Kapitel 53

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"Lass mich durch, Auralia!" Verzweifelt schob sich meine Mutter an meinem Vater vorbei und drückte sich gegen die Barriere der Druiden. Zögerlich senkte Auralia ihre Hand und ließ nur meine Mutter gewähren.
Stürmisch überquerte Caliria Miyarayo den Abstand zwischen sich und ihrer Tochter und fiel ihr in die Arme. Jiaki war etwas größer als unsere Mutter und als sie sie ohne zu zögern auffing, konnte ich ein Lächeln nicht unterdrücken. Doch mein Vater unterbrach dieses Wiedersehen. Auch als meiner Mutter die Tränen kamen und Jiaki ihre Mutter nach all den Jahren halten konnte, schwieg Peter nicht.
Aufgewühlt schlug er gegen die Barriere. Immer wieder rief er den Namen meiner Mutter, aber sie ignorierte ihn. Auch als seine Faust aufgrund des Druckes zu bluten begann und ich Knochen brechen hörte, schwieg meine Mutter.
"Caliria, fass dieses Biest nicht an!" Der Griff einer Mutter verstärkte sich und sie drückte meine Schwester etwas von der Barriere weg. Doch sie schwieg weiterhin, denn etwas anderes war auch nicht nötig.
Thomas, mit einem hochroten Kopf, stand in der Tür und starrte meinen Vater, der ihn gar nicht bemerkte, mit feuerroten Augen an. "Du lernst auch nie." Man konnte ihn durch die Versuche meines Vaters nicht ganz hören, aber Taten sagten mehr als Worte. Christopher versuchte zwar, meinen Blick abzuwenden, aber als Thomas auf Peter zustürmte und ihn zu Boden riss, konnte ich nicht wegsehen. "All die Jahre hast du mich im Glauben gelassen, meine Schwester sei gestorben! All die Jahre habe ich dich dafür gehasst! Du hast sie geopfert und einfach über ihren Tod hinweggesehen! Du bist hier die Bestie! Ich hasse dich! Wie kannst du nur so ein grausamer Mensch sein!" Mit einer unbändigen Kraft schlug er auf den Alpha ein, welcher sich nicht zu wehren schien. Ich konnte nur schockiert zu diesem Geschehen starren.
Thomas war wie unsere Mutter. Er war die Sonne selbst, immer voller Leben und fröhlich, wie kein zweiter. Aber die Art und Weise, wie er auf unseren Vater einschlug, zeigte mir, wie gut er diese Fassade aufgebaut hatte. Er war in meinen Augen immer so sensibel und zurückhaltend, aber eigentlich war er nur die schönste Lüge, die ich in meinem Leben gehört habe. Hinter diesem sanften Lächeln lebte eine unbändige Wut, ein unedlicher Hass und ein tiefgreifender Groll, den er mit Lügen zu ersticken versuchte, doch das war nicht mehr möglich. Das verlorene Kind von damals kehrte zurück und die Gefühlte waren nicht mehr zu unterdrücken.
"Das reicht!" Bestimmt erklang die Stimme unserer Mutter und Thomas stoppte sofort in seiner Bewegung. "Lass ihn los." Und Thomas tat, wie ihm befohlen. Langsam stand er auf und starrte auf unseren Vater herab, der in seiner eigenen Blutlache aufstöhnte.
Ich konnte mich endlich wieder etwas bewegen und als ich mich erhob, schaute mich Christopher besorgt an. "Geht es dir besser?" Aber ich schüttelte nur den Kopf. Mein Schädel dröhnte, ich konnte meine Arme immer noch nicht bewegen und eine eisige Kälte floss durch meine Adern. Meine Familie ist in der Minute zerbrochen, als mein Vater das Zimmer betrat und ich hätte nichts dagegen unternehmen können. Mir ging es nicht besser. Es wurde alles nur schlimmer.
"Lass sie los!" Erneut erschien die weiße Klinge in meinem Sichtfeld, aber diesmal war sie auf Christopher gerichtet und nicht auf mich oder Isabelle. "Nur weil du von diesem Alpha unterbrochen wurdest, heißt das nicht, dass wir dich einfach gehen lassen!" Wie eine Verlängerung ihres Arms zeigte das Schwert auf Christophers Herz. Aber er rührte sich nicht. Er hielt mich immer noch fest und wirkte nicht so, als würde er mich in nächster Zeit loslassen. Und dann veränderte sich Tyras Blick. "Ok, hör zu, kleiner Prinz. Ich werde dich gehen lassen, aber lass die kleine Prinzessin dafür los. Du wirst hier ohnehin nicht weiterkommen, also kannst du genauso gut auch zu deinem Vater gehen. Wir lassen dich leben, aber lass das Blackstorm-Mädchen gehen. Wenn du dich daran hälst, dann kannst du gehen und ihr Darachs könnt einen neuen Plan austüfteln. Nimm am besten deine Schwester da mit und verschwinde. Wie sieht's aus?"
