Kapitel 96

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Ich rannte durch den Wald. Ich wusste nicht, vor wem ich fliehen sollte, aber nachdem mich meine große Schwester so vehement angeschrien hat, ich solle fliehen, haben mich meine Beine nur davon getragen. Ich ging davon aus, dass es ein Angriff der Darachs war. Es wäre jedenfalls nicht das erste mal, dass die dunklen Druiden unser Versteck entdeckten und uns auslöschen wollten. Wir hatten es wirklich nicht einfach. Nachdem unser Alpha Marcel Nolan von Tyler Silverstone ermordet wurde, hatten wir auf eine positive Änderung gehofft, aber unser neuer Alpha ist nie gekommen. Erst nach einigen Wochen hat er sich endlich unserer erbahmt, aber ist dann wieder mit einem Kojoten abgehauen. Ich hatte zwar immer an ihn geglaubt und gehofft, er hätte seine Gründe, aber wir litten unter seiner mangelnden Anwesenheit.
Ich wusste zwar auch, dass die Allianz seit Monaten versuchte, alle unbeteiligten Werwölfe aus der Gefahrenzone und nach Lupus Luna zu bringen, aber wir wussten doch alle, dass man im Krieg nicht jeden retten konnte. Die Allianz würde bestimmt nicht kommen. Ich habe mal das Gerücht gehört, ein Drittel ihrer Verbündeten sei ausgefallen aufgrund eines Fluches, aber so genaues weiß man nicht, ehe es zu spät.
Ich hörte ein Knurren, was das Blut in meinen Ader gefrieren ließ. Es war definitiv nicht von einem Werwolf oder Kojoten. Ich wollte schneller laufen, aber die lähmende Angst machte sich bemerkbar und paralysierte meine Beine. Schockiert hielt ich die Luft an, als meine Beine nachgaben und ich mit dem Gesicht voran auf den Waldboden fiel. Ich wollte nicht sterben, aber egal wie sehr ich gegen meine Beine schlug, sie reagierten nicht. "Verdammt!" Zischte ich und versuchte mich, mit meinen Händen aus dem Dreck zu zerren, aber das Knurren kam immer näher.
Wenn ich schon sterbe, will ich meinem Mörder auch in die Augen sehen! Entschlossen drehte ich mich um und konnte zwei strahlend grüne Augen in der Dunkelheit erkennen. Sie sprühten vor Gier und ich wusste, dass sie Blut fließen sehen wollten. Messerlange Klauen blitzten im Schatten der Bäume auf. Es war mitten am Tag, aber der Angreifer wirkte, als würde er aus der Dunkelheit der Nacht treten.
"KOMM DOCH!" Mit all meinem Mut schrie ich ihn an und schaffte es sogar, ihn mit einem Stein an seinem Schädel zu treffen. Jedoch knurrte dieser dann nur energischer und setzte sich in Bewegung. Das war's dann wohl. Ich, Eric Goldenforest, werden wohl mein Ende finden. Hier und jetzt. Ganz alleine.
Der Angreifer trat in die Sonne und ich konnte seine blaue Haut deutlich erkennen. Ein Nagual also. Ein exotischer Tod. Was will man mehr?
Der Nagual setzte zum Angriff an. Ich hatte ein gutes Leben. Ich hatte zwar viele Geschwister, die mich immer nervten, aber dennoch hatte ich sie geliebt. Ich wusste, dass dieser Mann nicht alleine war. Immerhin waren es eine Hand voll Naguals, die meine Familie fast vollständig ausgelöscht haben. Nur ich und meine große Schwester hatten erstaunlicher Weise überlebt, aber es schien mir nicht so, als würde irgendein Goldenforest den nächsten Morgen erleben. Ein Jammer, dabei mochte ich den Sonnenaufgang so sehr.
Ich schaute auf. Das nahm der Nagual wohl als Provokation war und schoss in meine Richtung. Seine Klauen waren direkt auf meine Kehle gerichtet und ich wusste, dass es mein Ende war. Ein Knacken ertönte und ich wartete auf den Schmerz. Doch der kam nicht. "Was machst du denn, kleiner Mann? Willst du nicht mal versuchen, zu kämpfen? Deine Schwester hat sich fast ins Hemd gemacht!"
Verwirrt öffnete ich meine Augen und sah eine junge Frau vor mir. Ihre grünen Augen wirkten viel wärmer als die eines Naguals. Sie stand nur sehr komisch da. "Was machst du da?" Fragte ich verwirrt, als ich endlich wieder meine Stimme gefunden hatte.
Amüsiert senkte sie ihr Bein und hockte sich vor mich hin. "Ich habe soeben einem Nagual ins Gesicht getreten, um dich zu retten. Zeig ein wenig Dankbarkeit und zieh dein Hemd aus." Sie lächelte zwar, aber ihr Befehl war kein Scherz.
Ich merkte, wie das Blut in mein Gesicht schoss. "Bitte?" Ich hörte, meine Stimme brechen und von meiner normalen Tonlage in eine viel zu hohe und pubertäre Lage übergehen.
Jedoch beachtete sie das gar nicht und riss nur mein Oberteil auf, um auf meine blanke, nackte Brust zu starren. Erleichtert atmete sie aus und richtete sich wieder auf. "Er ist sauber!" Schrie sie und sofort erschien aus dem Wald eine weitere Gestalt. Wonach hatte sie gesucht? Es war ein junger Mann mit grauen Augen, die irgendwie abgelenkt wirkten. "Was ist los?" Fragte meine Retterin und lief auf den Mann mit den grauen Augen zu.
Ich wollte etwas sagen, da der Nagual vielleicht bewusstlos auf dem Boden lag, wir uns aber nicht sicher sein konnten, ob er wirklich ausgeschaltet wurde. Jedoch ließ mich die Stimme des jungen Mannes zögern. "Das Mädchen will mir ihre Brust nicht zeigen."
Irgendwas an seiner Tonlage brachte mich zum Lachen. Es war weniger die Tatsache, dass er es sagte, sondern vielmehr, dass er es so betrübt sagte, als wäre ein Welpe gestorben. "Ich denke mal, dass kein junges Mädchen einem Fremden ihre nackte Brust zeigen will. Ich habe keine Brüste, war aber auch etwas beschämt, als die junge Dame mich hier einfach ausgezogen hat." Zitternd hievte ich mich auf meine zwei Beine und torkelte in die Richtung meiner Retter. "Mein Name ist Eric Goldenforest. Was ist hier los?"
Die junge Frau drehte sich zu mir. Ihre blau gefärbten Haare sind schon fast ausgewachsen und ich fragte mich echt, warum sie diese nicht einfach schneiden ließ. "Mein Name ist Alexandra Williams. Ich bin der Beta von Thomas Blackstorm und einer der Kommandanten der Allianz. Wir sind hier, um die verbliebenden Wölfe nach Lupus Luna zu bringen."
Ich wusste gar nicht, dass ich so erschöpft war, aber als ich diese Worte vernahm, war ich so unglaublich erleichtert, dass ich einfach zusammenbrach. "Gott sei dank." Ich hob meinen Kopf und starrte zu den beiden auf. "Ihr meintet, meine Schwester sei hier. Vielleicht kann ich sie ja überzeugen, ihre Brust zu zeigen. Wozu wollt ihr sie denn sehen? Es ist nicht so, dass meine Schwester einen besonders schönen Vorbau hat oder so. Sie ist sogar ziemlich flach."
Das Mädchen hatte ein amüsiertes Leuchten in ihren Augen. Ich mochte sie. Ob sie wohl single war? "Die Darachs markieren ihre Untergebenen mit einem Fluchmal. Wir können nicht zulassen, dass ein Darach-Untergebener nach Lupus Luna kommt. Es ist unsere letzte sichere Basis."
Ich nickte langsam. "Dann bringt mich zu meiner Schwester. Ich werde mich darum kümmern, sollte sie sich gegen euch streben. Ich bin mir sicher, dass wir beide nach Lupus Luna gebracht werden können." Ich wollte hier unbedingt weg. Ich vertraute zwar darauf, dass Lady Williams stark genug war, den Nagual zu besiegen, aber er war nicht der einzige Feind hier.
Der Mann mit den abgelenkten Augen griff stumm hinter sich und zerrte meine Schwester vor meine Füße. "Lass mich los!" Schrie sie immer wieder auf, aber als ich endlich ihre Aufmerksamkeit gewann, fiel sie mir in die Arme. "Bring mich hier weg! Er wollte mich vergewaltigen!"
Ich wusste zwar, dass er andere Gründe hatte, sie so anzufassen, aber als sie diese Worte sagte, verkrampfte ich mich sofort wieder. Meine Schwester wurde vor vier Jahren vergewaltigt und hat davon ein gewaltiges Trauma davon getragen. Das schlimmste an der ganzen Sache war, dass sie ein Kind von diesem Mann in sich getragen hat und obwohl sie es nicht wollte, hat sie es ausgetragen. Keiner weiß so genau, was mit diesem Kind passiert ist. Sie hat es vermutlich ausgesetzt und nie wieder darüber gesprochen.
Beruhigend nahm ich sie in meinen Arm und strich ihr über ihren Kopf. "Ist schon gut. Sie wollen nur sicherstellen, dass wir nicht der Feind sind. Sie werden dir nichts antun."
Sie jedoch schüttelte nur ihren Kopf und wollte mich von sich drücken. "Lass mich alleine!" Befahl sie mir. Ich mochte diesen Ton nicht. Sie nutzte diesen Ton immer, wenn ihr etwas nicht gefiel und nahm ihre Vergewaltigung als Grund dafür, dass alle das taten, was sie wollte. Es mag zwar sein, dass Vergewaltigungen furchtbar sind, aber das gibt ihr noch lange nicht das Recht, es als Grund dafür zu nehmen, uns herumzukommandieren, wie es ihr beliebt.
Entnervt packte ich ihre Arme und drückte sie auf den Boden. "Sie machen nur ihren- Aua!" Entsetzt ließ ich sie los und hielt meinen Bauch. Sie hatte mich allen ernstes getreten. "Könnt ihr was dagegen machen?" Genervt zeigte ich auf meine Schwester und schaute zu den beiden Mitgliedern der Allianz. Die lachten mich aus!
"Waren das eure letzten Worte? Schwach." Sofort verstummte ihr Lachen und sie schauten an mir vorbei. Zögernd folgte ich ihren Blicken und entdeckte dort einen Nagual!
Schockiert sprang ich auf, aber Lady Williams packte nur meine Schulter und drückte mich zurück. Sie war so unglaublich stark, dass ich schon fast gegen den nächstbesten Baum geflogen bin. "Lass sie los!" Befahl der Beta in einem beherrschten Ton, der jedoch keine Wirkung bei dem Nagual hatte.
"Habt ihr danach gesucht?" Fragte der Nagual stattdessen. Es war nicht der gleich Nagual, den Lady Williams ausgeschaltet hat. Wenn ich mich richtig zurückerinnere, ist es der Nagual, der meinem kleinen Bruder Harry die Kehle herausgerissen hat.
Ich konnte jedoch nicht lange in meiner Wut schwelgen, da der Feind das Oberteil meiner Schwester packte und ihr vom Leib riss. Ihre bleiche Haut schien schon fast in der Sonne zu leuchten, jedoch zierte ein tiefschwarzes Mal ihre weiche Haut. Das muss wohl das Mal sein, von dem die beiden gesprochen haben. Das war dann wohl auch der Grund, warum sie den Angriff überlebt hat. Irgendwie war ich nicht sonderlich überrascht.
"Du hast mir versprochen, dass du mich zu ihm bringst!" Hayley, meine Schwester, wollte sich von ihm lösen und kämpfte gegen seinen Griff an, aber es brachte rein gar nichts.
"Wovon redest du?" Schrie ich plötzlich. Ich hatte eigentlich nicht vor, so zu schreien, aber die Wut übernahm sämtliche Kontrolle über mein Handeln. Ich war nicht sonderlich gut darin, mich auszudrücken oder angebracht zu reagieren, aber eines wusste ich. "Du hast deine Familie an die Darachs verkauft, stimmt's?"
Sofort erstarrte sie in ihrer Bewegung. Sie musste mir gar nicht antworten. Ich konnte es direkt in ihren Augen sehen. Ich hatte recht und das hatte einen furchtbaren Nachgeschmack. Ich hasste es, wenn ich in solchen Momenten recht hatte.
"Was hätte ich tun sollen? Sie haben mir versprochen, mich zu ihm zu bringen! Ich muss ihn wiedersehen! Ich kann nicht länger von ihm getrennt leben! Immerhin habe ich sein Kind ausgetragen!" Ich war schockiert, wie verzweifelt sie wirkte, aber es war nicht diese typische Verzweiflung. Sie wirkte auch ganz komisch.. erregt? Sie wirkte so, als würde sie unbedingt ihren Vergewaltiger sehen wollen, was mich anwiderte.
"Du willst deinen Vergewaltiger wiedersehen? Was haben die Darachs und das Leben deiner Familie damit zu tun?" Ich traute mich schon fast nicht, die Frage auszusprechen.
"Ganz einfach." Sie lachte, als der Nagual ihren Kiefer packte und in die Höhe riss. Der Mann sprach zwar für sie, aber es schien, als würde er ihre Botschaft vermitteln. "Ihr Vergewaltiger ist einer unserer Anführer. Der König der Hybriden, Jason Whitenight." Und als er diese Worte sagte, schlug er seine Zähne in den Nacken meiner Schwester. "Mal sehen, wie gut du dich im Kampf anstellst." Mit diesen Worten stieß er Hayley zu den Alliierten und verschwand selbst wieder im Schatten des Waldes.
Hayley zögerte, doch als sie wieder ihren Kopf hob, wirkten ihre Augen so leer und leblos, als wäre sie nur eine wandelnde Leiche. Das konnte doch jetzt nicht wahr sein. Würde meine gesamte Familie jetzt sterben müssen?
"Du solltest das nicht sehen." Behutsam packte mich der Mann an Lady Williams Seite an meinem Arm. "Sollte irgendwas schiefgehen, sag, dass Lawrence Morgan nur wieder versagt hat. Sie wissen, was zu tun ist." Als er fertig mit reden war, schenkte er mir noch einen flüchtigen entschuldigenden Blick und schlug mir auf meinen Hinterkopf. Sofort wurde alles schwarz und ich verlor mein Bewusstsein. Ganz toll. Ich bin begeistert. 10/10, würde ich wiederverwenden.

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