22. Tief ein- und ausatmen

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Volkan

„Hat jemand mal einen Krankenwagen gerufen? Und bringt mal ein bisschen Wasser". Sie so zu sehen, brach mir das Herz. Vollkommen weggetreten flatterten ihre Augenlider. 

„Volkan, soll ich mal übernehmen? Lass sie auf die Seite legen und haben wir 'ne Decke?!" Julian schien gefasster als ich. Ich kniete noch immer vor ihr und blickte erst jetzt an ihr herab. Dieser Typ hatte sie angefasst. Gott weiß, was passiert ist. Was er vor hatte. Was er vielleicht schon getan hat. Mit einem Ruck stand ich auf.
„Bleib mal bitte bei ihr, Bruder. Komme gleich zurück". Julian nickte stumm und beugte sich zu V hinunter, kühlte mit einem Lappen ihre Beule im Gesicht und tupfte ihre Stirn ab.

Ich drehte mich zu meinen Freunden, die aufgereiht neben der Couch standen und geschockt beobachteten, was mit V passierte.
„Wer sagt mir jetzt, wo der Wichser ist." sagte ich recht ruhig und gefasst. Meine Freunde wussten, was ich tun wollte und schwiegen mich an. Ich suchte mir also selbst den Weg, ging zügig aus dem Backstage, klapperte die verschiedenen Türen ab und fand ihn in einem Lagerraum, gemeinsam mit zwei meiner Securitys, die ihn festhielten.

Sein Gesicht hatte schon einiges abbekommen, er muss böse gestolpert sein.

Ich kam in den Raum und fokussierte ihn mit meinem Blick, nahm sogar die Brille ab, damit er mir in die Augen sehen und meine Wut erkennen konnte. Der Bastard hatte noch die Frechheit, mir ins Gesicht zu lachen. Als Antwort landete mein Knie in seinem Magen und meine Faust in seinem Gesicht. Immer und immer wieder.
„Das ist genug" hörte ich einen der beiden Männer, die ihn festhielten, ruhig sagen. Ich drehte mich wortlos um und verließ den Raum. Nur das Keuchen des Hundes war zu hören.
Ich dachte und hoffte, es würde mir danach besser gehen, doch die Gefühle der Wut und Hilflosigkeit blieben. Meine Hände noch immer zu Fäusten geballt, blieb ich eine Sekunde vor der Tür des Lagerraums stehen, um mich zu sortieren. Ich spürte das Pochen an meinen Fingerknöcheln und erinnerte mich gut an dieses Gefühl, vor allem von früher. Ich schüttelte die aufkommenden Erinnerungen ab, ich musste mich jetzt auf V konzentrieren und nicht in der Vergangenheit stochern. Ein Mal tief ein- uns aus atmen. Das hatte mir damals diese Frau beim Antiaggressionstraining erzählt.

Und halten Sie, 1...2...3... und ausatmen
Ihre laute und quarkige Stimme bohrte sich wieder in meine Ohren. Die Scheiße brachte gar nichts. Ich war immer noch aggressiv. Ich entschied zurück zu gehen und nach V zu sehen. Gedämpft nahm ich die Stimmen von der Party im Außenbereich wahr. Das hatte ich vollkommen vergessen. Fuck. 

Musti lief mir aufgeregt entgegen. „Sie kommt zu sich Bruder, komm!"

Ich rannte die letzten Meter und positionierte mich nur Zentimeter von ihrem Gesicht entfernt. „Bitte helft mir". Ihr Flüstern machte den Kloß in meinem Hals noch größer.
„Es kommt gleich jemand, V. Wir sind hier, dir kann nichts mehr passieren". Ich streichelte über ihr schönes Haar, immer in der Angst, ihr weh zu tun.

„Mir geht's nicht so gut...". Ihre Sprache war noch immer stark verwaschen. Sasan eilte bereits los und brachte einen Eimer, den ich vorsorglich neben sie stellte.
„Hab keine Angst, ich bin hier. Lass es einfach raus". Ich Körper bebte vor Kälte und Unruhe. Sie verkrampfte und übergab sich mehrere Male. Erschöpft schloss sie wieder ihre Augen, zitterte jedoch noch am ganzen Körper. Ich wischte ihren Mund sauber und schien an eine verletzte Stelle gekommen zu sein, da sie zusammenzuckte. Meine Aufmerksamkeit wurde auf die lauten Männerstimmen gerichtet, die sich näherten. Etwas zu nah kamen.
Ich sah kurz auf und sah die leuchtende Uniform der Rettungssanitäter.

„Machen'se mal Platz, bitte". Er trat an V heran und war für mich eine Spur zu ruppig. Ich wollte noch demonstrieren, wurde jedoch von den Jungs angehalten, ruhig zu bleiben. Sie halfen mir aus der Hocke hoch und zogen mich zu sich, um von außen beobachten zu können, was passierte.

„Wer gehört zu ihr?"

„Ich... äh.. wir sind ihre Freunde." ergriff ich das Wort und hätte mich beinahe verplappert.

„Solange die Polizei nich hier is und ick nich' weß, wer dit war, halten'se mal alle Abstand.". Er setzte Schmerzreize auf ihren Körper und sie wandte sich unter den schroffen Berührungen. Sein Kollege sprach uns direkt an.
„Ich weiß, is 'ne Ausnahmesituation, aber vielleicht gehen Sie mal kurz vor die Tür, an die Luft und lassen uns in Ruhe unsere Arbeit machen. Sie können gerade nichts für sie tun.".

Ich merkte ein Ziehen an meiner Schulter und musste mich geschlagen geben. Mit hängenden Schultern, da ich mich so schuldig fühlte, ihr nicht helfen zu können, lief ich den anderen nach zum Hinterausgang der Location. Ich rauchte eine Zigarette nach der anderen und lief vollkommen wirr im Hof auf und ab.
„Ich muss endlich wissen, was passiert ist.." sprach ich nun meine Gedanken laut aus. Ich hielt den Gedanken kaum aus, dass ich strahlend Fotos schießen ließ und nicht bekam, was drinnen abging. Sasan reagierte als Erster.

„Wir saßen zusammen, hatten Spaß und V wollte zur Toilette. Sie kam halt ewig nicht wieder und Musti wollte mal nach ihr gucken. Dann hat er den Piç auf ihr gesehen und ist durchgedreht." erzählte Sasan, auch wenn er immer wieder pausierte, um meine Reaktion abzuwarten. Musti stand ihm unterstützend bei und fuhr fort. 

„Hab ihn von ihr runter gezogen und ihm einen Tritt verpasst. Dann hat er angefangen auszuholen und ich hab ihm noch eine gegeben. Dann kamen die anderen zum Glück." erzählte er leise, während er zu Boden schaute.

Ich wusste nicht, wie ich die Frage stellen sollte..
„Hat er...?" Ich musste es nicht vollständig aussprechen.

„Keine Ahnung, man. Seine Hose war offen, als wir kamen, aber echt kein Plan. Seine Worte erreichten mich kaum. Alles war nur noch gedämpft. Hakan trat aus der Tür und suchte meine Augen. Er lief auf mich zu und nahm mich sofort in den Arm. Ich spürte, wie langsam mein Inneres schwach werden wollte und ich am liebsten sofort angefangen hätte zu weinen.

„Scheiße Bruder, es tut mir so leid. Ich weiß ja, wie nah ihr euch steht." flüsterte er nah an meinem Ohr, während er mich in seinen Armen hielt. 
Er wusste nicht, wie nah wir uns wirklich standen, aber seine Worte taten gut.

„Die Polizei ist jetzt da und hat den Typen schon mitgenommen. Notärztin ist auch gekommen." berichtete mein Bruder von den Neuigkeiten, seit wir in dem Hof standen. Wie mit einer Aufforderung öffnete sich die Tür nach draußen.

„Wer is'n hier Volkan?". Ich trat einen Schritt auf den Sanitäter von eben zu.
„Kommen'se mal mit, sie fragt die janze Zeit nach Ihnen.". Mein Herz setzte einen Moment aus. 

Blick zu den Sternen  - Apache 207Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt