Kapitel 103

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"Aufstehen, Bitch!"
"Schnauze, Nagi!" Genervt schleuderte ich mein Kissen in irgendeine Richtung und hoffte, die Quelle der nervigen Stimme zu treffen.
"Ich habe gesagt, dass du aufstehen sollst!" Zwei Hände ergriffen meine Schultern und zogen mich von meiner Matte. "Hast du mich denn nicht gehört?"
Mit Schwung riss ich meinen Ellbogen nach hinten und erwischte den Jungen an seiner Kehle. Schockiert ließ er mich fallen und taumelte hustend zurück. "Ich schwöre dir bei den Drei Königen, irgendwann werde ich dir diesen verdammten Arm rausreißen."
Mit einem Satz sprang ich auf und drehte mich zu dem Jungen hinter mir. "Das will ich sehen, Nagi. Könntest du mich überhaupt fangen?"
Nagi schwieg. "Ich habe auch einen Namen."
"Und dieser interessiert mich nicht." Ich schenkte dem jungen Nagual ein breites Lächeln.
"Ich wecke dich seit mittlerweile vier Monaten und du hast dir nicht einmal die Mühe gemacht, meinen Namen in Erfahrung zu bringen?" Der Nagual sprang ebenfalls auf und drückte zwei Fingerspitzen gegen meine Stirn. "Bist du kernbehindert?"
Ich schlug seine Finger weg und streckte ihm meine Zunge entgegen. "Ich finde Nagi niedlich und ich werde dich weiterhin so nennen. Wer will mich aufhalten? Du?" Lachend stupste ich gegen seine Stirn und machte mich auf in Richtung Badezimmer.
"Nagi ist einfach nur deine Verniedlichung von Nagual. Das ist nicht mal besonders kreativ!" Rief er mir hinterher und kam nach wenigen Sekunden mit einem Handtuch angerannt.
"Und du bist nicht sonderlich kreativ mit deinen Überwachungsvorgängen. Glaubst du wirklich, dass es nötig ist, mich auch beim Duschen zu beobachten? Du Perversling." Lachend nahm ich ihm das Handtuch ab und betrat das Badezimmer.
Zögernd folgte er mir. "Olivia, das tue ich nicht, weil ich es will. Wer würde dir schon freiwillig beim Duschen zusehen wollen? Ich mache das nur, weil es König Michaels' Befehl war. Ich würde lieber in Säure baden, als dir noch einmal beim Ertrinken zu zu sehen."
Ich stoppte in meiner Bewegung und spuckte das Wasser wieder aus. "Was meinst du?"
Entgeistert starrte mich Nagi an und schüttelte nur den Kopf. Dann verschränkte er die Arm und starrte auf den Fußboden, damit ich in Frieden weiterduschen konnte. Das Wasser war erstaunlich warm, wenn man mal bedachte, dass wir uns im Untergrund befanden, aber ich will mich nicht beklagen. Warmes Wasser ist wunderbar.
"Was steht heute an?" Meine Frage riss Nagi wieder in die Wirklichkeit und seine sturmgrauen Augen suchten sofort nach meinen.
Er konnte mich vielleicht nicht leiden, aber er hatte immer so viel Anstand, mir bei einer Unterhaltung in die Augen zu sehen. Ich trocknete mich schnell ab und zog mich an, während er mir meine Termine nannte.
"Das gleiche wie immer eigentlich. Ich werde dich zu den Darachs führen und die wollen wieder nur Blut von dir. König Michaels selbst wirst du wieder nicht kennenlernen können, aber dafür hat sich König Whitenight angemeldet." Er ratterte meine Termine schnell runter, da ich am Tag nie sonderlich viel zu tun hatte.
"Moment." Ich hob meinen Arm. "Was will Jason von mir? Normalerweise hat doch Leonard irgendwas geplant."
"Der Prinz Leonard hat heute etwas mit dem Prinzen Mictlan vor. Wie du weißt, befinden wir uns immer noch im Krieg. Nur weil wir hier feststecken, bedeutet das nicht, dass außerhalb nichts passiert. Die Prinzen sind die Krieger unserer Könige mit dem meisten Potential und auch du bist als unsere Prinzessin von großer Bedeutung, auch wenn ich nicht direkt verstehe, warum das der Fall sein soll."
Ich rümpfte die Nase. "Halt du lieber die Klappe. Dich haben sie nur auserkoren, mich beim Duschen zu beobachten. Lehn dich lieber nicht zu weit ausm Fenster, Nagi. Du hast auch nichts besseres zu tun."
Ein Schuh flog in meine Richtung, dem ich nur knapp ausweichen konnte. "Verschwinde! Ich habe auch besseres zu tun. Jetzt geh zu den Darachs und nerv mich nicht!"
Lachend rannte ich aus dem Badezimmer und lief den kühlen und leeren Gang der Hybriden entlang. In der Zeit, die ich hier verbracht habe, hat sich nichts an dem Zustand dieses Ganges verändert. Obwohl wir drei Chimären hier haben, die der Schlüssel für das Hybridengen sein sollen, konnte noch kein Hybrid geboren werden. Ich wusste nichts von der Arbeit der Druiden und Darachs, weshalb ich sie nie fragte, was das Problem sei. Mich nervte es nur, dass mir ständig Blut abgenommen werden musste. Es war aber besser, als irgendwelche Experimente. Ich hatte gelernt, dass diese Experimente einen ganz anderen Zweck hatten und nichts mit den Hybriden zu tun hatten. Ich wusste immer noch nicht, was der Plan der Darachs war, aber ich hatte immerhin gelernt, dass die Hybriden alle Blackstorms und schwarzen Wölfe auslöschen wollten. Immerhin etwas.
Ich rannte die Gänge entlang und gelangte endlich an das Zimmer, in dem mir immer Blut abgenommen wurde. Ich klopfte beiläufig an der Tür, aber wartete nicht auf die Bestätigung, dass ich das Zimmer betreten dürfte. "Was geht?" Fragte ich locker und warf mich auf die einzige Liege im Raum.
Die Darachs antworteten mir nicht, sondern starrten mich nur mit ihren vollständig schwarzen Augen an. Ich mochte diese Augen überhaupt nicht, aber was sollte ich schon großartig dagegen tun? Sie aus ihrem Kopf graben? Das war keine Option.
Wie immer steckten sie mehrere Nadeln in meine Armbeugen und begannen, mir das Blut zu entnehmen. Ich wusste nicht, wie viel sie immer holten, aber ich wusste, dass es immer nur so viel war, dass ich kurz vor der Ohnmacht stand, aber nie das Bewusstsein verlieren konnte. Man berichtete mir, dass auch meinen Geschwistern das Blut entnommen wird, aber keiner wusste so genau, was der Plan war.
Als die Darachs endlich fertig waren, rannte ich wieder aus dem Zimmer, um Jason entgegenzukommen. Ich mochte ihn von den Drei Königen am meisten. Ich habe Levi Michaels noch nie gesehen, aber ich wusste, dass er für meine und Leonards Experimente zuständig war. Zolin dagegen war ein Vergewaltiger und liebte es zu töten. Von den drei Optionen war Jason dagegen die harmlosteste, der die Hybriden in die Welt setzen wollte.
"Jason!" Mit einem Lächeln betrat ich das Zimmer und rannte direkt gegen eine harte Brust. Ich hatte so viel Schwung, dass ich zurückgeworfen wurde, aber zu meinem Glück fing mich Jason sofort auf.
Mit der gleichen Energie, die ich soeben noch hatte, schrie er auch meinen Namen. "Olivia!" Vorsichtig ließ er mich los und strich seine Sachen glatt. "Warum bist du heute so voller Energie?"
Ich zuckte mit den Schultern, während er das Zimmer verließ und abschloss. "Ich habe nur das Gefühl, heute wird ein wunderbarer Tag. Ich weiß auch nicht."
Er schaute mich mit einer hochgezogenen Augenbraue an, aber hinterfragte es nicht. Wir liefen eine Weile schweigend durch die Gänge, bis er meinem Arm packte und mich in eine Richtung zog, die ich die letzten Monate immer gemieden hatte. "Komm mit."
Ich ließ mich ziehen, auch wenn ich nicht wollte. "Wo willst du hin?" Aus irgendeinem Grund liefen wir auf direktem Weg zum Kerker der Darachs, mit anderen Worten gingen wir in Jiakis Richtung und Jiaki wollte ich auf gar keinen Fall treffen. Ich habe ein paar mal versucht, mich mit ihr zu unterhalten, aber sie hat mich jedesmal ignoriert oder gemieden. Ich war es satt, immer wieder versuchen zu müssen, mich mit ihr zu unterhalte, ohne eine Reaktion zu erhalten.
"Es wird Zeit, dass ich dir einige Fragen beantworte." Als er das sagte, beschleunigte ich sofort meine Schritte. Ich hatte so viele Fragen, was die Taktiken und Pläne der Darachs anging. Keiner wollte mir verraten, wie sie so weit gekommen sind, da mir keiner vertraute, aber es scheint, sie wären jetzt bereit dafür. Als ich meine Schritte beschleunigte, lachte Jason leicht auf. "Ist da jemand wirklich so wissbegierig?"
Ich nickte nur, anstatt mich umzudrehen. Zu zweit betraten wir den Gang des Schreckens. Sofort schlug mir ein starker Geruch von Blut und Tier entgegen. Schockiert hielt ich mir die Nase zu, um mich nicht sofort zu übergeben. "Was ist das?" Angeekelt schaute ich mich um.
"Die Arena. Leonard hat sie dir bestimmt schon mal gezeigt. Setz dich hin und genieße einfach den Kampf nebenbei." Drängelnd drückte mich Jason in eine leere Reihe und setzte sich hin. Die Arena war relativ tief, aber man konnte trodem noch genug erkenne. "Grad eben wurden drei Wölfe von einem starken Nagual getötet, weshalb es hier so riecht. Man gewöhnt sich dran und ignoriere einfach die Schreie um uns herum. Viele Darach-Mitglieder dürfen aus diversen Gründen nicht kämpfen und lassen deshalb hier ihrem Frust raus."
"Warum sind wir dann hier?" Rief ich über den Jubel hinweg, als die drei Leichen aus der Arena gezogen wurde und der Sieger voller Stolz durch den Raum rannte.
"Das wirst du verstehen, wenn das große Finale kommt. Frag mich lieber was." Jason lehnte sich an seine Lehne und starrte gedankenverloren zu dem Gewinner.
Ich hinterfragte es nicht und überlegt kurz. Was wollte ich schon immer wissen? Dann entschied ich mich für eine Frage. "Wie kann es sein, dass die Allianz euch nie finden konnte? Wie habt ihr das gemacht?"
Jason schloss die Augen und atmete leicht aus. "Es fing alles mit dem Massaker der Kyles an. Sie haben uns die Möglichkeit, eine Chimäre zu haben, genommen. Aus diesem Grund ist Zolin zu ihnen gegangen, hat jeden dort getötet und nur ein Mädchen überleben lassen. Das war deine Schwester. Zu seinem Pech hatte aber auch ein weiteres Mädchen, die letzte Jägerin, überlebt. Ihr Überleben hat uns die Chimäre genommen und als sie dann auch noch untergetaucht sind, dachten wir, das war's. Zum Glück wurde deine Mutter dann mit Zwillingen schwanger und wir konnten ein Kind durch unseren Spion austauschen. Wir hatten die Hebamme mit einem Nagual ausgetauscht. Danach hieß es nur noch, auf dich zu warten. Du konntest den Darachs zwar entkommen, aber das war nicht so dramatisch, da wir Leonard hatten. Wir lernten aber schnell, dass wir nur mit einer Chimäre nicht weit kommen würden, weshalb wir dich brauchten. Indem wir Mictlan und Marcel Nolan sagten, sie sollen Nachrichten