Kapitel 39

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"WO IST OLIVIA!?" Wutentbrannt riss Isabelle ihre Hände in die Höhe und begann auf Christopher Whitenight einzuschlagen. "Hast du nicht behauptet, du würdest sie mit deinem Leben beschützen und sie nie wieder loslassen? Und wo ist sie jetzt? Sag mir, wo meine Schwester ist!"
Jeden Schlag nahm das junge Alphatier hin und schien sich nicht einmal dagegen wehren zu wollen. Aber warum auch? Isabelle hatte recht. Er hatte uns versprochen, dass er sie zurückbringen würde, aber selbst nach der fünften Suche brachte er nichts als nur noch mehr Verzweiflung mit sich. "Sie hat sich von mir gerissen und ist in der Masse untergegangen. Was hätte ich machen sollen?" Finster starrte er zurück, als Isabelles Schläge fester wurden.
"Du hättest sie nicht loslassen dürfen. Die Jäger sind mit Sicherheit hinter ihr her und du bist so naiv und lässt sie gehen. Warum machst du so etwas unverantwortliches? Sie wird da draußen sterben und es ist alles deine Schuld!" Den Tränen nahe packte sie seinen Kragen und zog ihn auf ihre Augenhöhe. "Was wirst du machen, wenn wir morgen ihre Leiche auf dem Campus finden? Was wirst du dann tun?"
Ernst packte der junge Whitenight ihre Hände und starrte sie mit einem kalten Goldton an. "Sollte sie wegen mir sterben, werde ich diese Schuld mit meinem eigenen Leben bezahlen."
Schockiert zog Isabelle ihre Arme zurück und selbst ich, der kaum etwas mit Christopher Whitenight zu tun hat, musste schockiert die Luft anhalten. "Glaubst du wirklich, dass das irgendwas bringen wird? Dein Tod hat keinerlei Bedeutung, wenn es sie nicht zurückbringt!"
"Hör auf." Beruhigend nahm Maximilian Gray ihren zitternden Körper und zog sie näher an sich. "Es tut mir leid, dass mein Mate sich so inakzeptabel verhält. Sie liebt ihre Schwester nur so sehr, dass sie sich über jede Regel hinwegsetzen würde. Verzeiht ihr Verhalten."
Mit einem ausdruckslosen Blick schaute Christopher Whitenight an den beiden herab und nickte schließlich. "Ich werde sie noch mal suchen gehen. Wenn Olivia hier auftaucht, sucht nicht nach mir. Ich werde meinen Weg schon zu ihr finden." Und mit diesen Worten verließ der weiße Alpha erneut das Blackstorm-Haus.
Erschöpft lehnte ich mich an die Wand des Zimmers und starrte gegen die Decke. Nachdem Tante Penny diese Nachricht verkündet hatte, ist das gesamte Internat in Panik ausgebrochen. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass so etwas jemals passieren könnte, weshalb mich Shang mit sich ziehen musste. Wir hatten uns gut verstanden und in dieser Gestalt einer junge Frau hatte ich genügend Selbstbewusstsein, ihm auch einige privatere Fragen zu stellen, aber ehe ich dazu kam, ihn zu fragen, ob er sich auch etwas mit Männern vorstellen könnte, kam diese Nachricht. Er hatte mich dann einfach mit sich gezogen, selbst wenn er nicht wusste, zu welchem Haus mein Alter Ego der jungen Frau eigentlich gehörte.
Alexandra und Lawrence haben sich höchstwahrscheinlich in das Haus der Morgans zurückgezogen. Leon dagegen ist wie Olivia nie zurückgekehrt. Wir gehen alle stark davon aus, dass er wie Christopher nach Olivia sucht, aber die Gefahr besteht ebenfalls, dass er auch entführt wurde oder vielleicht schon tot ist.
Nervös zupfte ich an meinem Kleid. Ich war so unglaublich nutzlos. Selbst in Moment wie diesen konnte ich nichts tun. Ich hatte keinerlei Kraft und es machte wütender denn je. Doch dann baute sich eine Gestalt vor mir auf. Verwirrt blinzelte ich einige Male, ehe ich Shang vor mir erkennen konnte. "Was ist?" Fragte ich in meiner femininen Tonlage.
"Es ist grad sehr stressig und es tut mir leid, dass heute alles etwas anders lief, als du es dir vermutlich vorgestellt hast." Entschuldigend kratzte er sich am Hinterkopf und ließ mich etwas verdattert vor ihm sitzen.
"Wieso entschuldigst du dich dafür? Es ist doch nicht deine Schuld, dass wir von Jägern angegriffen werden oder dass Olivia abgehauen ist."
Etwas plump ließ er sich neben mich fallen und ich wurde wieder nervös. Er war so unglaublich nah und wusste nicht, dass ich ihn den gesamten Abend belogen hatte. Was sollte ich nur machen, wenn er herausfindet, dass ich eigentlich ein Junge und dann auch noch sein Mitbewohner bin?
"Ich weiß, aber ich kann auch nichts dagegen tun. Irgendwie fühle ich mich so nutzlos." Bedrückte starrte ich auf meine Finger. Ich wusste, was er meinte. Olivia war immer für mich da und jetzt, wo sie mich brauchte, kann ich nichts dagegen unternehmen. "Ich habe keine Kontrolle über nichts. Es ist alles so wirr, aber eine Sache kann ich tun." Überrascht hob ich den Kopf und starrte in seine braunen Augen. "Ich kann dir deine letzte Frage beantworten."
Ich zuckte zusammen. Ich hatte ganz vergessen, dass ich diese Frage angedeutet hatte, aber ich rechnete nicht damit, dass er sich das merken würde. "Ich-" Irritiert versuchte ich die richtigen Worten zu finden, aber ich war nicht ich. Ich war ein junger Werwolf, den er nicht kannte und den er nie wieder sehen würde. Was er von mir so hielt, spielte keine Rolle mehr. "Könntest du dir etwas mit einem jungen und unerfahrenen Mädchen wie mir vorstellen?"
Überrascht starrte er zurück. Vielleicht hätte ich es doch nicht so formulieren sollen. War es dumm von mir zu denken, er würde sie beantworten? Wieso machte ich nur so was?
"Tut mir leid." Zögernd antwortete er mir, aber ich hörte heraus, dass er sich ganz und gar nicht wohl dabei fühlte. "Du bist nett und so, aber es gibt jemanden, den ich mag."
Ich spürte, wie sich mein Herz zusammenzog und mir langsam die Tränen in die Augen stiegen. Ich hatte zwar damit gerechnet, von ihm abgewiesen zu werden, aber ich hatte gehofft, er würde niemanden haben, den er mochte. Ich hätte damit leben können, wenn er nur nicht interessiert wäre, aber sein Herz gehörte bereits jemandem. Doch es ging hierbei nicht um mich. Wenn er glücklich ist, dann will ich ihm nicht im Weg stehen.
Also schenkte ich ihm ein breites Grinsen und griff nach seiner Hand. "Das ist doch schön. Junge Liebe ist etwas bezauberndes. Wer ist diese Person denn?"
"Mein Mate."
Ich verkrampfte mich. Also hatte er doch seinen Mate gefunden und ich war so dumm und hatte mir Hoffnungen gemacht. "Oh..." Ich war nicht in der Lage, die richtigen Worte zu finden oder angemessen zu reagieren. Ich wollte zwar, dass er glücklich wird, aber es zerriss ich trotzdem.
"Mein Mate scheint sich aber noch nicht ganz darüber im Klaren zu sein, dass wir Mates sind. Jedenfalls gehe ich davon aus, da diese Person auf bescheuerte Ideen kommt, um an mich heranzukommen." Mit einer einzigen Bewegung hievte sich Shang hoch und drehte sich zu mir. Ich konnte ihn jedoch nicht ansehen. "Mein Mate ist wirklich niedlich und das in jeder Form." Und mit diesen Worten griff er nach meiner Wange und hob mein Gesicht etwas an. "Und damit meine ich jede Form."
Überrascht wollte ich zurückzucken, doch da lagen schon seine Lippen auf meinen. Ich konnte mich nicht rühren oder irgendwas machen. Ich war wie versteinert, aber seine warmen Lippen zeigten mir, dass ich sehr wohl am Leben war. Langsam zog er sich zurück und zog in der selben Bewegung meine braune Perücke von meinem Kopf.
"Glaubst du wirklich, dass ich dich nicht erkannt habe? Als du den Raum betreten hast, konnte ich dich, meinen Mate, riechen. Wenn du dich schon verwandeln möchtest, dann musst du dabei jeden Sinn täuschen, aber dein Geruch und deine bloße Anwesenheit zeigten mir, dass mein Mate vor mir saß. Ich habe zwar nicht verstanden, warum du dich als Frau verkleidet hast, aber da du den gesamten Abend so ausgelassen und glücklich wirktest, habe ich nichts gesagt. Aber jetzt kannst du mir ruhig erklären, warum du mir etwas vorgespielt hast."
Etwas perplex starrte ich ihn an. Ist das grad wirklich passiert? Hat mich Shang wirklich geküsst und hat er mich tatsächlich seinen Mate genannt? Schockiert wurde mir plötzlich bewusst, dass immer noch vor ihm saß und ich sein Seelenverwandter bin, den er niedlich findet. Ich spürte, wie das Blut mein Gesicht rot werden ließ und ich versuchte irgendwie mein Gesicht zu verbergen, aber Shang griff fast reflexartig nach meinem Kinn und zwang mich, in seine Augen zu schauen.
"Du bist wirklich süß, wenn du beschämt bist. Ich bin wirklich froh, dass du mein Mate bist."

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