Kapitel 67

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Ich stand in einem weißen Raum. Hier war nichts. Keine Inneneinrichtung, keine Menschen und auch kein Ende. Es war alles nur  weiß. Jedoch war es zu meinem Erstaunen kein grelles Licht oder so. Es war sogar einladend und angenehm. Im Gegensatz zu diesem erstickenden  Schwarz war dieses Weiß unglaublich entspannend.
Ich setzte mich etwas in Bewegung, aber es schien kein Ende zu haben. Alles sah gleich  aus, aber ich machte mir komischerweise keine Sorgen. Dann war es eben so, aber was sollte so schlimm daran sein?
Schockiert blieb ich stehen. Ich konnte mich nicht daran erinnern, wie ich hierher gekommenn bin. Wo war ich eigentlich und was tat ich hier? Wollte ich was machen?  Warum war ich hier? Warum ist hier niemand?
"Olivia." Eine vertraute Stimme drang durch den Raum und ließ ich zusammenfahren. Sie war zwar laut und bestimmt, aber ich fürchtete mich nicht. Ich erschrak nur, da  es so unerwartet kam. "Olivia, komm zu mir." Wieder erklang die Stimme und ich setzte mich sofort in Bewegung.
Wenn mir die Person, die diese Stimme besitzt, sagen kann, wo ich mich befinde, finde ich  vielleicht auch einen Weg hier raus. "Was soll ich machen?" Schrie ich, während ich rannte. Es fühlte sich zwar so an, als würde ich mich nicht von der Stelle bewegen, aber die Stimme wusste bestimmt, was ich machen sollte.
Doch dann spürte ich Widerstand und fiel zurück. Verwirrt  hielt ich mir meine Stirn. Ich bin gegen irgendwas gerannt, aber was war  da? Es war alles nur weiß und leer. Aber da war doch irgendwas.
"Öffne die Tür." Wieder erklang die Stimme und diesmal wirkte sie eindringlicher. Sollte ich mich beeilen? Klang sie ungeduldig? Verwirrt erhob ich mich und griff in das Weiß. Wenn sie von einer Tür sprach und ich sie nicht sehen kann, muss sich hier irgendwo ein Widerstand oder etwas Unsichtbares befinden.
Und tatsächlich stieß meine Hand auf Widerstand. Aber dort war kein Türknauf. Es war nur eine unsichtbare Barriere, die ich nicht hätte öffnen können. "Hier ist keine Tür! Was soll ich tun?" Meine Stimme hallte laut durch diesen Raum, doch ich erhielt keine Antwort.
Was soll ich tun? Ich komme doch ohne eine Tür nicht raus. Obwohl.
Langsam tastete ich die Barriere ab und als ich mir sicher war, dass sie sich vor mir befand, schlug ich zu.
Immer und immer wieder prallte meine Faust auf die Barriere und zu meiner Überraschung spürte ich keinen Schmerz. Meine Hand brach nicht, meine Knöchel platzten nicht auf und auch sonst trug ich keinen Schaden davon. Und nach dieser Erkenntnis wurden meine Schläge härter. Ich musste hier raus. Ich musste zu dieser Stimme!
Ich stoppte.
Warum?
Verwirrt starrte ich die Barriere an.
Warum bemühe ich mich so? Was erwartet mich denn? Ich kann mich nicht erinnern. Was tue ich hier? Wer hat mit mir gesprochen?
Schockiert wich ich zurück.
Wer bin ich eigentlich?
Plötzlich regte sich etwas. Das unendlich Weiß nahm eine Form an. Es war, als würde Tinte in klares Wasser gelangen und dann aufwirbeln und sich damit vermischen.
Eine dunkle Masse wirbelte in der Barriere herum und nahm eine deformierte Form an. Ich konnte nicht genau sagen, ob diese Form rund oder eckig sein sollte, aber sie war definitiv da. Und dann färbte die Form sich.
Es war ein Blau. Ein eiskaltes und unerbittliches Blau. Irgendwas daran bereitete mir eine heiden Angst. Es war, als würde es mir direkt in die Seele starren und jedes meiner Geheimnisse entdecken.
Ich fühlte mich entblößt.
Ich wollte fliehen, aber das Blau erschien plötzlich überall. Eine Eiseskälte umhüllte mich, packte meine Glieder, drang in meinen Körper und meinen Verstand.
Ich konnte mich nicht mehr bewegen und wurde einfach von dieser Kälte verschluckt.
'Du wirst deine eigenen Fähigkeiten fürchten lernen.'
Die Worte drangen plötzlich in meinen Verstand. Ich wusste nicht, was sie bedeuten sollen, aber es war das erste, an das ich mich erinnern konnte. Wer hatte diese Worte gesagt? Ich wusste es nicht. Was sollen sie bedeuten? Ich wusste es nicht. Was sollen sie mir sagen? Ich wusste es nicht.
Aber sie gaben mir Kraft.
Verzweifelt begann ich, meine Finger zu rühren. Ich musste mich bewegen! Ich darf hier nicht erfrieren. Panisch riss ich meinen Kopf in die Höhe und rannte los.
Ich musste zu dieser Barriere!
Das Blau packte meine Schultern, doch ich stieß es von mir weg. Die Stimme klang genauso, wie die Worte in meinen Erinnerungen. Ich musste sie erreichen!
Und mit letzter Kraft erreichte ich die Barriere, die Tür aus diesem Alptraum. Meine Faust schoss mit all meiner Kraft in die Höhe und gegen die Barriere.
Ich hörte ein Knacken und ein Brechen und die Barriere zerbrach.
"Olivia?" Schockiert drehte ich mich um und starrte in die Augen meiner Schwester. "Was hast du getan?" Aus ihren Augen sprach Furcht. Es war eine unverkennbare Angst, doch ich wusste nicht, wem sie galt.
Wie bin ich aus dieser Welt gekommen? Warum fürchtete sich Jiaki so? Und warum hatte sie Blut am Mund zu kleben.
Langsam hob meine Schwester ihre Hand und zeigte auf etwas neben mir. Sofort folgte ich ihrem Befehl und schaute auf das, was hinter mir war. Und mir blieb die Luft weg.
Ich erinnerte mich wieder, dass mein Vater uns zum Trainieren zu verschiedenen Orten schickte. Mein Trainingsraum war eine Art Bunker für Jungtiere. In diesem Raum wurde vor all den Jahren meine Schwester gesteckt, als sie sich das erste Mal in einen Nagual verwandelte und alles und jeden angreifen wollte.
Diese Räume sind genau für diese Zweck ausgerichtet und dementsprechend auch sehr stabil. Die Wände sind aus sehr hartem Metall gebaut und würden jeder Explosion standhalten, doch als ich mich umdrehte, wurde ich eines Besseren gelehrt.
In der Wand, die zuvor von Kerben und Bissspuren gezeichnet war, klaffte ein riesiges Loch. Das gesamte Metall lag zertrümmert zu meinen Füßen und ich konnte direkt durch die gesamte Wand starren. Die Tür war aus den Angeln gerissen und ich war mir sicher, dass diese Tür noch stabiler gewesen ist als die Wand selbst.
Doch alles lag zerstört am Boden. Ich hätte ganz entspannt durch dieses Loch den Raum verlassen können. Wer hat so etwas getan?
Verwirrt blickte ich zu meinen Füßen. Ich stand in einer Blutlache.
"Was hast du getan?" Hauchte meine Schwester wieder hinter mir und als ich meine Hand nach ihr ausstrecken wollte, um ihr zu versichern, dass ich nichts damit zu tun habe, fror ich in meiner Bewegung ein.
Meine gesamte rechte Hand wirkte wie ein einziger Trümmerhaufen aus Blut und Fleisch. Aus meinem Arm ragte ein Knochen, von dem ich mir sicher war, dass er nur durch rohe Krafteinwirkung in der Art hätte brechen können.
Ich hatte diese Wand zerstört.
Der Schmerz zog mich auf den Boden. Ich wollte nicht schreien, aber als ich mich vor Schmerz krümmte, konnte ich es nicht unterdrücken. Es drang, wie ein Knurren, aus meiner Kehle, als ich den brennenden Schmerz in meiner Schulter spürte. Es fühlte sich so an, als würde mein Arm bei der nächsten Bewegung abreißen.
"Was ist passiert?" Keuchte ich, als ich nach Halt suchte, aber nur zusammenbrechen konnte.
"Ich wollte dir nur zeigen, dass der Biss der Naguals seine Gegner in einen Trancezustand schickt und man ihnen dann alles befehlen kann. Du solltest nur dir Tür öffnen und nicht die gesamte Wand zerstören. Ich konnte dich nicht aufhalten. Du warst wie eine wilde Bestie! Du warst von so einer unglaublich dunkeln Gewalt erfasst. Ich hatte das Gefühl, in die Dunkelheit und den Abgrund der Hölle selbst zu blicken, als ich dich anschaute." Ich wusste nicht, was Jiaki gesehen hatte, aber diese pure Angst auf ihrem Gesicht bewies mir, dass es etwas grauenerregendes gewesen ein musste. Meine Schwester musste ein Massaker miterleben, aber bei keiner ihrer Erzählungen hatte sie diese Angst in ihren Augen gehabt.
"Kiki?" Eine verwirrte Stimme erklang hinter uns. "Was habt ihr getan? Livvy!" Die besorgte Stimme wandelte sich in ein schrillen Schrei um, als sie meinen Namen rief. Und sofort hörte ich eilige Schritte und spürte eine Hand an meinen Schultern.
Jedoch konnte ich nur vor Schmerzen zischen. Ich wollte sie wegstoßen, aber mir fehlte die Kraft. Ich wollte nur, dass es aufhört, aber meine Regenration wollte einfach nicht einsetzen. "Mama... was ist passiert?" Ich spürte die Tränen in meinen Augen, aber ich konnte sie nicht aufhalten. Ich wollte den Schmerz runterschlucken, aber als ich mit meiner linken Hand leicht den herausragenden Knochen streifte, konnte ich nur laut aufschreien.
"Jiaki, wieso tust du das?" Die Panik in der Stimme meiner Mutter erschuf Panik in meinem Geist. Was ist hier los?
"Ich wollte ihr nur unsere Macht zeigen. Sie sollte doch nur lernen. Ich wollte nicht, dass so etwas passiert!" Die Verzweiflung in ihrer Stimme war echt, aber ich hätte nie daran gedacht, ihr die Schuld daran zu geben. Sie hätte nicht damit rechnen können.
"Du kannst einen anderen Nagual nicht beißen. Sie können ebenfalls in die Gedankenwelt anderer dringen. Der Biss sorgt nur dafür, dass deine Gedanken mit den Gedanken und dem Bewusstsein deines Gegenübers verbunden sind. Du bist in der Lage, deine Gedanken zu steuern, dein Opfer ist es nicht. Jedoch sind Naguals die Ausnahmen, da sie die gleiche Fähigkeit besitzen und wenn du nicht aufpasst, könnten sie den Effekt auch einfach umdrehen. Olivia ist zudem auch noch eine Chimäre und ist somit mächtiger als die meisten Naguals." Meine Mutter stoppte und schaute besorgt zu mir. "Was hast du in den Gedanken deiner Schwester gesehen? Welche Emotionen sind von ihr auf dich herübergesprungen? Was hat dich zu dieser Tat getrieben?"
Ich wusste es nicht. Was sollte ich sagen? Ich war alleine in diesem Raum. Da war nichts. Nur diese Barriere und... hechelnd schnappte ich nach Luft und versuchte bei Bewusstsein zu bleiben, aber mein Körper wollte den Schmerz nicht mehr ertragen. Ich schloss meine Augen und versuchte mich zu erinnern. "Es war... eine Farbe." Ich spürte, wie ich vorne über fiel und nun nur noch auf dem Boden lag. "Es war... ein Eisblau." Und ehe ich das Bewusstsein verlor, hörte ich den schockierten Aufschrei meiner Schwester, der mich bis in die Tiefen meiner Träume verfolgte. Dieser Klang von Angst sollte nicht existieren. Diese Furcht war so tiefgreifend, dass sie auf andere überspringen konnte. Und ich wünschte, dass die Person, die dafür verantwortlich ist, dafür ihr Leben gibt.

If I hadn't met youWo Geschichten leben. Entdecke jetzt