9. Glaub mir, ich kenne Männer..

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Wir holten uns to-go Kaffee und ein paar Gebäcke aus der Bäckerei und ließen uns am Maybachufer nieder. Es war schwierig mit ihm, hier in der Öffentlichkeit zu sitzen.  Bei jeder jüngeren Gruppe versuchte er sein Gesicht zu verbergen, die Haare hatte er unter einem Basecap versteckt. So richtig entspannt wirkte er nicht.
„Also... wegen Samstag, mein Konzert" fing er noch mit vollem Mund an zu sprechen. „Ich schreibe dich auf die Gästeliste. Kannst natürlich jemanden mitnehmen, wenn du magst. Ansonsten bin ich froh, wenn die Tour erstmal geschafft ist. Heißt, es gibt danach auch auf jeden Fall eine fette Party" seine Augenbrauen wackelten beim Sprechen, als hätte er mir das alles noch schmackhaft machen müssen.

„Ich bin dabei! Glaube aber, ich komme allein, Sam wollte sich mit dieser Sarah treffen und auf thirdwheeling habe ich kein Bock.." schulterzuckend lächelte ich ihn an.

„Du kennst eh die anderen, alleine bist du nicht." Eine kurze Pause entstand. „Was machst du die nächsten Tage noch? Musst du arbeiten?"

„Ja, leider.. muss auch ein paar Sachen nachholen, die ich nicht mehr geschafft habe in den letzten Wochen. Meine Chefin sitzt mir schon im Nacken."

„Die soll mal die Luft anhalten, Mensch. Hast du...Lust auf 'ne Pizza morgen Abend? Könnte was holen und wir chillen bei dir?"

„Musst du dich denn nicht mehr um die Tourvorbereitung kümmern?"

„Ja, schon, aber das kann ich auch tagsüber machen. Ich glaube ein bisschen Abwechslung von dem ganzen Trubel wär cool."

„Hmm. Hol mich doch direkt von der Arbeit ab, dann holen wir zusammen was.". Volkan nickte und vernichtete den letzten Rest seines Plunderstücks, bevor ich mich in Richtung Bahn aufmachte. 

Am nächsten Tag zog sich die Arbeit unendlich. Bereits um 12 Uhr erreichte ich den Tiefpunkt und tippe Volkan schnell eine Nachricht.

V 12:17: Rette mich von diesem Ort. Hab keine Lust mehr. 17:30 Uhr hier? 

Ich sendete meinen Standort hinterher.

Volkan 12:22: Werde da sein. Kann auch einen Notfall spielen, damit du früher gehen kannst ;)

Um 17:45 Uhr fuhr ich endlich meinen PC hinunter. Meine Bluse hatte ich mittlerweile an den Armen hochgeschoben und meine Haare in einen wirren Dutt gesteckt. Mein Kollege Toni steckte den Kopf in mein Büro.
„Noch hier? Wenn du hier übernachten willst, meine Couch im Büro sei dein." scherzte er.

„Ich hau jetzt ab, war dein Tag auch so beschissen, wie meiner.". Als Antwort stellte er pantomimisch einen Kopfschuss nach. „Gehen wir noch auf einen Drink zur Eckkneipe?"

„Hab leider schon was vor, morgen vielleicht?"

„Geht klar, ich warte noch auf dich, dann können wir zusammen raus."

Wir gingen die Treppen in Richtung Ausgang und Toni hielt mir die schwere Eingangstür auf.
„Die Dame.."
„Danke, Toni. Wir sehen uns dann morgen". Doch Toni blieb wie angewurzelt stehen und wir beide schauten Volkan ins Gesicht.

„Alter, bist du nicht dieser Rapper??? A.. Apasche oder so?" Volkan nickte nur
„Ja, hey. Willst du ein Foto machen?" Volkan klang weniger euphorisch als der Satz eigentlich war. Das ließ sich Toni jedoch nicht zwei Mal sagen und drückte mir das Handy in die Hand. Er baute sich für das Bild auf, war jedoch deutlich kleiner und schmaler als Volkan, der lässig sein typisches Handzeichen in meine Richtung hielt.
„Stark, danke man." strahlte Toni. 

Volkan kam nun auf mich zu und drückte mich leicht zur Begrüßung.
„Äh what, ihr kennt euch?". Es begann unangenehm zu werden. Ich ging wieder einen Schritt von Volkan weg, hatte ohnehin gehadert, ob wir uns überhaupt so innig begrüßen sollten. 

„Äh Toni, bitte häng es nicht an die große Glocke. Wir reden in Ruhe, ok?". Volkan nickte ihm noch einmal zu und wir stiegen den Mercedes, den er vor der Tür geparkt hatte.
Souverän lenkte er sein Auto aus der Parklücke.
„Geht was bei euch?"
„Mit Toni?? Gott, nein".
„Der schaut dich aber ziemlich versaut an, wenn du mich fragst.". Seine Mundwinkel zuckten ein Stück nach oben bei diesem Satz.
„Wie guckt man denn versaut?!"
„Na so, als würde er entweder schon wissen, wie du nackt aussiehst, oder als würde er es gern herausfinden. Aber eben nicht auf eine sexy Art."
„Son Quatsch man, der ist nur nett".
„Nur nett.. Glaub mir, ich kenne Männer. Ich kenne diese Blicke. Sei nicht naiv.". Mich als naiv zu bezeichnen, tat mir weh. Ich dachte, er würde mich gut genug kennen, dass ich genau das nicht war. Über die Jahre und meine vergangenen Beziehungen war ich vorsichtig geworden, was Männer anging. Vielleicht zu vorsichtig. Aber Toni wirkte auf mich eher wie eine... Lusche.

Volkan fuhr nach etwa 10 Minuten in ein Parkhaus ein.
„In dem Einkaufszentrumist eine richtig geile Pizzeria. Die haben auch so kleine Stücken. Lass uns bisschen was mixen.".
Mit dem heißen Pizzakarton saß ich 15 Minuten später wieder auf dem Beifahrersitz. Volkan wirkte etwas nachdenklich. Er drehte die Musik laut und sang mit voller Seele zu ‚It feels so good' von Sonique. Ich kam nicht umhin ihn zu fragen, wo das auf einmal herkam, nachdem er die Boxen wieder etwas leiser gedreht hatte.

„Den Song habe ich als Kind oft gehört, war die Zeit, in der mein Vater uns verlassen hatte, weißt du. Wenn meine Eltern sich gestritten haben, saß ich mit Hakan in meinem Zimmer und wir haben über die Stereoanlage die Songs immer und immer wieder gespielt, damit wir sie nicht mehr streiten hören konnten. Bis heute berührt mich der Song krass." er blickte nicht eine Sekunde vom Steuer auf und ich spürte die Traurigkeit in seinem Auto. Nach einer kurzen Pause versuchte ich vorsichtig zu fragen.
„Warum macht dich das heute so traurig. Also warum jetzt dieser Song?". Er schluckte schwer.

„Meine Mutter hat heute angerufen und geweint. Sie vermisst uns und kann nicht zur Abschlussshow kommen. Meine Mutter weinen zu hören oder zu sehen, bricht mir das Herz. Ich muss direkt an die Zeit damals denken, in der mein Vater sie auch geschlagen hatte und wie hilflos ich mich immer gefühlt habe, bis er dann abgehauen ist.". Ich strich ihm mit meiner linken Hand über die Mittelkonsole hinweg über den Arm.
„Danke. Fürs Erzählen". Er nickte langsam. Ruhe.

„Mach ihn nochmal an. Noch lauter". 

Blick zu den Sternen  - Apache 207Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt