78. Durchschnittstyp, nett

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V, einen Monat später

Konzentriert schaute ich auf mein Spiegelbild und zog mit dem flüssigen Eyeliner gerade mein Tages Make-up nach. Ich hatte den Samstag mit Luisa beim Brunchen verbracht und schon zwei Mimosas getrunken, als wir auf die grandiose Idee kamen, heute Abend tanzen zu gehen. Wir schlenderten noch an den kleinen Geschäften im Akazienkiez vorbei und setzten uns mit einem Eis auf eine Bank, als wir den Plan für den Abend schmiedeten. Luisa leckte hektisch die bedrohlich herunterlaufenden Tropfen ab, als sie peu à peu ihre Sätze herausbrachte.

„Und... wollen wir alleine gehen, oder... die anderen noch fragen?"
„Hm, lass uns heute doch mal in der Gruppe gehen, wird bestimmt lustiger."
„Gut, ich schick gleich ne Nachricht raus. Willst du... ihn auch fragen?"
„Wen?"
„Na den Typen von letzter Woche, aus der Bar. Ihr habt doch Nummern getauscht. Der war doch süß... und so wie der dich angesehen hat, würde der alles für ein Wiedersehen geben." Ich dachte kurz darüber nach. Jakob. Durchschnittstyp, nett. Aber wie hieß nochmal die kleine Schwester von nett?

„Ne... ich glaub nicht."
„V, meinst du nicht, dass es langsam Zeit wird, dich auf etwas andere Gedanken zu bringen?"
„Machen wir doch, wir gehen tanzen" antwortete ich ihr mit vollem Mund und grinste ihr entgegen.
„Das meine ich nicht. Das mit Volkan ist doch jetzt schon einige Wochen her, du musst wieder aufs Pferd steigen, den Kummer trösten."

Volkan
Den Namen aus ihrem Mund zu hören, versetzte mir sofort einen Stich. Nicht mehr ganz so schmerzhaft, wie noch vor einiger Zeit, aber ich spürte es deutlich. Erinnerungen der ersten Tage, nachdem er da war und mir sagte, was geschehen war, kamen auf. Ich schlief nur die erste Nacht bei Sam und versuchte ihm von da an zu versichern, dass ich okay war. Ich machte dicht, spielte die starke. Ich schleppte mich jeden Tag zur Arbeit, versuchte meine Tränen zu unterdrücken, flüchtete dann doch immer wieder ins Bad und weinte. Zu Hause lag ich nur auf der Couch und ernährte mich von Tütensuppe und hatte regelmäßigen Besuch von meinem Lieferdienst des Vertrauens. Nach sechs Tagen hämmerte Sam mit Luisa im Schlepptau gegen meine Tür, weil sie dachten, ich sei tot. Ich war es zwar nicht wirklich, doch holten sie mich zurück ins Leben. Schrittweise machten wir Spaziergänge im Park, tranken Kaffee, ohne dabei zu reden und gingen ins Kino. Bis ich irgendwann bereit war zu sprechen und weiterzumachen. Mein Liebeskummer war zwar immer da, begleitete mich, doch wurde er mit jedem weiteren Tag etwas leiser.

„Ne... an sone Trostnummer glaube ich nicht. Das überdeckt doch nur das Problem."
„Ja, die vielen, guten Orgasmen könnten das Problem tatsächlich etwas überdecken. Ich verstehe nicht, was man dagegen sagen kann." Sie stupste mich grinsend an, schien jedoch verstanden zu haben. Einige Momente saßen wir schweigend und Eis essend nebeneinander.

„Ich... Ich würde gerne Julian fragen, ober er mitkommen will. Ist das komplett scheiße und egoistisch von mir?" zögerlich schaute sie mich an und wartete auf eine Reaktion.
„Nein, Süße. Frag ihn. Ist doch Quatsch, dass du jetzt auch auf deine Lovestory verzichten sollst, nur weil's bei mir nicht funktioniert hat. Wenn ihr zu hart knuscht, geh ich einfach zu Sam."
„Na, wenn der nicht die ganze Zeit mit Sarah fummelt..."
„Achja... hab vergessen, dass mich alle meine Singlefreunde im Stich gelassen haben" ich lachte auf, auch wenn es nur gespielt war.
„Julian und ich halten uns zurück. Geht doch eh nicht in der Öffentlichkeit... Überlegs dir nochmal mit diesem Jakob, wäre bestimmt nicht schlecht. Und ein bisschen knutschen tut doch niemandem weh.". Wieder wippte sie mit ihren Augenbrauen.
-
Gerade als meine Haare geföhnt waren und ich meinen Schmuck für heute Abend ausgesucht hatte, klingelte es Sturm an meiner Tür.
„Ich mach schon" hörte ich Luisa aus dem Wohnzimmer rufen. Verschiedene Stimmen mischten sich in meinem Flur. Ich hielt kurz den Kopf aus dem Badezimmer und rief eine Begrüßung zu den anderen, die sich gerade die Schuhe auszogen.
Sam schlüpfte kurz zu mir ins Bad und drückte mir einen Kuss auf die Schläfe.
„Du siehst heiß aus, V!"
„Danke, Sam. Ich komm gleich zu euch."
„Mach entspannt, ich mach schon mal ne Flasche auf." kommentierte er, während er bereits ins Wohnzimmer lief.

Blick zu den Sternen  - Apache 207Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt