung vom Körper und duschte einen Tick zu lang. Die Musik, die ich, um von meinen Gedanken abzulenken angemacht hatte, nahm ich gar nicht wahr. Immer wieder strengte ich mich an, mich doch an die Nacht zu erinnern und herauszufinden, was in diesem Zimmer passiert war. Das warme Wasser lief literweise meinen Körper hinunter. Ich stand einfach nur so da und starrte auf die beigen Fliesen in der Duschkabine. So einen heftigen Filmriss hatte ich tatsächlich noch nie. Frustriert stellte ich das Wasser ab und trocknete mich. Als ich aus dem Bad kam, schreckte ich zusammen. Mein Bruder saß auf der Couch und scrollte am Handy. Ich hatte niemanden klopfen oder hereinkommen gehört und hätte ihm am liebsten eine für diesen Schock gegeben.
„Burada ne yapıyorsun?"
„Erst verschwindest du über Stunden und jetzt wunderst du dich, dass ich hier sitze?"
„Ich wollte gleich pennen gehen."
„Was ist mit dir los? Hat dich V letzte Nacht nicht schlafen lassen?". Ich lachte aufgesetzt und hoffte inständig, dass er es mir abkaufte. Er sah mich skeptisch an.

„Yani, ich wollte mit dir die nächsten Tage besprechen. Hab nochmal Rückmeldung zu den Locations bekommen."
„Aha...". Abwesend lief ich durchs Zimmer und sammelte kleine Dinge zusammen, um sie in die Reisetasche zu legen.
„Also, wir fahren morgen ne halbe Stunde früher los nach Köln, die wollen bisschen mehr Zeit für den Soundcheck haben. Dann hat Leipzig noch geschrieben... Volkan? Hörst du mir zu?"
„Jaja, klar."
„Wirkt nicht so. Was ist mit dir?". Ich überlegte. Ich konnte ihm noch nie etwas verheimlichen. Immer wusste er, wenn was mit mir war. Er sah es in meinem Blick.
„Nichts..." Ich atmete schwer aus. „Ich will nicht darüber reden, Abi."
„Du kannst mit mir über alles reden.". Ich schüttelte den Kopf und versuchte aus seinem Blickfeld zu kommen.
„Hat es mit V zu tun?". Ich antwortete nicht.
„Alles klar. Ist es was Schönes, oder was Schlechtes?". Wieder antwortete ich nicht.
„Ich dachte euer Streit wäre geklärt?". Ich schwieg doch in mir stieg die Anspannung.
„Ey, ich kann dir nicht alles aus der Nase ziehen. Jetzt erzähl!"
„ICH KANN NICHT!" Ich schrie meinen Bruder an. Wir beide waren schockiert über meine Lautstärke und starrten uns an. Himmelherrgott, was war nur mit mir los.
„Keine Ahnung was abgeht, aber es bringt nichts, dass du es mit dir alleine ausmachst. So kannst du nicht auf die Bühne, vallah. Deine Fans laufen weg, wenn du so drauf bist. Komm klar und spucks aus."
„Ich muss erstmal was klären. Morgen, Abi. Bitte." Ich flehte ihn tatsächlich an, nicht weiter zu bohren.
„Ich werde dich nicht zwingen zu reden. Aber ich werde auch nicht nochmal fragen. Klär deinen Scheiß, aber sei morgen Abend fit. Du kannst jederzeit mit mir sprechen, falls du es dir doch anders überlegst. Ok?". Ich nickte ihm mit Tränen in den Augen entgegen.
Hakan stand von der Couch auf und nahm mich fest in die Arme. Er klopfte mir aufmunternd auf die Schulter und verließ das Zimmer. Sowie die Tür schloss, griff ich nach dem Glas auf dem Tisch und warf es gegen die Wand.
„FUCK!". Ich setzte mich auf die Couch und stützte meine Arme auf meine Knie auf. Mein Gesicht vergrub ich in meinen Händen und ich weinte. Aus meinem Weinen wurde ein Schluchzen. So lang hatte ich mich nicht mehr so gefühlt. Verzweifelt und voller Selbsthass saß ich einige Minuten nur so da und versuchte mich zu fassen. Irgendwann wanderte ich ins Schlafzimmer, schrieb V eine aufgesetzt gut gelaunte Nachricht und schloss die Augen. Dieser Tag sollte enden.

Ich wachte aus einem unruhigen Schlaf um 7:30 Uhr auf. Immer wieder träumte ich wirres Zeug und fand nie die gewünschte Erholung in meinem Schlaf. Meine Augenringe sprachen Bände.
Ich machte mich fertig und setzte mich auf die Couch, um auf den erlösenden Anruf zu warten, dass wir endlich losfuhren.

Mein Bruder rief nicht an, sondern sendete mir überraschenderweise nur eine kurze Nachricht, dass es losging. Er wollte also nicht mehr mit mir sprechen. Ich griff meine Reisetasche, gab die Zimmerkarte an der Rezeption ab und lief zum Hinterausgang, an dem bereits unser Tourbus stand. Ich quälte mich durch die schmalen Gänge des Busses, um oben in meinem Schlafabteil die Reisetasche abzulegen. Wenn man erst einmal ein paar Tage aus der Sardinenbüchse raus war und in einem normalgroßen Zimmer schlief, kam sie einem noch kleiner vor, wenn man zurückkam.
Ich setzte mich unten in den Aufenthaltsbereich und wartete, bis alle eintrudelten. Vor allem wartete ich auf Charlie, um endlich dieses Gespräch mit ihr führen zu können. Ich zündete mir eine Kippe an, in dem Wissen, schon bald die erste Ansage von unserem Fahrer zu bekommen, doch es war mir scheißegal.
Musti, Can und Tuna setzten sich zu mir und zeigten sich gegenseitig irgendwelche albernen Videos, die sie hemmungslos zum Lachen brachten. Als sie mir die Videos unter die Nase hielten, konnte ich nur kurz Nicken und zog gespielt belustigt die Mundwinkel hoch. Auch Johannes und mein Bruder betraten den Bus und setzten sich zu uns, bis ich endlich die weibliche Stimme hörte, die sich unserer Ecke näherte. Charlie kam gerade mit Sasan hereinspaziert und begrüßte mich mit einem fetten Grinsen. Kein gutes Zeichen.
Ich stand umgehend auf und ließ ihr keine Chance, es sich bequem zu machen. Ich griff nach ihrem Ellenbogen und leitete sie zu der schmalen Treppe, hinauf in den Ruhebereich, während der Motor spürbar arbeitete und der Bus sich in Bewegung setzte.
„Du hast es ja eilig, keine Zeit verlieren, hm?". Charlie setzte sich auf die kleine Couch vor den Schlafbereichen und lächelte mich süffisant an. Ich musste mich aus platzgründen neben sie setzen und spürte prompt ihre Hand auf meinem Bein. Ich schaute einige Sekunden bewegungslos auf ihre Hand, bevor ich danach griff und sie auf ihren eigenen Schoß legte.
„Ich muss dringend mit dir sprechen. Was ging Freitag ab?"
„Wie?"
„Ich muss wissen, was zwischen uns war. Ich hab n kompletten Filmriss und keine Ahnung, was passiert ist..."
„Aber du weißt, dass was passiert ist?". Sie lehnte sich nun seitlich zu mir, fixierte mich mit ihren Blick und ihre Fingerspitzen strichen über den Stoff über meiner Schulter.
„Nein. Also ja, Johannes hat mir gesagt, dass wir in einem Hinterraum waren."
„Mehr hat er nicht gesagt?" ich schüttelte nur den Kopf.
Sie nickte und schien zu überlegen, bis ich wieder das Wort ergriff.
„Weißt du, es ist ziemlich abgefuckt, wenn man sich nicht erinnern kann. Kannst du bitte sagen, was da passiert ist?"
„Naja, was soll ich dir sagen. Du wolltest eigentlich mit an die Luft kommen, dann hast du mich aber in den Raum gezogen und mich auf ein Mal geküsst. Ich war ehrlich gesagt echt froh, dass endlich mal auch von dir was kam. Ich mein, die Spannung zwischen uns war ja die ganze Zeit schon da, aber du hast immer so einen auf Distanz gemacht." Ihre Worte ließen Hitze in mir aufsteigen. Ich konnte es mir einfach nicht vorstellen, so ein Arschloch zu sein und vor allem nicht, mit Charlie rumzumachen. Ich fand sie nicht ein Mal wirklich heiß.
„Und... dann?" Ich hoffte, die Geschichte ging nicht weiter. Ihre Körperhaltung änderte sich wieder und sie sprach leiser, verführerischer.
„Wir haben geknutscht und du hast mich ausgezogen..." Ihre Hand glitt zu meiner Brust und ihre Augen klebten an meinen Lippen.