Ich war an Christophers Brust gedrückt, weshalb ich seine Herzschlag deutlich vernehmen konnte und als Tyra ihm diesen Vorschlag unterbreitete, setzte es für einen Moment aus. Es klang so, als würde sich ein kleiner Junge auf ein Geburtstagsgeschenk freuen. Ich habe diesen Klang schon oft gehört, da Max ein sehr aufgeregter Junge ist. Sein Vater ist der Druide der Blackstorms und seine Mutter ist eine alte Freundin meines Vaters, demnach hat er sehr viele Feiertage bei uns verbracht. Vor allem zu Weihnachten war er immer sehr aufgeregt und hat Leon die ganze Nacht wachgehalten und ihm hunderte Male die gleichen Geschichten erzählt, wenn er nicht schlafen konnte. Für ihn war das Materielle meistens zweitrangig, aber er freute sich trotzdem. Selbst letztes Jahr schlug sein Herz, wie damals von vor zehn Jahren. Es setzte aus, wenn ihn etwas sehr überraschte und schlug dann schneller, wenn er sich besonders freute. Und genauso klang in diesem Moment Christophers Herz.
Ich konnte spüren, wie sich meins zusammenzog. War er doch Teil dieser ganzen Aktion? War er doch ein Verräter? Ich hatte mir zwar gesagt, dass mir nichts an ihm liegen wird und er ziehen kann. Ich mochte ihn doch eigentlich nicht, aber dennoch konnte ich es nicht ertragen, ihn jetzt gehen zu sehen. Er war doch immer ehrlich zu mir. Er war doch anders als die Verräter meiner Familie. Würde er mich wirklich fallen lassen? Das konnte er doch nicht einfach so machen!
"Ihr lasst mich zu meinem Vater, wenn ich euch die kleine Blackstorm überreiche?" Seine Stimme wirkte rau und sein Griff lockerte sich, als Tyra nickte. Die kleine Blackstorm? Wann hatte er mich bitte das letzte Mal so genannt? Ich mochte diese Bezeichnung nicht, weshalb Shang mich so oft nannte, aber da war auch nicht viel dabei. Er nannte mich so, um zu zeigen, dass er mich nicht respektierte. Er neckte mich oft, doch das war eben seine Art. Das war Shangs Art und Weise, uns seine Zuneigung oder Akzeptanz zu zeigen, indem er sich die Mühe machte, uns Spitznamen zu geben, die uns beleidigten. Aber diese Situation war anders. Das war keine witzige Situation am Nachmittag. Das war der Anfang eines Krieges und ich hätte nichts dagegen unternehmen können.
Mir war wieder kalt. Als Christopher mich losließ und zu Tyra stieß, umhüllte mich eine Kälte, die nicht zu vergleichen war. Und Christopher ging. Er drehte sich nicht um oder reagierte auf meinen erstickten Ruf. Er packte nur Isabelle, die immer noch gelähmt am Boden lag und die Tyra als seine Schwester betitelt hatte. Aber darüber konnte ich nicht nachdenken. Ich fühlte mich verraten. War das alles auch nur wieder eine Lüge?
Selbst als Isabelle ihn anschrie und sich aus seinem Griff befreien wollte, konnte ich nur den Verrat spüren. Auch das könnte nur eine einzige Lüge von Isabelle sein. Hatte sie mich all die Zeit auch nur belogen? Wieso gab es niemanden, der ehrlich zu mir war? War es denn zu viel verlangt, einen ehrlichen Menschen in seinem Leben zu haben? Ich habe Isabelle geliebt, wie eine Schwester und jetzt stellt sich heraus, dass sie Teil dieser Bande ist, die meinen Tod will? Man sagt zwar immer, dass man jemanden mit der gleichen Intensität hassen wird, wie man ihn einst liebte, aber ich fühlte mich nur leer. So leer, als würde ich nur fallen und in eine dunkle Woge aus Verzweiflung gerissen werden.
Tränen sammelten sich in meinen Augen, als Christopher die Barriere passierte und Auralia erschöpft zusammenbrach. Ich wollte den Blick abwenden, aber starrte ihm dennoch hinterher, als mein Mate die Tür aufstieß und mich verließ.
"Ich sagte dir doch, dass du auf uns hören solltest." Sachte hielt mich Tyra und legte ihre Klinge beiseite. "Vertrau uns. Wir wissen, was wir machen." Doch ich konnte sie nicht ansehen. All die Jahre und nichts als Verrat. Wer garantierte mir, dass das alles hier nicht auch nur eine einzige Lüge ist? Was ist die Wahrheit überhaupt? Wofür kämpfe ich überhaupt und was will ich eigentlich? Sind diese Darachs wirklich die Bösen oder haben sie vielleicht sogar recht? Wer weiß das schon?
Ein ersticktes Lachen erklang aus der Kehle meines Vaters, aber sie ignorierte ihn. Erst dachte ich, sie würde mich nun zu Jiaki führen und mit mir nach Hause zurückkehren, da sie unsere Mutter losließ, doch Tyra stoppte wie versteinert in ihrer Bewegung.
Die Tür zerbrach und rote Augen erschienen im Türrahmen. Die strahlende Sonne bildete eine deutliche Silhouette, die ich überall wiedererkennen würde. Es war, als würde ich die Umrisse eines Heiligen anstarren, die Silhouette eines Engels. Seine weißen Haaren schienen sich aufzustellen und als es sich krümmte und seine Knochen brechen ließ, brüllte er Worte durch den Raum, die mich Hoffnung schöpfen ließen. "Finger weg von meinem Mate!" Und schon war Christopher verschwunden und ein weißer Wolf flog förmlich durch den Raum direkt auf Tyra zu. Er riss sie Boden und als sie sich wand und ihn von sich drücken wollte, schob sie mich von sich und packte ihre Klinge. Schockiert wollte ich nach ihrem Arm greifen und die beiden aufhalten. Aber ich konnte mich nicht bewegen. Mein Körper hörte nicht auf mich und ich sackte nur zusammen. Ich wollte mich bewegen, aber irgendwas blockierte mich. Es war, als würde mich jemand zwingen, mich still zu verhalten. Ich wusste zwar, dass Jiaki mir beide Arme gebrochen hatte, aber das konnte nicht der Grund sein, nicht bei meiner gesteigerten Regeneration. Meine Mutter stand nur da und sonst war keiner in der Lage, die beiden Kämpfenden aufzuhalten oder sie wollten es nicht. Und als Tyra ihre Klinge schwang, konnte ich sehen, wie ihre Klinge seine Kehle aufschlitzte. Ich konnte förmlich sehen, wie diese Klinge geschmeidig sein Fleisch und seine Knochen durchtrennten und nur sein Kopf zu mir rollte.
Doch das geschah nicht. Ich hörte nur ein Klirren und sah, wie die weiße Klinge den Boden entlang rutschte und bewegungslos liegen blieb.
"Jiaki?" Überrascht erklang die Stimme Tyras und ich konnte sehen, wie die große Gestalt meiner Schwester ihren Arm hochhielt und sich Christophers Zähne in ihre Kehle gruben, während die andere nach Tyras Kehle griff. Sie hatte sich zwischen beide geworfen und beide Angriffe abgefangen.
Mit einem siegessicheren Knurren schleuderte mein Mate Jiaki von sich und setzte zum nächsten Angriff an, als erneut eine Stimme erklang. "Wage es dir!" Und eine blaue Hand mit gewaltigen Klauen ergirff meinen Mate am Nacken und zog ihn mit Leichtigkeit hoch. "Wenn du meine Tochter beschützen willst, fass ihre Geschwister nicht an!" Und mit diesen Worten schleuderte meine Mutter Christopher beiseite.
Ihre Haut wirkte genauso wie Jiakis. Es war die gleiche Fellstruktur der Großkatze und ihre Augen hatten den gleichen Grünton, wie Jiakis linkes Auge. Aber im Gegensatz zu meiner Schwester, wirkte Caliria Miyarayo viel dominanter und berherrschter. Ihre Ausstrahlung ließ mich erschaudern und auch Christopher schien auf sie zu hören, denn er blieb sofort liegen und rührte keinen Muskel mehr, als meine Mutter ihn mit einem intensiven Blick anstarrte. Und für einen Moment war alles still.
Thomas hielt mit seinen kaputten Händen die erschöpfte Auralia fest, während unser Vater immer noch röchelnd am Boden lag und sich nicht bewegen konnte, da er sonst Blut gespuckt hätte und Lawrence hatte immer noch nicht sein Bewusstsein wiedererlangt. Jiaki krümmte sich vor Schmerz und hielt ihre blutende Kehle, als Tyra zu ihr kroch und versuchte, ihre Blutung zu stoppen. Aber unsere Mutter stand nur da und beobachtete mit einem kalten Grün, wie sich Christopher mit gesenktem Kopf endlich aufrichtete und vorsichtig nach meiner Hand suchte, die verloren, wie ich selbst, am Boden lag.
Doch dann musste ich leicht lachen. "Keine Ahnung, Christopher hat mich hier nur abgesetzt und ist dann wieder in das Haus gerannt. Es klang, als würde da ein halber Krieg ausbrechen." Genervt durchdrang Isabelles Stimme die angespannte Stimmung und ich konnte sehen, wie etwas im Inneren meiner Mutter aufhellte, als sie die Stimme ihrer Adoptivtochter vernahm.
"Und warum bist du ihm nicht gefolgt?" Verwundert erklang Max' Stimme und ich konnte erahnen, dass er davor etwas geweint hatte. Jedenfalls klang er so, als hätte er einen Kloß im Hals.
"So ein komischer Jäger war der Meinung, mir meine Kehle aufschlitzen zu müssen und da die Klinge Gift besitzt, bin ich jetzt paralysiert." Es war die gleiche Stimme, wie vor dem Internat. Es war so erleichternd vertraut, diese Isabelle wieder vernehmen zu können, dass ich schon Gänsehaut bekam. Es war so unglaublich lange her, dass etwas so vertraut war. "Achso, Liv hat anscheinend eine Schwester, die ziemlich skrupellos wirkt und deren Freundin mich fast rausgworfen hat. Sympathisch. Man kann sich unterhalten." Der Sarkasmus in ihrer Stimme ließ es zu, dass ich mir diese Situation bildhaft vorstellen konnte. Ich sah förmlich, wie sich Isabelle genervt nach hinten lehnte und zu Max hinaufschaute, der ihrer Schimpftriade nicht ganz folgen konnte.
"Liv ist zurück? Wieso passiert eigentlich immer so viel, wenn ich einmal unterwegs bin?" Und wieder konnte ich mir vorstellen, wie Max erschöpft seinen Kopf senkte. Er hatte nicht unrecht. Es geschah tatsächlich sehr viel, wenn er für einen kurzen Moment nicht da war und aus irgendeinem Grund hatte er die Affinität dazu, in solchen Moment immer außer Haus zu sein. Früher war es eine Essensschlacht oder eine Rauferei als Jungtier und heute war es eben ein katastrophales Familientreffen mit sehr viel geflossenem Blut.
"Manche Leute sind unterwegs und weinen sich nur über den Verlust ihrer Eltern aus und andere sind unterwegs und sind produktiv." Verwundert schaute ich zu meiner Mutter, die zur Tür blickte und leicht den Kopf schüttelte. Ich wusste, dass diese Bewegung mir galt und dass ich nicht nach diesem Verlust fragen sollte.
Sie schien die neue Stimme jedoch nicht zu erkennen, aber ich kannte sie. Sie gehörte Alexandra.
Lässig stieß sie die Tür auf und lehnte sich gegen den Türrahmen. "Stör ich?" Schnell überflog sie die Situation und zuckte leichfertig mit den Schultern. "Nicht? Herrlich. Shang, Marco und ich waren bei Penelope und einigen Schülern. Die konnten unsere Annahme bestätigen. Leon befindet sich nicht mehr auf Lupus Luna. Er hat gestern das Gelände verlassen und ist seitdem nicht mehr aufgetaucht. Es ist anzunehmen, dass er auch nicht mehr zurückkommen wird." Als sie fertig war, schaute sie sich wieder um und hob leicht eine Augenbraue. "Sicher, dass ich nicht störe? Peter sieht wirklich scheiße aus. Und das mehr als ohnehin schon und das will was heißen. Er sollte vielleicht mal mehr schlafen."
Und das war der Moment, in dem die gesamte Situation ihre Seriösität verlor. Empört drehte sich mein Vater auf die Seite und warf einen Schuh nach Alexandra, der sie nur knapp verfehlte und entlockte uns das erste ausgelassene Lachen seit unserem Zusammentreffen.

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