20. Weißes Kleid

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Meine Neugier war zu groß, sodass ich, sobald er aus der Haustür war, losschnellte und nach dem Karton unter seinem Bett kramte. Eine Schleife zierte die quadratische Kiste. Das war jedenfalls kein Spontankauf bei H&M.
Ich zog die weiße Schleife aus Organza auf und hob vorsichtig den Deckel ab. Was ich darin fand, raubte mir kurz den Atem und ich ließ den Deckel nach einer Millisekunde, in der ich erkannte, was es war, wieder zufallen. Er hatte mir ein Kleid gekauft. Aufgeregt schob ich den Deckel wieder nach oben und fand ein leichtes Sommerkleid aus Seide, italienische Länge mit kleinen Spaghettiträgern. Ich ließ mir keine Zeit und schnell schlüpfte ich in das enge Kleid, betrachtete mich im Spiegel. Durch meine gebräunte Haut hob sich das weiß noch mehr ab. Während ich mich im Spiegel drehte und beobachtete, dachte ich, dass All White Partys vielleicht doch nicht so blöd waren. Wenn man so aussah, konnte es doch nicht blöde sein. 

Nachdem ich mich in seiner Wohnung etwas frisch gemacht hatte, fuhr ich samt Karton, den ich schützend unter meinem Arm gepresst hielt, in einem Uber zu mir. Ich legte frisches Make-Up auf, suchte nach passenden Schuhen und einer Tasche und bestellte mir, wie der Herr wünschte, einen Uber zur Location.
"Einlass erst um 5, bisschen früh, Süße". Ich verzog angewidert über die plumpe Art des Mannes in Neonweste das Gesicht.
"Stehe auf der Gästeliste, Süßer.". Meine spitze Formulierung machte deutlich, dass ich keine Flirtversuche startete. Johannes lief gerade durch den Outdoorbereich und erblickte mich am Eingang.
"Lukas, lass sie rein, ist 'ne Freundin.". Lukas gehorchte.
Johannes nahm mich fest in den Arm.
"Super siehst du aus. Hammer Kleid. Komm ich bring dich zu den anderen. Sind gerade fertig geworden und chillen jetzt bis zum Einlass."
Ich sah Volkan sofort und als er an mir herunterschaute, biss er sich kaum merklich auf die Unterlippe. Seine Augen folgten jedem meiner Schritte, bis ich vor ihm stand. Er hielt mir eine Hand entgegen und drehte mich geführt einmal um mich selbst, um alles anzusehen. Er pfiff bewundernd.
"Na vielleicht doch nicht nur Freundschaft, Bro?", hörte ich Hakan leise in Volkans Ohr wispern, der ihm kurz darauf auf die Schulter klopfte, damit Volkan mich begrüßen konnte.  Er schien also eine Vermutung zu haben, wer vorhin in Volkans Schlafzimmer versteckt wurde.
"Du siehst unfassbar aus, V. Wahnsinnig schön.". Volkan schaute mich bewundernd an. 
Er gab mir einen schnellen Kuss auf die Wange und hielt mich sanft an der Taille. Damit wir nicht zu auffällig wurden, löste ich mich schnell von ihm, wandte mich zu den andere und begrüßte sie ebenfalls. 
Volkan, Johannes und Hakan erörterten mir noch eilig den Plan für den Abend.
"Also, wenn alle da sind, spiele ich drei Lieder und dann werden Fotos gemacht. Dann feiern wir. Bis auf Hakan sind die Jungs alle am Tisch, am besten hältst du dich an Sasan." erzählte Volkan nun etwas aufgeregt.
"Ok, kannst du mir vielleicht noch schnell zeigen, wo ich mal auf Toilette kann.". Er wusste, wonach ich eigentlich fragte. Er reagierte, bevor die anderen beiden ihn aufhalten konnten. 
"Komm mit.". Durch seine Brille konnte ich nicht direkt in die Augen sehen, merkte jedoch eine Veränderung in seinen Gesichtszügen. Er führte mich in den Innenbereich der Location und ließ mir den Vortritt, deutete mich durch eine Tür zu gehen am Ende des großen Raumes. Es war ein ähnlicher Backstageraum, wie der, in dem ich Volkan schon einmal vorfand, bevor wir uns kannten.
"Also da hinten ist das Bad" sagte er süffisant und musterte meine Reaktion.
"Komisch, ich muss gar nicht mehr..". Ich schaute ihn etwas herausfordernd an. Er schmunzelte leicht, kam direkt auf mich zu und zog mich in einen heftigen Kuss. Alles in mir zog sich sofort zusammen, als ich seine Berührung spürte. Ich schlang meine Arme um seinen Hals und stellte mich auf die Zehenspitzen. Trotz meiner Absätze  musste ich mich noch ziemlich strecken, um sein Gesicht zu erreichen und seine Lippen auf meinen zu spüren. Seine Zunge streichelte meine, seine Hände glitten an dem weichen Stoff des Kleides hinunter und umfassten meinen Körper fordernd. Er stöhnte leicht in meinen Mund und löste sich aus unserem Kuss.
"Wenn wir weiter machen, habe ich gleich ein Problem." flüsterte er mit einem Blick nach unten auf seine Hose. Ich kicherte zwar über deine Formulierung, stellte mir jedoch auch augenblicklich vor, wie es wäre, hier mit ihm zu schlafen. Er gab mir einen kleinen Klaps, riss mich damit wieder aus meinem Tagtraum, um mit ausreichend Abstand zueinander, wieder nach draußen zu gehen. Gedanklich war ich ganz woanders und lächelte peinlich vor mich hin. 

Bevor er sich zu der kleinen Bühne begab, wünschte ich ihm viel Erfolg und Spaß. Sein Zwinkern ließ meine Knie zu Pudding werden.
Es waren so viele Menschen vor Ort, dass ich froh war, durch die anderen einen Sitzplatz zu haben. Meine Füße taten schon jetzt von diesen unbequemen Schuhen weh. 
Hakan stimmte eine kleine Rede zur Begrüßung aller Gäste an und holte seinen Bruder auf die Bühne, um die Songs einzusingen.
Volkan stimmte seinen ersten Song an und sang von einem weißen Kleid. Wie passend.
Das Lied kannte ich von der CD, die er mir schenkte. Ein noch unbekanntes Lied, bis jetzt. Er umfasste sicher das Mikrophon und hauchte die schönsten Töne hinein, die die Fans zum Jubeln brachten. Die anderen Songs mussten von seinem letzten Album sein und machte richtig Stimmung. Sasan brachte mir derweil einen Gin-Tonic auf Eis und wir stießen als kleine Gruppe an, feierten Volkan, der noch auf der Bühne alles gab.
Die Fotosession im Anschluss nahm für Volkan viel Zeit in Anspruch. Wir hatten alle mittlerweile das dritte Getränk vor uns stehen und diskutierten über eine philosophische Quatschfrage. Johannes setzte gerade zu seinem Statement an, als ich meinen Weg zur Toilette bahnte. Ich merkte den Alkohol schon sehr und konnte mich kaum noch gerade fortbewegen. Zwischendurch musste ich mich an den Wänden festhalten, um nicht zu fallen. Mit großer Mühe schaffte ich es zur Tür des Backstagebereichs, mit dem Wissen, mich dort kurz hinsetzen zu können und eine Toilette in der Nähe zu haben, für den schlimmsten Fall. Ich griff nach der Klinke und noch bevor ich sie aufdrücken konnte, nahm ich ein Geräusch hinter mir wahr, dem ich zu folgen versuchte, bis eine Hand auf mich zu schnellte und ich den stechenden Schmerz spürte, bis alles dunkel wurde. 

Blick zu den Sternen  - Apache 207Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt