Kapitel 32

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"Klein Blackstrom, du bist schon wieder hier?" Shang warf sich auf die Couch neben mir und schaute mich an. Er schien von mir nicht sonderlich begeistert zu sein, aber das war er nie.
"Wo soll ich denn sonst hin?" Gab ich zurück, als er eine passende Position zum Liegen gefunden hatte und mich erwartungsvoll und verachtend zugleich ansah.
"Ich weiß nicht, vielleicht zu deinem Rudel oder in dein Haus? Weib, du hast viele Möglichkeiten, warum musst du hier mit mir sein?" Genervt ließ er seine Hände sinken, welche auf den Boden fielen. Er lag mit dem Rücken auf der Couch, aber seine Beine hingen über der Rückenlehne und er starrte mich von unten an, weshalb ich ihn nicht richtig ernst nehmen konnte.
"Das könnte ich dir zurückgeben." Kicherte ich und konnte nicht mal aufhören, als er mich wütend anstarrte. Er wirkte mal nett und fürsorglich, aber meistens ist er nur genervt von uns und will seine Juniors nicht in der Nähe haben. Was ein netter Kerl.
"Das hier ist mein Rudel." Sprach er laut und deutlich. "Ich bin der Beta. Ich kann nichts dafür, dass ich eigentlich ins Blackstorm-Haus gehöre, aber das ist trotzdem mein. Rudel."
Lachend schüttelte ich den Kopf und legte mein Buch beiseite. "Und ich könnte die Luna werden, also hab ich das gleiche Recht wie du."
Sofort schnallte seine Augenbraue in die Höhe. "Du kannst Chris noch nicht mal leiden."
Da hatte er Recht. Er hatte mich zwar vor einer Panikattacke gerettet und mich aufgenommen, als ich Abstand von meinem Bruder brauchte, aber so wirklich leiden konnte ich ihn immer noch nicht. Auch wenn wir über unsere Familien und Geheimnisse gesprochen hatten, hatte sich nichts zwischen uns verändert. Ich konnte ihn nicht leiden und er wollte mich nicht hier haben. Er wollte mich nicht haben, um mich dann doch irgendwann verlieren zu können, aber das änderte mein Bild von ihm eher weniger.
Ich winkte es nur mit meiner Hand ab, da Shang genau wusste, dass ich dieses Gespräch nicht führen würde.
"Darf ich hier sein?" Fragend betrat Marco das Zimmer mit einem übergroßen Hoodie, der sehr stark nach meinem Bruder roch.
"Du auch noch? Mann, kann man hier überhaupt noch seine Ruhe vor den Blackstorm-Gören haben?" Genervt rollte sich Shang ab und landete leichtfüßig auf seinen Füßen, um dann einfach das Zimmer zu verlassen.
"Du bist auch ein Blackstorm, sonst wärst du nicht in dem Haus!" Rief ich ihm noch hinterher, aber entweder war er schon weg und konnte mich nicht mehr hören oder er ignorierte mich wie immer.
"Ihr habt ein wundervolles Verhältnis." Lachte Marco und setzte sich auf die Couch, die Shang eben verlassen hatte.
"Oder? Und was läuft so bei euch?" Ich legte meinen Kopf schief und merkte, dass Marco sofort rot anlief, aber nur den Kopf schüttelte.
"Nichts. Er ist zwar netter zu mir als damals, aber er sieht mich nur als ein Gör der Blackstorms an."
Zwischen den Beiden hatte sich in den letzten Wochen nichts getan und ich fragte mich wirklich, ob Shang seinen Mate schon gefunden hatte und deshalb Marco so ignorierte. Konnte ihm dieser zierliche Junge, der ihn anbetete, nicht auffallen?
"Und wie läuft's bei Isabelle?" Fragte ich, als das Schweigen zu unangenehm wurde. Ich habe die letzte Zeit versucht, das Haus der Blackstorms so gut wie möglich zu meiden. James wollte mich erst belehren, dass es nicht gut für mich wäre, wenn ich erst nach Mitternacht nach Hause kam und vor vier wieder aus dem Bett sprang, aber er war selbst nicht besser, weshalb er seine Standpauke abgebrochen hatte. Ich konnte einfach nur nicht länger in der Nähe meiner Geschwister sein, auch wenn ich mir vorstellen konnte, dass Isabelle ebenfalls nicht eingeweiht war.
"Ach, die trifft sich in letzter Zeit sehr oft mit Maximilian. Sie hat, um ehrlich zu sein, gar kein Bock auf all das Drama. Sie hat sich mit ihrem Mate zurückgezogen und lässt euch machen. Sie hat gar keine Lust mehr auf euch."
Lachend zuckte ich mit den Schultern, als ich seine Worte hörte. "Sie hatte nie Bock auf uns. Manchmal habe ich das Gefühl, dass sie nur bei uns ist, weil sie muss. Aber das ist nun mal Isabelle. So war sie schon immer und wird auch genauso bleiben. Keine Kritik an meine Familie, aber wir können wirklich anstrengend sein."
Unwillkürlich nickte Marco. "Ja... also... ihr könnt sehr speziell werden, aber sie liebt euch. Isabelle hat mir gesagt, dass sie dich dein Leben leben lässt. Sie liebt und bewundert dich und will dir daher nicht im Weg stehen, wenn du dein wahres Ich entdecken willst. Und das hätte ich vermutlich nicht sagen dürfen." Er sprach mit solch einer Monotonie, dass ich erst nach einigen Sekunden merkte, dass der letzte Teil nicht zu seinem Bericht gehörte. "Aber was willst du jetzt zwischen dir und Leonard machen? Er ist die ganze Zeit bei Lawrence und Alexandra und wird dementsprechend auch von anderen Schülern behandelt. Ich glaube, er möchte sich selbst zerstören."
Ich zuckte zusammen. Nicht etwa, weil wir so grausam zu unsereins sein können und auch nicht, weil Leon so litt, sondern weil er sich selbst zerstörte. Es war bei ihm schon immer eine Art Schutz seinerseits gewesen, dass er sich nach Problemen in Gefahren brachte, um von irgendjemanden bestraft zu werden. "Was willst du mir damit sagen?" Ich wusste, dass Marco das nicht einfach nur beiläufig sagte, sondern mich auffordern wollte, etwas zu tun. Aber ich wusste nicht, was ich hätte tun sollen.
"Rede mit ihm. Ich weiß, er hat dich verletzt, aber das geht schon Wochen so. Er macht sich kaputt und dein Schweigen hilft nicht unbedingt zu seiner Gesundheit bei. Bitte ignoriere ihn nicht weiterhin. Er bringt sich noch um." Flehentlich sah er mich an und es schmerzte wirklich, ihm diese Bitte abzuschlagen. Aber das auch nur um seinetwillen und nicht etwa wegen Leon.
"Ich kann nicht. Ich kann ihm nicht verzeihen und seine Selbstmordversuche werden mich nicht umstimmen. Nicht dieses Mal." Ich stand auf, wodurch ich Marco endlich mal überragte und er somit schockiert zu mir hochschauen musste.
Ich konnte seine Augen genau lesen. 'Wie kannst du nur so etwas zu deinem Bruder sagen? Er ist doch immer noch dein Bruder. Bitte hilf ihm und sei nicht so herzlos. Er ist immer noch dein Bruder!'
"Du kannst hierbleiben." Murmelte ich, als ich schon fast das Zimmer verlassen hatte. "Ich komme später wieder. Ich muss noch etwas erledigen." Und mit diesen Worten ließ ich ihn zurück.

