Kapitel 13

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"Habt ihr alles verstanden?" Fragte Professor Lighthallow gelangweilt. Er wirkte jedenfalls gelangweilt, aber eigentlich war er einfach nur müde.
Einen Moment überlegten wir alle und antworteten dann gleichzeitig. "Kein bisschen."
Lautstark atmete unser Mentor aus und überlegte erneut. "Ihr werdet in den nächsten vier Jahren lernen, wie ihr euch als Mensch und Wolf parallel zu verhalten habt. Wir trennen vorerst den Unterricht und die Häuser voneinander. Also, es gibt ja sieben Häuser, die nach den Gründerfamilien benannt wurden. Jedes Haus hat zehn Jahrgänge und pro Jahrgang eine Klasse. Diese Klassen werden im ersten Monat des neuen Schuljahres getrennt voneinander unterrichtet, damit sie sich unabhängig von anderen Familie auf ihre Ausbildung konzentrieren können. Soweit alles klar?" Erwartungsvoll schaute er uns an. Jedenfalls versuchte er das, aber seine Augen spielten nicht ganz mit und drohte immer wieder zu zu fallen. Wir nickten schließlich, da die Trennung der Klassen nicht allzu schwer zu verstehen war. Auch wenn mir immer noch unklar war, warum sie überhaupt die Schüler in Häuser einteilten und nach welchen Kriterien das ging. Leon und ich wurden einfach zugeteilt. Jedenfalls kann ich mich nicht an einen Test erinnern.
"Was ist denn nach einem Monat?" Fragte Marco. Warum er seine Hand hob, um die Frage zu stellen, wusste selbst Professor Lighthallow nicht.
"Da ist nichts. Es ist nur zur Tradition geworden nach einem Monat der Einfindungsphase alle Schüler aufeinander loszulassen. Ohne diesen Zeitraum wirken sie immer so verloren, wenn sie sich an keinen halten können. Mit dieser Methode hätten sie immerhin ihre Klassenkameraden."
Erneut nickten wir seine Erklärung ab und warteten auf Weitere. "Jedenfalls gibt es neben dem normalen Menschenunterricht auch noch ganz bestimmten Unterricht für junge Wölfe. Also neben Dingen wie Mathematik, Englisch, Physik und Co. gibt es auch noch Lykanthropie, Therianthropie, Stammkunde und Selbstverteidigung. Was das alles ist, werdet ihr mit der Zeit erfahren. Aber heute beginnen wir mit Lykanthropie. Das ist der Unterricht, in dem ihr als Tiere zu leben, kämpfen und zurechtkommen lernt. Eure erste Aufgabe wird es sein, in zweier Teams gegeneinander anzutreten und entweder das andere Team zu neutralisieren oder einen zu mir zu bringen. Töten ist verboten, wie auch sich zurück in einen Menschen zu verwandeln. Sollten beide besiegt werden, habt ihr gewonnen oder solltet einen sie zu mir bringen können. Verständigt euch als Wölfe, um das zu verhindern."
Das war eine interessante Aufgabe und gegen mich und Leon hätten die Andere vermutlich keine Chance, da wir schon immer eine geheime Zwillingskommunikation hatten. "Olivia und Marco, ihr werdet Team eins bilden. Ihr habt fünf Minuten Vorsprung. Nutzt die Zeit. Die Spiele beginnen jetzt!" Mit einem Mal wirkte Professor Lighthallow hell wach und als der Startschuss erklang, rannte ich los. Wir waren ein Team. Sollte einer gefasst werden, ist es aus. Wir mussten also stumm oder mit verschlüsselter Kommunikation zusammenarbeiten. Schade, dass er mich und Leon getrennt hat, aber daran muss ich mich nun anpassen.
Ich setzte zum Sprung an und ließ im Flug all meine Knochen brechen. Geschmeidig landete ich direkt vor dem Eingang des Waldes auf meinen Pfoten, drehte mich zu den Anderen und stockte. Marco stand immer noch an der gleichen Stelle und bewegte sich kein Stück voran. Ich riss meinen Kopf zur Seite und wollte ihm zeigen, dass er zu mir kommen soll, aber er reagierte nicht. Die Zeit war fast abgelaufen, was stand er da noch rum?
Ich hatte keine Wahl. Schnell rannte ich auf ihn zu, packte seinen Ärmel mit meinem Maul und rannte los. Er hatte keine andere Wahl als mir zu folgen. Werwölfe waren in der Regel größer als normale Wölfe und Alphas konnte im Schnitt auf allen vieren eine Höhe von 1,80 Meter erreichen. Ich war als eine Alphas Tochter 1,40 Meter groß und kam somit locker an seine Schulter ran, wenn ich mich aufbäumte, um ihn in den Wald zu schubsen.
Ich zog ihn in die Tiefen der Wälder und hielt erst an, als ich eine nasse Höhle entdeckte, die unseren Geruch etwas mit dem Wald vermischte. Wütend knurrte ich ihn an, aber er reagierte kaum. "Tut mir leid." Murmelte er schließlich doch. "Ich kann nicht. Ich hab die Aufnahmeprüfung nur geschafft, da ich grundlegende Kenntnisse der menschlichen Selbstverteidigung besitze. Die Wahrheit ist, dass ich mich noch nie verwandelt habe." Peinlich berührt drehte er sich von mir weg. Aber ich tapste um ihn herum, um seine Augen zu erwischen. Diese waren gläsern und mit Tränen gefüllt, aber er blieb standhaft nicht zu weinen.
Ich schmiegte leicht meinen Kopf an seine Beine und er setzte sich in das nasse Gras. Es hatte wohl für den Anfang keinen Zweck, ihn dazu zu zwingen. Ich kuschelte mich an ihn heran und legte meinen Kopf auf seinen Schoß. Er sollte sich erstmal an die Anwesenheit eines Werwolfes gewöhnen, ehe er sich selbst in einen verwandelte. Das klappte relativ gut, da er irgendwann anfing, mich hinter den Ohren zu kraulen.
"Weißt du, Olivia," begann er und ich drehte meinen Kopf etwas zu seinem Gesicht, damit er mir in die roten Augen sehen konnte. "ich habe ja eine kleine Schwester und die ist verdammt talentiert. Sie ist erst zwölf Jahre alt, aber beherrscht ihren Wolf schon seitdem sie sechs ist. Sie kann sich ohne Probleme oder Schmerzen genauso wie du verwandeln, ist hochintelligent und der ganze Stolz unserer Familie. Ich dagegen bin kränklich, schwach und nicht mal in der Lage mich zu verwandeln. Ich bin gezeichnet und eine Schande für meinen Vater. Wenn er doch nur wüsste..." Besorgt stupste ich mit meiner Nase gegen sein Gesicht, was ihn zum Kichern brachte. "Es ist schon ok. Solange ich nicht wie gestern Panikattacken bekomme, ist mein Leben recht ruhig."
Doch diese Stille wurde unterbrochen und ich riss meinen Kopf in die Richtung der Quelle. Ein dunkelbrauner Wolf streifte durch die Wälder, doch erzeugte weiterhin keine Geräusche. Ich konnte nicht genau sagen, wer das war, da ich den Geruch nicht zu ordnen konnte. Ich sprang auf und zog Marco mit mir mit, welcher mich auch gewähren ließ. "Olivia, es bringt doch nichts. Ich kann mich weder verwandeln noch kämpfen! Lass mich zurück, wir haben verloren." Immer wieder ertönten die Worte hinter mir und ich versuchte noch schneller zu laufen. Der dunkle Wolf war verdammt schnell. Es war definitiv nicht Isabelle, da ihr Wolf eine helle Fellfarbe hatte. Wer konnte das sein? War es Leon? Ich hatte ihn noch nie verwandelt gesehen. Vielleicht war er auch ein dunkler Wolf, immerhin hatten Thomas und ich ebenfalls das schwarze Fell unseres Vaters geerbt.
"Lass mich zurück!" Marco sträubte sich und warf sich auf die Erde. "Es spielt keine Rolle. Ich bin nutzlos!" Ich hörte einen zweiten Wolf. Das zweite Team war nun vollständig und hatte uns umzingelt. "OLIVIA!"
Ich riss meinen Kopf zu ihm und warf Marco auf den Rücken. Wütend funkelte ich ihn an und kam mit einem Knurren immer näher, was dafür sorgte, dass er seinen Kopf noch weiter in den Boden drückte.
Ich werde dich nicht zurücklassen. Du gehörst jetzt zu meinem Team. Du bist jetzt Teil meines Rudels. DU bist mein Partner und ich lasse meine Partner nicht zurück!
In meiner Wolfsgestalt konnte ich ihm das leider nicht sagen, da ich nur bellen konnte, aber irgendwas schien mein Bellen ausgelöst zu haben. Entschlossen nickte er, packte mich am Nacken und riss mich in die Höhe. Verwirrt ließ ich es geschehen und Marco wirbelte mich herum und ließ mich los. Aus Reflex fuhr ich meine Krallen aus und landete auf einem hellbraunen Wolf, welcher mich mit seinen verwirrten goldenen Augen anstarrte. Das war Isabelle! War der andere Wolf dann mein Bruder?
Ich sprang von Isabelle herab und rannte in Richtung Marco, welcher vom dunklen Wolf bereits in die Ecke gedrängt wurde. Ich wusste nicht, ob ich Isabelle besiegt hatte, aber in diesem Moment zählte nur Marco. Der dunkle Wolf setzte zum Sprung an und kurz bevor er Marco erwischte, trafen meine Klauen sein Gesicht und ich riss ihn zu Boden. Sofort drehte ich mich in seine Richtung, aber der Wolf setzte schon zum Sprung an und biss mir in die Kehle, was mich schockiert aufjaulen ließ. Dieser Wolf hatte goldene Augen. Das war nicht mein Bruder. Alphakinder besaßen rote Augen, aber Leon hatte grüne, was komisch, aber markant war. Dieser Wolf hatte goldenen. Das war nicht Leon!
Ich stieß den dunklen Wolf von mir weg und wollte zum Sprung ansetzen, doch rutschten meine Pfoten auf dem nassen Waldboden weg und als ich nach Halt suchte, traf mein Fuß nur auf Leere. Dort war kein Boden. Ich hatte einen Abgrund erreicht und stürzte hinab.

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