96. So weit, so gut

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Volkan

„Ich habe alles gehört, was sie gesagt hat. Im ersten Moment war es wie in einem Horrorfilm, als würden mir gerade alle Gründe präsentiert werden, warum es ein Fehler war, zu der Party zu kommen. Ich wollte mich auf der Stelle übergeben, so schlecht wurde mir. Doch dann... naja, du warst ja dabei." schulterzuckend beendete sie vorläufig ihren Satz und zog an ihrer Zigarette. Ich schaute zu ihr herüber und sah ihr braunes Haar an, das von der Sonne angestrahlt wurde und wahnsinnig glänzte. Einzelne Haare flogen durch den seichten Wind immer wieder in ihr Gesicht. Als sie ihren Satz nicht fortfuhr, nickte und räusperte ich mich, um ihr zu signalisieren, dass ich zuhörte. Es entstand kurz eine Stille zwischen uns, in der ich die Mauersegler um uns herum schreien hörte, bis ihr Flüstern das Schweigen brach.
„Ich kann mir nicht vorstellen, wie das für dich gewesen sein muss. Ich fühle mich ziemlich schäbig, dich so behandelt zu haben... obwohl du halt nichts gemacht hast. Ich hab gesehen, wie erleichtert du warst und bewundere, dass du so ruhig bleiben konntest. Hätte ich nicht sofort angefangen zu Heulen, wäre ich am liebsten auf sie losgegangen und hätte ihr die Augen ausgekratzt.". Jetzt brachte sie mich zum Lachen. Sie legte den Kopf ein wenig schief und beobachtete mich.
„Sorry, aber die Vorstellung ist super." erklärte ich lachend. Ein leises Kichern entwich ihrer Kehle, da auch sie wahrscheinlich nun das Bild vor Augen hatte.
Sie richtete sich ruckartig aus der lehnenden Position auf, sodass sie neben mir stand, mich ansah. Ich reagierte sofort und tat es ihr gleich, schaute hinunter in ihre vertrauten Augen.
Einen Arm hielt sie gebeugt, verschränkt vor ihrem Oberkörper. Es war ein recht angenehmer Mittag, die Sonne hatte noch kraft, dass ihr eigentlich nicht kalt sein konnte. Sie schien.. sich unwohl zu fühlen? Und dann richtete sie sich etwas auf. Mit fester Stimme fokussierte sie meinen Blick.
„Es tut mir leid. Es tut mir leid, was passiert ist, was mit uns passiert ist. Diese Zeit... sie hat mir mein Herz rausgerissen und es hat lange gebraucht, die Teile wieder zusammenzusetzen. Und jetzt fühle ich mich, als wäre es zu Unrecht gebrochen. Als hätte ich einen Fehler gemacht..." sie schluckte und versuchte Tränen zu unterdrücken. Ich ging einen Schritt auf sie zu, legte meine Hand auf ihre Wange und strich mit meinem Daumen sanft über ihre zarte Haut. In mir breitete sich dieses gottverdammte Kribbeln aus. Ihr so nah zu sein, sie zu berühren, zu fühlen. Das Bedürfnis, ihr gut zuzureden, wurde immer größer. Sie sollte sich nicht schlecht fühlen, keine Verantwortung dafür tragen müssen. Das Bedürfnis sie in den Arm zu nehmen und an mich zu drücken wurde fast unaushaltbar. Immer wieder schloss sie die Augen, wich mit ihrem Blick aus, dass ich mich etwas nach unten beugte, um sie mit meinem Blick einzufangen und ihn zu halten.