„...dann hab ich dich auch ausgezogen und wir sind rüber zu dem Sofa. Und da... haben wir es dann gemacht. Schade, dass du nichts mehr weißt, es war echt gut. Ich bin mir ziemlich sicher, dass es dir auch gefallen hat. Du hast jedenfalls sehr, sehr laut gestöhnt." Ihre Lippen kamen meinen immer näher. Ich befand mich in einer Schockstarre. Kurz bevor ihre Hand sich vollkommen auf meine Brust legte und ihr Gesicht meinem immer näher kam, rutschte ich weg.
„Charlie, es tut mir leid, dass das so gelaufen ist, aber das wollte ich nicht. Und will es auch noch immer nicht." Sie schaute mich erschrocken an. Ihr Griff über meinem T-Shirt löste sich etwas.
„Wie meinst du das?"
„So, wie ich es sage. Ich hätte diese Entscheidung nie nüchtern getroffen und bin ziemlich verwirrt, dass das passiert ist. Tut mir leid, das hätte nie passieren dürfen."
„Aber... jetzt können wir doch einfach schauen, wo das hinführt. Ich meine, wir sind single und finden uns scheinbar beide gut. Klar, vielleicht war der Start nicht besonders gut, aber wir holen das einfach nach. Und ich verspreche dir, an unser zweites Mal wirst du dich auf jeden Fall erinnern." Wieder kam sie mir zu nah, lehnte sich halb auf mich, doch ich stand schlagartig auf. Ich musste mich wegen der niedrigen Decken ziemlich stauchen und als sie nun auch aufstand, waren wir fast auf Augenhöhe.
„Du kannst doch nicht einfach mit mir pennen und mich jetzt so stehen lassen."
„Fuck man, ich wollte das doch gar nicht. Das hat mir nur Probleme gemacht, man. Ich hab dir von Anfang an gesagt, dass ich kein Interesse an dir habe und ich hatte keine Kontrolle mehr über mich am Freitag. Ich will das nicht, kapierst du das nicht?"
„So einfach gebe ich nicht auf. Dafür ist unsere Verbindung zu besonders."
„WELCHE VERBINDUNG DENN?! Es gibt keine fucking Verbindung. Ich kann das jetzt nicht mehr, ich muss hier weg."
„Wo willst du hin? Wir fahren noch vier Stunden. Lass uns das zu Ende besprechen, Baby."
„Alter, halt dein Maul, was für Baby?!" ich hatte mich bereits umgedreht und im Gehen den letzten Satz gesagt, als ich ihre Hände an meinem Arm spürte. Verzweifelt zerrte sie an mir, zog mich zurück und sie hatte mehr Kraft, als gedacht.
„Volkan, so lasse ich nicht mit mir umspringen. Steh zu deinen Taten"
„Ich hab dir bereits gesagt, dass es mir leid tut. Du wusstest, dass hieraus nichts wird, komm also auch mit deinen Taten klar." Ich drehte mich wieder in Richtung der Treppen, bis ich ein Schluchzen hinter mit vernahm. Ich drehte meinen Kopf um eine Halbdrehung und sah, wie Charlie ihr Gesicht hinter ihren Händen verborg. Maaaan, immer wieder dieses schlechte Gewissen.
„Hör auf zu weinen. Echt. Sorry, dass ich laut geworden bin."
„Volkan, ich möchte und werde nicht einfach aufgeben. Mir hat das Freitag echt was bedeutet und ich glaube fest daran, dass das zwischen uns was werden kann. Du warst so leidenschaftlich und liebevoll zu mir... du meintest immer wieder, dass dir diese Nähe und Zuneigung so gefehlt hat..."
Das war genug. Ihre Worte taten mir physisch weh.
„Du hast echt nicht zugehört gerade. Da ist nichts!! Ich schwöre dir, sobald wir Rast machen, verpisst du dich aus dem Bus und gehst in den anderen. Ich will dich auch nicht mehr Backstage sehen. Es reicht, verdammte Scheiße."
Ich drehte mich nun endgültig weg und lief wieder die Treppe hinunter zu den anderen. Wieder hörte ich sie lautstark weinen, doch konnte ich es dieses Mal gut abschütteln. Nur blieb mein eigenes schlechtes Gewissen, was nun ins unermessliche stieg. Was hatte ich da nur gemacht. 

Blick zu den Sternen  - Apache 207Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt