Kapitel 112

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Eine kalte Flüssigkeit berührte meine Lippen und als sie meinen Rachen herunterlief, riss ich meine Augen auf. Ein Mann mit kalten blauen Augen hatte diese auf meine Lippen fixiert und versuchte konzentriert, die Flüssigkeit in meinen ausgetrockneten Mund zu kippen. Dankend öffnete ich meinen Mund weiter und nahm die kühle Flüssigkeit entgegen.
"Wow, ich habe noch nie jemanden gesehen, der so gierig meine Pisse trinkt." Schockiert spuckte ich die Flüssigkeit bei diesen Worten aus und kassierte dafür ein belustigtes Lachen. "Glaubst du wirklich, dass ich dich mit Pisse bekippe? Das ist Wasser." Er hielt mir die Flasche wieder entgegen. "Oder ist es das wirklich? Wer weiß das schon? Dein Mundraum ist so ausgetrocknet, dass du nicht mal den Unterschied zwischen Schokolade und Scheiße ausmachen könntest. Was für eine Rolle spielt ein bisschen Pisse schon?"
"Was willst du?" Fragte ich, während ich versuchte, die restliche Flüssigkeit loszuwerden. Selbst wenn es nur Wasser war, wollte ich nichts von diesem Mann annehmen. Nach Leonards Auftritt stieg mein Hass zu ihm nur immer mehr. Wie konnte er den Körper eines Kindes nur an eine Horder Männer verkaufen? Hatte er denn komplett verlernt, was es bedeutet, ein normales Wesen zu sein, das etwas Anstand besitzt?
Ohne irgendeinen weiteren Kommentar abzulassen, antwortete er mir. "Ich will, dass du uns hilfst, die Hybriden in die Welt zu setzen. Das Problem ist, dass all unsere Versuchsobjekte verreckt sind. Wir haben jetzt nur noch deine kleinen Freunde zur Verfügung und ich bin mir sicher, dass du sie am Leben halten willst. Wahrscheinlich willst du es genauso dringend, wie wir Darachs unsere Mischlinge am Leben halten wollen. Ich will dir nichts vorspielen. Wir wollen es nur hinter uns bringen. Bist du dabei oder brauchst du etwas Hilfe, damit wir dich überzeugen? Vor Christopher hast du diesen starken Vertreter unserer Einstellung gespielt, aber wie sehr entsprach das überhaupt der Wahrheit?"
Ich drehte meinen Kopf zur Seite, was mich daran erinnerte, dass mein Hals vermutlich komplett offen und wund war. Das kümmerte mich aber nicht. Ich wollte ihn nicht ansehen. "Wieso braucht ihr meine Hilfe? Ich bin mir sicher, dass eure Darachs viel angebrachter sind als ich."
"Sie sind nicht so verzweifelt wie du." Er packte mein Kinn und riss es so, dass ich ihn anschauen musste. "Nur Levi Michaels ist bereit, uns bei diesem Plan zu helfen. Wir sind ein Rudel, aber haben sehr unterschiedliche Überzeugungen und Pläne. Ich will mit meinen Leute die Welt erobern und diese erneut von Naguals regieren lassen, während Jason alle schwarzen Wölfe auslöschen und die Hybriden aufsteigen lassen will. Levi dagegen will das gesamte Wissen der Welt an sich reißen und weiser werden als Himiko selbst, die seit der alten Zeit lebt. Aber was wollen die Darachs? Keiner weiß es. Na ja, damit will ich eigentlich nur sagen, dass sie uns nicht helfen und mir langsam die Geduld ausgeht."
"Das ist nicht meine Schuld. Ihr hättet euch bessere Verbündete suchen sollen, wenn euch das Verhalten der Darachs nicht gefällt."
Zolin starrte mich eine Weile an. Dann packte er meine Arme und zog so sehr daran, dass die Ketten aus der Wand brachen und mit ihnen meine Knochen. Überrascht stieß ich die Luft in meiner Lunge aus und taumelte in seine Arme. "Ich mache keine halben Sachen. Wenn ich sage, dass wir deine Freunde leiden lassen, kümmere ich mich persönlich darum."
Er riss mich von meinen Füßen und warf ich mit einem Schwung über die Schulter. Ich hatte keinerlei Möglichkeit, mich gegen ihn zu verteidigen. Nun lag ich auf seiner Schulter und wurde durch die kühlen Gänge getragen. Ich wusste nicht, was mich erwartete, als er mich von seiner Schulter rutschen ließ und eine Tür öffnete. Ich konnte aber mein Herz laut schlagen hören, als er meinen Arm packte und mich in den Raum zerrte. Ich wollte ihm nicht die Genugtuung gönnen, dass er mir wehtun konnte, weshalb ich den Schmerz herunterschluckte. Es war trotzdem unglaublich schmerzhaft, wie er mit meinen offenen Armen umging.
"Siehst du das?" Er packte meinen Schädel und riss ihn in die Höhe. "Das ist ein Kerker. Dort sitzt nicht deine Schwester, sondern jemand anderes."
Erneut starrte ich gegen dieses verzauberte Glas, das niemanden durchließ. Wieder war es so dunkel, dass ich kaum was erkennen konnte, aber ich konnte riechen, dass es sich nicht um Jiaki handelte. "Was soll das?" Ich merkte, dass ich ihn anzischte, aber eigentlich kümmerte mich grad gar nichts mehr.
"Licht an!" Wie auf Kommando erhellten sich beide Räume und ich konnte erkennen, wer sich hinter den Scheiben befand. "Hör zu, Prinzessin." Verächtlich spuckte er meinen Titel aus. "Es wäre gut, wenn du auch vor mir so tun könntest, als ob du auf unserer Seite wärst, da mir langsam die Geduld ausgeht und das meine ich ernst. Du siehst die beiden Ladies dort? Ja? Perfekt. Beide sind seit Tagen nicht mehr bei Bewusstsein. Wir haben schon unzählige Experimente an ihrem Blut durchgeführt, mit dem Blut zukünftiger Hybriden. Keiner weiß, ob sie überleben, aber wen kümmert das schon. Ich weiß aber, dass sie dir wichtig sind, also streng dich lieber an, sonst werden sie sterben."
"Sie sind keine Mischlinge!" Keuchte ich, als ich dabei zusehen musste, wie den beiden Frauen erneut irgendeine verdächtige Flüssigkeit gespritzt wurde.
"Das stimmt, aber der Fuchs trägt das Kind eines Kojoten und der Werwolf das Kind eines Wendigos unter ihrem Herzen. Das sind Mischlinge und wir werden uns nicht davor zurückhalten, an Kindern Experimente durchzuführen." Zolin ließ mich los und lief auf die Scheibe zu. Er klopfte in einem bestimmten Rhythmus gegen das Glas, bis ein Piepen erklang und er sich wieder zu mir drehte. "Rede mit ihnen."
"Was?" Verwundert wollte ich mich erheben, aber meine Beine ließen das nicht zu.
"Olivia!" Eine panische Stimme erklang hinter dem Glas und ließ mich erstarren. Ich hatte mir geschworen, das Leben von damals hinter mir zu lassen. Ich wollte sie alle nie wieder sehen, aber nun waren nicht nur Marco und Christopher vor mir, sondern auch Yako und Alex. Die beiden hatten persönlich nichts mit allem zu tun. Und noch weniger hatten ihre Kinder etwas mit diesem Krieg zu tun. Es war meine Schuld, dass sie überhaupt hierher gebracht wurden. Wenn ich mich nicht damals für Leonard entschieden hätte, wären sie nicht hier.
"Alex!" Ich konnte mich nicht aufrichten, als ich ihren Namen durch den gesamten Raum schrie. "Du Pisskopf, wie konntest du mir nicht verraten, dass du schon diese Art der Beziehung mit Lawrence hattest?" Ich wollte lachen, aber es schmerzte der Gedanke, dass ich den beiden das Glück einer normalen Familie genommen habe. Ich wusste, dass sich auch Lawrence hier befand.
"Wir sind verlobt!" Sie wollte vermutlich glücklich klingen, mir diese Botschaft übermitteln zu können. Das Schluchzen zerstörte diese Illusion jedoch.
"Ich hoffe doch, dass ich die dreckige Reden halten kann. Ich will bei eurer Hochzeit allen sagen, was für ein furchtbarer Mitbewohner du warst! Ich will allen erzählen, dass du googeln musstest, wie man Wasser kocht. Ich hoffe doch, dass du mir das alles übel nimmst!"
Alex lachte auf. Ich konnte ihr Gesicht nicht sehen, war mir aber sicher, dass es Tränen überströhmt war. "Bitte nicht. Das wird sonst zu peinlich. Am Ende schämt sich unser Kind noch für ihre dummen Eltern."
"Sie?" Ein Schluchzen drang nun auch aus meiner Kehle.
"Ich weiß es noch nicht, aber ich habe so ein Gefühl, dass es eine kleine Prinzessin sein wird. Ich hoffe doch, dass ihre Tante Olivia ihr keinen Müll beibringen wird!"
