"Wir sind wochenlang einen so komplizierten Weg gegangen und sie zeigen uns einfach eine simple Alternative. Das ist erstaunlich." Fasziniert rückte Jayden seine Brille zurecht und schaute vom Eingang eines Waldpfades zu dem Blackstorm-Haus, das über den Baumkronen zusehen war. Als wir die Stadt erreicht hatten, verwandelten wir uns sofort wieder zurück. Doch bevor wir weitergehen konnten, musste Jayden sich erstmal über den Weg freuen.
"Ich bin mir immer noch nicht im Klaren darüber, warum mich mein Vater weggeschickt hat. Soll ich etwa persönlich mit euren Vorgesetzten reden? Oh Lord-" Ich schlug mir die Hand vor den Mund, während wir uns bereits in Bewegung gesetzt hatten, um die Basis zu erreichen. "Bitte sag mir, dass meine Mutter nicht mit ihm zusammen ist." Überdramatisch hielt ich mir die Ohren zu. "Ich will davon gar nichts wissen. Wieso, Vater? Wieso?"
Es sollte nur ein Witz sein, da es mir eigentlich relativ egal ist. Meine Eltern sind erwachsen und können machen, was sie wollen. Ich bin keinen zehn mehr und ekel mich deswegen auch nicht. Doch Jayden schien das nicht ganz zu verstehen. Für jemanden, der fast dreißig ist, stellte er sich in sozialer Interaktion ziemlich pampig an. "Madam Caliria Miyarayo ist tatsächlich nicht bei Sir Peter Blackstorm, wenn euch das beruhigt. Sie hat sich mit einer Gruppe erfahrener Kitsunes auf die Suche nach ihrem Sohn gemacht. Sie wird veraussichtlich die nächste Zeit außer Haus sein."
Ich kniff leicht meine Augen zusammen und rümpfte meine Nase. Es war zwar gut zu wissen, dass meine Mutter unterwegs war, aber glaubte er wirklich, dass ich mit einer so übertriebenen Geste auf etwas derartig triviales reagieren würde? Aber ich sagte nichts, sondern schaute nur weg.
James hatte eine ähnlich Art auf Witze oder Sarkasmus zu reagieren. Es war besonders lustig, wenn Kouhei ihm mit Sarkasmus und Ironie begegnete und James das für bare Münze nahm. Es kam deswegen schon oft zu einem Streit beider und Lacher unsererseits. Dieser Mann hatte das gleiche Potential für mich.
"Das ist unsere Basis." Mit einer ausfallenden Bewegung trat Lawrence vor und zeigte auf ein großes Tor. Es sah relativ schlicht aus und wirkte mehr, wie ein Mittel zum Zweck. Dahinter standen viele Zelte und Tische mit diversen Waffen darauf. Es war eindeutig, dass es sich hierbei um ein Lager von Kriegern handelte.
Als wir das Gelände betraten, vernahm ich sofort den starken Geruch von Blut und Schweiß, aber etwas anderes hätte ich nicht erwartet. Es war mittlerweile Frühling und erstaunlich warm für diese Jahreszeit. Viele liefen auch schon in T-Shirts rum, was ich komplett nachvollziehen kann. Isabelle hätte das überhaupt nicht verstanden. Sie war eine richtige Frostbeule. 21°C waren für sie die perfekte Temperatur und alles darunter oder darüber war für sie unerträglich. Werwölfe waren zwar robuster gegen extreme Temperaturen, aber das bezweifelte ich durch Isabelle sehr oft. "Dort befindet sich das Lager unserer Vorgsetzten." Lawrence packte meine Schultern und schob mich etwas in die Richtung vieler Zelte. Ich lief dadurch automatisch mit, da ich nicht hinfallen wollte und hörte das schockierte Atmen von Jayden. Ich konnte mir denken, was er sich dachte: Wie kann er sie einfach so unerlaubt berühren? Die Antwort war simpel. Ich vertraute Lawrence.
Jedoch ignorierte ich den verwirrten Kommandanten und betrachtete einige rote Zelte. Es gab viele Zelte mit diversen Farben und ich konnte mir vorstellen, dass alle Trainierenden hier auch übernachteten. Rot stand dann wohl für den Anführer. Ich wette, es war die Idee eines Werwolfes, da rot für uns die Farbe der Alpha ist. Nur ein Alpha und seine Erben besaßen dieses dominante Rot, das sich in die Seele anderer brannte und sie entweder in der Licht führte oder sie in die Dunkelheit riss.
Ich roch, wie die einzelnen Zelte von Kitsunes, Kojoten, Werwölfen, Naguals und Menschen besiedelt waren. Jede Spezies hatte ihren eigenen Geruch und ich fragte mich, wie ein Wendigo roch. Sie waren vom Aussterben bedroht, weshalb ich noch nie einen gesehen habe, aber es interessierte mich sehr. Lawrence mag zwar ein Morgan sein, aber ist und bleibt ein Werwolf.
Langsam ließ Lawrence meine Schulter los und ich wollte weitergehen, aber er packte mich sofort wieder am Arm. "Willst du nicht zu den roten Zelten und mit Yako-Sama und Sir Henry reden?" Verwirrt starrte er mich an.
Das war also ernst gemeint? Ich hatte eigentlich vor Marco und die anderen zu besuchen. "Ja..." Sagte ich schließlich missmutig und wollte die beiden schon verlassen, doch drehte mich noch schnell um, ehe sie verschwinden konnten. "Wenn ich hier fertig bin, wo finde ich euch dann? Wo würde Marco auf mich warten?"
Jayden wirkte ehrlich überrascht und für einen Moment fragte ich mich, warum er so reagierte. Wusste er überhaupt, wer ich bin?
"Wir warten hinten auf dich." Wieder streckte Lawrence seinen Arm aus und dieses Mal konnte ich seinen Arm genau betrachten. Er war voller kleiner Narben und ich fragte mich, ob das Training von Werwölfen immer damit endete, dass der ganze Körper vernarbt war. Jedoch wanderte mein Blick von seinem Arm zu einem orangenen Zelt. "Das ist praktisch der Teil der Kitsunes und er kämpft dort gerne."
Marco kämpft? Und das gerne? Was habe ich in den letzten Wochen verpasst? Ich habe zwar mitbekommen, dass er sich verändert hat, aber das war sehr erstaunlich. Konnte er sich denn schon verwandeln? "Oh..." Platzte es dann plötzlich aus mir heraus, während ich nach hinten starrte und verschiedene schwarze Köpfe von jungen Füchsen sehen konnte. "Ich kann ihn sehen. Aber irgendwie läuft er komisch." Ich ließ meine Nagual-Augen erscheinen und schaute noch mal genauer hin. Natürlich hätte ich auch meine roten Augen nutzen können, aber ich hatte das Gefühl, ich müsste meine Nagual-Kräfte wegen meiner Unwissenheit so oft wie möglich nutzen und das auch in simplen Situationen wie diesen, damit ich sie trainieren konnte. Ich sorgte aber eventuell dafür, dass Jayden Archer noch verwirrter wurde, als er ohnehin schon war. Er hatte mich immerhin schon als Wolf gesehen und ich war mir nicht ganz sicher, ob er von Chimären wusste.
