Kapitel 49

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Erschöpft öffnete ich meine Augen. Es war relativ früh, was mir die schwachen Strahlen der Sonne verrieten. Ich hatte noch lange über die Worte meiner verschollenen Schwester nachgedacht. Ich verstand nicht genau, warum ich so schnell ihren Worten Glauben schenkte. Sie kannte mich nicht und ich kannte sie nicht, aber trotzdem vertraute ich darauf, dass sie die Wahrheit sagte. War ich immer noch so naiv?
Aber sie hatte mir die Nacht nichts angetan. Ich war immer noch am Leben und das unbeschadet. Wären sie Teil dieses Darach-Rudels, wäre ich schon lange nicht mehr an Lupus Luna.
Träge trottete ich aus dem Zimmer. Es war sehr leer und kahl, wie jedes Zimmer an diesem Internat. Wenn man es nicht selbst gestaltete, blieb es bei diesem leeren Zimmer mit einem Bett. Ich fragte mich aber auch, wo ich mich eigentlich befand.
"Du bist schon wach?" Überrascht hob Tyra ihren Kopf. Bevor ich den langen Flur betrat, hatte sie gespannt auf einige Papiere gestarrt, die über den gesamten Tisch der Küche verteilt lagen. "Ich hatte keine Zeit, das Essen vorzubereiten. Wenn du hungrig bist, kannst du dir etwas Obst aussuchen." Mit einer beiläufigen Bewegung zeigte sie hinter sich und richtete daraufhin wieder ihren Blick auf ihre Notzien.
"Was schaust du dir da an?" Fragte ich, als ich an ihr vorbeilief und nach einem Apfel griff. Eigentlich hatte ich keinen Hunger, aber ich wollte auch nicht unhöflich wirken und ihr Angebot abschlagen.
"Das sind nur die Notizen, die wir über die gesamte Geschichte des Kampfes sammeln konnten. Es ist praktisch die Geschichte deines Rudels." Tyra hob einen Zettel hoch, auf dem ich ein Bild einer jungen Frau entdecken konnte. Sie hatte goldenes Haar und klare blaue Augen, die mich mit einer Lebensfreude anstarrten, dass ich mich fragte, ob sie ein Gestaltwandler sein konnte. Es kam nicht oft vor, dass Gestaltwandler in Frieden und ohne Probleme auf die Welt kamen und in meiner Familie schien das noch seltener.
"Ist das meine Mutter?" Als ich das Bild genauer betrachtete, konnte ich in der jungen Frau meine Mutter erkennen, aber sie schien dort etwas jünger als Jiaki zu sein. Und während ich sie so betrachtete, merkte ich auch, wie sehr Jiaki nach unserer Mutter kam. Sie hatten praktisch das gleiche Gesicht und unterschieden sich nur durch die Haarfarbe und das grüne Augen meiner Schwester.
"Ja, das ist Caliria Miyarayo ehe sie sich mit Peter vermählte. Eine Hochzeit, die niemals hätte statfinden dürfen." Beinahe fiel mir der Apfel aus der Hand, aber ich konnte mich gerade noch so beherrschen, als Tyra diese Worte sagte. "Das würden jedenfalls deine Großeltern sagen." Schulterzuckend nahm sie mir das Bild aus der Hand und legte es zu anderen Einzelfotos.
"Warum hast du das alles?" Verwundert legte ich meinen angebissenen Apfel beiseite und trat an den Tisch näher heran. Es waren viele Fotos, aber die Haarfarbe zeigte eindeutig, dass es sich hierbei um Blackstorms handelte. Blackstorms waren auch als die schwarzen Wölfe bekannt und das nicht ohne Grund. Wir verschmelzen mit der Dunkelheit und sind eins mit dem Schatten und wenn man nach der Erzählung meiner Schwester geht, sind Blackstorms der Schatten der Nacht.
"Der Konflikt mit den Darachs brach schon vor vielen Jahren aus, weit vor deiner Geburt. Um ehrlich zu sein, glaube ich, dass einige Darachs deinen Vater damals manipulierten, den Kontakt zu Thomas und Chao-Xing abzubrechen, damit er mit Sicherheit Kinder mit Caliria bekommen würde. Aber ich kann dir nicht sagen, was sie als nächstes vorhaben." Tyra griff nach einem Zettel und drückte ihn mir in die Hand.
Es war ein Foto mit einem aufgeschlizten Körper. "Ich dachte, sie wollen die Hybriden erschaffen oder eher freilassen." Ich führte das Foto näher heran und erkannte, dass in den Bauchraum etwas geschrieben war.
"Das stimmt auch, aber warum warten sie? Wenn sie immer hinter dir her waren, warum stoppen sie dann? Durch das Weihnachtsfest sind die Barrieren gelockert und sie hätten, wie wir, einfach eindringen können, aber warum ist hier niemand?" Erschöpft ließ sie sich auf einen Stuhl fallen und strich sich durchs kurze Haar.
Ich konnte jedoch kaum darauf reagieren, als ich die Nachricht betrachtete. Ich konnte nichts davon lesen, aber zum Glück gab es darüber eine Art Übersetzung. 'Die Erben der Hybriden werden sich erheben'
"Das kann ich dir auch nicht sagen." Das lag auch daran, dass mir diese neugewonnene Information wichtiger erschien. "Sind mit Erben der Hybriden nicht die Whitenights gemeint?"
"Das stimmt." Schockiert blickte ich auf und hätte beinahe den Tisch umgestoßen.
In der Tür, durch die ich auch gelangt war, stand Jiaki in der gleichen Kleidung, wie gestern, und betrachtete mich. "Kennst du etwa einen Whitenight?"
Ich zögerte. Jiaki war zwar nach meiner Auffassung immer ehrlich zu mir, aber dieser Blick gefiel mir nicht. Er ähnelte einer Raubkatze, die nur darauf wartete, ihre Beute zu reißen. Christopher war zwar ein schwieriger Zeitgenosse und viel zu selbstgefällig, aber er schien nicht die Art von Wolf zu sein, die sich mit Mördern und Verrätern zusammenschloss. Ich wollte ihn nicht ans Messer liefern, auch wenn ich kaum etwas mit ihm zu tun habe.
"Du tust es, oder?" Stockend drehte ich meinen Kopf zu Tyra. Sie hatte sich auf dem Tisch abgestützt, um sich zu entlasten, aber als sie zu mir hochschaute, wirkte sie sehr angespannt. Ihre tiefschwarzen Augen funkelten gefährlich und auch sie schien zum Angreifen bereit. "Du kennst einen Whitenight persönlich. Prinzessin, dir ist doch bewusst, dass das ein sehr gefährliches Spiel ist. Wenn dieser Whitenight ebenfalls mit den Darachs zusammenarbeitet, dann bedeutet das, dass du hier nicht sicher bist."
"Ich bin auch ohnehin nicht sicher. Du sagtest doch selbst, es sei kein Darach hier aufgetaucht. Das beudetet aber nicht, dass das niemals der Fall sein wird. Hier befinden sich viel zu viele unbeteiligte und unschuldige Wölfe. Wir können es nicht verantworten, sie in Gefahr zu bringen. Es ist hier nicht sicher und wir können diese Kinder nicht mit in unseren Krieg ziehen." Ich ballte meine Hände zu Fäusten und versuchte, standhaft zu klingen. "Lasst uns von hier verschwinden und unsere Familie mitnehmen. Wenn die Darachs mich hier nicht finden, dann sind sie das nächste Ziel und so aufgeteilt können wir uns nicht gegenseitig beschützen. Lasst und Lupus Luna verlassen."
Einen Moment lang starrten mich die beiden Frauen an und ich hatte erst Angst, sie würde meinen Plan in der Luft zerreißen. Aber das taten sie nicht. "Ich wollte auch schon vorschlagen, zu gehen, aber wenn du schon längst damit einverstanden bist, dann können wir heute schon gehen." Tyra erhob sich langsam, aber ließ mich dabei nicht aus den Augen.
"Das wird bestimmt lustig. Dann werde ich nach all den Jahren meine Familie wieder sehen. Ich freu mich schon." Mit einem sarkastischen Unterton in der Stimme drehte sich Jiaki um und verließ den Türrahmen..
Aber konnte man ihr diese Einstellung verübeln? Sie wurde von ihrem Vater geopfert und selbst wenn sie ein glückliches Leben mit Tyras Familie geführt hat, ändert das nichts an der Tatsache, dass ihrem Vater das Rudel wichtiger war als seine eigene Tochter. Sie verachtete ihn sogar so sehr, dass sie seinen Nachnamen abgelegt hat und nur noch als Jiaki Miyarayo unterwegs war.
Doch als ich ebenfalls das Zimmer verlassen wollte, packte mich der Jäger am Arm.
"Du magst zwar jetzt davongekommen sein, aber wir werden schon an unsere Informationen gelangen, Prinzessin." Schockiert zog ich die Luft ein, als etwas kaltes meinen Nacken berührte. Tyras Haut selbst war immer unglaublich warm, aber dieser Gegenstand war eiskalt. Und als ich meinen Kopf leicht drehte, entdeckte ich eine Klinge, die Tyra über ihre Schulter gelegt hatte und sie somit leicht meinen Nacken streifte.
Diese Klinge hatte verschiedene Symbole auf der Klinge und einige erinnerten mich an die Schriftzeichen im Bauchraum der einen Leiche, in der die Botschaft der Darachs stand.
"Was ist das für eine Klinge?" Vorsichtig berührte ich das Metall und erschauderte, als es mir meine Wärme förmlich entzog.
"Das ist eine Miyarayo-Klinge."
"Ein Erbstück meiner Familie?" Ich betrachtete die Zeichen etwas genauer und sie schienen sich sogar etwas zu verändern, je länger ich diese anstarrte.
"Das ist richtig. Jiaki hat sie mir überreicht, als wir um unser Leben kämpften." Ruckartig zog sie die Klinge zurück und wirbelte sie leichtfertig in ihrer Hand hin und her. Doch als die Waffe meinen Nacken streifte, hinterließ sie eine leichte Schnittwunde, welche mich schlagartig verkrampfen ließ. Mein Nacken fühlte sich unendlich kalt und taub an, sodass ich mich nicht bewegen konnte. Was war das für eine Klinge?
"Warum trägst du sie und wieso musstet ihr um euer Leben kämpfen?" Krampfhaft versuchte ich meinen Nacken zu berühren, aber ich war kaum in der Lage, meinen Arm zu heben. Doch ich spürte, wie meine Heilung einsetzte und ich wieder etwas agiler wurde.
Doch Tyra gab mir keine Antwort. Sie betrachtete mich nur, wie ich meinen Nacken mit einem schmerzverzogenen Gesicht berührte und steckte dann die Klinge in eine elegante Scheide. "Es gibt Dinge, die du nicht wissen brauchst oder wissen solltest. Pack deine Sachen, Prinzessin. Wir werden deinen kleinen Whitenight besuchen."

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