Kapitel 82

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Kälte erfüllte meinen Körper. Ich war nicht mal in der Lage, das Blut zu spüren, das aus meiner offenen Kehle drang. Ich fiel stumm zu Boden und sah dabei zu, wie Tyra über meinen tauben Körper sprang und Christopher ebenfalls niederstrecken wollte, der sich schwerfällig aufrappelte.
Doch bevor ich das Geräusch von zerschneidenem Fleisch vernehmen konnte, hörte ich nur ein Klirren. Die kalte Miyarayo-Klinge fiel zu Boden und ein dumpfer Sturz riss mein Beusstsein wieder ins hier und jetzt. Meine verschwommene Sicht wurde klarer und ich konnte sehen, wie eine schlanke Gestalt Tyras kräftigen Körper zu Boden drückte. "Fass meine Familie nicht an!" Zischte die Person.
Ich dachte erst, dass Olivia wieder zu Verstand gekommen ist. Für einen Moment dachte ich, sie wäre wieder bei Sinnen und würde nicht zulassen, dass ihrem Mate vor ihren Augen etwas angetan wird, aber da hatte ich mich geirrt. Mit ihren tiefen leeren Augen starrte Olivia immer noch zu Christopher, ohne sich auch nur ansatzweise zu rühren. Max ist schockiert auf den Boden gefallen, als er die angreifende Tyra gesehen hatte und Thomas konnte Christopher nicht leiden, weshalb man von ihm auch keine Hilfe hätte erwarten können.
Die Person, die Christopher gerettet und als ihre Familie bezeichnet hatte, hatte lange goldene Locken und kalte grüne Augen, die so wirkten, als könnten sie dich jederzeit vergiften. Es war Caliria Miyarayo. "Wenn du der Meinung bist, die beiden sind Verräter, weil das Paket nach den Whitenights riecht, dann erinnere ich dich gerne an die wochenlange Befragung unten im Keller. Du hast sie selbst für unschuldig befunden."
"Die Situation hat sich geändert. Du hast doch gesehen, was passiert ist, wenn sie sich frei bewegen konnten. Ist dir dein Sohn denn gar nichts wert?" Tyra klang so, als hätte sie Schmerzen, was mich herzlich freute. Aber was anderes hätte ich auch nicht erwartet, da Caliria ihren Arm nach hinten gedreht und auf ihren Rücken gepresst hatte, nur um ihre Klauen in diesen Arm zu schlagen.
"Sprich nicht so, als wüsstest du, was in mir vorgeht. Christopher mag zwar Jasons Sohn sein, von dem wir nicht wissen, auf welcher Seite er steht, aber er ist auch der Sohn meiner besten Freundin. Ich denke, ich kann ihn besser beurteilen, als du es jemals könntest und wenn ich sage, er hat damit nichts zu tun, dann ist da auch so. Wage es dir nicht, dieses Kind auch nur schief anzusehen. Du magst zwar die Frau meiner Tochter sein, aber auch er gehört zu meiner Familie, also zeig gefälligst etwas Demut!"
Ich wusste nicht, was es war, aber eine bodenlose Angst erfüllte mein Herz. Ich kannte dieses Gefühl. Immer wenn ich als Kind Caliria beobachtet habe, konnte ich nur diese betäubende Schönheit sehen, aber ich habe mich nie davon in den Bann ziehen lassen. Es hat mich vielmehr verstört. Es war eine Schönheit, die darauf wartete, ihre gefährliche Wahrheit zu zeigen. Ich hatte sie einmal gesehen, als Caliria meinem Vater das Herz herausgerissen hat und ein anderes mal, als ein streunender Kojote mich anfallen wollte. Ich hatte oft das Gefühl, Kojoten magisch anzuziehen, aber sie waren mir nie wohlgesinnt. Das hatte auch Caliria bemerkt und der nächste Angriff eines Kojotens sollte der letzte Angriff gewesen sein. Ich war vielleicht elf Jahre alt und spielte alleine im Wald, als ich den Angreifer entdeckte. Ich war viel zu schockiert, als dass ich mich hätte wehren können, aber sofort griff meine Adoptivmutter ein und schlug ihn in die Flucht. Tatsächlich hatte sie ihn nicht angegriffen oder bedroht. Ihre Präsenz allein hatte uns erschaudern lassen. Sie war eine wirklich angsteinflößende Frau und das merkte Tyra ebenfalls.
"Was soll denn der Scheiß? Da kommt man von seinem Einsatz nach Hause und will nur ein kühles Bier, um dann diesen Dreck zu sehen." Ich spürte zwei kräftige Arme an meinen Schultern und merkte, wie ich aus meiner Seitenlage gehoben wurde und dann in diesen zwei Armen lag. Ich fühlte mich zwar immer noch steif wie ein Brett, aber konnte mich innerlich entspannen, als ich Shangs Gesicht resignierte.
"Ihr seid auch zurück?" Überrascht erhob sich Max. Er schien sich wieder beruhigt zu haben. Freut mich für ihn.
"Ja. Im Süden war nichts los. Ein paar streundene Kojoten vielleicht, aber die hatten alle kein Mal auf der Brust. Warum bist du hier? Wolltest du nicht mit deiner Schwester zur Lupus Luna?" Unbekümmert sprachen die beiden miteinander und ignorierten die gesamte Umgebung. Das nenne ich mal blinde Freundschaft.
"Wir haben die letzte Esche eingesammelt. Es gab nichts mehr, was wir hätten tun können. Unsere Quelle ist versiegt. Die Esche ist tot."
Das ließ Olivia sofort auf die Beine kommen. Verwundert schaute wir alle zu ihr. "Was?" Reserviert verschränkte sie ihre Arme vor der Brust. "Die meisten Aktivitäten sind im Westen, das bedeutet, dass wir unsere Truppen dort konzentrieren sollten. Wir sollten ebenfalls einige Kojoten nach Norkaru schicken, um das Rudel zu überprüfen. Wenn ihr noch weiterhin so nutzlos rumliegen wollt, dann macht das. Ich werde die restlichen Truppen zusammentrommeln und neue Befehle geben." Und mit diesen Worten verließ sie das Haus.
Verwundert folgte ihr Shang noch eine Weile mit den Augen. "Was habe ich verpasst?" Verwundert blickte er mich an, aber ich konnte nur den Kopf schütteln.
Alles drehte sich und dann war alles schwarz.
Als ich wieder zu mir kam, lag ich in Christophers Armen auf einer Couch im Wohnzimmer. Mein Hals fühlte sich immer noch so an, als wäre alles offen und es brannte, aber das überraschte ich nicht. Die Wunde dieser kalten Klinge heilten nicht sonderlich schnell und hinterlißen auch sehr dunkle Narben. Da konnte man besonders gut an Olivias Händen sehen.
Sofort fuhr ich in die Höhe, was ein großer Fehler war, da ich gegen Christophers Kopf knallte und wieder zu Boden ging oder eher wieder auf seine Oberschenkel fiel. "Was wird das, Whitenight?" Fragte er mich mit zusammengebissenen Zähne. Hatte er sich auf die Zunge gebissen?
"Das frage ich dich, Whitenight." Lachend hob ich meine Hand und klopfte ihm leicht gegen die Wange. "Alles gut?"
Sofort stoppte er und öffnete seine zusammengekniffenen Augen. "Meinst das im Zusammenhang mit meiner Zunge oder mit der gesamtne Situation? Denn dementsprechend unterscheiden sie die Antworten gewaltig."
Ich zögerte. Ich musste ihn eigentlich gar nicht fragen, da ich ihn gut genug kannte, um seine Gedankengänge zu verstehen. Sein Mate hatte seine Menschlichkeit aufgegeben, um einen Krieg zu gewinnen. Er wurde wieder des Verrates beschuldigt und war hoffnungslos in dieser Situation gefangen. Ich wusste, wie er sich fühlte, da ich in derselben Situation steckte.
"Was ist passiert, nachdem ich ohnmächtig geworden bin?" Fragte ich stattdessen.
"Max hat geweint." Ich wusste nicht, warum, aber als ich diese Antwort hörte, musste ich lachen. Das ist also eine Sache, die sich nie ändern wird. Vermutlich war das nicht angebracht, aber ich konnte nichts dagegen tun. Mein Cousin wartete, bis ich mich beruhigt hatte und fuhr dann fort, während er meinen Kopf streichelte. "Thomas ist Olivia gefolgt, nachdem sie die Außentruppen zusammentrommeln wollte, für neue Befehle. Tyra ist mit Caliria gegangen, um vermutlich noch belehrt zu werden. Dein Mate hat sich mit Auralia getroffen, um neue Mittel für die Medikation zu finden, auch wenn Olivia ihnen davon abgeraten hat. Nach ihr wäre es unnötige Zeitverschwendung, aber du kannst dir sicher sein, dass Max sich nicht aufhalten lässt. Ich dagegen habe ich mich deiner angenommen, da ich ein so fantastischer Cousin bin und seitdem liegst du glatte drei Stunden in meinen Armen und hast geschlafen. Hast du gut geträmut?"
Ich ignorierte die sarkatische Frage und verschränkte nur die Arme, während ich weiterhin auf dem Rücken lag und Chris meine Haare flechten ließ. Es ist irgendwie zu einer natürlichen Reaktion geworden, dass Chris, Marco und ich uns gegenseitig die Haare flechten, wenn wir aufeinander hocken und das geschieht erstaunlich häufig.
Cousin."Ich bin dir sehr dankbar, mein liebster "Sagte ich dann nur und starrte gegen die Decke.
"Ich bin der einzige Cousin, den du kennst." Bemerkte Chris lachend.
"Dann ist es ganz offensichtlich keine Kunst, diese Platz zu erreichen." Fast automatisch erhielt ich für diese Bemerkung einen Schlag auf Kehle, was Christopher aber sofort bereute.
Ein Schmerz jagte durch meine Glieder und ich fuhr erneut hoch, aber diemal ohne ein Kinn im Weg. Ich hustete einige male, ehe ich mich genervt umdrehte und ihn tadelnd anstarrte. Er schenkte mir mit seiner besten Unschuldsmiene ein sanftes Lächeln, was ich sofort mit meiner flachen Hand und einem Schlag verdeckte. "Erspar er dir. Wir sollten keine Zeit mit so was verschwenden. Wir müssen die beiden Blackstorms aufhalten." Sofort fuhr ich bei dem kalten Klang meiner eigenen Stimme zusammen.
Und als ich mich umdrehte, konnte ich auch Christophers überraschten Ausdruck sehen. "Die Blackstorms? Sind wir jetzt schon so weit, dass wir nur noch als die 'so ach entfernten und unerreichbaren Blackstorms' bezeichnen? Liv ist noch irgendwo in diesem kalten Krieger. Nur weil sie mit der Gefangenschaft ihres Bruders so fragwürdig umgeht, heißt das noch lange nicht, dass sie für immer verloren ist. Aber du hast recht, wir müssen sie aufhalten. Die Kojoten und Füchse werden auf die Befehle des Alphas hören, was für die Rudelmitglieder eine Selbstverständlichkeit ist. Wir sind vermutlich die einzigen, die sich gegen Olivias Plan stellen können."
Ich nickte langsam. "Wir können nicht zulassen, dass sie wirklich dieses Massakar startet. Es mag zwar sein, dass viele unter diesen Darachs gelitten haben, aber wir können sie nicht einfach komplett auslöschen. Somit wären wir kein Stück besser als diese Massenmörder."
"Ich mache mir eher Sorgen um Olivia direkt." Betrübt senkte der junge Alpha den Kopf. "Was ist, wenn sie aufwacht und dann erst richtig realisiert, was sie getan hat? Sie will doch niemanden umbringen, aber mit dieser Persönlichkeit wird sie all ihre Feinde niederstrecken. Wenn sie aufwacht und all das Blut an ihren Händen sieht, wird sie das noch mehr zerstören als jeder Verlust. Sie würde sich selbst verlieren und nie wieder zurückkommen können."
Er hatte recht, aber da war eine Sache, die ich gerne wissen würde. "Du liebst sie wirklich, oder?"
Sofort schoss sein Kopf in die Höhe und für einen Moment dachte ich, er würde es abstreiten wollen, aber dann schloss er wieder seinen Mund. "Ich liebe meinen Mate nicht."
Sagte er dann schließlich. Misstrauisch hob ich eine Augenbraue. "Lügst du mich grad an?"
Energisch schüttelte er den Kopf. "So meinte ich das nicht. Ich wollte sagen, dass ich sie nicht liebe, weil sie mein Mate ist. Ich liebe sie nicht, weil das Schicksal uns zwingt, füreinander da zu sein. Ich liebe sie nicht, da unsere Seelen zusammeghören und ein Ganzes bilden würden. Ich liebe sie nicht, weil mich eine Bezeichnung wie Mate dazu zwingt. Ich liebe Olivia, da sie ein Wolf ist, der mich immer zum Staunen bringt, der mir immer ein Lachen entlocken kann und der immer an meiner Seite zu sein scheint, egal wie sehr ich mich wie ein Ekel aufführe. Sie hat mich immer mit diesen offenen Augen angesehen, die mich faszinierten und mich in den Bann zogen. Sie kann so gebrächlich und doch so stark sein. Ich bewundere sie und auch, wenn ich sehr anstrengend bin, war sie immer an meiner Seite. Sie ließ sich von meiner Vergangenheit und Herkunft nicht abschrecken. Sie glaubte an mich, als ich als Verräter angesehen wurde und ich bin mir sicher, dass sie immer noch an mich glaubt und ich will ebenfalls daran glauben, dass sie zurückkommen wird."
Überrascht starrte ich meinen Cousin an. "Du bist ja so ekelhaft romantisch. Wurde mein nerviger Cousin etwa mit einem Alien ausgetauscht, das weiß, was es bedeutet, nett zu sein?"
Sofort erhielt ich wieder einen Schlag, aber diesmal ging er auf eine Schulter. "Ich bin halt sehr vielseitig. Die Ladies mögen das."
"Ich bekomme davon eher das Kotzen." Gab ich nur bockig von mir und rieb mir die Schulter.
"Du bist auch keine Lady."
Und nun war er derjenige, der ein Schlag mit einem Kissen erhielt und von mir halb erstickt wurde. Lachend stieß er mich von sich. Da wir jedoch auf einer Couch lagen, rollte ich von der Kante und fiel mit einem lauten Knall auf den Boden.
Überrascht schaute Chris auf mich herab, doch als er mir direkt in die Augen sah, veränderte sich sein Blick. Ich wusste, warum sich Olivia in diese Augen verliebt hatte. Sie sprachen so viele Worte, die Christopher niemals hätte sagen können. Wenn er wollte, verrieten sie so unglaublich viel. Ich mochte zudem auch noch diesen Goldton, was ich ihm niemals sagen würde, da das sein Ego nur noch mehr vergrößern würde. Ich mochte zwar auch das Blau, da es von meiner Mutter kam und ein Zeichen einer mächtigen Werwolffamilie war, aber dieses Gold war trotzdem so selten und unglaublich schön.
"Du weißt ja jetzt, dass ich sie liebe."
Ich nickte. "Das wusste ich auch davor. Du redest im Schlaf und dank Sharco war ich einige Nächte in der Zelle wach."
Kurz wurden seine Ohren rot, aber er schüttelte diese Gedanken sofort wieder ab. "Ich will, dass du mir einen Gefallen erweist. Stell nicht zu viele Fragen und befolge meine Anweisungen, um Liv zu helfen."
Anweisungen. Früher hätte er sie als Befehle bezeichnet und mich nicht mal darum gebeten, sondern hätte es einfach befohlen. Er hatte sich wirklich geändert, seitdem er Olivia begegnet ist. Aus diesem Grund nickte ich. Wenn er mich so fragte, konnte ich schlecht nein sagen.
"Nimm diesen Zettel." Vorsichtig nahm er einen kleinen Zettel aus seiner Hosentasche. Er wirkte so, als würde er aus Pergament bestehen und sehr dreckig sein. "Öffne ihn nicht und lies ihn unter keinen Umständen." Hastig drückte er ihn mir in die Hand und schloss meine Hand zu einer Faust. "Versteck ihn, verbrenn ihn, wirf ihn weg. Mach damit, was du willst, aber verrate keinem, was du damit machst, auch nicht mir. Ich vertraue dir, weshalb ich dir diese Aufgabe übertragen möchte. Kannst du das für mich und Olivia tun?"
Verwirrt starrte ich auf meine Faust. Was war so wichtig, dass ich es nicht mal erfahren durfte? Ich wollte schon wissen, was dadrin stand, aber diese verzweifelten Augen hielten mich davon ab. "Wenn der Prinz das will, soll der Prinz es bekommen." Sagte ich nur mit einem breiten Grinsen und steckte den Zettel in meine Hosentasche. Was dort wohl stand?

If I hadn't met youWo Geschichten leben. Entdecke jetzt