Kapitel 83

7 1 0
                                    

Ich rannte durch den tiefen Wald. Meine Beine trugen mich immer weiter in das Innerste der dunklen Landschaft. Ohne die Augen eines Werkojoten wäre ich schon längst einen Hang heruntergerollt oder wäre irgendwo gegengerannt. Ich hasste meinen Job. Man war nur Kanonenfutter und wenn sie einen nicht mehr brauchten, wurde man einfach getötet. Warum machte ich überhaupt noch mal da mit? Richtig... ich habe sonst keinen Ort und wenn du ein Zuhause willst, musst du auch eben kämpfen.
Ein tiefes Knurren erklang von links. Mich jetzt umzudrehen, wäre ein Fehler, weshalb ich sturr weiterlief und versuchte, im Augenwinkel etwas zu erkennen. In der Dunkelheit wirkte diese Gestalt wie ein einziger weißer Fleck, der sich mit einer bedrohlichen Geschwindigkeit auf mich zubewegte. Ich hasste meine Aufgabe. Es gab bis jetzt noch keinen Läufer, der lebend zurückgekommen ist. Wäre es nicht für meine Schwester, hätte ich mich niemals dafür gemeldet.
Ich werde hier sterben. Das war gewiss.
Ein weißer Wolf erhob sich in den Schatten und sprang mit ausgefahrenen Klauen in meine Richtung. Sofort wich ich ihm aus und verfehlte nur knapp einen naheliegenden Baum. Mein Herz hämmerte in meiner Brust und das Blut rauschte lautstark in meinen Ohren, aber ich verspürte keine Angst. Das war also einer der Vorteile, wenn sich Druiden in deinen Reihen befinden. Sie können dir gewisse Empfindungen nehmen.
Ich lief weiter. Was genau war eigentlich meine Aufgabe? Ich hatte es vergessen. Ich wusste nur, dass ich laufen musste. Und das schneller als die Wölfe, die hinter mir her waren. Der weiße Wolf verfolgte mich noch immer. Ich hatte weder Zeit meinen tödlichen Biss einzusetzen noch mich zu verwandeln.
Werwölfe konnten sich immer mit einem einzigen Sprung und vielen Knochenbrüchen verwandeln, aber wir Kojoten brauchten dafür mehr Zeit und Konzentration. Ich war deutlich im Nachteil. Ich hasste meinen Job.
Ich lief weiter, rutschte einen Hang herab, stieß mich vom lockeren Grund ab und rannte weiter. Werwölfe waren sehr ausdauernd, aber wir Kojoten waren geschickter darin, das Gelände zu nutzen. Ein umgefallener Baum erschien in meinem Blickfeld, unter den ich dank meiner menschlichen Gestalt hindurch rutschen konnte. Mit einem lauten Geräusch rannte mein Gegner gegen diesen umgefallenen Stamm.
Ich hatte ihn abgelenkt!
Die Schritte kamen näher.
Oder auch nicht. Verdammt!
Die Schritte wurden immer schneller und die weiße Gestalt erschien von rechts. Sofort bog ich links ab und spürte ein Brennen an meiner Kehle.
Verwundert riss ich die Augen auf und starrte direkt in ein rot glühendes Paar Augen. Schockiert taumelte ich zurück und knallte gegen einen Baum. Das Gewicht des Wolfes riss mich nach unten, aber ich konnte mich geradeso noch aufrecht erhalten.
Seine Zähne gruben sich in meine Kehle und spürte, wie das Leben aus meinem Inneren gezogen wurde. Aber trotz dieser Lage bewegte er sich nicht weiter. Er führte seinen Angriff nicht zu Ende. Warum nicht?
Ein Knacken ließ mich zusammenfahren. Es war die weiße Gestalt. Wenn ich nicht kurz vor meinem Ende stehen würde, hätte ich die Schönheit dieses Tieres stundenlang betrachen können. Eine große, schneeweiße Schönheit mit goldenen Augen knurrte mich an.
Das Brechen der Knochen verriet mir, dass ich schon bald die wahre Gestalt kennenlernen durfte, ehe ich dem Ende entgegen sehen musste. Die Klauen meines Angreifers pressten meine Arme und Beine gegen den mürben Baum und ließen ihn ächzen.
"Lass ihn los!" Eine weibliche Stimme drang an mein Ohr und ich wusste, dass es sich dabei um die schneeweiße Schönheit handeln musste. Und tatsächlich stand nun hinter der schwarzen Bestie ein junges Mädchen, wenn nicht sogar eine junge Frau, mit schneeweißen Haaren und undurchdringlichen blauen Augen. Ihre Haltung war starr, aber ich war mir sicher, dass sie bereit war, jederzeit anzugreifen.
Jedoch wusste ich, dass ich sie nicht bewundern durfte. Sie war ein Verräter. Komischerweise reagierte die schwarze Bestie mit den roten Augen nicht auf ihren Befehl. Und trotzdem ließ er mich los. Es war nicht unbedingt angenehm, als ich von ihm befreit und dabei ein großer Teil meiner Kehle herausgerissen wurde, aber es war immer noch angenehmer, als diese Reißzähne in seinem Fleisch zu spüren.
Sofort setzte meine Regeneration ein, aber das hätte mich auch nicht retten können. Die Person, die die Bestie von mir gezogen hatte, stellte sich als ein noch gefährlicheres Monster heraus. Ihre Augen leuchteten in einem kalten Rot, das wie ein erloschenes Feuer wirkte, das nun zur gefährlichen Glut geworden ist, das jederzeit alles in Brand setzen könnte. Jede Faser in meinem Körper schrie mich an, zu fliehen, aber die nackte Angst machte sich in meinem Körper breit. Meine Instinkte rieten mir zur Flucht, aber meine Glieder bewegten sich kein Stück.
Ich hatte in meinem Leben schon viele schreckliche Dinge gesehen. Ich habe dabei zugesehen, wie mein Dorf niedergebrannt und meine Familie abgeschlachtet wurde, aber ich habe noch nie eine so große Angst verspürt wie in diesem Moment.
Geschmeidigtbwie der Wind schwebte die junge Frau förmlich über den Boden. Sie schien mit dem Schatten eins zu sein und erst als das Mondlicht auf sie fiel, konnte ich sehen, dass sie noch sehr jung war. Jedoch war ihr Blick eisern und erbarmungslos.
Verwundert schaute ich von der Bestie zu dem Monster und dann zu der Schönheit im Hintergrund. "Whi-" Schockiert schlug ich mir meine Hand vor den Mund. Wenn ich jetzt reden würde, werde ich mit Sicherheit sterben. Ich durfte nichts preisgeben, aber ich durfte mich nicht töten lassen, sonst würden sie mich töten! Ich musste aber wieder zu meiner Schwester. Ich bin das einzige, was sie noch hat.
"Bevor du mir jetzt sagen willst, dass du das Mal trägst: Ich weiß." Ich kaltes Lächeln erschien auf dem Gesicht des Monsters. Sie schien wie ein ganz gewöhnlicher Mensch, aber kein normaler Mensch würde dieses Lachen tragen. Es wirkte wie die Maske des Teufels.
Entspannt lief sie auf mich zu und hob ihre Hand. LAUF! Schrie jede Zelle meines Körpers. Sie wird dir noch viel schlimmere Dinge antun, als sie es jemals könnten!
Aber ich konnte nicht laufen. Ich konnte nur zusehen, wie sie meinen Kragen packte und mein Hemd aufriss. Dort sprang ihr das schwarze Mal förmlich entgegen. Ich hasste es. Es wirkte so fehl am Platz und wie eine Schändung meines Körpers.
"Wusstest du, dass sie schon sehr viele von euch Läufern töten ließen? Wir haben nur wenige von euch getötet. Wir wollen euch sogar für's erste am Leben halten, aber eure eigenen Leute töten euch. Ist da nicht unfair?" Grinsend ließ sie von meiner zerfetzten Kleidung ab und fuhr über die nackte Haut meiner Brust. Ein eisiger Schauer durchfuhr meinen Körper bei jeder kleinsten Berührung. Ich hasste es.
Unwohl trat die blasse Schönheit auf einer Stelle. Sie schien etwas sagen zu wollen, tat es aber nicht. Ich hasste auch sie, selbst wenn ich sie bewunderte. Was tat sie hier? Hier sollte sie nicht sein. Sie hatte sich den falschen Familien verschrieben. Das war nicht richtig! Wütend wollte ich sie anstarren, bis sich der Druck der Berührungen verstärkte.
"Starrst du etwas die kleine Whitenight an? Ist es nicht schade, dass sie nicht auf eurer Seite ist?" Diese Stimme... sie klang so charmant und verführend, aber ich hasste sie. Ich hasste sie. Ich hasste sie! "Wusstest du, dass auch sie alles versucht hat, euch am Leben zu halten?" Die Finger des Monsters fuhren das Mal entlang und hinterließen einen kalten Schauer auf meiner Haut. "Druiden sind in der Lage den Körper und den Verstand zu manipulieren. Sie sind so gefürchtet, da es neben anderen Druiden kaum eine Möglichkeit gibt, sie aufzuhalten. Aber wusstest du, dass sie gegen eine Spezies nicht so effektiv sind? Weißt du auch..." Sie kam meinem Ohr näher und flüsterte mir ins Ohr. "welche Spezies das ist?"
Ich wollte fliehen, aber ich war wie gelähmt.
"Nein?" Sie grinste und zeigte mir dabei ihre scharfen Reißzähne, die meine Knochen leichterhand durchtrennt hätten. "Es sind die Naguals, da auch sie in der Lage sind, den Körper und Verstand anderer zu manipulieren." Sie drückte sich etwas von mir und griff nach hinten. Ich nahm an, dass sich eine Schwertscheide auf ihrem Rücken befand, da sie mit einer eleganten Bewegung ein Schwert hervorzog, das in der Dunkelheit zu leuchten schien. "Und willst du auch wissen, wie wir dieses Mal aufhalten wollen?" Ich schüttelte den Kopf. Ich wusste nicht, was sie wollte, aber ich war mir sicher, dass ich es nicht wollte. Meine Glieder zuckten und sofort wollte ich losrennen, doch die schwarze Bestie kam mir zuvor.
Eine raue Hand schoss hervor und umschloss meine aufgerissene Kehle. Der Mann vor mir war groß und kräftig, erbarmunglos und angsteinflößend. Das war also ein Alpha der Werwölfe. Seine roten Augen waren leer, aber er beobachtete mich wachsam. Ich konnte nicht fliehen.
"Schau mal." Sofort folgte ich diesem Befehl. Ich wollte nicht wissen, was passieren würde, wenn ich es nicht tat. "Das ist eine Miyarayo-Klinge. Meine Mutter hat sie mir vererbt." Das Mädchen legte ihren Kopf schief. "Sie paralysiert das Opfer und nimmt ihnen den Willen zu kämpfen. Mich würde interessieren, ob die Lähmung so weit geht, dass sie auch das Ausbreiten des Fluchmals verhindert." Die Klinge fuhr nach vorne und zeigte direkt auf das Mal, das zu pulsieren begann. "Ich habe das noch nie ausprobiert, aber es wäre doch mal interessant zu wissen." Mit einem kalten Grinsen und bodenlosen Augen starrte das Mädchen auf meine Brust.
Ich hasste es. Ich wollte fliehen. Plötzlich spürte ich, dass meine Beine gebrochen waren. Ich spürte die offene Wunde an meiner Kehle und das warme Blut auf meiner Brust. Ich spürte das Fluchmal, das sich auf meinem Körper ausbreiten und mich zu Asche auflösen wollte.
Ich hasste es. Ich hasste meinen Job. Ich hasste dieses Monster. Ich hasste diese Bestie. Ich hasste die blasse Schönheit. Ich hasste die Tatsache, dass die weiße Klinge, die wie gefrorenes Eis wirkte, in die Luft geschwungen wurde. Ich hasste es.
Doch war es wirklich Hass oder war es nur ein anderes Wort für ein einziges Gefühl?
Furcht.

Die Klinge raste auf die Brust zu und als es das Fleisch zerschnitt, schrie der Mann auf.
Seit einigen Tagen war ich mit Thomas und Olivia unterwegs. Da sie beide schwarze Wolfe waren und somit mit der Dunkelheit verschmelzen konnten, waren sie sehr gefragte Jäger in der Nacht.
Dadurch, dass wir kaum Informationen über die Darachs hatten und sie auch nichts über sich preisgaben, mussten wir sie selbst beschaffen. Ich wollte den Krieg beenden, ehe er ausbrach und das war auch der Plan des Alphas. Doch seine Vision bestand daran, den Gegner vor Ausbruch des Krieges vollständig auszurotten und um das zu erreichen, mussten wir die Basis finden und das wäre uns nur mit Rudelmitgliedern gelungen. Jedoch funktioniert das nur, wenn sie nicht immerzu sterben würden, sollten sie gefangen genommen werden.
Wir haben verzweifelt nach einer Möglichkeit gesucht, den Tod zu verhindern, aber keiner trauerte ihnen wirklich nach. Olivia schien diese Tode sogar irgendwie zu genießen.
Jedoch fanden wir irgendwann eine Möglichkeit und suchten seitdem nach Läufern. Sie hatten keine bestimmte Aufgabe. Es handelte sich dabei bestimmt nur um irgendwelche zufälligen Gestaltwandler, die man einfach austauschen konnte. Sie waren nur da, um uns auf Trapp zu halten, aber einem eigentlichen Mitglied sind wir noch nie begegnet.
Ein Läufer wäre aber genug gewesen, weshalb alle auf der Jagd nach ihnen waren. Ich war in einer Einheit mit Thomas und Olivia und wir wurden als die Eliteeinheit betitelt. Und das nicht nur, weil sie so gute Jäger waren, sondern auch, weil ich ihnen einen strategischen Vorteil brachte. Ich war schnell und wendig, aber durch meine Fellfarbe in der Dunkelheit leicht zu erkennen. Der Gegner wird mir ausweichen wollen, was ihnen auch möglich sein wird, aber das bedeutet auch, dass ich sie in eine bestimmte Richtung lenken kann und diese Richtung ist direkt in die Arme der Blackstorm-Geschwister. Zusammen sind sie der schwarze Tod und ich hasste die Tatsache, dass ich ihnen dabei helfen musste.
Ich sah so viele Gesichter, die mich anflehten oder verachteten. Und ich wusste auch, warum. Ich sah nun vollständig wie ein Whitenight aus. Weiße Haare, blaue Augen und ein schneeweißes Fell. Es wurde offensichtlich, dass die Whitenights irgendwas mit den Darachs zu tun hatten und wir brauchten Antworten. Jedoch konnte keiner an diese gelangen, wenn sich unsere Quellen nur in Luft auflösen.
"Muss das sein?" Ich kniff die Augen zusammen und versuchte, das Bild nicht allzu sehr anzustarren. Dort stand meine kleine Adoptivshwester mit einer weißen Klinge, die von rotem Blut durchtränkt war. Ihr Bruder hielt einen wehrlosen Mann an der Kehle und beide starrten auf eine offene Brust. Mit einem Hieb hatte Olivia dem Mann Haut und Fleisch von den Knochen gesebelt und somit auch das Fluchmal.
Der Mann schrie auf und wand sich, bis die Paralyse einsetzte. Seine Tränen liefen wie ein Wasserfall und hätte durch die Lähmung auch nicht aufhören können. Doch eine Sache tat er nicht. Er löste sich nicht auf.
"Es funktioniert also." Resignierte Thomas und ließ von dem Mann ab. Dieser blieb wie ein steifes Brett in derselben Position stehen.
Olivia nickte nur, fuhr mit einem sauberen Taschentuch über die Miyarayo-Klinge, was sie säuberte und steckte sie wieder zurück in die Scheide. "Nimm ihn mit. Alex sollte ihn sofort verhörem. Wir wissen nicht, wie lange das so bleibt."
Ohne mich anzusehen, lief sie an mir vorbei. Ihr Blick sturr in die Dunkelheit gerichtet und ihr Bruder folgte ihr mit dem paralysierten Mann.
Ich hasste es. Dieser Kampf nahm mir meine Schwester, ohne sie zu töten und mir blieb nichts anderes übrig, als dabei mitzumachen. Meiner Meinung nach war sie nicht nur der schwarze Tod, sondern war auch eines seiner Opfer. Die Dunkelheit in ihrem Herzen zerfraß sie und durch ihre Abschottung von Emotionen und Empfindungen konnte sich diese Dunkelheit bei ihr mehr ausbreiten als bei jedem anderen. Wenn wir nicht bald etwas unternehmen, werden wir sie für immer verlieren.

If I hadn't met youWo Geschichten leben. Entdecke jetzt