"Ja, er trägt High Heels." Bestätigte Lawrence meine Frage monoton. Wir wussten mittlerweile alle, dass Marco eine Vorliebe für Damenkleidung besaß. Soviel hatte ich noch mitbekommen. Aber warum trug er sie beim Training? Ist das nicht unangenehm? Man muss immerhin viel laufen und ich könnte nicht mal mit einem drei Zentimeter Absatz stehen. "Wunderst du dich?" Ich nickte stumm und schaute mit braunen Augen zu dem Morgan. "Ein Fuchsjunge ist eines Tages auf ihn zugegangen und meinte, er sei nichts weiter als ein kleiner verwöhnter Junge, der mit der Macht seines Vaters, sich alle Vorteile gönnen würde. Er könne sich nicht verwandeln und nur weil sein Vater ihm alles in den Arsch schieben würde, hätte er noch lange nicht das Recht, sich wie der größte Krieger aufzuspielen. Er kann sich ja nicht verwandeln, weshalb viele glauben, er würde sich seinen Erfolg mit der neuen Alpha-Kraft durch seinen Vater erschummeln. Um das Gegenteil zu beweisen, hat Marco ihn zu einem Duel herausgefordert."
"Diese Worte..." Ein unangenehmes Gefühl kam in meiner Brust auf. "Etwas ähnliches habe ich mal Christopher vorgeworfen. Im Nachhinein tut mir das echt leid. Ich kannte seine Situation und Geschichte nicht. Wer war ich, über ihn zu urteilen?" Ich schüttelte diese Gedanken schnell ab und schenkte dem besorgten Lawrence ein Lächeln. Ich wollte nicht an ihn denken. Nicht dann, wenn es eh unmöglich wäre, ihn zu treffen. "Das erklärt jedoch nicht, warum er High Heels trägt. Nicht, dass sie ihm nicht stehen würde."
"Er wurde auch als dreckige Schwuchtel und Transe bezeichnet. Er trägt sie nur aus Jucks, da er ihnen zeigen möchte, dass er sie auch in High Heels mit Leichtigkeit besiegten könnte. Der Junge ist sehr selbstbewusst geworden." Ich konnte den Stolz deutlich in Lawrences Augen sehen und nachvollziehen. Marco hat sich wirklich gut entwickelt. "Aber du solltest jetzt gehen, dann bekomst du vielleicht noch etwas vom Kampf mit."
Sofort nickte ich. Ich wollte die anderen mal in Aktion sehen, Marco nach dieser Erzählung besonders. Es war schon eine ganze Weile her, seitdem ich sie das letzte Mal getroffen habe, da wir alle mit dem Training beschäftigt waren. Ich vermisste sie, aber ohne den Rauswurf meines Vaters hätte ich sie auch in der nächsten Zeit nicht gesehen. Hat er mich vielleicht deshalb rausgeworfen? Wollte er etwa, dass ich etwas Zeit mit meinen Freunden verbringe und etwas mit ihnen unternehme? Aber zu welchem Anlass?
"...und deshalb solltet ihr im Dorf noch mal alles unersuchen. Man kann nie sicher sein." Eine junge Frau erschien in der Öffnung eines roten Zeltes. Sie schaute mich nicht an, sondern war noch mit jemandem im Zelt beschäftigt, aber ich erkannte sie sofort. Ihre langen schwarzen Haare waren mit einem roten Band zu einem eleganten Zopf gebunden und ihre Haltung wies auf Autorität hin.
"Verzeihung?" Vorsichtig trat ich an sie heran und tippte ihr auf die Schulter. Fragend drehte sie ihren Kopf und starrte mich mit ihren undurchdringlichen roten Augen an. "Yako-Sama, ich bin es, Olivia Blackstorm. Ich wollte mich mal mit ihnen unterhalten." Was sagte ich denn? Worüber sollten wir uns unterhalten? Ich wusste noch nicht mal, warum ich mich im Zeltlager unserer Verbündeten befand.
Sie schien meine Unsicherheit jedoch nicht zu bemerken und nickte nur leicht. Aber anstatt mir zu folgen, blieb sie stehen und starrte etwas hinter mir an. Ihr Blick verfinsterte sich und ironischerweise hatte ich das Gefühl, ein Feuer würde in ihnen lodern.
"Henni-Chan." Ein verschmitztes Lächeln erschien auf ihren Lippen und ihr Blick sprühte vor Hinterlist. Sie wirkte nicht feindselig oder bedrohlich, sondern viel mehr so, als hätte man sie zu einem Duel herausgefordert, das sie mit Leichtigkeit gewinnen kann und das nur ihr bewusst wäre. Den Blick habe ich oft bei Christopher gesehen und er sollte bis jetzt immer recht behalten.
"Yakolein." Kam es von der tiefen Stimme hinter mir und ich wusste, dass ich mich im Moment zwischen zwei Gründererben befand, die mich in eine sehr unangenehme Situation drängten. Würde sie nun kämpfen? Würde sie gleich rummachen? Gibt es gleich einen Heiratsantrag oder ein Attentat? Ich konnte es nicht so genau sagen und das verwirrte mich sehr.
"Wie ich sehe, sind deine Leute immer noch hier. Tja, wer's kann, der kann's halt. Kojoten sind eben besser als Füchse." Grinsend betrachtete Henry Beaumon Yako Watanabe. Sein Lächeln war überlegen und hatte einen Hauch von Hochmut an sich. Ich kann mich nicht daran erinnern, ihn jemals so erlebt zu haben. Immer wenn ich ihn gesehen habe, wirkte er desinteressiert und zeigte es allen mit zynischen Bemerkungen und abfälligen Gesten.
Kurz zögerte Yako-Sama, doch ballte dann ihre Hand zu einer Faust und überquerte den Abstand zwischen sich und Henry. Mich ignorierte sie dabei vollständig. Ich wollte aber auch nichts sagen, da ich nicht mal wusste, wie ich darauf reagieren sollte. "Wir Füchse sind eben gründlicher als ihr Kojoten, die einfach husch husch machen und wie Maschinen in den Kampf rennen."
Sie stand sehr nah an ihm dran. Sie war um einige Zentimeter kleiner als er und musste ihren Kopf in den Nacken legen, um ihn anzusehen, aber sie wirkte nicht weniger autoritär durch dieses Handeln. "Der kalte Kampf der Kojoten wird dem heißen Temprament der Füchse überlegen sein." Leicht senkte er seinen Kopf und grinste sie mit diesem schlitzohrigen, überlegenden, aber nicht gehässige, Lächeln an. Sie standen sich nun so nahe, dass es nur eine leichte Bewegung von Yako-Sama oder Henry gebraucht hätte, damit sich deren Lippen berührten.
"Willst du es denn ausprobieren?" Yako-Sama stellte sich auf ihre Zehenspitzen und flüsterte dem Kojoten etwas in sein Ohr, was seine Augen weiten ließ.
Ich wollte gar nicht wissen, worüber sie redeten. Ich hob nur leicht eine Hand und schaute sie verlegen an. "Gibt es irgendwas neues zu berichten oder soll ich euch alleine lassen?"
Sofort schnallte ihr Kopf in meine Richtung. Sie schien mich vergessen zu haben und auch Henry wirkte so, als hätte ich ihn aus einer anderen Welt gerissen. "Es gibt nichts. Es stand alles wichtige bereits im Protokoll des Morgans." Nichts an ihrem Auftreten wies auf ihr voriges Verhalten hin. Nur die Tatsache, dass sie an Henry gelehnt war, zeigte ihre... interessante Beziehung.
Als es mir während des Schweigens zu unangenehm wurde, nickte ich nur schnell, senkte den Kopf und lief schnell weg, ohne dass es nach einer Flucht aussah. Ich war mir nicht sicher, ob sie sich jetzt in ein leises Kämmerchen zurückziehen oder einen Kampf auf Leben oder Tod ausfechten werden. Die beiden waren wirklich fragwürdig.
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If I hadn't met you
WerewolfVerstehst du denn nicht, dass es die einzige Chance ist? Töte ihn und ich komme zurück. Töte ihn und ich kümmere mich um das Rudel. Töte ihn und wir werden diesen Feind ein für alle mal los. Es spielt jetzt auch keine Rolle mehr... auch wenn er dein...