„Das wussten wir doch nicht. Niemand wusste, was für eine hinterlistige, ekelhafte Fo... Person sie ist.". Ich räusperte mich wieder und fuhr nun etwas sanfter fort. „Ich wünschte, ich hätte dir das alles ersparen können, dir nicht so sehr weh tun müssen. Das wollte ich nie. Das war das Härteste, das ich je machen musste, da ich mir damit selbst das Herz gebrochen habe.
Charlie hat diese Lügen in die Welt gesetzt, Gott weiß warum..." Ich nahm ihren verwirrten Blick war.
„Charlie, so... so heißt sie. Ich wusste damals kaum noch etwas von dem Abend, nichts mehr davon, dass ich überhaupt mit ihr in einem Raum war, das... das hatte ich dir ja schon gesagt. Und ähm, naja. So konnte es überhaupt erst so weit kommen... also, dass sie sich diese Lügengeschichte ausdenken konnte. Und mich trifft einfach noch immer eine Mitschuld, dass ich mich überhaupt so abgeschossen habe, das tut mir weh. Aber... ich bin so froh, dass nichts passiert ist. Dass ich nicht mal einen hoch... ist ja auch egal. Du... hast ja alles gehört". Unter den Tränen begann sie ein bisschen zu Lachen. Es war zwar ungewollt, da es irgendwie auf meine Kosten ging, doch ich freute mich, damit ihre Tränen zu stillen.
Sie schmiegte ihr Gesicht in meine Handinnenfläche und schloss die Augen, atmete allmählich ruhiger ein und aus.
„Ich hab dich so wahnsinnig vermisst." ihre Worte arbeiteten sich ihren Weg durch meine Ohren, als wäre es die schönste Musik.
„Ich dich auch." flüsterte ich mit allmählich rauer Stimme zurück. So standen wir einige Moment nur da und ich genoss die Nähe zu ihr. Doch schien im nächsten Moment irgendetwas zu passieren, was ich nicht mitbekommen zu haben schien. Sie löste sich aus meiner Berührung, trat einen Schritt zurück. Eben hatte ich noch mit dem Gedanken gespielt sie zu küssen, oder sie zumindest in eine enge Umarmung zu ziehen und ihren Körper an meinem zu spüren. Vollkommen verdutzt beobachtete ich ihre Bewegungen. Sie tippelte rückwärts und ließ sich auf der Rattanbank nieder. Ihre Ellenbogen auf den Knien aufgestützt, versenkte sie ihr Gesicht in den geöffneten Händen. Ihre Haare fielen um ihr Gesicht um die Hände herum, sodass ich sie nicht mehr sehen konnte. Ich atmete hörbar aus, versuchte nachzuvollziehen, was gerade geschehen war, was sie so verzweifeln ließ. Ich ging die wenigen Schritte auf sie zu und setzte mich neben sie. Meine Hand legte ich vorsichtig auf ihren Rücken, im Versuch sie zu streicheln. Im Flüsterton sprach ich sie vorsichtig an.
„Hey, was ist denn los?"
„Keine Ahnung..." schluchzte sie neben mir. Ihr Rücken begann zu beben, bevor sie fortfuhr.
„Es fühlt sich so gut an mit dir, so richtig, so wie es immer war und hätte sein sollen." So weit, so gut, diese Worte gefielen mir.
„Ja, das finde ich doch auch..." und dann traf mich dieser Gedanke, den ich nicht mehr loswurde und letztlich nach einigen Sekunden des Abwägens aussprechen musste.
„Oder... siehst du gerade jemanden? Bist du...?". Meine Stimme zitterte bei diesem Satz mehr als beabsichtigt. Eine diffuse Angst zu spät zu sein, keine Chance mehr zu haben, machte sich breit.
Doch dann begann sie zu Lachen.
„Nein... nein... quatsch. Ich date gerade niemanden." Puh.
„Es ist nur...Es ist gefühlt so ein Druck da. Das wir jetzt einfach wieder wir sind, wir uns küssen und Happy Ever After haben. Aber ich kann es nicht so einfach. Ich kann nicht so einfach wieder mit dir sein nach dieser ganzen verfluchten Zeit. Es fühlt sich gleichzeitig so fremd an, irgendwas in mir wehrt sich, hat Angst und das macht mich traurig, weil theoretisch ja gar nichts war, mit Charlie meine ich, weißt du? Und jetzt sitze ich hier und laufe vor dir weg, würde am liebsten flüchten und gleichzeitig schäme ich mich dafür, dass ich gerade so ein Problem daraus mache. Ich würde so gern deine Berührungen erwidern, aber ich kann es einfach nicht. Jedenfalls gerade nicht.".
Uff... Das war hart. Direkt in die Magengrube.
„Okay, das... das verlange ich doch gar nicht.". Ich war maßlos mit dieser Situation überfordert, was definitiv rauszuhören war. „Wir können... doch ganz langsam machen. Gucken, was passiert. Wäre vielleicht auch komisch, einfach weiter zu machen, als wäre nichts gewesen. Aber halt nur, wenn du das auch willst. Weil... ich will es. Ich will dich. Das ist mir noch bewusster geworden in den Wochen ohne dich...". Langsam hob sie wieder den Kopf und ließ die Hände sinken. Ihre tränenerfüllten Augen suchten meine und sie hörte mir aufmerksam weiter zu.
„Bitte wein nicht so doll, hm? Weißt du, ich hatte viel Zeit nachzudenken und glaub mir, das habe ich. All die Themen und Streits, die wir vor dieser furchtbaren Sache hatten, kamen mir auf einmal so dumm vor. So klein und irrelevant. Ich wollte nur mit dir sein. Du bist unverzichtbar für mich." ich musste etwas lachen, da es sich so dramatisch und kitschig anhörte, doch kamen die Worte direkt aus meinem Herzen. „Als du mir diesen Brief geschrieben hast... war es das schönste und schlimmste, was ich je lesen musste, weil ich wusste, es ist vorbei, trotz der Liebe, die ich für dich und du für mich empfunden hast. Und heute sitzt du neben mir, warst einfach bereit zu Johannes Geburtstag zu kommen, hattest entschieden mir zu verzeihen. Wenn ich ganz ehrlich bin, ist ein ganz kleiner Teil in mir dankbar, dass es so gekommen ist. Ich habe verstanden, was lieben bedeutet. Was du mir bedeutest, Eve.". Ihre Hand hatte mittlerweile meine gegriffen und fest gedrückt. Ich setzte noch einmal nach. Gefühlt war noch immer nicht alles gesagt. Ich plapperte einfach weiter. „Und nur, weil es gestern glücklicherweise so kam, wie es kam, heißt das nicht, dass wir etwas überstürzen müssen, dass du mich... auch wollen musst". Dieser Satz ging mir besonders schwer über die Lippen. „Auch wenn ich es mir sehr wünschen würde. Wir können uns alle Zeit der Welt lassen, über alles in Ruhe sprechen. Aber eben zu seiner Zeit. Fühl dich nicht unter Druck gesetzt, von niemandem, auch nicht von mir, ok?". Sie nickte langsam und schniefte noch einmal, bevor sie mit rauer Stimme anfing zu sprechen.

Blick zu den Sternen  - Apache 207Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt