7. Meer aus kleinen Lichtern

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Ich kam schon nach wenigen Minuten, nachdem die Show begonnen hatte, nicht mehr aus dem Staunen heraus. Ich hatte keine Ahnung, wie schön er tatsächlich Singen konnte, auch ohne Begleitung. Und als ich dann eines der 14 Lieder, die er mir auf die CD gebrannt hatte, wieder erkannte, breitete sich Gänsehaut auf meinem Körper aus. Ich hatte es noch am selben Abend in Dauerschleife gehört, mir jedes Wort seines Textes einzeln eingeprägt. Jede Emotion dazu gefühlt. Und mich immer wieder auf eine ganz besondere Art davon berühren lassen. 
Immer wieder zoomte ich aus der Situation raus und versuchte zu realisieren, dass ich hier Backstage stand und diesen atemberaubenden Blick auf die Bühne und das Publikum hatte. Es bildete sich ein Meer aus kleinen, bunten Lichtern von den Armbändern im Publikum. Es war unvorstellbar, dass jeder Lichtpunkt tatsächlich eine Person war und all diese Menschen wegen Volkan hier waren. Ich verfolgte mit leuchtenden Augen jeden weiteren Schritt, nahm die Musik und all das organisatorische Drumherum noch einmal ganz anders wahr, während ich Johannes und Hakan herumrennen und mitfiebern sah. Sam grölte immer wieder laut die Texte mit und sprang neben mir auf und ab, während ich fast etwas eingeschüchtert nur leicht zu den Songs wippte. Als der letzte Song angestimmt wurde, griff er mir mit beiden Händen an die Schultern, sprang wieder auf und ab vor Freude. 
"Das ist Roller! Das kennst du doch!" 
Ja, das kannte ich und hatte es in den letzten Tagen auch ein paar Mal gehört, dass ich zumindest den Refrain mitsingen konnte. Das gesamte Team war nun auf der Bühne bei Volkan und feierte mit ihm, bis der letzte Ton gespielt wurde und alle unter tosendem Applaus zurück ins Backstage liefen. Noch immer hörte man laut das Publikum nach Apache rufen, doch die Show war definitiv vorbei. 
Sam und ich hielten uns sehr zurück, wollten die Abläufe nicht stören und uns nur schnell bei Hakan bedanken und verabschieden, der jedoch permanent in Gespräche verwickelt wurde. 
Aus der Ferne nahm ich ein Starren auf mir wahr und blickte mich suchend um. Ich spürte den Blick in meinem Nacken immer deutlicher, bis ich Volkans fixierten Blick auf mir sah, der zwar noch von seinen Kabeln befreit und grob mit einem Handtuch abgetupft wurde, jedoch direkt zu uns lief, als er befreit war. 
Noch bevor er uns erreichte, flüsterte ich Sam eilig zu, uns einen Moment allein zu lassen. Ohne zu hinterfragen, was ich von ihm wollte, stellte er sich abseits zu einer Gruppe, die Shots in kleine Becher verteilte. 

„Du scheinst ein Händchen dafür zu haben, mich beim Sex zu erwischen" lächelte er sanft und begrüßte mich mit einer festen Umarmung. Sein Körper strahlte noch immer eine wahnsinnige Hitze ab, das Tanktop war klatschnass. 

„Nein, bitte sprich es doch nicht noch an, es war mir so unangenehm!" ich legte die Hände beschämt vor mein Gesicht in der Hoffnung, dass wenn ich ihn nicht mehr sah, ich auch unsichtbar für ihn war. Volkan legte besänftigend eine Hand auf meine Schulter und lachte herzlich.

„Entspann dich, wir sind ja einfach in den Raum gekommen, ohne zu fragen, ob wir allein sind. Die große Frage ist nur, wie lange warst du schon da und was hast du alles gesehen? Nur damit ich weiß, welche Bilder in deinem Kopf nachbrennen." schelmisch grinste er mich an. 

„Nichts!!!" platzte es aus mir heraus und ich spürte, wie meine Wangen heiß wurden und sich vermutlich tiefrot färbten. „Naja, nicht nichts. Als du deine Hose runtergezogen hast und ich deinen Arsch gesehen habe, kam die Flucht.". Er beobachtete mich genau beim Erzählen. 

„Mein Arsch bringt dich zur Flucht? So übel ist der doch gar nicht" sprach er süffisant, drehte seinen Oberkörper ein wenig, um an sich selbst hinunter zu blicken und setzte nach. „Ich hab' dir doch gesagt, dass ich mich vor Freunden für so etwas nicht schäme. Ich finde du bist eine Freundin geworden, also kein Grund für Scham, für keinen von uns. Ok?". Es überforderte mich etwas, dass er so offen mit mir sprach und mich als ein Teil seines Freundeskreises sah. Gleichzeitig machte sich Erleichterung in mir breit, ihn damit nicht beschämt zu haben. Ich nickte auf seine Frage bezogen und nahm mir vor, ebenfalls so locker mit ihm zu sein, wie er mit mir. Es gefiel mir, nicht so angespannt und förmlich zu sein. Er legte kurz den Arm um mich, um mich mit zu ziehen in Richtung der bereitgestellten Getränke, als Hakan auf uns zu stürmte und mit Volkan einschlug und ihn fest in den Arm nahm. 

„Alter was war das für eine fette Show, man. Die sind alle aus-ge-ras-tet" er betonte jede Silbe besonders deutlich und seine dunklen Augen begannen zu leuchten, als würde er dem Weihnachtsmann persönlich gegenüberstehen. "Die machen alle Storys von dir, richtig geil für die Reichweite auf Insta!" jubelte er uns entgegen, doch Volkan nickte nur und wirkte etwas erschlagen von seiner Euphorie über den Online-Erfolg. Hakan ließ sich nicht beirren und sprach weiter. „Ey, aber wegen vorhin. War der Blowjob vorhin in der Umkleide wirklich nötig? Du musst sowas in Zukunft lassen, tamam mı? Wir haben echt bessere Sachen zu tun vor der Show als dich zu suchen und dann von einer Kleinen zu lösen." Volkan schmunzelte und blickte mich seitlich unterhalb der Sonnenbrille an. „Zum Glück haben wir gerade geklärt, dass es mir egal sein kann, wenn du sowas mitkriegst" flüsterte er mir halblaut zu. Hakan realisierte, was er da machte, und versuchte sich zu entschuldigen und ließ uns schnell wieder allein.

„Mal ganz anderes Thema. Warum bist du in Leipzig auf meinem Konzert? Ich bin doch eh bald in Berlin? Hättest mir doch direkt Bescheid sagen können.".

„Ich hab' mich von Sam etwas reinquatschen lassen, ich wusste nicht mal, dass du auf Tour bist." versuchte ich mich zu erklären und fühlte mich kurz schlecht, mich einfach so auf sein Konzert geschlichen zu haben. Ablenken, V. 
"Ich fand das Konzert wirklich richtig gut. Du hast eine Hammerstimme, muss ich sagen.". Das schien ihm aufrichtig zu schmeicheln.

„Das freut mich. Wenn du magst, hole ich dich in Berlin auch Backstage. Danach wirds ne krasse Party geben, wär' cool, wenn du dabei wärst.". Ich nickte direkt und natürlich hatte ich Lust auf ein zweites Konzert und auch eine Party im Anschluss. Ich mochte ihn und seine Freunde tatsächlich gern. 

„Fahrt ihr heute noch zurück oder bleibt ihr über Nacht?" kam es weiter von Volkan, der sich mittlerweile neben mir eine Kippe angemacht hatte und gierig daran zog. 

„Sam wollte hier schlafen, bei einem Kumpel, ich schwanke noch in meiner Entscheidung. Ein ICE geht heute glaube ich nicht mehr raus..". 

„Kann dich auch mitnehmen, ich fahre heute noch mit 'nem Auto zurück, die anderen kommen mit dem Tourbus in den nächsten Tagen nach. Ich muss nur dringend nach Hause und in meinem eigenen Bett schlafen. Du kannst dir nicht vorstellen, wie es jemandem mit zwei Metern in einem gefühlten Kinderbett geht für mehrere Wochen. Freue mich so auf mein Bett, Alter."

"Hast du denn nicht eigentlich schon eine Begleiterin?" fragte ich sowohl interessiert, als auch etwas stichelnd. Volkans Blick war verwirrt und er schien nicht zu verstehen, bis sich seine Mimik löste und in ein Grinsen verwandelte. 

"Keine Sorge, die wusste schon, dass wir uns heute nicht nochmal sehen. Ich lass sie nicht wieder einfach stehen. Also?"

„Wenn du sowieso fährst, gerne. Hatte ohnehin keine Lust hier zu bleiben, hab morgen ein paar Sachen für die Arbeit zu erledigen..". Während ich ihm etwas ausführlicher von meinem Job berichtete, liefen wir in Richtung Backstage, damit er noch schnell Duschen gehen konnte. Sein Bruder brachte inzwischen seine Sachen aus dem Tourbus vorbei, ehe wir uns verabschiedeten und gemeinsam die Fahrt nach Berlin antraten.

Blick zu den Sternen  - Apache 207Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt