Kapitel 14

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Das durfte nicht wahr sein! Nur weil ich mich nicht traute, mich zu verwandeln, sollte Olivia jetzt sterben? Aber ich konnte nicht. Der Gedanke daran, mir jeden Knochen einzeln zu brechen, ließ mich erschaudern. Was erwartete man von mir? Ich war erst 16 Jahre alt und sollte mir Schmerzen zufügen, die in manchen Fällen auch zum Tode führten? Ich war nicht bereit die Welt so zu verlassen, aber ich wollte auch nicht, dass Olivia uns schon verlässt.
Der dunkelbraune Wolf hatte uns angegriffen und schien sehr überrascht gewesen zu sein, als Olivia ihn ohne zu zögern für mich angegriffen hatte. Aber wer war dieser Kerl? Ich hörte hinter mir Schritte, aber das spielte jetzt keine Rolle. Ich zwang meine Beine, sich in Bewegung zu setzen und ich lief. Ich rannte auf Olivia zu, als sie keinen Halt mehr fand. Zu meiner Überraschung war ich so schnell, dass es sich anfühlte, als würde ich durch den Wald fliegen und mit dieser Geschwindigkeit erreichte ich sie und packte sie am Nacken.
Überrascht weiteten sich ihre Augen und wir starrten einander an. Etwas in meinem Inneren kribbelte und ich fühlte mich viel Stärker als zuvor. Es war, als könnte ich alles tun. Immerhin hielt ich einen 1,40 Meter Wolf mit nur einer Hand fest.
"Olivia, du hast mich nicht aufgegeben, dann will ich dich auch nicht fallen lassen. Wir sind immerhin ein Team." Ich presste meine Zähne zusammen und verstärkte meinen Griff. Sofort schaute sie auf und ich konnte ein freudiges aufblitzen in ihren Augen erkennen.
Doch dann veränderte sich ihr Blick. Mit einem Mal wirkte sie abwesend und starrte wie paralysiert an mir vorbei. Ihre roten Augen flackerten und plötzlich begann sie sich zu winden. Ich spürte an meiner Hand, dass Stromschläge sie durchzogen und dann brach ein Knochen. Panisch griff ich mit meiner zweiten Hand nach ihr, aber sie wand sich immer mehr.
"Olivia, bleib ruhig!" Stieß ich keuchend hervor. "Wenn du so weiter machst, dann fallen wir beide in den Abgrund!" Aber meine Worte schienen sie nicht zu erreichen. Sie wand sich, schnappte nach meinen Händen, jaulte auf und ich verlor den Halt.
Und dann spürte ich etwas auf mir. Es war ein warmer Körper, der sich unglaublich hart anfühlte. Im ersten Moment verstand ich nicht, was geschehen ist, bis ich bemerkte, dass ein junger Mann auf mir lag.
Seine längeren schwarzen Haare kitzelten leicht mein Gesicht und sein warmer Atem streichelte mein Ohr. Das harte war nichts Geringeres als sein durchtrainierter Körper und mir stockte der Atem. Ich kannte diese braunen Augen!
Sofort umschloss er meine Hand und hielt somit ebenfalls Olivia fest, die sich schon fast wieder zurückverwandelt hatte. Dementsprechend konnten wir sie nicht mehr am Nacken halten, also griffen wir simultan nach ihren Händen und zogen sie schwerfällig hoch. Der junge Werwolf erhob sich von mir und ich spürte, wie mir das Blut in die Wangen schoss. Shang Wu hatte sich auf mich geworfen, damit ich nicht mit Olivia in den Abgrund rutschte.

Erschöpft streckte ich mich aus. Ich hatte die Hinfahrt nicht so lang in Erinnerung. Endlich waren wir wieder Zuhause, aber es wird die nächsten Jahre viel leerer und stiller sein, da nun meine drei jüngeren Geschwister weg waren. Ich wünschte mir oft, ich hätte damals Ki nicht verloren.
Etwas gedankenverloren lief ich zum Briefkasten und zog einen Briefumschlag heraus. Verwundert öffnete ich ihn. Es war ein Brief unseres Nachbarrudels, aber Werwölfe übermittelten sich alles mündlich. Warum erhielten wir einen Brief vom Alpha nebenan?
Verwirrt öffnete ich ihn und las seine Worte. Es war offiziell noch nicht mein Recht, mich um solche Angelegenheiten zu kümmern, aber da mein Vater nichts dagegen sagen würde und mich nur noch wenige Jahre von der Position als Alpha trennten, machte es keinem etwas aus.
Doch diese Worte waren nicht an das Rudel gerichtet, sondern direkt an die Alphafamilie.
Sofort rannte ich wieder zurück in das Haus, rannte beinahe meine Freundin um, die mir eine Frage stellen wollte und fand meinen Vater in der Küche vor. Zusammen mit meiner Mutter besprach er etwas, jedoch verstand ich nichts, da er bei meinem Anblick sofort stoppte. Ich hatte alles stehen und liegen lassen, um hierher zu gelangen und das konnte man mir auch ansehen.
"Was ist los, mein Sohn?" Besorgt ließ mein Vater das Handtuch in seinen Händen auf den Tresen fallen und ging auf mich zu. Besorgt musterte uns meine Mutter.
"Marcel hat geschrieben. Das Darach-Rudel hat wieder sein Unwesen getrieben." Ich war noch völlig außer Atem, aber mein Vater verstand sofort, was ich sagen wollte.
"Verdammt! Olivia und Leonard sind doch sicher, oder?" Er drehte sich ruckartig um und schlug auf den Tresen ein, was ihn erschütterte. "Wir hätten früher handeln sollen. Es ist viel zu viel durchgesickert."
"Liebling, wir haben alles getan, was wir konnten. Bitte reg dich nicht allzu sehr auf." Besorgt schaute uns Caliria Blackstorm mit ihren großen blauen Augen an. "Ich sorge mich auch um die Kinder, aber wir hätten nichts dagegen tun können. Thomas ist sicher, aber bei ihnen wirkte das Siegel nun mal nicht. Sie sind jetzt so, wie sie sind und das bringt auch seine Probleme mit sich. Das Darach-Rudel wird nach ihnen suchen und eure Blutlinie auslöschen wollen, aber sie sind im Internat weitestgehend sicher. Das ist doch auch der Grund, warum du Olivia trotz ihrer Krankheit dorthin schickst. Du tust es, damit sie nicht getötet wird."
Betreten senkte ich den Kopf. "Warum hat es nur bei mir geklappt? Ich habe erst Ki verloren und jetzt schweben Leon und Livvy in Gefahr. Wieso kann ich nie meine Geschwister beschützen?"
"Mach dich dafür nicht verantwortlich." Tröstend legte mein Vater mir eine Hand auf die Schulter. Ich schlug sie jedoch wütend weg.
"Ich mach mich dafür auch nicht verantwortlich. Du bist daran Schuld. Du hast dein eigenes Kind verkauft, um deinem Rudel einige Jahre Sicherheit zu garantieren. Du hast meine gesamten Kräfte unterdrückt, damit man uns nicht orten kann. Behaupte, dass es zu unserer Sicherheit ist, aber es ändert nichts an der Tatsache, dass du dein Kind geopfert hast!" Wütend rannte ich aus der Küche. Ich konnte jetzt niemanden in die Augen sehen oder wollte mit jemanden reden.
Niemand aus dem Rudel wusste von diesen Taten. Niemand wusste, dass mein Vater sein ältestes Kind und rechtmäßigen Erben geopfert hatte, um den Feind zu beschwichtigen. Nicht mal die Zwillinge wussten, dass ich eigentlich nicht das älteste Kind der Blackstorms war. Sie hatten mich zum Schweigen gebracht, wie auch Leon im Bezug auf seine Zwillingsschwester. Wir mussten beide immer schweigen, aber nun kam alles zurück.
Das Darach-Rudel hatte weitere Abgesandte der Blackstorms ermordet, um an Informationen über uns heranzukommen. Sie hatten auch Max' Eltern erwischt und nun war es meine Aufgabe, es seiner Schwester zu erzählen, meiner Freundin.

"Lord Jesus Christ, was war denn das?" Schockiert starrte Isabelle auf mich herab. Ich konnte nicht richtig atmen, aber langsam beruhigte sich mein Puls wieder.
"Kannst du nicht aufpassen, wo du hinläufst?" Genervt trat ein asiatischer Junge an mich heran und starrte ebenfalls auf mich hinab.
"Ach, sag bloß, dass du dich nicht gefreut hast, mich retten zu dürfen, Xuezhang." Lachend drehte ich mich auf die Seite, aber mein Hals schmerzte aus irgendeinem Grund, sodass ich anfing zu husten und dabei Blut spuckte. "Ahhh shit here we go again." Flüsterte ich und versuchte es irgendwie zu kaschieren. Niemand sollte das sehen.
"Was war denn mit dir los?" Ich vergrub das Blut schnell unter einem Haufen Erde, drehte mich um und sah Marco an einem Baum sitzen, welcher mir die Frage gestellt hatte.
Verwirrt starrte ich ihn an. "Das frage ich dich. Was ist mit deinen Augen los?" Isabelle und Shang folgten meinem Blick und wir starrten gemeinsam in Marcos Augen. Normalerweise funkelten sie in einem angenehmen Grauton, dem Markenzeichen der Silverstones, aber nun schimmerten durch seine platinblonden Haare unnatürlich blaue Augen.
Panisch schlug Marco sich auf die Augen. "Das ist nichts! Ignoriert es! Sagt mir lieber, warum Shang hier ist und nicht Leon. Und wieso hast du dich einfach so zurückverwandelt, Olivia?"
Ich drehte mich zu Shang. Marco hatte recht. Was tat er hier? Immerhin war er zwei Klassen über uns, hatte mehr Erfahrung an dieser Schule und mit den Lernmethoden. Das war ein viel zu unausgeglichener Kampf. Wer kam auf diese Idee der Kräfteverteilung?
"Der Blondschopf kann sich nicht in einen Werwolf verwandeln, weshalb ich für ihn einspringen musste. Professor Schreihals hielt das für eine fantastische Idee, aber man sieht ja, was daraus geworden ist. Nur inkompetente Lehrer wohin das Auge reicht."

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