53. Danke, Sherlock

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V

Im letzten Teil seines Konzerts rief Volkan seine Freunde auf die Bühne und die Lounge leerte sich schlagartig. Seine Mutter und ich beobachteten mit einigem Abstand im Seitenbereich das Treiben auf der Bühne und die erneute Wiederholung von Roller. Das Publikum drehte schier durch, sodass er kaum noch über das Mikro sang, sondern sein Publikum für ihn lautstark übernahm. Wieder einmal fühlte sich diese Situation so abstrus an. Tausende Menschen kannten den Text seines Songs und tanzen mit ihm. Mein Blick glitt wieder zur Bühne, auf der Volkan sich losgelöst zu dem Gesang all der Menschen bewegte, im nächsten Moment der Beat mit einem Knall beendet wurde und das Bühnenlicht vollständig einsetzte. Volkan verabschiedete sich mit herzlichen Worten von seinem Publikum, bevor er hinter der realistischen Kulisse verschwand. Das war unser Stichwort, auch wieder hinter die Bühne zu gehen. Schon von Weitem war das laute Grölen auf dem Gang hörbar und just in dem Moment, in dem wir den Raum betraten, aus dem die Stimmen kamen, wurde Volkan von Musti und Karim auf die Schultern gehoben und gefeiert. Sie hatten alle sichtlichen Spaß, das Konzert war also ein voller Erfolg. Volkan ließ sich absetzen, griff sich einen Drink und lief zu jeder Person einzeln, um anzustoßen und sich zu bedanken. Recht schnell stand er auch vor mir. Sein Körper war noch immer nassgeschwitzt und glänzte in dem hellen Licht der Neonröhren an der Decke. Ich sprach ein Stoßgebet gen Himmel, dass er sich schleunigst ein Shirt anzog. 

Ich streckte mich ihm entgegen und umarmte ihn. Sein Duft war trotz der langen Show unverändert und der Rest seines süßen, holzigen Parfums stieg mir in die Nase. Nur nicht schwach werden, V.
Nah an meinem Ohr hörte ich seine Worte.
„Danke, Baby. Danke, dass du hier bist.". Ich musste schwer Schlucken in diesem Moment und all meine Anspannung schien für den Augenblick abzufallen. Schnell suchte ich wieder Kontakt zum Boden und löste mich aus seiner Umarmung. Kurz blickten wir uns noch in die Augen, bis er sich zur Person neben mir beugte und auch diese umarmte. Ich musste für einen kurzen Moment ausgesetzt haben und die Stellen auf meiner Haut, die er eben noch berührte, prickelten leicht. Hach...

Ich realisierte, dass dieser Teil des Abends schon um war und nun eine der ominösen Backstagepartys geplant war. Wie seine Konzerte abliefen, wusste ich allmählich. Wie die Partys im Anschluss jedoch aussahen, war bislang nur Teil meiner Fantasie.
Hakan hatte entschieden, nicht wie geplant bei ihrer Mutter zu übernachten, sondern direkt ein Hotel zu buchen. Er kündigte an, sie schnell nach Hause zu fahren, um einige Sachen zu holen und seine Mutter im Hotel abzusetzen. Für den nächsten Morgen planten wir ein gemeinsames Frühstück, um wenigstens etwas mehr Zeit außerhalb der Konzerte miteinander zu verbringen.

Allmählich entwickelte sich eine Aufbruchsstimmung. Einige zogen bereits los zum Hotel, in dem eine Suite gebucht wurde, andere liefen noch einmal in die Arena, um Fotos zu machen... und ich...ich wusste nicht wohin mit mir. Ich ließ mich auf der Couch in dem bis eben noch üppig mit Menschen gefüllten Raum nieder und scrollte durch meinen Feed. Bis ich Volkans Nachricht las.

Volkan 23:16: Komm mal zu mir
Volkan 23:16:
Bitte
V 23:16: Wo bist du denn?
Volkan 23:16: Hinten in nem anderen Raum. Lauf mal durch die Tür auf der anderen Seite bis ans Ende, da isn Raum rechts

Verwirrt las ich die Nachricht und machte mich, wenn auch etwas verunsichert, auf den Weg zu dem beschriebenen Raum. Ich stand vor einer Tür, die ehrlicherweise genau aussah, wie alle anderen Türen in dieser Arena und klopfte zaghaft an.
Ich hörte das „Ja, komm rein" aus dem Raum rufen und schien die richtige Tür erwischt zu haben. Ich schlüpfte möglichst unauffällig durch einen kleinen Spalt und schloss diese schnell wieder hinter mir. Ich drehte mich in den Raum und sah Volkan, nur noch in seiner Boxershorts bekleidet, im Raum stehen.

„Da bist du ja"
„Hi, da bin ich, ja...". Ich blickte zu Boden, dann an die Wände und sah mir die überaus hässlichen Bilder an der Wand an und inspizierte jeden Staubfaden, der von der Decke hing. Nur ihn konnte ich nicht ansehen.
„Wasn los?" fragte er belustigt, während er seine Kleidung auf der Couch grob zusammenfaltete.
„Nichts. Alles gut. Was wolltest du?" fragte ich schnell. Ich musste hier zügig wieder raus. Meine Augen streiften nur kurz seinen Blick und ich sah mich weiter um. Volkan kam langsam auf mich zu und minimierte den Radius an Möglichkeiten der Ablenkung. Er kam direkt vor mir zu stehen und seine Brust strahlte Wärme ab. Ich wurde etwas nervös, bis ich seine Finger an meinem Kinn spürte, die mich wieder zwangen, ihm ins Gesicht zu schauen.
„Ich wollte dich sehen, ich war vorhin nicht fertig mit genießen.". Ein kesses Lächeln umspielte seine Lippen, während er in meine Augen sah. Charmant konnte er, da konnte man nichts anderes behaupten. Ich konnte mich nicht länger abhalten und schaute ihn direkt an. Da war also wieder dieses Ziehen in mir, was ich die letzten zwei Wochen etwas vermisste. Ich fing an zu schmunzeln und stellte mich auf meine Zehenspitzen, um ihn zu erreichen.
„Jetzt küss mich endlich, verdammt." flüsterte ich zu ihm. Meine Worte waren fordernder, als gewollt und auch er schien überrascht. Sein Mund verzog sich zu einem breiten Lächeln und er beugte sich etwas zu mir. Kurz bevor sich unsere Lippen trafen, hörte ich ihn flüstern.
„Du hast mich also auch vermisst, hm?". Ich streckte mich ihm die fehlenden Millimeter entgegen und seine warmen Lippen trafen meine. Seine Hände fuhren an meine Taille und hoben mich stützend etwas an. Seine Hände glitten weiter über meinen Rücken, hin zu meinem Po und strichen sanft darüber. Ich schlang meine Arme um seinen Hals und drückte mich noch näher zu ihm. Dieser Mann machte mich fertig. Wir knutschen für einige Sekunden ziemlich heftig, sodass ich kurz den Verstand zu verlieren drohte.
„Was machst du nur mit mir, V.". Seine Worte waren fast anklagend, bevor er wieder zum Kuss ansetzte.
Meine Sinne mussten gedämpft gewesen sein, doch ich glaubte ein Klopfen zu hören. Volkan schien sich nicht abbringen zu lassen, bis das dumpfe Geräusch erneut auftauchte.
„Volkan, kann ich rein? Hast du was an?". Ich erkannte die Stimme nicht, doch zuckte sofort zusammen und schaute hilfesuchend in Volkans Gesicht. Ich drehte mich unmittelbar um und suchte nach einem geeigneten Versteck im Raum. Während ich noch vollkommen verwirrt viel zu kleine Verstecke für eine erwachsene Frau in Betracht zog, nahm Volkan mich am Handgelenk und zog mich in das kleine, angrenzende Bad. Er tippte mit seinem Zeigefinger auf seine Lippen, um mir zu verstehen zu geben, mich ruhig zu verhalten. Danke, Sherlock.
Er lehnte die Tür nur an, sodass ein kleiner Lichtstrahl in den stockdunklen Raum traf und ich die beiden gedämpft sprechen hören konnte. 

„Jo, was machst du hier denn noch, wir wollen bald los."
„Ja, wollte gerade duschen gehen und mich bisschen fertig machen.". Schweigen.
„Alter, sag doch, wenn ich dich gerade bei was gestört habe. Deinen Halbständer muss ich nicht sehen. Ich geb dir 10 Minuten, ansonsten schicke irgendeine Kleine zu dir, die es für dich beendet. Draußen stehen noch genug, die sich nicht nur über dein Autogramm und Foto freuen würden.".
„Was?"
„Ist gut, Brudi. Mach mal dein Ding, wir warten hinten auf dich."
„Oh, ey man, ne... Can... Fuck man.". Ich hörte wieder Schritte auf mein kleines Versteck zukommen und hockte gespannt hinter der Tür. Volkan stieß sie leicht auf, bis sie auf Widerstand traf und mich ans Bein stupste.

„Geil, jetzt denken die ich hab mir hier alleine einen runtergeholt. So geil fand ich meine eigene Show...". Er fing herzhaft an zu lachen und konnte sich nach wenigen Sekunden kaum noch halten. Er steckte mich mit seinem Lachen an und auch er sackte zu mir zu Boden, bis wir beide halb auf den Fliesen lagen. Im Halbdunkeln, durch den Lichtschein aus dem Zimmer, konnte ich nur die Umrisse seines Gesichts sehen. Wir hörten auf zu lachen und wurden ernst. Wie wir hier nebeneinander lagen, uns anschauten und nah sein konnten. Er fuhr mit seiner Hand sanft über mein Gesicht und sprach nun bedeutend leiser.

„Glaube 10 Minuten reichen uns nicht, hm? Lass mich schnell duschen gehen, dann fahren wir erstmal ins Hotel zur Party.". Ich lächelte ihn etwas an und schloss bei seiner Berührung die Augen. Während ich mich auf dem kleinen Sofa im Raum niederließ und Volkan dabei zu sah, wie er seine Boxershorts auszog und hinter der Duschkabine verschwand, lief über seine Handylautsprecher ältere Pop-Musik. Er begann mitzusingen und erstaunte mich mit seiner Textsicherheit. Ich zückte erneut mein Handy.
Hakan 23:22: V, wo bist du, bin wieder da und wir wollen bald los machen
Hakan 23:25: Volkan ist noch schnell duschen, wo steckst du?
Hakan 23:32: Alles ok? Mache mir langsam Sorgen

Ich biss mir leicht auf die Unterlippe. Nach dem letzten Vorfall wird er sich ernsthafte Sorgen machen. Zumal ich hier kaum jemanden kannte.

V 23:36: Scheiße sorry, hab nicht aufs Handy geguckt. Bin mit Volkan, hab ihn gefunden. Warte auf ihn und kommen dann.
Hakan 23:36: Ey, mach das nicht nochmal, hätte fast Alarm geschlagen hier
Hakan 23:36: Alles klar. Bis gleich und beeilt euch ein bisschen.
V 23:37: Tut mir leid... Er duscht nur, versprochen

Als Volkan aus der Dusche kam, war das Handtuch um seine Hüfte gebunden und seine Haare hingen nass über seine Schultern. Ich musste endlich aufhören so zu starren, so viel war klar. Gerade, als er sich die frischen Sachen anziehen wollte, klopfte es erneut an der Tür und nach Volkans kurzem, etwas genervtem und langgezogenem Jaha stand Can erneut im Türrahmen.

„Hadi Bruder, die sind alle in Partylaune, ohne dich geht nicht.". Sein Blick streifte hinüber zum Sofa, auf dem ich noch saß.
„Oh du bist in Begleitung, verstehe.". Er schaute Volkan vielsagend an und war im Begriff, die Tür wieder zu zu ziehen.
„Bro, das ist V, ne gute Freundin aus Berlin.". Aua
„Ahhh ja, du bist der Überraschungsgast von vorhin. Hab viel von dir gehört, freut mich!". Er winkte mir aus der kurzen Entfernung zu. Während ich mich kurz mit Can unterhielt, schlüpfte Volkan im Badezimmer in eine Jeans und T-Shirt, band sich die Haare zusammen und kam auf Socken zu uns. Er ließ sich neben mir fallen und schlüpfte in die schwarzen Stiefel, die er vor dem Sitz abgestellt hatte. Sein frisch aufgelegtes Parfum stieg mir in die Nase und setzte sofort 3746 Erinnerungen an Volkan frei.
„Ok, bin ready. Hat jemand meine Bauchtasche schon mitgenommen?"
„Hakan glaub ich. Der is schon im Auto."
Während Can noch sprach, lief er bereits durch die Tür nach draußen. Volkan stand vor mir auf, griff nach seiner Jacke, die er schwungvoll anzog, hielt mir die Hand entgegen und schaute mich fragend an. „Bereit?". Ich nickte motiviert.
Er zog seine Sonnenbrille aus der Brusttasche der Lederjacke und die dunklen Gläser ließen ihn wieder zum Rockstar von vorhin werden. 

Blick zu den Sternen  - Apache 207Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt