Kapitel 24

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"'n Scheiß werd ich. Ich geh nicht zum Unterricht, wenn dieser Pisskopf auch kommt!" Genervt setzte sich Liv auf den Boden und verschränkte die Arme.
"Dude, du musst aber. Das ist unsere erste Stunde Stammkunde, also reiß dich zusammen!" Ich konnte einfach nicht mehr. Jeden Tag quengelte sie rum, dass sie nicht das Haus verlassen möchte. Die Gefahr, den weißen Jungen zu treffen, war ihr zu hoch. Tja, wir gehen nun mal auf das gleiche Internat. Da muss sie jetzt mit Leben. Ich war müde, musste viel lernen und wenn es drei Wochen am Stück so geht, habe ich einfach keine Nerven mehr dafür.
Mit viel Krach wurde ihre Zimmertür wieder geöffnet und ein verschlafener Leon stand in der Tür. Ohne ein Wort zu sagen, ging er auf Liv zu, packte sie unter den Armen und zog sie trotz Prostet aus dem Zimmer. Er schleifte sie den ganzen Weg bis zur Haustür, ließ sie da fallen und ging dann wieder zurück, sich fertigmachen.
"Könnt ihr mich nicht in Ruhe lassen? Jedes Mal wenn ich ihn sehe, könnte ich kotzen!"
"Und ich könnte jedes Mal kotzen, wenn du dich über ihn beschwerst. Wir haben es verstanden, du kannst ihn nicht leide. Liv, ich habe seit drei Wochen nicht mehr richtig geschlafen. Wir sind den ganzen Tag unterwegs und müssen Dinge lernen, die für unser Leben wichtig sind. Ich muss mich jedes Mal dafür verantworten, wenn Marco und dein Bruder bei Kämpfen mitmachen, sich aber nie verwandeln. Für deinen Scheiß habe ich weder Lust noch die Nerven, also halt einfach die Klappe und leide leise, wie jeder normale Mensch!"
Für einige Sekunden starrte mich Liv einfach nur an. Dann schloss sie ihren Mund, als hätte sie sich vorbereitet, etwas zu sagen und drehte sich dann von mir weg. Ich hatte sie zum Schweigen gebracht. Endlich!
"Und wie läuft's mit Olivia?" Fragend gesellte sich Lawrence Morgan zu uns. Die blonden Haare einfach nach hinten gekämmt.
Ohne etwas zu sagen, schauten Marco, Leon und ich zu ihm, nahmen einen großen Schluck Kaffee und schauten dann wieder zu Liv. Sie stand mittlerweile etwas abseits unseres Klassenzimmers für Stammkunde und murrte Zeug vor sich hin.
"Scheinbar fantastisch. Warum sind die beiden eigentlich immer so angespannt? Ich will ja nicht undankbar klingen, aber sie hätte das nicht für mich machen müssen. Ich komme seit Jahren mit dieser Situation klar und auch Alex hat sich nach sechs Jahren daran gewöhnt." Lawrence war ein netter Kerl. Es hieß zwar immer, dass Wendigos dich töten, sobald sie die Möglichkeit dazu haben, aber er war viel zu lieb, als dass er auch nur einer Fliege etwas hätte antun könnte. Er hatte irgendwann davon erfahren, dass Liv sich für ihn eingesetzt hatte und seitdem hing er sehr oft bei uns rum. Das änderte aber nichts an der Tatsache, dass Liv den jungen Whitenight zu verachten schien.
"Sie sind Mates und verdammt anstrengende, will ich da nur mal anmerken!" Ertönte Shangs Stimme. Überrascht drehten wir uns zu unserem Senior, der mit genauso dunklen Augenringen wie James ankam. Durch seine braunen Augen wirkten die noch viel tiefer als bei den meisten von uns.
"Sie sind was!?" Simultan spuckten Marco und Leon ihren Kaffee aus und Lawrence verschluckte sich an seiner Spucke. Jedenfalls wäre das meine einzige Begründung dafür, dass er auch so husten musste.
"Mates. Ihr wisst schon. Diese Seelenverwandten, die sich bis an ihr Lebensende lieben werden und so." Kurz hob Shang seine Schultern und hielt dann Leon eine Tüte hin. "Du hast deine Medikamente vergessen. Stirb mir ja nur. Du bist der einzig akzeptable in unserem Haus." Und mit diesen Worten verschwand Shang. Und wir waren alle verwirrt.
Er hatte grad alle über die Situation von Liv und Whitenight aufgeklärt und dann auch noch was nettes zu Leon gesagt? Wir waren wohl im falschen Film gelandet!
Es war aber sehr wichtig, dass Leon seine Medizin nahm, da er sonst an einer Blutvergiftung sterben könnte. Als er Liv an sich zog und auf den Boden drückte, um sie zu beruhigen, war sie in solch einer Rage, dass sie ihren eigenen Bruder angriff. Normalerweise bahnte sich eine Panikattacke an, wenn sie so zitterte, aber dieses Mal war sie von reiner Wut ergriffen und hatte Leon das Gesicht zerfetzt. Seitdem lief dieser wie ein Ninja rum und musste die Wunden ordentlich pflegen. Aus irgendeinem Grund heilten diese Wunden nicht so gut. Vermutlich lag es daran, dass sie beide Alpha-Kinder waren. Jedenfalls gingen die meisten davon aus, aber ich hatte da eine andere Theorie.
Ich hatte es keinem verraten, aber als Leon Liv von Whitenight losriss, konnte ich ihre Augen sehen. Ich hatte Liv schon mit vielen Ausdrücken in den Augen gesehen, aber noch nie hatten ihre Augen in dieser Farbe geleuchtet. Ich kannte diese Farbe. Als ich in Livs Augen sah, konnte ich sie erkennen. Ich konnte Caliria in ihren Augen erkennen, die ohne zu zögern, meinen Vater ermordet hat. In ihren Augen konnte ich das Funkeln unserer Luna erkennen, vor dem ich mich mehr fürchtete als vor dem Tod.
Ich wusste nicht, mit wem ich darüber reden sollte. Ich wollte erst zu Max gehen, da dieser mein Mate ist, aber es war eine Blackstorm-Angelegenheit, weshalb ich es dann doch lieber für mich behielt. Aber ich wusste eins: Wenn ich mehr über Stammkunde erfahre, dann werde ich auch herausfinden, warum von Calirias Seite aus diese grünen Augen stammten.

"Caliria, was wolltest du uns zeigen?" Und erneut rief mein Vater nach meiner Mutter und wieder erhielt er keine Antwort. Für einen Alpha war er ziemlich ungeduldig.
Aber ich konnte ihn verstehen. Seitdem Auralia den Code für die verschlüsselten Nachrichten der Darachs entschlüsselt hatte, konnten wir uns einen besseren Überblick verschaffen.
Das Darach-Rudel bestand aus mehreren Spezies. Mit Sicherheit waren dort Werwölfe und Druiden dabei und anhand der Art zu jagen, konnte man auch von Kojoten ausgehen. Der Feind hatte sich in unserem Land niedergelassen und scheinbar ein Revier besetzt. Unauffällig und geheim, aber sie infiltrierten uns langsam, aber sicher.
Wir wussten noch nicht so genau, was sie wollten, aber die sogenannten Chimären spielten dabei eine sehr große Rolle. Das Problem war nur, dass keiner so genau wusste, wer die Chimären sein sollten. In unserer Welt gab es keine Wesen, die halb Löwe und halb Schlange waren. Wohinter waren diese Leute her?
Es konnte aber herausgefiltert werden, dass diese Gruppe einen Umschwung will. Sie wollen irgendeine Veränderung und dafür würden sie auch einen Krieg beginnen. Aber was genau sie wollten, weiß keiner. In unserer jetzigen Lage haben wir einfach zu wenig Informationen über die gesamte Lage unseres Feindes, aber auch über unsere Welt. Um ehrlich zu sein, wussten wir kaum etwas über die anderen Spezies. Wir wussten nur etwas, wenn sich auch in unseren Reihen Vertreter dieser Arten befanden, ansonsten waren wir aufgeschmissen. Das ist auch der Grund, warum mein Vater vor einigen Tagen ein Internat in Japan kontaktiert hatte, um Vertreter der Kitsunes anzufragen. Bis jetzt hatten wir jedoch noch keine Rückmeldung erhalten.
