21. Keine Illusion

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Volkan

Ich machte das 500. Selfie an diesem Tag und lächelte wieder und wieder den Handys entgegen die auf mich gerichtet wurden. Die Frauen nutzten den Moment, um von mir in den Arm genommen zu werden und mir „zufällig" an den Arsch zu fassen. In meinen Hosentaschen sammelten sich mittlerweile kleine Zettelchen mit mehr oder weniger eindeutigen Angeboten und Telefonnummern. Es schmeichelte mir, doch die Menge machte es. 
Die Männer, die für Fotos kamen, waren meist ein bisschen zu laut und angetrunken, ahmten meine Haltung nach und versuchten besonders cool zu wirken. So sehr ich den Kontakt zu meinen Fans auch liebte, ich wollte endlich entspannen. Ich konnte es heute einfach nicht genießen. Es war krass warm in meiner langen weißen Hose und ich wollte mal kurz Sitzen, nicht mehr unter Beobachtung stehen und entspannt eine rauchen. Ich nahm zwischendurch immer mal einen Schluck meiner Mische, aber das angetrunken werden war ziemlich einsam. Ich schaute immer mal wieder rüber zu meiner Gruppe, beobachtete, wie sie da alle zusammensaßen und redeten. Alle Menschen, die mir etwas bedeuten an einem Fleck... naja bis auf meine Mutter, die ich heute lieber nicht hatte dabei haben wollen.
Allen voran beobachtete ich V, mit der ich am liebsten gerade meine Zeit verbringen wollte. Was letzte Nacht zwischen uns geschehen war, berührte mein Herz. Immer wenn ich daran dachte, wenn ich an sie dachte, wie sie mich küsste oder auf meine Berührungen reagierte, schummelte sich ein echtes Lächeln auf meine Lippen. Wie diese tolle Frau vor mir stand und auch mich wollte. Ich hatte keine Angst, egal wohin das führen sollte. Das wurde mir in der vergangenen Nacht klar. Aber mir war es schon wichtig, dass wir uns erst einmal bedeckt hielten. Vor allem, solange wir beide noch nicht einmal darüber sprechen konnten.

Immer wieder kam mir das Bild vor Augen, wie sie vorhin da saß mit diesem wahnsinnig engen Kleid und wie sie ihre Haare nach hinten warf... Wenn ich an diese Augen dachte und ihre Lippen... Ok. Fokus.
Zwei Jungs, die sich äußerlich sehr an mir zu orientieren schienen, kamen freudestrahlend auf mich zu und schlugen ein. Sie retteten mich davor, mich noch weiter in meinen Gedanken zu verlieren. Wir positionierten uns für ein Bild, die übliche Handhaltung, Blitz, fertig. Gerade besprachen sie sich, wie sie auf dem nächsten Foto posieren wollten, um ein einheitliches Bild zu haben, als ich bereits im Augenwinkel eine schnelle Bewegung wahrnahm. 
Kyri kam aufgeregt an meine Seite, symbolisierte, etwas Vertrauliches zu besprechen, sodass ich mich etwas zu ihm seitlich herunterbeugte und dem Flüstern lauschte. Ich konnte seine Worte kaum verarbeiten, merkte aber die aufkommende Hitze in mir. 

„Mit V ist was, du musst mitkommen" flüsterte er spitz.

Wie in Zeitlupe wiederholten sich seine Worte in meinem Kopf.

Mit V ist was. Mit. V. Ist. Was.

 Für eine Sekunde entgleisten mir die Gesichtszüge vor Schreck. Mit einer schnellen Geste entschuldigte ich mich bei den Jungs, die noch immer auf die restlichen Fotos und ein Autogramm warteten. Wie automatisch bewegten sich meine Beine, eins vor das andere, folgten Kyri in den Innenraum Richtung Backstage. Ich sah schon von Weitem die kleine Traube meiner Freunde, die sich um eine am Boden liegende Person bildete. Als sie mich erblickten, öffnete sich der Weg und da sah ich sie. Zusammengekrümmt, ihr weißes Kleid beschmutzt und ihren Oberschenkel hoch geschoben. Ihre Hände abwehrend vor ihrem schönen Gesicht. Julian kniete neben ihr, im Versuch sie wach zu bekommen. Immer wieder rüttelte er an ihrer Schulter, sprach sie an, doch hörte ich ihn nicht. Alles um mich herum wurde stumm und nur meine Augen bekamen mit, was geschah. Ich übernahm Julians Position, kniete mich unachtsam neben sie und drehte V auf den Rücken, sodass ihre Arme seitlich und unkontrolliert an ihrem Körper auf den Boden hinabrutschten. Ihre Augen waren geschlossen, als würde sie schlafen, doch das Blut in ihrem Gesicht ließ keine Illusion zu. Das Blut kam aus ihrer Nase und am Wangenknochen bildete sich bereits eine kleine Beule, die sich dunkel verfärbte. Vorsichtig strich ich über ihr Gesicht, bis ich wieder im hier und jetzt ankam, die Geräusche und die Stimmen mit einem Schlag auf mich einprasselten, das Stimmgewirr immer lauter wurde. Auch ich fand meine Stimme wieder.

„EVE! Verdammte Scheiße, Eve! Mach die Augen auf, man!". Ich schrie sie an. Ich war verzweifelt.

An Kyri gewandt schrie ich nun auch ihn an.
„Fuck man, was ist passiert? Wer war das?!"

„Wir haben den Typen, einer vom Service... Er hing über ihr, als Musti reinkam. Er hat ihm direkt eine gegeben." erklärte mir mein Freund geknickt. 

Mein Blick war nicht von ihr zu lösen und ich schlug leicht auf ihre Wangen, um sie zu wecken. Tatsächlich begannen ihre Augen etwas zu flattern. Ich hörte ihre zarte und wunderschöne Stimme.

„Volkan?" flüsterte sie meinen Namen. 

„Ich bin doch hier, guck mich an, bitte.". Meine Stimme war flehend und nur noch ein Flüstern nah an ihrem Ohr. Ich zog ihren Kopf etwas hoch, damit ich ihn auf meinen Beinen ablegen und vor dem kalten Boden schützen konnte. 

„Hilfe... bitte... was ist passiert?" Ihre Stimme lallte stark. Mein Kopf schnellte zu Sasan.

„Wie viel hat sie getrunken?!"

„Nur zwei Drinks, ich weiß nicht, warum sie so weg ist. Volkan, wir müssen sie von hier wegschaffen, die machen gleich den Innenbereich auf.". Sein Blick ging nervös hinüber zur Tür, die in den Außenbereich führte. Mir wurde schlagartig klar, wie viele Menschen sich hinter dieser Tür befanden, die nichts hiervon erfahren durften. 

Ohne nachzudenken, schob ich meine Arme unter ihren Rücken und ihre Beine und hob sie vorsichtig an. Ihr Kopf sackte von allein an meine Brust, ihre Augen waren wieder geschlossen. Ihre Hand hing kraftlos an ihrem Körper herunter. Kyri öffnete die Tür zum Backstageraum und vorsichtig legte ich sie auf der Couch ab. 

Blick zu den Sternen  - Apache 207Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt