Kapitel 66

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"Hey Kleiner, was machst du da?" Neugierig schaute mir Jintarou Sato über die Schulter. Es war zwar mein Senpai, aber verhielt sich eher wie ein kleiner Bruder. Ich hatte zwar keine Geschwister, aber ihn würde ich schon als einen Bruder sehen.
"Es ist unhöflich, auf die Nachrichten anderer zu schauen, Aniki." Grisend steckte ich den Zettel ein und verschränkte die Arme vor der Brust. Es war eigentlich nichts besonderes, sondern nur ein Dankesschreiben der Watanabes. Aber ich wollte ihn ein wenig ärgern und neugierig machen.
Nachdem ich den Watanabe-Geschwistern mit viel Mühe und Not die Nachricht der schwarzen Wölfe übermitteln konnte, wurde mir von Watanabe-Dono, dem Vater der beiden, höchstpersönlich gedankt. All der Stress und all die Bedenken waren das aber wert.
Watanabe-Dono war wie ein König für uns. Er war ein echter Kyuubi und somit einer der stärksten Kitsune überhaupt. Wenn ich mir etwas wünschen könnte, dann von ihm unterrichtet zu werden. Aber als Anführer eines gesamtes Clans oder vielmehr einer gesamten Gesellschaft hatte er viel zu viel zu tun und konnte sich nicht mit uns abgeben. Das waren jedenfalls seine Worte, als ich ihn darum bat, mich als seinen Schüler aufzunehmen. Ich hätte meinen Wunsch vielleicht klüger einlösen sollen.
Watanabe-Dono zeigte seine Dankbarkeit nicht mit Emotionen oder Zuneigen, auch nicht mit Geld oder Geschenken, sondern mit einem Wunsch. Wenn das natürlich der Wunsch der Person war, dann würde er uns auch Geld geben. Er gewährte uns einen Wunsch, sollten wir eine gute Arbeit geleistet haben. Meinen Wunsch habe ich aber nur in den Sand gesetzt und anschließend einen einfachen Dankesbrief erhalten.
Was sollte ich damit jetzt tun? Ihn an die Wand hängen?
Während ich in meinen Gedanken vertieft war, legte sich Jintarou Sato neben mich auf den Boden. Ich hielt nicht viel von Plätzen, wo sich viele Menschen befinden, weshalb ich die Essensräume vermied, aber ich erwartete nicht, dass Aniki mir folgen würde. Doch er verbrachte jede Pause mit mir zusammen.
Ich war mittlerweile zwölf Jahre alt und Aniki würde balt 15 werden. Warum war er bei mir? Hatte er keine anderen Freunde?
"Ich kann zwar keine Gedanken lesen, aber dein Gesichtsausdruck verrät alles." Grinsend öffnete er seine Augen und funkelte mich mit dem typischen Rot an. "Ich verbringe hier meine Zeit, weil ich das möchte. Wenn du mich nicht ertragen kannst, dann geh. Aber ich werde hier sein, wenn ich Zeit mit meinem kleinen Bro verbringen möchte."
Leicht verzog ich meine Lippen. In der Kitsune-Akademie war es nicht Gang und Gebe, dass man sich mit seinen Mitschülern verstand. Es kam sogar erstaundlich selten vor, dass sich irgendwelche Gruppen bildeten, da wir Füchse kaum wert auf diese Bindungen legten.
Aniki und ich dagegen genossen die Zweisamkeit. Das ist auch einer der Gründe, weshalb ich die Zeit mit den Watanabe-Geschwistern nicht unerträglich fand. Hyaku-Sama war zwar schwierig, da er für seine selbstmörderischen Tendenzen und sein respektloses Verhalten bekannt war, aber Yako-Sama war anders.
Sie war erstaunlich liebevoll, wenn man ihre Rationalität bedachte und irgendwas an ihrer Art bewunderte ich. Sie ist ein unglaublicher Fuchs und ich hoffe nur das beste für sie.
Wenn sie wieder zurückkehrt, werde ich ihr meinen Namen verraten! Ein Name hält viel Macht und sollte nicht leichtfertig jeden beliebigen preisgegeben werden, aber sollte mich Yako-Sama darum bitten, würde ich ihr sofort jede Frage beantworten.
"Hast du eigentlich schon von den Neuigkeiten gehört?" Fragend betrachtete mich Aniki aus seinen halbgeschlossenen Augen.
"Welche Neuigkeiten?" Ich legte nicht viel wert auf Gerüchte. Für eine Gemeinschaft, die kaum Bindungen eingeht, wurde sehr viel gesprochen und das nicht immer auf moralischen vertretbaren Wegen. Ich war auch schon Thema der Akademie und kann daher sehr gut auf weitere Gerüchte verzichten.
'Der jüngste Fuchs an der Akademie, der sechs Schweife meisterte. Ist er vielleicht ein Watanabe-Bastard?' Auf all das kann ich verzichten. Ich war nur schnell im Lernen und hatte keine schlechte Auffassungsgabe, weshalb ich sehr früh vier Schweife besaß. Mit jedem Tag Training gelangt man einen Schritt näher an neun Schweife heran.
Wenn ein Fuchs stark genug und ausgewachsen ist, wird sein Fell weiß und er wird neun Schweife besitzen. Das ist die Maximalanzahl und Füchse mit dieser Anzahl werden als Kyuubi bezeichnet. Jedoch gibt es heutzutage nur noch in der Watanabe-Familie Kyuubis.
Die meisten Füchse sind auch nicht mehr so langlebige wie damals. Viele erreichen nicht mal das 220. Lebensjahr, was für damalige Verhältnisse noch recht jung war. Jedoch erlernen wir viele Techniken früher und schneller. Ich bin demnach nur ein Schnelllerner und kein Bastard der Königsfamilie, den Watanabes. Ich kenne meine Eltern zwar nicht, aber ich bin definitiv kein Watanabe! Mein Name ist immerhin...
"Himiko." Verwirrt starrte ich Aniki an. Wer soll Himiko sein? Anscheinend sprach mein Blick für sich, da Jintarou Sato sich erhob und mir seine Hand reichte. "Himiko ist eine lebende Legend unter den Füchsen. Mich überrascht, dass du noch nie etwas von ihr gehört hast. Sie ist immerhin der einzige Kyuubi außerhalb der Watanabe-Familie."
Diese Worte überraschten mich so sehr, dass ich Anikis Hand losließ, während er mir hochhalf, und ich gegen die Wand knallte. Doch das war mir egal. "Es gibt einen weiteren Kyuubi!?"
Lachend nickte Aniki. "Ja, du bist echt niedlich, wenn du aufgeregt bist." Eine leichte Röte schlich sich auf seine Wangen, aber er reichte mir wieder seine Hand, welche ich ergriff und mich dieses Mal auch wirklich hochzog. "Ich weiß nicht, warum, aber sie ist hier und soll uns unterrichten. Sie besitzt immerhin mehr Wissen und Erfahrung als alle Lehrer hier. Wie stammt immerhin aus der alten Zeit und ist somit hunderte von Jahren alt! Es heißt, dass sie jede Gestalt annehmen kann, jedes Element beherrscht, Körper mit Leichtigkeit übernehmen, Illusionen erschaffen kann, als sei es eine Schleife, die zu binden ist und sie soll ebenfalls, wie ein Engel, fliegen können. Und so eine Person soll uns unterrichten kommen!"
Ich konnte es nicht glauben. Ich wollte es durchaus glauben, aber so ein Zufall war doch unmöglich! Oder hatte Watanabe-Dono meinen Wunsch doch erfüllen wollen und hat deshalb einen anderen Kyuubi angeheuert? War das überhaupt möglich?
"Glaubst du, dass das stimmt?" Misstrauisch zog ich meine Augenbrauen zusammen und beobachtete, wie Aniki sich leicht am Hinterkopf kratzte. "Warte." Sofort hielt er in seiner Bewegung inne und schaute mich fragend an. "Du bist nicht Jintarou Sato."
Die Person vor mir zögerte. Und dann erschien ein breites Grinsen auf ihren Lippen. "Woher weißt du das?" Seine roten Augen wirkten nun gerissener, wachsamer und älter. Sein Gesicht erinnerte nicht mehr an den schelmischen Jintarou Sato, sondern an einen richtigen Fuchs. Gerissen, trickreich und gefährlich.
"Aniki macht sich immer über mich lustig, wenn ich misstrauisch werde oder nicht auf seine Worte vertraue. Er sagt dann immer, ich sei viel zu engstirnig und berührt mit einer leichten Bewegung meine Stirn. Außerdem würde er nicht wegen mir rot werden." Ich verschränkte meine Arme und wartete auf eine Antwort. Ich mag zwar jung sein, aber ich bin nicht dumm.
Diese Gestalt von ihm war jedoch täuschend echt. Die Haare hatten den selben wirren Grauton, den Aniki besaß. Er hatte sich vor einigen Wochen die Haare gefärbt, um etwas aus der Masse zu stechen. Er wollte sich die Haare weiß färben, da das die Fellfarbe der Kyuubis ist, aber die Farbe wusch sich sehr schnell raus und es blieb nur ein wirrer Grauton zurück. Seine Augen hatten auch vor der Enthüllung den gleichen schelmischen Glanz. Wenn ich Aniki nicht kennen würde, wäre diese Person mit ihrer Lüge durchgekommen. Aber welcher Fuchs war zu so einer Täuschung in der Lage?
"Wer bist du?" Ich trat einen Schritt zurück und bedachte die Person mit Vorsicht. Sie mag zwar ein Fuchs sein, aber nicht jeder Fuchs ist so gut auf die Akademie zu sprechen. Ich musste vorsichtig sein.
"Kannst du es denn nicht sehen?" Leicht zuckten die Mundwinkel der Person in die Höhe. Es war das Gesicht meines Senpais, aber er steckte nicht hinter dieser Maske. Und dann fiel sie ab.
Der fragwürdige Grauton wirkte wie Farbe, die aus nasser Kleidung gewaschen wurde und zurück blieb ein sauberes Weiß, eine Farbe, die mit dem Schnee oder den Flügeln von Engeln verschmolzen wäre. Die Person schrumpfte etwas und die Getalt Jintarous fiel wie zu große Kleidung ab und hinterließ die zierliche Gestalt einer Frau, die nicht viel älter als Yako-Sama wirkte.
Und als die Person in ihrer wahren Gestalt mir in die Augen sah, wurde es mir klar. Diese unverkennbare Schönheit war ein Zeichen der Kitsunes der alten Zeit. Ihre weißen Haare und diese roten und flammenden Augen machten es für jeden offensichtlich. Die Person vor mir war niemand geringeres als der Fuchs aus ihren eigenen Erzählungen.
Diese Frau war der Kyuubi Himiko.
Sofort fiel ich auf meine Knie. Ich hatte mit einer derartigen Person niemals gerechnet. Was wollte sie hier?
"Du musst dich nicht auf den Boden werfen. Verrate mir lieber, was du begehrst." Wieder legte sie ihren Kopf schief und schenkte mir dieses schelmische Lächeln, das mir zeigte, dass sie mehr wusste, aber mir gerne das Handeln überließ.
Ich zögerte. Was sollte ich nun sagen? "Ich will..." Diesmal sollte ich es mir gut überlegen. Ich kann nicht einfach sagen, ich will von euch lernen. Ich muss das klüger angehen. Was begehrt mein Herz? "Ich will... ich will stärker werden. Ich will so stark werden, dass ich eine gewisse Person unterstützen kann. Ich möchte sie beschützen."
Himiko-Dono hockte sich elegant vor mich und nahm mit ihren sanften Fingern mein Kinn. Vorsichtig hob sie mein Gesicht und betrachtete mich mit ihren Augen, in denen ein stetiges Feuer brannte. Kitsune in ihrer Fuchsform besaßen ebenfalls diese Flammen, aber mir sagte etwas, dass das nicht die Augen ihres Fuchses waren. Himiko-Dono schien so mächtig zu sein, dass sie nicht mal ihrmehrn Fuchsgeist verstecken konnte. "Du konntest meine Verwandlung durchschauen und hast mit zwölf Jahren schon sechs Schweife. Ich setze meine Hoffnungen liebend gerne in dich. Watanabe-Kun hat mir von einem talentierten Fuchs erzählt, der von einem Kyuubi unterricht werden möchte und ich nehme dich liebendgerne als mein Schüler auf." Elegant erhob sie sich und schaute mit einer unumstößlich Zuversicht zu mir.
Ich wollte für Yako-Sama stark werden. Ihre Augen waren so einsam und leer. Sie wollte nicht, wie ihr Vater sein. Sie wollte, wie die Menschen, eine Familie und in Glück leben. Doch unsere Welt war grausam und brauchte eine Führungskraft, welche nun mal Yako-Sama war. Ich wollte ihr jedoch ein Leben ermöglichen, das ihr auch Glück gewährte.
Ich werde auf sie warten und für sie stärker werden. Für sie, meine Königin, mache ich das liebendgerne.
"Wie sieht's aus, kleiner Fuchs?" Lächelnd reichte mir Himiko-Dono ihre Hand und dieses Mal nahm ich sie nicht als ein Fremder an, sondern als ihr Schüler. Ihr Grinsen wurde breiter, als ich ihr Angebot, ohne zu zögern, annahm. "Ich freue mich schon. Aber verrate mir doch bitte deinen Namen, kleiner Fuchs."
Überrascht zögerte ich. Das waren die Worte, die ich von Yako-Sama bei ihrer Rückkehr hören wollte. Doch nun galt meine Antwort meinem Sensei. "Mein Name ist..."

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