"Olivia?" Die zweite Frau rief meinen Namen. "Olivia! Du musst uns helfen." Die Panik in Yakos Stimme ließ mich zusammenzucken. "Mir ist egal, ob wir hier rauskommen. Es spielt keine Rolle. Es ist ja nicht so, dass wir reine Seelen besitzen und auf jeden Fall das Leben verdient haben. Wir beide sind Mörder. Unsere Kinder haben aber nichts damit zu tun! Sie sind frei von den Sünden ihrer Eltern. Sie haben es verdient zu leben. Versprich mir, dass du sie hier rausbringst!"
"Yako!" Ich wollte aufspringen, aber Zolin kam mir zuvor und fing mich im Sprung auf. "Nein! Yako! Alex! Lass mich los! Ich muss zu ihnen! Yako! Alex!"
Doch unsere Schreie wurden von der eisernen Tür unterbrochen, die mich von ihnen unumgänglich trennte. "Also, bist du genügend motiviert? Wenn du uns nicht hilfst, dann werden alle vier sterben."
"Warum ich?" Meine Stimme überschlug sich, als ich mich von ihm riss und gegen die Wand taumelte. "Wieso muss ich das machen? Wieso tut ihr mir das an? Wieso stellt ihr mir dieses Ultimatum? Wieso muss ich das tun?"
"Weil dein Bruder keine Ahnung hat und deine Schwester kurz vor ihrem Ende ist."
Meine Kinnlade klappte herunter. "Jiaki ist WAS?"
"Ich habe dir doch gesagt, dass wir sie mit Drogen vollgepumpt haben. Ich hatte nicht verstanden, warum dich Leonard zu ihr brachte. Sie war so dicht, dass sie weder hören noch sehen konnte. Du hast sie so sehr angeschrien, dass ich dir schon fast erklären wollte, dass sie dich nicht hören kann. Ich verstand aber schnell, dass es alles nur für die Manipulation war. Deine Verachtung für Jiaki ist so weit gestiegen, dass du nichts mehr mit der Allianz zu tun haben wolltest. Das ermöglichte uns, sie ungestört anzulöschen. Mein Sohn ist ein verdammtes Genie." Stolz grinste Zolin in sich hinein.
Meine Beine bewegten sich von alleine. Ich rannte sofort zur Tür, hinter der sich Jiaki befand. Ich hört nicht, ob mir Zolin folgte, aber das spielte auch keine Rolle mehr. Panisch riss ich die Tür auf und rannte durch das dunkle Zimmer, bis ich gegen die Glasscheibe knallte. "Jiaki! Jiaki!" Keiner reagierte. Ich schlug mit all meiner Kraft gegen die Scheibe, aber hier hatte Leonard nicht gelogen. Ich konnte sie nicht zerstören, egal wie viel Kraft ich anwand, die Scheibe blieb bestehen.
"Lass das." Zolin packte meinen Arm und zog mich wieder an sich. "Sie kann dich nicht hören. Es ist erbärmlich, dass du das machst. Lass es gut sein."
"Nein!" Ich konnte ihn mit meinem Schrei sogar von mir wegdücken. "Licht!" Erstaunlicherweise reagierte der Sensor auf meine Stimme und der Raum wurde wie damals von Licht durchflutet. "OH MEIN GOTT!"
"Oh." Überrascht trat Zolin an die Scheibe und betrachtete die Mutter seines Kindes. "Das ist neu. Levi hatte mir zwar gesagt, sie könnte sich durch die Drogen etwas antun, aber ich hatte ehrlich nicht damit gerechnet, dass sie sich die Augen nehmen würde." Er legte seinen Kopf schief und betrachtete meine am Boden liegende und keuchende Schwester wie ein neues Paar Schuhe. "Ist das für dich Grund genug, uns zu helfen? Wenn die schwangeren Damen nicht überzeugend genug waren, drohe ich halt einfach offiziell, deine Schwester so lange zu misshandeln, bis sie entweder durch die Wunden stirbt oder sich das Leben nimmt. Hast du endlich genügend Motivation?"
Wie paralysiert starrte ich in die Blutlache, in der meine Schwester lag. Ich konnte meine eigenen schockierten Augen sehen. Und nur ein Gedanke kam mir in den Sinn: Der Täter starrt mir entgegen. Es war meine Schuld. Alles war meine Schuld. Alex, Yako und ihre Kinder würden sterben, wenn ich nichts tat. Jiaki hatte sich fast das Leben genommen, ich habe Christopher gebrochen und Marco muss um sein Leben kämpfen. Das alles ist meine Schuld. Wer weiß, was sie mit den anderen beiden, Isabelle und Lawrence, getan haben. Es ist alles meine Schuld und jetzt muss ich die Konsequenzen tragen. Es ist ein Preis, den ich nicht zahlen kann, aber zahlen muss.
"Zolin." Fragend schaute er mich an. "Bring mich zum Labor."

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