Kapitel 30

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Langsam löste er sich von mir und schaute mich prüfend an. Das warme Gefühl seiner Lippen verließ meine, doch zum Glück ließ er noch seine Arme um mich geschlungen.
"Du Spinner." Murmelte ich, aber konnte meinen Blick nicht von seinen klaren, goldenen Augen lösen.
"Weißt du, warum ich so empfindlich darauf reagiert habe, als du meintest, dass mein Vater sich für mich schämen würde?" Hauchte er gegen meine Lippe und wie hypnotisiert schüttelte ich den Kopf. "Weil er sich wirklich für mich schämt. Er wollte immer einen starken und mächtigen Erben für sein Rudel haben, doch erhielt er nur einen Schwächling, der sich von der Einsamkeit fürchtet." Er zog mich von meinem Platz auf seinen Schoß und vergrub sein Gesicht in meiner Halsbeuge. "Er hat nie seinen Mate gefunden und der Gedanke daran, dass ich ebenfalls so einsam und verbittert leben könnte, lässt mich erstarren." Er fing an kleine Kreise auf meinen Rücken zu malen, während ich mich entspannt in seine Arme sinken ließ. "Er wollte aber immer einen Erben und die Tatsache, dass er seinen Partner nicht fand, hielt ihn nicht auf. Er vergewaltigte etliche Frauen seines Rudels, die er als stark erachtete, bis eine von ihnen ein Kind gebar. Mich."

"Leon, warte! Es würde die Sache nicht besser machen, wenn du ihr jetzt einfach folgst!" Schrie ich nun schon zum siebten Mal, als Leon aufbrechen wollte, seine Schwester zu suchen und ihr alles zu erklären.
Er schenkte mir einen wütenden Blick, aber setzte sich dann wieder auf den Sessel, den er im Morgan Haus für sich beschlagnahmt hatte.
Liv und Leon hatten sich noch nie gestritten. Sie waren unzertrennlich und als Leon mir von seinem Versprechen Liv gegenüber erzählt hat, habe ich wirklich geglaubt, dass die Beiden nie wieder etwas trennen könnte. Doch ich hatte mich geirrt.
"Sollten wir sie vielleicht doch nicht suchen? Immerhin ist sie ziemlich aufgebracht und verwirrt. Sie alleine zu lassen, wäre nicht die weiseste Entscheidung." Shang stand auf und wollte schon zur Tür gehen, aber ich rief auch ihn wieder zurück.
"Isabelle hat Recht. Wir sollten ihr erstmal Zeit für sich lassen. Als ich herausgefunden habe, dass ich der Erbe der Morgan bin, musste ich das auch erstmal alleine verarbeiten, ehe ich mich jemanden anvertrauen konnte." Lawrence ließ sich auf Shangs freien Platz fallen und betrachtete uns nachdenklich. "Ich frage mich aber nur, was mit Leon ist. Er ist hier, ohne ein Werwolf zu sein. Die Schutzschilde halten aber jeden draußen, der nicht hierher gehört."
Er hatte recht, aber ehe wir unsere Gedanken teilen konnte, riss jemand die Tür auf oder eher aus den Angeln. Eine weiße Gestalt hatte die Tür in den Flur getreten und kam wütend auf uns zu gelaufen. "Blackstorm, was hast du dir dabei gedacht?" Rief er in einem bedrohlichen Ton, den ich sofort einem Alpha zuordnen konnte.
Verwirrt drehte sich Leon zur Tür, aber wurde sofort vom Sessel in die Luft gerissen. "Was zum-" Presste er noch hervor, ehe der Alpha ihn fallen ließ und ihm einen Tritt in den Magen verpasste.
Schockiert wollten wir ihm zu Hilfe eilen, bis wir erkannten, wer sein Gegner war. Die weißen Haare und die goldenen Augen waren das Markenzeichen des jungen Alphas der Whitenights.
"Du bist Olivia ein paar Antworten schuldig! Sie hat dir vertraut und du hast sie einfach belogen und betrogen!" Wutentbrannt starrte er auf Leonard Blackstorm herab.
"Was glaubst du eigentlich, wer du bist?" Mit einem schmerzverzogenen Gesicht stand Leon langsam auf und erwiderte den Blick. "Du hast keine Ahnung, was ich alles auf mich nehmen musste, um meine kleine Schwester zu beschützen. Glaub ja nicht, dass du mir hier irgendwas erklären kannst, nur weil du ihr Mate bist. Du hast keine Ahnung, was damals geschehen ist!"
"Du hast keine Ahnung, was ich weiß. Sie hat mir im Gegensatz zu dir, alles verraten, weil ich immer ehrlich zu ihr war. Du hättest ihr wenigstens sagen können, dass du kein Werwolf bist. Es hätte ihr Herz dann nicht allzu sehr gebrochen, wenn sie es von dir gehört hätte!" Erneut griff Christopher nach seinem Kragen, aber ich konnte mir das nicht mehr ansehen.
"Hört auf! Das ist es nicht wert. Wo ist Liv überhaupt?" Fragend schaute ich mich nach meiner Adoptivschwester um, aber konnte sie nicht in diesem Raum nicht sehen.
"Sie wartet in meinem Auto. An dem Ort, an dem sie mir ihre Geschichte erzählte, die sie nicht mal euch anvertrauen konnte!"
Schockiert hielt ich die Luft an und selbst Leon, der sonst nie Emotionen zeigte, konnte seine aufkommende Abscheu nicht unterdrücken. "Du hast was!?"
Man konnte deutlich die Verwirrung des jungen Alphas erkennen. "Was meinst du damit?"
Entsetzt stieß Leon den Größeren von sich. "Du kannst Livvy nicht einfach alleine lassen. Du magst zwar ihre Geschichte kennen, aber du kennst sie nicht. Du kannst sie nicht alleine lassen. Wenn sie ganz alleine lässt, wird sie sich noch umbringen!"
Schockiert blieb Whitenight stehen. Jedenfalls ging ich davon aus. Sein Körper wirkte wie versteinert und seine Augen wurden immer dunkler, bis das strahlende Gold wie ein dunkles Braun wirkte. Er rührte sich nicht und starrte Leon ausdruckslos an. Und Leon starrte zurück.
Verwirrt sah ich zwischen den Beiden hin und her. Was war denn jetzt mit Liv? Will sie keiner retten? Doch ehe ich diesen Gedanken aussprechen konnte, hob Leon seine Hand, setzte seine schlanken Finger am Kragen seines Hemdes an und öffnete es mit einem Schwung. Verwirrt zuckte ich zurück. Warum zog er sich jetzt vor dem Alpha eines anderen Rudels aus?
Alle anderen im Raum schienen genauso verwirrt, auch wenn ich ahnen konnte, dass Marco die Aussicht irgendwie gefiel.
Schweigend griff Leon nach Whitenights Hand und drückte die Finger gegen seine Brust. Verwirrt hob ich eine Augenbraue. Was sollte das? Doch als ich näher trat, konnte ich erkennen, was Leon damit bezwecken wollte. "Ich bin ihr Bruder," Begann er und ließ seine Hand sinken. Whitenights Hand ruhte jedoch weiterhin auf der Brust meines Adoptivbruders. "aber das hat sie nicht aufgehalten, mir das anzutun." Und nach diesen Worten ließ auch der junge Alpha seine Hand sinken.
Ich würde diese Narben überall wiedererkennen. Dicke, wulstige Narben, die sich über seinen gesamten Oberkörper erstreckte, sprangen mir entgegen. Es waren vier parallel laufende Narben, die nur von einer Klaue hätten stammen können, doch es war nicht die Klaue eines Werwolfs. Die Wunde war dafür viel zu tief. Wir wussten damals nicht, was geschehen ist oder was Liv sich dabei gedacht hatte, aber sie hatte ihren eigenen Zwillingsbruder angegriffen. Sie hatte nichts mehr gesehen. Es war das erste Mal, dass sie eine Panikattacke und nur die Erlebnisse von damals vor Augen hatte. Sie war eine Furie, ein Monster und hat nicht davor gezögert, ihre Eltern, ihre Geschwister und sich selbst auf brutale Art und Weise zu verstümmeln. Und das nur, weil wir sie alleine gelassen haben.
"Du hast bestimmt von ihr gehört, dass ich sie belogen und betrogen habe. Aber das ist nur zu ihrer Sicherheit." Verwirrt blickte ich zu Leon. Ja, er hatte sie verraten, aber wie sollte so ein Vertrauensbruch für ihre Sicherheit sorgen? "Sie hat damals fast die Wahrheit herausgefunden und du siehst ja, was es mit sich führte."
Die Zwillinge hatten nie über das Ereignis damals gesprochen. Leon war der einzige, der sich in das Zimmer getraut hat, um Livv aufzuhalten. Er hat sein Leben dafür aufs Spiel gesetzt, denn sie hätte ihn an diesem Tag getötet, wenn sie die Möglichkeit dazu gehabt hätte. Sie war nicht mehr sie selbst und das könnte jetzt wieder der Fall sein.
"Es macht sie kaputt, all das zu erfahren. Sie hat viel zu viel erlebt, als dass sie mit all dem umgehen könnte. Deshalb haben wir es verschwiegen und sie mit Samthandschuhen angefasst. Ich wollte mit dem Lügen aufhören, da es mich genauso zerstörte wie meine Schwester, aber das war vermutlich die falsche Entscheidung." Mit Schwung packte Leon die Schulter des Alphas, aber der stand nur schweigend vor ihm. Seine Augen hatten einen helleren Ton angenommen und er wirkte wieder mental anwesend.
Ein Nicken reichte und die Beiden rannten los. Wir konnte gar nicht so schnell reagieren, als dass wir es hätten sehen können. Überrascht riss ich meinen Kopf zur Seite und die anderen wirkten ebenfalls so überrascht wie ich.
"Blondie, seit wann ist der Blackstorm so schnell wie mein Alpha? Was ist dieses Wesen eigentlich?" Shangs Augen versprühten ehrliche Verwunderung, aber ich konnte diese Frage nicht beantworten. Ich wusste es nicht. Keiner wusste es, aber da sollte sich bald ändern.

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