Kapitel 62

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Als ich aufwachte, war ich alleine. Etwas überfordert wischte ich meine getrockneten Tränen weg und schaute mich um. Ich befand mich immer noch in meinem Zimmer, doch ich war alleine. Der Geruch meines Mates hing zwar immer noch in der Luft, aber ich konnte seinen Herzschlag nirgendwo ausmachen. Wo ist er?
Müde erhob ich mich und öffnete die Tür. Im ersten Moment erwartete ich meinen Bruder neben meiner Tür sitzen. Früher hatte er immer auf mich gewartet und mich jeden Morgen in Empfang genommen. Aber Leon saß dort nicht. Es war nur eine nackte Stelle im Flur, die ihre Bedeutung und Liebe verloren hat. Ich wusste nicht, warum ich etwas anderes erwartet habe, aber die Enttäuschung schnürte mir deutlich die Kehle zu.
Als ich das Wohnzimmer betrat, in dem ich mit meinen Geschwistern früher Hockey spielte und unsere Mutter immer in Rage brachten, da wir ihr Geschirr genutzt hatten, sah ich auf der Couch eine beschäftige Alexandra sitzen. Konzentriert starrte sie einen Zettel an und schaute erst hoch, als ich sie leicht an der Schulter berührte.
"Oh." Überrascht starrten mich ihre grünen Augen an. "Ich habe dich ja gar nicht bemerkt." Peinlich berührt steckte sie den Zettel ein und klopfte neben sich. Ich wollte sie erst fragen, was in diesem Zettel stand, aber dann entschied ich mich doch um und setzt mich neben sie. "Du siehst nicht mehr so scheiße aus."
Verwirrt zog ich meine Augenbrauen zusammen. Was war das denn für eine Aussage? Es war relativ früh am Morgen und das erste, was ich zu hören bekam, war das? "Danke?"
"Du warst gestern wirklich angelenkt." Unbekümmert redete sie weiter, als hätte sie nicht bemerkt, dass mich diese Aussage etwas aus der Bahn geworfen hat. "Deine Augen wirkten so leer und tot. Jetzt wirken sie nur noch tot. Das ist doch ein Forschritt!" Ich spürte, wie sie mir auf den Rücken klopfte, wie ein Vater, der stolz auf seinen Sohn ist, da er seinen ersten Fisch geangelt hatte, aber ich wusste nicht, wie ich darauf hätte reagieren sollen. "Aber um dich zu beruhigen," Ernst kam sie meinem Ohr etwas näher und schaute sich etwas verschwörerisch um. "du siehst nicht schlimmer aus als Peter."
"Kannst du den Mann nicht leben lassen?" Lachend betrat Shang den Raum und bedachte uns mit seinen wachsamen braunen Augen. "Du sprichst so vertraut von ihm und dabei kennst du ihn, wie lange? Drei Tage? Suchst du etwas nach einem Sugar Daddy?"
"Boah Shang."
"Xuezhang, bitte." Angewidert und lachend hielt ich mir den Mund zu. Was redete der Typ eigentlich immer für einen Müll?
"Ich hätte nichts dagegen. Ein bisschen Geld schadet nie. Vielleicht sollte ich mich auch anbieten." Sagte Lawrence, als er den Raum betrat und wackelte mit den Augenbrauen, während er den Kragen seines Hemdes etwas lockert und somit seine Schlüsselbeine entblößte.
"Leute! Das ist mein Vater!" Lachend stieß ich Alexandra von mir, als sie auch mit den Augenbrauen wackelte und meinte, sie wolle auch meinen Daddy haben.
"Ich will euch nicht unterbrechen, aber eigentlich will ich euch unterbrechen." Mit einem angewiderten Gesichtsausdruck senkte Tyler Silverstone seine Zeitung und betrachtete uns etwas besorgt. Es war nicht die Art von Sorge, die man seinem kranken Kind schenkte, sondern eher die Sorge, mit der man einen Geisteskranken bedachte. Ich hatte gar nicht bemerkt, dass er ebenfalls im Zimmer war.
"Sind alle hier?" Sofort änderte sich die Atmosphäre, als mein Vater das Zimmer betrat und uns fragend anschaute. Er wirkte nicht allzu ernst oder wütend, aber seine Anwesenheit allein sorgte dafür, dass wir verstummten und den Kopf senkten.
"Nein, Daddy, sechs fehlen noch." Genervt antwortete ihm Tyler und es fiel mir sehr schwer, meine Beherrschung zu wahren. Was ist grad passiert?
"Wir sind hier!" Eilig betraten Thomas, Max und Auralia das Zimmer und in einer weiteren Tür erschienen Tyra und Jiaki. Diese weiterer Tür kannte ich gar nicht. Sie wirkte irgendwie neu, aber auch nur, weil ich sie noch nie gesehen habe. Woher kamen die beiden denn? Dort waren mit Sicherheit keine Gästezimmer.
"Gut, hinsetzen. Wir haben einige Sachen zu besprechen." Ernst zeigte mein Vater zu uns und nur widerwillig hörte Thomas auf ihn. Mein Bruder wollte nicht auf ihn hören oder seinen Befehlen gehorchen, aber in solchen Momenten würde er sich nur, wie ein kleines Kind aufführen, sollte er sich dagegen stellen.
"Ihr habt bestimmt bemerkt, dass wir uns im Krieg befinden. Überraschung. Und ihr seid wichtige Krieger auf unserer Seite. Jedoch weiß ich durch James und Kouhei, dass ihr im Kämpfen so gut seid, wie ich als Vater. Also grauenhaft." Peter Blackstorm sagte alles ruhig und ernst, auch wenn seine Worte einen anderen Klang hätten haben sollen. "Ihr werdet also von euren Seniors unterrichtet werden, damit ihr nicht nur im Weg steht. Als erstes..."
"sollten wir uns um das andere Rudel kommen." Etwas außer Atem platzte Marco in das Zimmer, indem er die Tür so kräftig aufschlug, dass sie aus den Angeln flog. Der junge Silverstone stand schweratmend und ohne Oberteil in der Tür. Erst jetzt konnte man richtig sehen, wie dünn und schmächtig er eigentlich war. Ich bin zwar schon von einer ähnlichen Statur ausgegangen, da ihm ein eng geschneidertes Kleid perfekt passte, aber diese blasse Haut und der schmale Körper wirkten schon fast hager. "Ich weiß nicht, warum niemand daran gedacht hat, aber die Silverstones sind für sie zuständig!" Und mit diesen Worten drehte er sich.
Sofort sprang Peter auf und ließ die Zeitung fallen. "Verdammt!" Zischte er, als er versuchte, sein Hemd hochzuziehen, um seinen Rücken zu entblößen. Im Gegensatz zu seinem Sohn war er kräftig gebaut, hatte einen gesunden Hautton und einige Narben über seinem Bauch verteilt. Doch das war nicht das, worauf alle achteten. Tyler und Marco Silverstone hatten beide große Alphamale auf ihrem Rücken. Bei Tyler verlief es, wie bei meinem Vater, über den gesamten Rücken und hatte einen tiefschwarzen Ton, wie frische Tinte in der Haut. Marcos dagegen war etwas kleiner und man konnte noch viel von seinem weißen Rücken erkennen.
Tyler hatte Marcel getötet und Marcel ist der Alpha unseres Nachbarrudels gewesen. Warum hatte niemand daran gedacht?
Mit einem finsteren Ausdruck in den grauen Augen drehte sich Marco um und zog sich einen Pullover von Shang über den Kopf. "Ich wollte nie ein Alpha oder für ein Rudel verantwortlich sein, aber da mein geliebter Vater einen Alpha töten musste, haben wir automatisch die Verantwortung übernommen. Geh zu ihnen und kümmere dich darum!" Überrascht hob ich die Augenbrauen. Marco wich seinem Vater nicht änglich aus, sondern bot ihm die Stirn? Was ist passiert? Der Junge hat sich ganz schön verändert.
Kurz zögerte Tyler. Er schien ebenfalls ein wenig überrumpelt, doch nickte anschließend. "Komm mit." Und mit diesen Worten drehte sich Tyler um und lief aus unserem Haus.
Etwas perplex schob Marco seine Hände in die Taschen. Er schien nicht damit gerechnet zu haben, seinem Vater folgen zu müssen.
"Soll ich mitkommen?" Besorgt bedachte Shang ihn, doch wurde nur mit einem leichten Kopfschütteln zurückgewiesen.
Marco atmete tief ein und aus und lief seinem Vater anschließen hinterher. Er drehte sich nicht um oder verabschiedete sich von uns. Er folgte nur seiner Pflicht und Verantwortung, auch wenn es ihm nicht gefiel. Ein schlechter Alpha wäre er vermutlich nicht.
"Jedefalls..." Etwas verwirrt kratzte sich mein Vater am Hinterkopf und versuchte, den Fade wiederzufinden. "Meine Frau und die Erben der Gründerfamilien befinden sich aktuell in der Stadt, um ihre Leute zu trainieren. Ihr könnt ihnen gerne beitreten und euch von Elitekämpfern unterrichten lassen. Thomas und Lady Kyle werden auch in die Stadt gehen und dort mitmischen. Es ist euch aber überlassen, ob ihr kämpfen wollt oder nicht."
"Ich bin dagegen." Ernst schaute Auralia auf. In ihre Augen konnte ich sehen, dass sie sich sehr um uns sorgte, aber ich hatte das Gefühl, dass diese Sorge überwiegend ihrem kleinen Bruder galt. Wir sind Rudeltiere und wir würde uns immer und in jeder Situation erst um die anderen sorgen, ehe wir an unser eigenes Wohl dachten und das besonders, wenn es um die Familie ging.
Auralia hatte diese Rudelmentalität einst bewiesen, als wir eine Reise unternommen hatten. Xavier Gray und seine Familie sind mit den Blackstorms nach Irland gereißt, da das das Heimatland der Druiden ist und er seinem Erben mehr beibringen wollte, wie mir nun bewusst wurde. Zu diesem Zeitpunkt wusste ich noch nichts von den anderen Familien und dachte, er würde ihr nur lustige Bücher zeigen. Aus diesem Grund sind Max und ich auch einfach abgehauen. Er war sehr naiv und glaubte mir alles sofort, da er mir vertraute. Und das nutzte ich an diesem Tag aus, da ich etwas Spaß haben wollte. Jedoch gibt es überall Meschen, die andere in Leid stürzen, für ihren eigenen Wohlstand. Max war nicht nur ein Werwolf und der Sohn eines Druiden, er war auch besonders attraktiv für den Menschenhandel, da er ein sehr einzigartiges Auftreten hatte.
Ich wollte nur etwas im Wald spielen gehen, doch war das mein Fehler. Wir wurden kurzerhand überfallen und sofort überwältigt. Ich konnte nichts mehr machen. Ich war in meiner Angst gefangen, da mich alles viel zu sehr an meine Entführung der Darachs erinnerte. Ich konnte nur zusehen, wie diese wilden Bestien Max betrachteten und erfreut aufschrieen. Max lag das Verwandeln nicht und wenn er Angst hatte, verwandelte er sich als Kind oft, ohne es zu wissen. Und man kann sich bestimmt denken, wie viel Geld ein Junge mit grauen Haaren, einem grünen und einem goldenen Augen brachte. Er hatte sich nur teilweise verwandelt, aber es war nicht genug, sie zu überwältigen und zu viel, um die Jäger noch gieriger zu machen.
Doch dann erschien Auralia. Sie hasste das Kämpfen und würde lieber alles opfern, um einer direkten Konfrontation aus dem Weg zu gehen, doch nicht dieses eine Mal. Sie überwältige die Männer leichterhand und rannte ihnen sogar hinterher, selbst nachdem sie sich das Bein brach, um ihren kleinen Bruder zu schützen. Wenn ich jetzt so daran zurückdenke, hatte sie vermutlich die Magie der Druiden angewendet, aber ich weiß noch genau, dass ich sehr viel Respekt für diese Frau entwickelte und sich das bis heute nicht geändert hat.
"Was meinst du damit?" Argwönisch kreuzte mein Vater seine Arme. "Du bist gegen den Krieg? Herrlich! Das bin ich auch, aber wir müssen ihn trotzdem kämpfen."
"Es sind noch Kinder!" Ich merkte, wie sie versuchte, ihre Ruhe zu bewahren, indem sie ihre Zähne zusammenbiss, aber es fiel ihr sehr schwer. "Sie sind nicht mal volljährig und du willst sie schon in den Krieg schicken? Was bist du eigentlich für ein furchtbarer Vater?"
"Sie sind keine Menschen." Ein Ausdruck entstand im Gesicht des Alphas, den ich noch nie zuvor gesehen habe. Er war unerbittlich. "Du magst zwar ein Druide sein, ein Mensch, den wir in unseren Reihen willkommen heißen, aber du bist nicht einer von uns. Du kennst die Regeln der Wölfe nicht und du weißt auch nicht, was es bedeutet ein Wolf zu sein." Unnachgiebg zog er den jungen Druiden auf die Füße und drehte ihr Gesicht zu uns. Zu meiner Überraschung ließ Thomas ihn gewähren. "Siehst du das? Das sind Krieger der Nacht. Sie mögen zwar jung sein, aber sie sind erbarmungslose Kämpfer, wenn es darum geht, ihr Rudel zu beschützen. Im Gegensatz zu deinesgleichen leben wir nicht allzu lange. Wir werden sehr schnell erwachsen und lernen diese grausame Welt kennen. Merk dir diese Augen gut, denn das sind die Augen der Krieger, die dich in diesem Krieg schützen und retten werden."
Mit einer rohen Gewalt drückte der Alpha ihren Kopf in die Richtung von uns jungen Wölfen und ich merkte, wie Auralias Augen zu flackern begannen. Ich dachte erst, dass sie zu weinen beginnen würde, aber das tat sie nicht. Sie starrte nur von einem Augenpaar zum nächsten und ich wusste, was sie sah.
Sie sah die kalten Augen von Tieren, in denen ein Feuer lorderte, das man nicht löschen kann. Es war ein Kampfgeist, den nicht mal der stärkste Gegner unterdrücken könnte. Wir sind Wölfe. Wir sind die Wölfe der Blackstroms, Krieger der Nacht und darauf aus, alles zu beschützen, was uns gehört. Und wenn wir dafür über Leichen gehen müssen. Und genau das konnte Auralia sehen.
Langsam schloss sie die Augen und nickte. Ein Hauch von Erleichterung erschien in den Augen meines Vaters und er ließ sie los. "Die jungen Wölfe können sich natürlich aussuchen, von wem sie unterrichtet werden. Jedem steht das frei, außer Olivia."
Verwirrt starrte ich meinen Vater an und stellte ihm eine Frage. Jedoch war diese Frage nicht auf seine Aussage bezogen, sondern auf etwas ganz anderes. "Und für was darf sich Leon entscheiden?"

If I hadn't met youWo Geschichten leben. Entdecke jetzt