der Darachs verteilen, konnten wir Jiaki und die kleine Kyle aus ihrem Versteck treiben. Mictlan hatte zu unserem Glück die Esche zerstört, weshalb alle dachten, wir würden Lupus Luna übernehmen, aber das war eigentlich nur Teil unseres Plans, die beiden Damen nach Lupus Luna zu bringen. Nicht wir sollte dich aus diesem sicheren Versteck treiben, sondern deine eigene Familie sollte das. Und wir siegten sogar. Mictlan hatte dann sogar einen Grund, euch zu verlassen und zu uns zurückzukehren. Jedoch kam uns Tyler Silverstone zuvor. Ich hatte vergessen, dass mein Beta einen unglaublich hohen IQ hat und die Hinweise zu gut versteht. Er hat viel zu schnell bemerkt, dass Marcel unser Spion war. Zum Glück hatten wir aber noch eine weitere Quelle, die uns berichten konnte, was bei euch passiert und Marcels Tod war ein guter Vorwand für uns, euch den Krieg zu erklären. Durch diese Kriegserklärung habt ihr euch alle zusammengefunden und eine große Allianz bedeutet, dass es viele Wesen auf einem Haufen gibt, an denen die Darachs experimentieren können. Wir wollen eigentlich keinen Krieg. Wir wollen nur, dass die schwarzen Wölfe sterben. Jedenfalls für's erste. Ihr habt uns auch etwas geholfen, als ihr Nalawe verlassen habt, um 'Leonard' zu retten. Da ihr nicht mehr in Nalawe wart, gab es einen Feind weniger und ich und Levi Michaels konnten die Allianz vor vier Monaten angreifen und die Kojoten ausschalten. Danke dafür."
Ich war schockiert. Wer hatte das alles geplant? Ich wäre schon schockiert gewesen, wenn ihr Plan nur war, mich aus Lupus Luna zu drängen, aber dass sie wussten, dass meine Familie mich aus Lupus Luna drängen wurde, zeugte von einem sehr intellekten Strategen unter ihnen. "Aber wer war die andere Quelle, die euch auf dem Laufenden hält?"
Jason öffnete seine Augen und starrte mich mit leuchtend roten Augen an. "Wir haben sogar zwei. Der eine weiß nichts davon. Sein Name ist Eric Goldenforest. Ich hatte vor einigen Jahren etwas mit seiner Schwester. Die Darachs konnte etwas in sein Unterbewusstsein pflanzen, das ihn dazubringen wird, den Ripper loszulassen. Die zweite Quelle kennst du sogar. Dank ihr erfuhren wir sofort, dass Marcel Nolan tot war. Kannst du erraten, wie wir das gemacht haben?"
Ich überlegte kurz. Wie können sie davon erfahren haben... meine Kinnlade klappte herunter. "Mictlans Mate!"
Jason funkelte mich mit einem gewissen Stolz in den Augen an. "Das ist korrekt. Sie ist der Grund, warum ich hier mit dir reden wollte."
Und wie auf Komando erklang ein Moderator, der das große Finale ankündigte. Und dann erschien der ungeschlagene Champion in der Arena.
"Sie war es also." Murmelte ich. "Jamie Silverstone..."
Jason nickte. "Sie ist Mictlan gefolgt, da sie im Gegensatz zu ihm wusste, dass sie Mates sind. Als sie hier angekommen ist, wollten wir sie erst töten. Sie konnte uns aber überzeugen, dass sie nur für Mictlan kämpfen würde. Dann erschien eines Tages das Alphamal auf ihrem Rücken und wir wussten, dass ihr Vater Marcel getötet hat, was unsere Kriegserklärung rechtfertigte. Und jetzt kannst du dir genau ansehen, warum wir sie auf unserer Seite haben wollen."
Ich schaute die Arena herunter. Ich wusste nicht genau, was mich erwarten würde, doch dann verstand ich sofort. Die Art und Weise, wie sich das Mädchen bewegte, wie sie kämpfte und wie sie ihre zehn Feinde bezwang, war unglaublich... bewundernswert.

If I hadn't met youWo Geschichten leben. Entdecke jetzt