"Yako-Sama! Hyaku-Sama! Bitte wartet einen Moment!" Erschöpft blieb ich vor den Beiden stehen und musste ein paar Mal tief Luft holen. Unser Internat war riesig und als Jungtier die Aufgabe zu bekommen, zwei Schüler zu suchen, war eine sehr anmaßende Aufgabe, vor allem wenn man keine weiteren Informationen dazu bekam, wo sie sich befanden. Ich bin durch das gesamte Gebäude, in jedes Zimmer, über den riesigen Campus gerannt, um sie schließlich in meiner ursprünglichen Etage zu finden. Ich hatte weder Lust noch die Motivation irgendwas zu machen, aber die Gesetze hinderten mich daran, alles hinzuschmeißen.
"Was ist denn? Komm zur Sache oder lass uns in Frieden. Meine Schwester ist eine viel beschäftigte Frau." Genervt trat Hyaku-Sama an mich heran und betrachtete mich abschätzig. Ich hatte schon oft gehört, dass man sich niemals mit dem älteren Bruder der Watanabes anlegen sollte, aber ich hatte nicht gedacht, dass er so empfindlich war.
"I-ich" Stammelte ich, obwohl ich mir vorgenommen hatte, mich deutlicher auszudrücken und nicht mehr so unsicher in der Gegenwart anderer zu sein.
"Rede Klartext. Ihr mögt zwar in diesem Internat die grundlegenden Dinge des Kitsune-Daseins zu lernen, aber die wahre Bürde eines Fuchsgeistes kennt ihr Außenstehenden nicht!" Bedrohlich kam er auf mich zu, aber ich hatte keine Angst. Sein irrer Ausdruck in den Augen und seine bedrohliche Haltung sorgten erstaunlicherweise nicht dafür, dass ich wegrennen wollte, wie alle immer erzählt haben.
"Ich hab gehört, dass du das genauso wenig kannst. Bist der ältere Erbe, aber hast nur drei Schweife!" Verächtlich schaute ich zu dem Größeren herauf und fühlte für einen Moment Überlegenheit. Er warf mir einen Blick zu, der schockiert und voller Selbsthass war, aber ich wusste, dass dieses Gefühl nicht lange anhalten würde. Er war immer noch ein Erbe der Gründerfamilie.
Er fing sich schnell und funkelte mich mit seinen roten Augen an, die jede Kitsune trug. Im Gegensatz zu den anderen Familien war das unsere menschliche Form, was es uns schwieriger machte, unentdeckt in der Menschenwelt zu bleiben. Doch als in seinem Innern ein loderndes Feuer ausbrach, das diesem Rot einen orangenen Ton gab und wie eine kräftige Flamme wirken ließ, taumelte ich schockiert zurück.
Kitsune wurden stärker und weiser mit der Anzahl unserer Schweife. Jeder wird mit einem geboren und je nach dem wie sehr wir trainieren, wachsen uns welche oder nicht. Watanabe Hyaku-Sama gehörte zwar zu unseren Anführern, aber er legte nie Wert darauf, seine Kräfte zu steigern, ganz im Gegensatz zu seiner Schwester, die der Maximalanzahl von neun Schweifen immer näher kam.
"Nii-sama, lasst es. Sag du uns lieber, warum du überhaupt unsere Zeit verschwendest!" Autoritär und arrogant wie man es von ihnen kannte. Sie wussten, wo sie standen und konnten sich solche ein Verhalten auch leisten. Jeder andere hätte sofort seine Strafe für dieses viel zu menschliche und irrationale Verhalten erdulden müssen.
"Richtig!" Stieß ich hervor. Ich hatte eine Mission, welche von äußerster Wichtigkeit war. Ich durfte mich von den Geschwistern nicht ablenken lassen! "Der Erbe der Blackstorms hat nach euch, den Kitsunes, rufen lassen. Es steht uns ein Krieg gegen die Darachs bevor und er lässt fragen, ob ihr euch ihnen oder den dunklen Druiden anschließt."

If I hadn't met youWo Geschichten leben. Entdecke jetzt