Kapitel 45

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"Woher kennst du diesen Spitznamen?" Überrascht legte Jiaki ihren Kopf schief und ich konnte mich nicht mehr zurückhalten. Ihr blaues Auge strahlte in diesem mir so bekannten Blauton. Es war das Blau meiner Mutter, Caliria. Immer wenn meine Mutter etwas wissen wollte, legte sie ihren Kopf schief und wirkte um zwanzig Jahre jünger. Immer wenn mein Vater etwas nicht verstand oder verwirrt war, hob er eine Augenbraue. Und immer wenn Thomas wütend auf Vater war, warf er ihm die Opferung einer gewissen Ki an den Kopf. War Jiaki diese Ki?
"Mein großer Bruder Thomas hat immer von einer Ki geredet, die aus gewissen Gründen sterben musste."
Laut lachte Tyra los, was mich zusammenfahren ließ. "Genau, sterben." Lachend lief sie an mir vorbei auf Jiaki zu. "Deine kleine Ki ist sehr wohl am Leben und steht in diesem Moment vor dir." Mit einer ausschweifenden Bewegung legte sie Jiaki eine Hand auf die Schulter und zog sie etwas näher an sich heran. "Darf ich vorstellen? Jiaki Miyarayo, früher bekannt als Jiaki Blackstrom. Erste Tochter des Blackstorm Erbes und Alpha des gleichnamigen Rudels, Peter Blackstorm, und dem letzten Erben der Miyarayos, Caliria Miyarayo. Mit anderen Worten: Deine große Schwester, klein Olivia."
Ich fühlte, wie mein Herz für einen Moment stehenblieb. Meine Schwester? Ich habe eine Schwester? Aber Thomas erzählte immer davon, dass Ki wegen unseres Vaters gestorben sei. Warum war sie noch am Leben? Was hat das zu bedeuten? Entspricht das überhaupt der Wahrheit? "Warum?" Hauchte ich. "Warum erzählt ihr mir solche Lügen? Was wollt ihr von mir?" Ich traute mich nicht aufzusehen. Ich konnte den beiden nicht in die Augen sehen aus Angst, ehrliche Augen zu sehen. Ich wollte es nicht glauben.
Mein Vater war zwar ein strenger Alpha und hatte seine Macken, aber er würde doch niemals sein eigenes Kind opfern. Ich konnte mit dem Gedanken leben, dass er ein fremdes Kind dem Tode überlassen hat, aber warum sein eigenes Kind? Er würde das meiner Mutter doch niemals an tun! Sie liebt ihre Kinder mehr als ihr eigenes Leben und eine solche Tat würde sie zerstören. Warum erzählen sie mir so etwas? Sie müssen lügen! Das kann nicht der Wahrheit entsprechen!
"Ich weiß, was du gerade denkst." Ich sah, wie Jiakis Füße in mein Sichtfeld gelangten. "Mutter hätte niemals zugelassen, dass mir irgendwas passiert. Das muss ich Lüge sein!" Ich schwieg. Diese Schlussfolgerung ist keine Kunst, da eine Mutter bei Gestaltwandlern immer ihr eigenes Leben für ihre Kinder geben würde. Ich hatte mit eigenen Augen gesehen, wie Isabelles Mutter den Angriff des Vaters ihres Kindes auf sich gelenkt hat, damit ihr Kind fliehen konnte. Das würde jede Mutter tun. Meine Mutter ist da keine Ausnahme. Dieses Wissen beweist rein gar nichts. "Ich kann dir nicht beweisen, dass ich wirklich deine Schwester bin. Du musst mir nur vertrauen und mir glauben, wenn ich dir sage, dass alles der Wahrheit entspricht, was ich sage."
Ich zögerte. Ich wollte zwar jemanden an meiner Seite wissen, der mich niemals belügt und mir immer die Wahrheit sagt, aber wie konnte ich sicher sein, dass ihre Worte tatsächlich der Wahrheit entsprachen?
"Warum sollten wir dich belügen?" Ich schwieg. Auch wenn Tyra vermutlich recht hatte, wollte ich sie nicht ansehen. Ich wusste nicht, was sie wollten, also kann ich auch nicht sagen, warum sie mich belügen sollten.
"Wir können dir einige Fragen beantworten, wenn du uns jetzt noch nicht glaubst." Jiaki griff nach meiner Hand, aber ich zog sie schlagartig zurück. Beinahe wäre ich auch vom Stuhl gefallen, hätte mich Jiaki nicht gehalten. "Frag uns alles, was du schon immer fragen wolltest." Und bei genau diesen Worte starrte ich in ihre Augen, obwohl ich es nicht wollte.
Und dort sah ich es. Das, wonach ich mein gesamtes Leben gesucht habe. Ehrlichkeit.
Die Augen dieser Jiaki leuchteten in einem ehrlich Blau und Grün. Es war, als könnte ich direkt in ihre Seele schauen. Es war, als würde sie nichts vor mir verstecken wollen, als bräuchte sie das gar nicht. Ich kannte die verschiedensten Ausdrücke in den Augen der Wölfe. Die meisten waren verschlossen und zurückhaltend. Keiner wollte zu viel preisgeben und jeder kämpfte für sich, auch wenn wir ein Rudel waren. Wir Wölfe haben schon vor Jahren diese frühere Rudelmentalität verloren, was ich immer bedauerte. Aber nun stand vor mir ein Wolf, der sich als meine Schwester ausgab und vermittelte mir dieses verlorene Gefühl des Vertrauens.
"Dann sagt mir die Wahrheit. Erzählt mir alles, was ich noch nicht weiß und eigentlich wissen sollte. Erzählt mir alles, was ihr wisst über mich, meine Familie und unsere Zukunft."

If I hadn't met youWo Geschichten leben. Entdecke jetzt