"Es kann losgehen. Ich habe Hinweise!" Mit wehendem goldenen Haar betrat sie das Zimmer und sofort galt aller Aufmerksamkeit ihr. Meine Mutter war wirklich charismatisch.
"Na dann sag uns mal, Weib, was hast du herausgefunden." Er sprach ziemlich unangemessen mit meiner Mutter, aber wir hatten jetzt wichtigere Dinge zu tun, als uns über Tyler Silverstones Art und Weise aufzuregen. Er war der Beta des Whitenight Rudels. Als Blackstorms ist es uns nicht erlaubt, irgendwie über die Methoden der anderen Gründerfamilie zu urteilen.
"Die Darachs reden immer von einem Kind und dass sie es finden müssen. Ein Teil fehlt noch und sie würde sich das zurückholen, was ihnen damals abhanden gekommen ist. Ich habe die Sprache, in der die zweiten Nachrichten geschrieben sind, etwas verlernt, aber das ist der grobe Inhalt. Einige Wörter sind mir fremd, aber das sollte für den Anfang reichen. Sie sind aber nicht nach irgendeinem Kind hinterher. Sie suchen eins, dass sie damals schon gefangen hatten und das ihnen entflohen ist." Meine Mutter griff hinter sich und mit einer unglaublichen Gelassenheit warf sie den Schädel eines älteren Mannes vor Marcels Füße. "Erkennst du diesen Mann?"
Verwundert bückte sich mein Patenonkel und schaute sich den Kopf genauer an. Dann weiteten sich seine Augen. "Das ist doch der Wolf, welcher-"
"Welcher Olivia im Wald gefunden hat." Unterbrach mein Vater ihn schockiert.
Mein Herz blieb stehen. Sie waren hinter Livvy her? Aber warum sollten sie meine kleine Schwester jagen?
"Warum sollten die hinter klein Backstorm her sein?" Verwirrt hob Tyler eine Augenbraue, aber auch wenn er etwas abwertend wirkte, stellte er sich die Frage wirklich.
"Das kann ich dir nicht sagen, aber es sind die gleichen Leute, die mein kleines Mädchen vor zehn Jahren entführt und gefoltert haben. Sie sind die Leute, die an ihrer posttraumatischen Belastungsstörung Schuld sind. Sie haben ihr das angetan und wollen jetzt ihr Werk zu Ende bringen. Es war das Darach-Rudel!" Ich hatte meine Mutter noch nie mit solcher Verachtung sprechen hören, aber ich konnte sie verstehen. Es ging hier immerhin um die Familie.
"Dann müssen wir schnell zum Internat und sie beschützen, ehe sie dort einbrechen!" Entsetzt sprang ich auf. Ich hatte gar nicht bemerkt, dass ich so angespannt war, dass sich die Spannung bis in mein Kreuz zog.
"Das geht nicht." Entschuldigend sah mich meine Freundin an. "Das Internat ist von Schutzschilden der Druiden umgeben. Ich habe sie gespürt, als wir das Tor passiert haben. Es kommen dort keine ungebetenen Gäste rein. Sie ist vorerst sicher, aber wir sollten uns trotzdem Gedanken machen."
"Nach der Weihnachtsfeier sind Besucher erlaubt. Wir könnten sie im Winter besuchen. Leider ist erst zu der Zeit die Kontaktsperre zur Außenwelt behoben." Überlegt Marcel laut und wir stimmten ihm zu. Das war vermutlich unsere einzige Möglichkeit, Livvy irgendwie zu beschützen und derweil würden wir uns um weitere Informationen kümmern.
"Woher weißt du von den Schutzschilden? Werwölfe sollten die nicht spüren können und ein Vertreter einer anderen Familie könnte auch nicht das Grundstück betreten." Misstrauisch musterte Tyler meine Freundin.
Doch sie zuckte nur mit den Schulter. "Lieber Lord Silverstone, mein Name ist Auraulia Gray und ich bin der Erbe der Druiden. Ich gehöre zur Gründerfamilie, weshalb mir das Betreten des Internats erlaubt ist."

If I hadn't met youWo Geschichten leben. Entdecke jetzt