12. Keine Ausreden heute

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Die Mercedes-Benz-Arena sah von außen nicht so groß aus, wie sie tatsächlich war. Ich ging um den Platz herum zu einem ausgeschilderten Seiteneingang. Der junge Mann in einer neonorangenen Weste schaute mich fragend an.
„Sorry, nur für Personal. Einlass ist in zwei Stunden da vorne" gelangweilt nickte er in die Richtung, aus der ich kam.

„Ähm ich soll auf der Gästeliste stehen. Wurde für jetzt eingeladen." Ungläubig drehte er sich von mir weg und drückte ein paar Mal auf seinem Handy herum.
„Name?" blökte er mir entgegen.

„Eve, Eve Steinert." Ohne mich anzusehen, drückte er die Metalltür hinter sich auf und erklärte mir, wie ich Laufen musste. Meine Orientierungslosigkeit führte dazu, dass ich drei Mal an der gleichen Ecke vorbeikam und einen Mann mit vielen Kabeln im Arm fragen musste, wo die Lounge war.

Ich klopfte an die weiße Tür und öffnete sie zaghaft. Ich erkannte schnell die mich anlächelnden Gesichter. Julian, Hakan, Sasan, Musti, Johannes und drei weitere, ähnlich gekleidete Männer hingen auf der hellbeigen Eckcouch ab. Mir wurde sofort ein Platz frei gemacht und ein Drink hingestellt, den ich umgehend halb leer trank, weil ich wirklich durstig war. Und vielleicht auch etwas nervös. Die Jungs machten laut Musik an, vor allem 80er, und trieben die Stimmung aufs höchste.
Volkan betrat den Raum. Er musste geduscht haben, da er nur mit einem Handtuch bekleidet war und ihm die nassen Strähnen ins Gesicht und über die Schultern hingen. Mein Blick glitt an ihm hinab, doch suchte ich schnell wieder Blickkontakt und versuchte nicht seinen Körper anzusehen. 
„V, du bist da! Ich bin gleich bei euch, ziehe mir schnell was an.". Zu meiner Überraschung wirkte er überhaupt nicht aufgeregt, obwohl er heute sein letztes Konzert, das aufgezeichnet werden würde, vor über 10.000 Menschen spielen würde. Als er wiederkehrte, nahm er mich schnell in den Arm und ließ er sich  von der ausgelassenen Stimmung anstecken. Er trank zwei Mischen, bevor eine junge Frau hereintrat, um uns wissen zu lassen, dass es noch fünf Minuten bis Showstart waren. Volkan wurde mit Jubelschreien im Raum entlassen, während er sich auf den Weg hinter die Bühne machte. Interessiert sog ich die neuen Eindrücke auf, beobachtete die Abläufe und lief letztlich seinen Freunden hinterher, da ich absolut keine Ahnung hatte, wie ich mich am besten verhielt. Von meinem Platz im Backstage bekam ich alles mit, war letztlich mittendrin, hautnah. Vollkommen reibungslos und souverän lief die Show vor uns und seine Stimme klang nie schöner, als in diesem Augenblick. 
Er genoss jeden Moment, insbesondere, als er in seinem Boot durch die Menschmengen gefahren wurde und die Leute für ihn sangen. Die Gänsehaut überzog meinen gesamten Körper.
Nach der Show sammelten wir uns wieder, bis Hakan auf mich zu kam. Wir umarmten uns, vollkommen überwältigt von den letzten zwei Stunden. Er erzählte mir, mit welcher Anspannung sie in die Shows starteten, da Volkan seit dieser Tour kaum live aufgetreten war. Ich hörte gespannt seinen Erzählungen zu, da Volkan mir bisher nichts davon erzählt hatte. Diese Welt war für mich so weit weg und fremd, als hätte ich einen Film darüber gesehen.
Nachdem auch Volkan vollkommen verschwitzt, aber mit einem zufriedenen Lächeln im Backstage ankam, versammelte sich das Team in einer Runde und trank den ersten Shot des Abends, gebührend dem erfolgreichen Tourende. Es sollte an diesem Abend nicht bei einem Shot bleiben.
Es wurde ein Club in Brandenburg gemietet, um mehr Freiheiten für alle zu schaffen, wie Hakan mir vorher berichtete. Als Hakan dann noch aufgeregt erzählte, dass wir nahegelegen in einem Hotel schlafen würden, kam ich ins Überlegen. Ich hatte keine Kleidung bei, geschweige denn eine Zahnbürste oder Kosmetik. Doch es blieb kein Raum für Wiederspruch. Wir fuhren mit verschiedenen Wagen in Richtung Stadtauswärts.

„So könnt ihr es nicht auf den weiten Heimweg schieben, wenn ihr früher geht. Keine Ausreden heute!" rief er triumphierend in die Runde. Wäre er nicht schon so betrunken gewesen, hätte seine Rede bestimmt mehr Nachdruck gehabt.
Ich entschloss mich einfach loszulassen, den Abend auf mich zukommen zu lassen. Viel zu oft ging ich verkopft an solche Situationen und letztlich versaute ich mir den eigenen Spaß daran. 
Als wir ankamen, war der Club bereits gut gefüllt mit allen Beteiligten der Tour. Diese hatten natürlich auch ihre Freunde und spontanen Begegnungen mitgebracht, ganz nach dem Motto 'Bock auf Party mit Apache 207?'

Wir hatten dennoch einen kleinen, abgetrennten Bereich, in dem alles vorbereitet war. Ich merkte, dass Hakan und Johannes nichts gerne dem Zufall überließen. Noch nie hatte ich so viele Flaschen Champagner auf ein Mal gesehen. Daneben mehrere Kühler voll mit Vodka und Energy. Für die anderen schien es etwas selbstverständlicher und sie füllten nach und nach die Gläser. Volkan tanzte und sang mit seinem Bruder ausgelassen mit, die Stimmung war riesig, trotz der schon beachtlichen Uhrzeit. Das Team dünnte sich im Laufe etwas aus, wir hatten es mittlerweile schon vier Uhr früh und ich zwei Drinks zu viel. Wir lachten über bedeutungslose Dinge und sobald ich meine Augen schloss, fing es an sich zu drehen. Immer wieder spürte ich Volkans Hand in meinem Rücken. Sobald ich mich von der Gruppe etwas entfernte, verfolgten mich seine Augen. Ich war mir nicht sicher, warum er das tat und hatte das Bedürfnis, ihn anzusprechen.
„Alles ok bei dir? Du guckst die ganze Zeit so, oder willst du was sagen!?". Ich lallte leider schon ziemlich und verlor beim Sprechen auch das Gleichgewicht, sodass ich mich, während ich in sein Ohr schrie, um die Clubmusik zu übertönen, an seiner Brust festhalten musste.

„Ich...ich hab dich nur gerne im Blick, V". Ernst schaute er mich durch die Brillengläser an. 

„Mach dir keine Sorgen, hier ist doch alles ok!" versuchte ich ihn zu beruhigen und schaute mich in dem kleinen Bereich um uns herum um.

„V, ich will sowas nicht nochmal, du bist mir zu wichtig geworden.". Wir hielten einen Moment nur den Augenkontakt. Hakan stürmte zu uns und unterbrach, was auch immer wir da machten.

„Wir holen noch 'ne Runde!" schrie er gegen die Musik an und lehnte seine Arme dabei um unsere Schultern. Eigentlich wusste ich, dass eine weitere Runde ein Fehler sein würde und trank dennoch. Es war ein so besonderer Abend, ich wollte nicht so vernünftig sein, wie ich es oft sein musste. Für eine kurze Verschnaufpause versuchte ich mich ins Bad zu stehlen, um schnell ein wenig Wasser zu trinken und mein Make-Up abzuchecken. Ich sah ziemlich betrunken aus, versuchte mit den Fingern die verschmierte Mascara zu beseitigen. Das kalte Wasser tat für den Moment gut, aber ich brauchte definitiv mehr.
Ich ging in Schlangenlinien aus der Toilette hinaus und traf Volkan auf dem Gang. Auch er sah ziemlich durch aus, schien jedoch schnell zu merken, dass ich nicht mehr ganz Herrin meiner Sinne war. Er legte seine Hand um meine Taille und stützte mich beim Gehen zum Tisch, damit es nicht so sehr auffiel. Es entstand langsam eine Aufbruchstimmung und wir nahmen jeweils einen Drink für den Weg mit. Es waren nur einige hundert Meter zu dem Hotel, das Hakan gebucht hatte, doch durch unseren Pegel brauchten wir einige Zeit. Die Luft tat gut.
Ich merkte, wie sich meine Lungen mit der kühlen Luft füllten und gleichzeitig eine Gänsehaut auf meinen Armen entstand. Auf dem Weg erzählte Sasan eine so lustige Geschichte, dass ich dachte, keinen Meter mehr laufen zu können. Mein Lachen überschlug sich und auch der Rest der Runde verlor sich in der Vorstellung seiner Geschichte. 

Blick zu den Sternen  - Apache 207Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt