Kapitel 1

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Wütend warf ich ein Glas gegen die Wand. Ich konnte einfach nicht glauben, dass mir mein eigener Vater so etwas antun würde. "Einen Scheiß mach' ich! Das kannst du vergessen!" Schrie ich und griff nach dem nächsten Glas. Mir war zwar bewusst, dass ich sehr viel Ärger bekommen würde, aber das war mir im Moment egal. Auch wenn es das Lieblingsgeschirr meiner Mutter war, hatte ich nicht die Intention, mich zu beruhigen.
"Hör auf so mit mir zu reden! Ich bin dein Vater und es deine Pflicht, es zu tun!" Rief mein Vater zurück. Er stand am anderen Ende der Küche und konnte sich für sein Alter viel zu schnell bewegen. Ich hatte mit Gläsern, Tellern und Besteck geworfen. Praktisch mit allem, was auf unserem Essentisch zum Mittag lag, aber nichts hatte meinen Vater getroffen. Er war eingeengt in der Ecke, doch meine Munition kam noch nicht mal in die Nähe seines Ziels.
"ES. ES. ES! Immer wieder redet ihr davon. Immer wieder sagt ihr: UHHH es ist unsere heilige Pflicht als Werwölfe dorthin zu gehen. Seid froh, dass ihr die Möglichkeit zu dieser Ausbildung habt. Seid dankbar, dass ihr so zivilisiert leben könnt! Versteh' doch endlich, dass ich nicht dankbar dafür sein werde, wenn du mich zu diesem Drecksinternat zwingst!" Seit Jahren, nein vielmehr seit es dieses Internat gibt, redet jeder davon, dass es das Nobelste ist, in diesem Internat einen guten Abschluss zu machen. Ich hab das nie verstanden. Wir sind Werwölfe, Jäger, Kämpfer, wenn nicht sogar Tiere. Wir sind keine Ingenieure oder Gelehrte. Wie konnte es dazu kommen, dass unsereins so menschlich geworden ist? Wir leben fast schon in Städten, gehen in Schulen und vermischen uns mit Menschen. Es gibt daher kaum noch reine Werwölfe. Wie konnte es nur soweit kommen, dass unser Blut so unrein wurde?
"Drecksinternat? Diese Ausbildung sorgt dafür, dass ihr nicht nur wie richtige Werwölfe leben könnt, sondern auch angepasst an die Menschen, dass wir unentdeckt und in Frieden leben können. Mir ist doch bewusst, dass du das nicht willst, aber-"
„Aber was? ‚Aber tut mir leid, dass ich dich der gleichen Scheiße aussetzen will, unter der du Jahre lang leiden musstest?' Du weißt doch ungefähr, was mit mir los ist. Warum zwingst du mich trotzdem?" Wütend packte ich die Kante des Küchentisches. Wie konnte er sich darüber hinwegsetzen? Es ging hier immerhin um meine Gesundheit.
Doch egal wie wütend ich war und wie blind mich meine rasende Wut machte, konnte ich die wachsende Gefahr spüren. Ich fühlte, wie die Präsenz meines Vater immer düsterer wurde. Ich merkte, dass ich eine Grenze überschritten hatte.
"Olivia Blackstorm..." Mein Vater senkte seinen Kopf und ließ somit seine schwarzen Haare ins Gesicht fallen. Ich schluckte schwer, denn mein Vater war alles andere als schwach und nur weil ich seine Tochter war, hielt ihn das nicht auf, die ungerechten Anschuldigungen aus der Welt treiben zu wollen. "glaubst du wirklich, dass ich das vergessen habe?" Und mit diesen Worten öffnete er seine geschlossenen Augen und ich starrte in seine blutrote Augen. Augen, die vor Wut glänzten. Augen, die dominanter, gefährlicher und bedrohlicher als alles Andere wirkten. Augen, denen du dich unterwerfen willst. Augen, bei denen du alles andere um dich herum vergisst und nur den Willen dieses Mannes folgen willst, ob nun aus Respekt, Loyalität oder Angst sei dahingestellt. Das sind die Augen eines Alphas.
"Das reicht dann auch wieder. Livvy Schätzchen, könntest du bitte mich und deinen Vater alleine lassen?" Eine warme Hand umschloss meine Schulter und sofort entspannte ich mich. Ich wusste nicht warum, aber die Anwesenheit meiner Mutter hatte schon immer etwas beruhigendes an sich. Sie wirkte immer so vertraut und ausgeglichen. Anders als mein Vater, der kurz davor stand, sich in einen Werwolf zu verwandeln und mich anzufallen.
Ich nickte nur und machte kehrt. Meine Mutter erhob selten das Wort und schwang auch keine Reden, aber wenn sie es tat, dann richtig. Stumm verließ ich das Esszimmer und stand nun im riesigen Wohnzimmer unseres Hauses. Mein Vater war zwar ein Alpha, aber dennoch bevorzugte er es, eher schlicht zu leben. Ein großes Haus mit einem riesigen Verhandlungsraum reichte ihm und seiner Familie vollkommen aus. Wir waren vier Kinder und hatten genug Platz in diesem Haus, also verstand ich, warum wir eher schlicht blieben. Immerhin war eine Villa im Wald nicht unbedingt das unauffälligste und so was sagte uns nicht zu im Gegensatz zu Marcel, dem Alpha unseres Nachbarrudels.
Ich trottete über den weichen Teppich, welcher meine nackten Füße kitzelte. Mein Vater war der Alpha, der Anführer meines Rudels, wieso war er so sehr Mensch und so wenig Wolf?
"Du weißt doch, wie sie ist." Erklang die weiche Stimme meiner Mutter, welche mich und meine Geschwister früher immer in den Schlaf gesungen hatte.
"Das ist keine Entschuldigung für dieses respektlose Verhalten! Ich bin ihr Vater und möchte doch nur das beste für sie. Sie wäre dort sicher. Damit... so etwas nie wieder passieren wird." Zum Ende hin brach die Stimme meines Vaters und betreten starrte ich meine Füße an. Er hatte ja Recht, aber das gab ihm nicht das Recht! Zitternd hob ich meine Hand und drückte meinen linken Arm. Er hatte ja Recht...
Schweigend ging ich die Treppen hoch und öffnete langsam meine Tür. Und schlug sie wieder ruckartig zu. "Leon, was zu Hölle ist los mit dir?!" Schrie ich, doch überkam mich sofort die Erschöpfung und ich lehnte mich mit dem Rücken gegen die Tür. Ich hatte nun wirklich keine Nerven, mich mit meinem Bruder auseinanderzusetzen.
Wir waren vier Kinder. Und keiner von uns sah dem Anderen ähnlich. Bei Fremden könnten wir auch einfach als ein Haufen Freunde durchgehen und das obwohl Leonard mein Zwillingsbruder war.
Langsam öffnete sich meine Tür, doch hatte ich nicht das Bedürfnis, mich abzustützen und ließ mich somit nach hinten Fallen.
"Musst du unseren Eltern immer solche Probleme bereiten?" Ausdruckslos starrte er auf mich herab. Leon sah unserer Mutter so unglaublich ähnlich. Seine goldenen Haare glänzten förmlich in der Mittagssonne und ließ ihn wie einen Heiligen wirken. Doch seine blauen Augen wirkten leer und matt wie ein bewölkter Himmel.
"Als ob ich das absichtlich mache. Du kennst meine Gr-"
"Gründe hin oder her, sie sind unsere Eltern. Sie haben für uns gesorgt und uns geliebt, als kein anderer es konnte oder wollte. Nimm nicht unser aller Leid als Grund für deine Verachtung." Seine Stimme war dumpf, aber ich verstand ihn klar und deutlich. Sie hatten Recht. Sie hatten alle Recht, aber ich kann das nicht!
Wütend sprang ich auf und starrte ihn von unten an. Er war fast einen Kopf größer als ich, worüber sich viele gerne lustig machen.
"HÖRT AUF MIR ERKLÄREN ZU WOLLEN, WIE ICH ZU LEBEN HABE!" Ich hatte Leon noch nie angeschrieen. Er war meine bessere Hälfte, mein Zwilling. Auch wenn er ziemlich dumpf wirkte, so war er doch ein verantwortungsbewusster großer Bruder. Wieso war ich nur so?
Ich rannte so schnell ich konnte durch mein Zimmer. Mir war egal, dass ich meinen Bruder beinahe umrannte und sämtlich Möbel in meinem Zimmer umriss. Ich wollte nur hier raus. Diese stickige Luft engte mich ein. Die gesamte Situation nahm mir meine Selbstbeherrschung. Diese Erwartungen nahmen mir meinen Willen. Ich musste hier raus.
Und schon klirrte ein Fenster und tausende Glasscherben landeten in unserem Garten. Ich sprang leichtfüßig aus dem Fenster und rannte sofort los, als meine Füße kurz davor waren den Boden zu berühren und sprintete fort. Fort von diesem Haus. Weg von meiner Familie. In die Ruhe der Schatten unserer Wälder. In die Geborgenheit, die meine Seele heilte. Meine Freiheit.

If I hadn't met youWo Geschichten leben. Entdecke jetzt