Kapitel 99

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Es sind mittlerweile sechs Tage, seitdem ich in Nalawe gelandet bin und eines ist mir klargeworden: Niemand hier kümmert sich um Privatsphäre oder achtet darauf, dass jemand mithören könnte und das ist für jemanden, der ein Außenstehender ist, sehr merkwürdig.
Es war an meinem dritten Tag, dass ich Lady Alexandra Williams wiedergesehen habe oder sollte ich vielmehr sagen Lady Alexandra Morgan? Ich war soeben mit meiner Schicht fertig geworden, die Kranken abzukühlen, als Lord Lawrence Morgan in den Pausenraum geplatzt ist. Lady Williams hatte irgendwas gesucht und wäre beinahe von ihrer Leiter gefallen.
"Alex!" Hatte Lord Morgan geschrien, was sie noch mehr aus der Bahn warf. Entweder war er etwas beschränkt oder ich hatte einfach nur einen sechsten Sinn für angebrachtes Verhalten, da mir deutlich bewusst war, dass er sich daneben benahm.
"Was willst du, Morgan?" Hatte sie ihm als Antwort an den Kopf geworfen, nachdem sie wieder Grund unter den Füßen hatte.
"Heirate mich!"
Ich hatte mit allem gerechnet, nur nicht damit, dass er ihr einen Heiratsantrag machen würde und dann auch noch so ungeschickt. Sie schien es aber nicht sonderlich zu schockieren, dass er nicht mehr als seinen Antrag vorbereitet hatte. Als mein großer Bruder geheiratet hat, ist er mit einem selbstgejagten Elch zurückgekommen, um seinem Liebsten zu umschmeicheln, aber was weiß ich schon von Anträgen? Ich hatte nie Interesse an irgendjemanden gezeigt außer Lady Williams oder Lady Gray, also warum sollte ich mir über so was Gedanken machen?
Lady Williams hatte ihn für einen Moment angestarrt, bis sie den Mund öffnete. "Ich bin in der Badewanne ausgerutscht und habe versucht, mich am Wasserstrahl festzuhalten. Sicher, dass ich für einen Erben der Wendigo-Gründerfamilie geeignet wäre?"
Ich musste mich wirklich beherrschen, nicht laut loszulachen. Sie wirkte immer so mächtig und erhaben, dass ich so was niemals von ihr erwartet hätte.
"Du hast mich nie verlassen, verurteilt oder verstoßen. Als ich Mononoke begegnet bin und widerwillig gegen ihn kämpfen musste, ist mir erst bewusst geworden, was ich für ein Monster sein könnte. Ich konnte erst dann verstehen, warum sich alle vor mir fürchten und die Tatsache, dass du alles für mich aufgegeben hast, kann ich dir mit nichts zurückzahlen. Mir bleibt nur mein eigenes Leben und ich liebe dich. Ich liebe dich mehr als meine eigene Existenz und ich will mit niemandem sonst zusammensein. Wenn das alles hier vorbei ist, will ich dich zur Frau nehmen!" Für jemanden, der in der Mittagspause seinem Mate einen Antrag machte, war Lord Morgan ziemlich eloquent.
Zu meinem Unglück hat sie sofort eingewilligt und das ist die Geschichte, wie ich mitansehen musste, wie mein erster Crush zu einer Verlobten wurde. Mein Leben läuft.
Der Grund, warum ich daran zurückdenke, ist eigentlich nur, weil diese Situation sich schon fast wieder abspielte. Ich war schon sehr erschöpft, da ich mich um Isabelle Whitenight kümmern musste und Lord Christopher Whitenight mir ständig an den Fersen klebte und jeden meiner Schritte überprüfte. Glaubte er denn, ich würde der Cousine eines geborenes Alphas irgendwas antun? So dumm bin ich auch wieder nicht.
Jedenfalls hat das sehr viele meiner Nerven gekostet und nun das. Auralia Gray und Thomas Blackstorm stritten sich. Ich hatte keine Nerven, über ihre Worte nachzudenken, weshalb ich nur nach einem Apfel griff und mir die Show ansah.
"Komm schon, Auralia. Willst du dir nicht mal anhören, was ich zu sagen habe?" Lord Blackstorm griff nach ihrem Handgelenk, aber die große Frau konnte sich schnell wieder losreißen.
"Willst du nicht verstehen, dass ich nichts mehr von dir hören will? Dir ist es vielleicht immer noch nicht bewusst, aber ich hasse dich. Ich kenne Olivia schon fast ihr gesamtes Leben und du hast ihr ihr restliches Leben genommen. Die Tatsache, dass du Peter umgebracht hast, war nicht aus logischen Gründen oder um sie zu beschützen. Du hast ihn ermordet, weil du ein kleines trotziges Kind bist, dem etwas genommen wurde. Du wolltest dich nur rächen, weil dir deine große Schwester weggenomme wurde, aber rate mal was. Du bist nicht der einzige, mit einer tragisches Lebensgeschichte. Lawrence und Alex waren immer alleine. Sie hatten nur einander und wurde von allem und jedem verstoßen. Du hattest eine wunderbare Familie, die dich geliebt hat und auch, wenn du es nicht zugeben willst, Peter hat euch alle geliebt! Marco wurde immer von seinem Vater verstoßen und das nur, um ihn vor seiner homophoben Großmutter zu retten. Er kann sich in einem Krieg der Gestaltwandler nicht verwandeln und kämpft trotzdem mutig mit. Jetzt schwebt sein Leben in Gefahr, da er alle anderen retten wollte und das einzige, was du in dieser Sitaution tust, ist, die Liebe seines Lebens, Shang Wu, einzusperrren und als einen Verbrecher zu behandeln, nur weil ihm Olivias Leben wichtiger war als irgendein Status. Versteht du es nicht? Du verhältst dich wie ein kleines Kind. Wenn dir etwas nicht passt, zerstörst du es einfach und lernst nicht dazu. Ich hase dich dafür, dass du das Leben von so vielen Personen zerstörst und nicht mal bereit bist, deine Fehler einzugestehen."
Langsam ließ Lord Blackstorm ihren Arm los und starrte auf den Boden. "Glaubst du wirklich, ich weiß das nicht?" In seiner Stimme schwang Schmerz mit und selbst ich, der nichts wusste oder verstand, empfand Mitleid für ihm. "Jeden Tag mache ich mir diese Vorwürfe. Wenn ich Olivia nicht die Kraft der Alphas genommen hätte, hätte sie vielleicht mehr psychische Stärke gehabt, nicht zu einem gnadenlosen Monster zu werden. Wenn ich ihr das nicht angetan hätte, hätte sie sich gegen die Darachs verteidigen können. Ich weiß das doch, aber ich kann es nicht mehr ändern und würde es auch nicht wollen, selbst wenn ich es könnte."
"Du bist unmöglich." Sie lief an ihm vorbei.
"Ich tue es für das Rudel!" Seine Tonlage wurde immer verzweifelter. "Ich habe Olivia den Darachs überlassen, da ich gespürt habe, dass etwas nicht stimmte. Sie mögen meine Geschwister sein, aber ich kann ihr Leben nicht mehr wichten als mein Rudel. Ich habe diese Verantwortung übernommen und muss damit leben! Ich habe Shang eingesperrt, da er meine Autorität in Frage gestellt hat. Soll ich wirklich vor meinen Verbündeten wie ein kleines Kind wirken, das nicht mal gegen den Beta eines fremden Rudels ankommt? Es tut mir leid, dass ich so viele Herzen gebrochen habe, aber es war für mein Rudel!"
Und tatsächlich blieb Auralia stehen. "Das habe ich schon sehr oft von ihm gehört..."
"Was meinst du?"
Sie schüttelte den Kopf. Langsam drehte sie sich um und schaute ihn. Sie trug keine Brille, weshalb ich ihre großen grauen Augen genau sehen konnte. Sie waren mit Tränen gefüllt. "Du bist ein guter Mensch, Thomas, aber ich kann nicht ignorieren, was du getan hast... du ähnelst ihm sehr stark."
Und mit diesen Worten verließ sie den Raum. Thomas verstand wohl genauso wenig wie ich, aber nachdem er sich wieder gefasst hatte, lief er ihr hinterher. Hatten sie überhaupt bemerkt, dass ich auch im Zimmer war? Kopfschüttelnd stand ich auf.
Jetzt hatte ich wirklich Lust, etwas Dummes zu tun. Vorsichtig schlich ich die Gänge des Sanatoriums entlang, bis ich den Ausgang fand und zum Hauptgebäude rennen konnte. Ich hatte zwar noch einiges zu erledigen, aber ich wollte ihn kennenlernen. Ich wollte unbedingt wissen, wer dieser Shang Wu sein soll.
Es war nicht sonderlich viel los, weshalb ich unentdeckt das Haus betreten konnte. Yako hatte mir bestätigen können, dass sie und die Füchse erst am Abend kommen würden und bis dahin hatte ich noch eine Stunde Zeit.
Das Hauptgebäude wirkte noch viel verlassener als das stumme Sanatorium. Es dauerte eine Weile, aber ich fand eine eiserne Tür, die mich in einen Raum führte, den ich sofort erkannte. Es war ein Raum, in dem sich junge Werwölfe das erste mal problemlos verwandeln konnten. Und direkt in der Mitte saß ein Wolf mit langen schwarzen Haare, der an den Boden gekettet war. Das musste Shang Wu sein.
"Entschuldigung?" Vorsichtig betrat ich den Raum und zuckte trotzdem zusammen, als Shang Wus Kopf in die Höhe schoss und er mich mit einem tiefgreifenden Hass anstarrte, der das Blut in meinen Adern gefrieren ließ. Als er jedoch merkte, dass ich ein neues Gesicht war, wurde seine Miene sofort fragend.
"Wer bist du und was willst du?" Er wirkte nicht sonderlich gefährlich, aber was wusste ich schon? Ich erkannte Gefahr erst dann, wenn es schon fast zu spät war. Das ist vermutlich auch einer der Gründe, warum ich immer noch versuchte, Lord Whitenight davon zu überzeugen, mich Onkel zu nennen. Ich war einfach unverbesserlich oder dumm oder beides.
"Mein Name ist Eric Goldenforest. Kennst du jemanden namens Marco Silverstone?" Ich wollte eigentlich nur sicherstellen, dass er wirklich der Shang war, nach dem ich suchte. Doch als ich den Namen aussprach, verfinsterte sich sofort seine Miene und er wirkte so, als würde er mir gleich den Kopf abreißen wollen. Er machte mir Angst, obwohl er kein Alpha war.
"Was ist mit ihm? Willst du mir etwa sagen, dass er tot ist? Habe ich denn nicht schon genug gelitten? Erst verliere ich diese kleine Miss 'Ich nenne dich Xuezhang und wir sind automatisch beste Freunde', dann werde ich von diesem dreckigen Alpha verprügelt, werde von einer meiner engsten Freunden an diesen hässlichen Alpha verraten und muss nun von meinem Mate getrennt leben, obwohl dieser jede Sekunde sein Leben verlieren könnte. Habe ich nicht schon genug gelitten?"
"Nein." Meine Beine gaben nach. Diese Art der Stimme kannte ich, aber nicht in diesem Ausmaß. Es war die Stimme eines Alphas und es war das erste mal, dass ich einen Gründer seinen Befehl aussprechen hörte. "Du hast dich gegen mich gestellt, also musst du dafür bestraft werden. Und was willst du hier, Eric Goldenforest?" Bedrohlich packte Lord Blackstorm meine Schulter und zog mich wieder auf meine Füße.
Mir fehlten die Worte. Ich wollte eigentlich nur gucken, wer Shang Wu sein sollte und jetzt befand ich mich in den Händen eines gefährlichen Alphas. Was hatte ich falsch gemacht, um hier zu landen? "Ich wollte nur gucken!"
Misstrauisch hob der Alpha seine Augenbraue. Okay, wem machte ich hier was vor? Er schaute mich so an, als würde er mir kein einziges Wort glauben, das meinen Mund verließ. "Er ist ein Verräter und jeder, der einem Verräter hilft, ist auch einer."
"Macht mich das auch zu einem Verräter?" Die Miene des Alphas versteinerte sich und er ließ mich los. Wo bin ich hier gelandet? Ich wollte nur wissen, wer die große Liebe Marco Silverstones sein sollte, da sein Vater mein neuer Alpha war. Ich hatte nicht damit gerechnet, in einen Konflikt von genau diesem Alpha und Thomas Blackstorm zu geraten.
"Lord Silverstone, du bist also auch endlich angekommen." Die kalte Stimme des Alphas der schwarzen Wölfe erzeugte bei mir eine Gänsehaut und damit meine ich nicht die angenehme Art. Ich hatte verdammte Angst hier. Auch Shang Wu wirkte nicht sonderlich begeistert.
"Das bin ich. Ich wollte eigentlich nur den kleinen Goldenforest einsammeln, aber wie ich sehen, hast du immer noch nicht auf mich gehört." Lord Silverstone kam näher und komischer Weise war ich derjenige, der zurückwich. Die beiden Alphas dagegen standen nun von Angesicht zu Angesicht da.
"Ich soll einen Verräter laufen lassen, weil du es mir sagst? Du mordest ohne Gnade. Ich muss mir nichts von dir befehlen lassen."
Lord Silverstone lachte. "Ich habe meinem eigenen Sohn aus Angst vor meiner Mutter oft das Recht auf Glück und Liebe genommen. Shang ist das beste, was ihm in seinem Leben jemals geschehen ist. Ich werde alle Mittel nutzen, um dieses Glück zu bewahren, also denk ja nicht daran, meinem Sohn das Herz zu brechen, indem Shang etwas passiert. Marco steht an der Klippe des Todes. Er braucht die Liebe seines Mates. Wer bist du, ihm das zu nehmen?"
"Ich bin der Alpha."
Meine Beine gaben nach. Ich hatte ihn vor kurzem noch seinen Mate flehen hören, ihn zurückzunehmen, aber ich verstand nun langsam, was sie an ihm hasste. Ich habe zwar oft gehört, dass Mates perfekt füreinander waren, aber es schien nicht immer der Fall zu sein oder Lord Blackstorm war einfach nicht der Typ Mann, auf den ich stehen würde. Ich konnte aber nicht abstreiten, dass er unglaublich dominant war.
"Hey, großer Alpha! Irgendwas stimmt bei deinem Rudel nicht!" Shang Wus Stimme durchschnitt wie eine Klinge die angespannte Stimme. Verwirrt richteten wir uns alle zu ihm. "Ich kann deutlich hören, dass sich Herzschläge reduzieren. Was ist los?"
"Blackstorm! Der Ripper!" Und mit diesen Worten schoss ein Feuer durch den Gang, aus dem ich getaumelt bin. Aus dem Feuer trat eine junge Frau mit brennenden Augen. Es war Yako Watanabe! "Isabelles Koma hat keine Wirkung mehr. Ihr Ripper ist aktiv und bekämpft meine Füchse, weil sie aus Nalawe will. Mach was dagegen!"
Sofort wollte Thomas losrennen, aber Shang Wu unterbrach ihn. "Wage es ja nicht, mich hier einfach hängenzulassen! Ich muss Marco beschützen! Ich bin sein Mate!"
Doch Thomas drehte sich nicht um. Ich ging nicht davon aus, dass man die Ketten einfach lösen kann, sonst hätte Lord Silverstone das schon längst getan.
Ich war noch ganz in Gedanken, was ein Ripper wohl mit Kitsunes anstellen würde, weshalb ich nicht merkte, dass mein Alpha meinen Arm packte und aus dem verbrannten Gang zog. "Was-?" Brachte ich nur zustand. Der Rauch drang in meine Lunge ich begann stark zu husten.
"Ich bringe dich nach Lupus Luna. Es ist hier zu gefährlich für dich!"
Ich wollte mich dagegen wehren, aber tat es nicht. Ich hätte einerseits nichts gegen den Ripper unternehmen können und andererseits war es ein Befehl meines Alphas. Außerdem hatte mich Yako gebeten, eine Botschaft weiterzuleiten, weshalb ich mich mitziehen ließ.
Ich mochte es hier eigentlich. Auch wenn es viele gab, waren die Personen hier sehr liebenswert. Ich hatte durch den ganzen Stress mit den Darachs vergessen, was es bedeutet, eine Familie zu haben. Ich musste überleben, wenn ich das Kind meiner Schwester finden wollte. Ich konnte mich nicht auf irgendwelche sinnlosen Kämpfe einlassen, die nichts mit mir zu tun hatten. Ich musste leben und wenn das bedeutete, Nalawe hinter mir zu lassen, dann sollte es wohl so sein. Ich hoffe wirklich, dass sie überleben. Die Naguals haben mir bewiesen, dass mit ihnen nicht zu spaßen ist.

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