Der Waldboden war uneben und locker. Es hatte vor einigen Tagen stark geregnet, was es für Wölfe ziemlich schwierig darstellte, die Jagd aufzunehmen, während Kojoten beinahe alle entfliehen konnten.
Ich ruschte fast aus, aber konnte mich geradeso noch an einem Baum festhalten. Verwirrt blinzelte ich einige Male. Die Nächte hatten eine sehr hohe Luftfeuchtigkeit, was mich oft aus dem Konzept brachte. "Olivia!" Meine Stimme durchdrang die dunkle Nacht, aber die angesprochene Person lief strikt weiter.
Mir war bewusst, dass ich nicht viel bezwecken konnte, aber ich konnte Liv doch nicht auf diesen selbstzerstörerischen Tripp lassen. Sie verletzte andere, ohne mit der Wimper zu zucken und schien nicht mal den Hauch eines schlechten Gewissens zu haben. Wenn sie irgendwann wieder zurückkommen sollte, würde sie sich grenzenlose Gedanken darüber machen, was sie letztendlich anderen angetan hatte.
Sie verprügelte sie mit einer Kraft, die ich sonst nur bei Marco oder Tyra sehen konnte. Ihr Nagual wirkte in meinen Augen perfekt beherrscht und ihr Wolf war schon fast eins mit dem Schatten und wenn sie mit Thomas jagte, kann man nur einen Gedanken für die Beute haben: Stehe ihnen bei.
"Du weißt, dass das nicht recht ist, oder?" Ich stieß mich vom Baum ab und torkelte dem schwarzen Tod hinterher. Ich mochte diese Bezeichnung nicht, da sie sich praktisch damit abfand, dass wir die alte Olivia verloren haben. Olivia schwieg und lief unbekümert einen Hang hinab. Ihr Bruder folgte ihr mit dem paralysierten Mann auf der Schulter. "Wir können nicht einfach umher laufen und andere töten, wie es uns beliebt!"
Ruckartig riss Olivia Blackstorm ihren Kopf in meine Richtung, blieb aber nicht stehen. "Sympathisierst du etwas mit den Darachs? Willst du mir etwas sagen, dass du doch mit ihnen im Bunde bist?" Ihre kalten und bodenlosen Augen beobachteten mich genauestens. Ich fühlte mich unwohl, da sie mir praktisch in die Seele starrte, aber im Gegnsatz zu früher tat sie es nur zu ihrem eigenen Wohl. Sie würde mich töten, wenn ich etwas falschen sagen würde. Da war ich mir sicher.
Ich hasste es, wenn man andere, ohne Fragen zu stellen, tötet. Sie hatten auch ein Heim und eine Familie. Wir konnten sie doch nicht einfach töten. Das hätte die alte Olivia auch gewusst. "Nein, aber wer gibt dir das Recht darüber zu entscheiden, wer leben darf und wer nicht?"
Meine Schwester drehte sich um und verschränkte die Arme hinter ihrem Kopf. "Und wer gibt den Darachs das Recht, andere zu foltern, zu ermorden und einen Krieg zu starten? Es ist idealistisch zu denken, man könnte ohne Blutvergießen einen Krieg stoppen, aber es ist auch sehr dumm. Die Darachs haben nach allem nicht mal ansatzweise das Recht, zu leben."
Schockiert rannte ich los und packte sie an ihren Schultern. Das brachte sie zum Stoppen und auch Thomas wurde langsamer und starrte mich wütend an. "Du kannst nicht einfach darüber entscheiden!"
Die Kraft in Olivias Schlägen war schon immer beängstigend, aber seit sie mit Jiaki tranierte, wurden diese Schläge so unglaublich angsteinflößend. Ihre Hand berührte mich mit Schwung an meiner Wange und schleuderte mich einige Meter durch den Wald. Ich kam in einem nassen Graben zu stehen, aber konnte mich direkt aufrappeln. Sie hatte mich nicht verletzt. Sie hatte mich lediglich durch die Gegend geschleudert.
Meine Augen suchten ihre, aber sie hatte sich bereits umgedreht und ging mit Thomas weiter. Ich hörte nur ihre entfernte Stimme, als sie zu mir rief. "Du sagst, ich hätte nicht das Recht über Leben und Tod zu entscheiden, aber im Gegensatz zu dir habe ich auch niemals darüber geurteilt. Habe ich nicht recht, Mörder?"
Wortlos starrte ich den Silhouetten hinterher. Ich hasste es, dass sie recht hatte. Seitdem wir die Jagd auf Läufer aufgenommen haben, habe ich schon sieben Gestaltwandler getötet. Es waren vier Kojoten, zwei Wölfe und ein Nagual. Die meisten waren Erwachsene, aber der eine Kojoten, dem ich das Leben nahm, war vielleicht neun gewesen. Es verfolgte mich jede Nacht und ich konnte mit diesem Gewissen kaum umgehen. Der einzige Grund, warum ich noch weitermachen konnte, war meine Schwester.
Ich konnte das Blut nur ertragen, da ich wusste, dass es für sie war.
Der Kleine war mein erster Mord. Wir waren zu dem Zeitpunkt ziemlich erfolglos, aber bei einer Patrouille mit dem schwarzen Tod wurden wir überfallen. Olivia fiel einen Hang herunter und stand kurz davor, ihrem Angreifer die Kehle herauszureißen. Ich wusste nicht, was mich trieb, aber ich warf mich diesen Hang herunter, riss den Angreifer mit mir und rammte meine Hände so tief in seine Brust, dass ich sein Herz umschließen konnte. Schockiert musste ich feststellen, dass der Angreifer nur ein kleines Kind war. Er trug nicht mal das Mal der Darachs und ich hatte ihn getötet, damit Olivia kein Blut an den Händen hatte.
Ich hätte mich beinahe übergeben, aber ich wusste, für wen ich das tat. Und die nächsten sechs Morden waren ebenfalls für den Zweck, Olivia vor dem Schicksal eines Mörders zu bewahren. Ich konnte aber keinen Dank erwarten, da Olivia nichts mehr fühlte. Da war nur Dunkelheit in ihrem Herzen und das Ziel, ihre Gegner auszulöschen. Aber das war nicht recht!
Müde schlurfte ich über den feuchten Waldboden und nach einiger Zeit gelangte ich auch Zuhause an. Das Blackstorm-Haus sah immer noch so aus wie früher, aber alles hatte sich geändert.
Ich öffnete unbeholfen die Tür und sofort schwang mit der Geruch von Tod und Verwesung entgegen. Selbst wenn sich die Läufer nur in Luft auflösen und keine Spur auf ihre Existenz hinterlassen, riecht man trotzdem, dass sie gestorben sind. Früher hatten wir sie im Keller ausgefragt, aber sehr viele sind bereits im Wohnzimmer eingegangen, dass sich der ganze Aufwand gar nicht mehr gelohnt hat.
Meine müden Augen überflogen das Bild im Inneren des Hauses. Olivia fesselte den paralysierten Mann mit der offenen Brust an einen Stuhl, während Thomas nach Alex schrie. Ich roch durch die Verwesung hinweg, dass mein Mate hier war.
Ein Schnipsen rüttelte mich wieder wach. Ich suchte die Quelle und entdeckte Olivias Finger, die zur ersten Etage hinzeigten. Sie sagte nichts und war weiterhin mit ihrer Tätigkeit beschäftigt, aber ich wusste, was sie von mir wollte.
Müde lief ich die Treppe hoch und ging sturr auf das Arbeitszimmer der Grays zu. "Hey, ich bräuchte-"
"AHHHHHH!!!" Der Schrei ließ mich zusammenfahren. Ich konnte Max panisch durch die Gegend rennen sehen, ehe er eine leere Flasche packte und sie gegen die Wand warf. "Ich weiß doch auch nicht." Rief er mit einem entschuldigenden Blick in keine bestimmte Richtung und rannte weiter zu einem Schreibtisch.
Hinter ihm stand seine Schwester an einem Bett. Das Bett brannte.
Verwirrt starrte ich die Flammen an, die das Holz verschluckten. Mein Blick fiel auf Auralia, die einen Eimer voller Wasser mit Schwung an die Wand und am Feuer vorbei schmiss. "Habe ich getroffen?" Fragte sie, aber als die Flammen wieder ausschlugen, wusste auch sie, dass sie verfehlt hatte. "Wo ist meine Brille? Ich kann nichts sehen!" Panisch rannte sie durch das Zimmer und stieß beinahe mit ihrem Bruder zusammen.
"Sie ist auf deinem Kopf, Auralia." Sagte ich ruhig und sah dabei zu, wie sie sich ihre dicke Brille aus den Haaren zog und wieder auf die Nase setzte.
Ich war nicht sonderlich überrascht, dass sie sich so pampig anstellten. Die beiden waren für so vieles zuständig, dass sie mit nichts hinterherkamen. Ab einem bestimmte Punkt ist bei ihnen einfach nur die Sicherung durchgebrannt und seitdem standen sie unter einer Art Dauerstress.
"Keine Zeit. Nimm!" Max lief an der Tür vorbei, in der ich stand, und drückte mir ein Gefäß in die Hände. Mit einem Schrei rannte er weiter und lief auf das Feuer zu, das nach nichts roch. Es war nur hell und hatte eine geballte Zerstörungskraft.
Ich starrte das Gefäß in meinen Händen an und musste leicht lachen. Ich sollte eine Paste holen, die das Gift der Naguals etwas neutralisierte. Wenn man das nicht tat, heilten die Wunden nicht und es drohte eine Infektion, die bei der Größe unseres heutigen Opfers sehr gefährlich sein würde.
Aber nun stand ich hier und hielt Vaseline in den Händen. Ich betrat leise das Zimmer, griff nach der eigentlichen grünen Paste und schloss die Tür wieder zu, während die Geschwister weiterhin schreiend und panisch in ihrem Zimmer hin und her liefen.
Ich lief wieder in Richtung Erdgeschoss, aber da ich auf die Paste starrte, rannte ich gegen jemanden gegen. Entschuldigend hob ich sofort meinen Kopf, aber entdeckte nur den wütenden Shang. "Sorry." Murmelte ich und erhielt nur als Antwort ein Schnauben.
Die meisten, die sehr eng mit Olivia befreundet waren, hassten diese Situation. Shang hatte seine eigene Truppe und musste Läufer jagen, aber er hasste es. Eigentlich wollte er nur kämpfen und Zeit mit seinem Freund verbringen, aber daraus wurde nichts. Er vermisste Olivia, aber auch Christopher.
Seitdem sie so kalt geworden ist, war auch ihr Mate nicht mehr ganz bei der Sache. Er wirkte so fern und wenn man ihn ansprach, starrte er einen nur verwirrt an. Er war immer noch ein fantastischer Kämpfer und ein gefürchteter Jäger, aber er wirkte so fern und die Schuld in seinen Augen schnürte mir die Luft ab. Warum guckte er so mitgenommen?
Als ich unten ankam, stand schon Alex vor unserem Gefangenen. Ich überreichte ihnen nur die Paste und verließ danach sofort das Haus. Ich wollte mir das nicht anhören und konnte es auch nicht ertragen. Alex hatte die meisten Erfahrungen mit dem Verhör von Kojoten und hatte ebenfalls mit Thomas den besten Überblick über ihre gesamte Situation, da sie der erste Kommandat des neuen Alphas war. Man hätte sie eigentlich auch schon als Beta der Blackstorms bezeichnen können, obwohl sie noch so jung war.
Auch wenn ich mich für sie freute, konnte ich nicht ertragen, wie sie diese unschuldigen Tiere behandelte und am Ende ihrem Schicksal überließ. Sie war zwar immer noch die alte Alex, wenn man mir ihr sprach, aber ihre Taten bei der Arbeit sprachen eine ganz andere Sprache.
"Was ist los?" Mein Kopf schnellte in die Höhe, als ich eine bekannte Stimme vernahm. In der Dunkelheit tauchten Marco und Lawrence auf, die eine dritte Person im Arm hielten und stützen mussten, während diese sich etwas torkelnd fortbewegte.
Marco und Lawrence waren die einzigen, die sich seit Olivias Geburtstag kaum verändert hatten. Lawrence war immer noch die besorgte Mutter unserer Gruppe und Marco war immer noch der schlagfertige Krieger, aber beide wirkte heute erschöpfter als sonst. "Das frage ich euch." Gab ich schließlich nur zurück und zeigte auf die Person in ihren Armen.
"Das ist nur Hyaku-Sama." Lawrence nahm seine freie Hand und wollte den Erben der Füchse stützen, aber Marco kam ihm zuvor und stieß ihn nur zu Boden.
"Ich bin wie Alex ein Kommandant der Blackstorms. Ich sollte wie Shang einen Trupp haben und Olivia unterstützen. Ich sollte wie Isabelle Läufer jagen, aber das einzige, was ich tue, ist einen erwachsenen Mann mit Lawrence zu babysitten. Ich will helfen, aber irgendwie scheint mir, ich bin zu nichts besserem zu gebrauchen." Genervt schlug sich der junge Silverstone ins Gesicht und stöhnte genervt aus.
Ich wünschte mir, ich könnte die gleichen Wünsche haben. Marco war so unberührte vom Schrecken, der uns bei unserer Arbeit erwartete. Er wollte zwar helfen, aber konnte nicht wissen, was wirklich hinter allem steckte und inwiefern sich alle verändert hatten. Er sollte froh darüber sein, dass er nur auf Hyaku aufpassen musste.
"Ich habe nicht darum gebeten." Murmelte der Watanabe-Erbe in den Boden und drehte sich genervt um. "Ich wollte nur, dass ihr mich nicht abhaltet und wenn ihr wüsstet, wie ich mich fühle, würdet ihr das auch nicht."
Genervt stieß Marco die Luft aus und starrte auf den Älteren mit seinen blauen Augen hinab. Überrascht griff Lawrence nach seinem Arm und wollte ihn abhalten, von was auch immer er vorhatte, aber Marco ließ sich nicht beirren. "Was war denn diesmal der Grund?"
"Ich habe sie gehört." Hyaku drehte sich auf den Rücken und starrte den dunklen Himmel an. "Ich habe meine kleine Schwester und diesen Beaumon-Erben gehört." Er schüttelte sich, als hätte er einen kalten Schauer. "Wie würdest du dich fühlen, wenn du deine kleine Schwester mit einem Typen erwischen würdest?"
Sofort versteifete sich Marco. Er hatte eine kleine Schwester, aber seit dem Überfall auf Lupus Luna hatten wir nichts mehr von ihr gehört. Sie wollte nach Leon suchen, aber da wir nun wussten, dass er sich in den Händen der Darachs befand, konnte keiner sagen, was mit Jamie Silverstone war.
Genervt stapfte Marco über den Platz, schob mich beiseite und betrat das Haus der Blackstorms. Lawrence stand nur weiterhin überrascht da. "Was hat er denn?" Ehrliche Verwunderung spiegelte sich in den roten Augen des Fuchses wieder.
"Nichts. Und deine Schwester und Sir Henry haben vermutlich nichts gemacht. Sie wirken immer so, als würden sie gleich übereinander herfallen, aber eigentlich gehen sie sich nur an die Kehle, um herauszufinden, wer der bessere von beiden ist." Aufmunternd schenkte ich Hyaku ein leichtes Lächeln, als Lawrenve ihm aufhalf. Erst da bemerkte ich das große Loch in seinem Rumpf.
Ernsthaft?
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If I hadn't met you
WerewolfVerstehst du denn nicht, dass es die einzige Chance ist? Töte ihn und ich komme zurück. Töte ihn und ich kümmere mich um das Rudel. Töte ihn und wir werden diesen Feind ein für alle mal los. Es spielt jetzt auch keine Rolle mehr... auch wenn er dein...