"Okay, fang noch mal von vorne an. Was genau ist passiert?" Ich beugte mich vor, um Henrys Hände zu nehmen. Er zitterte, als stünde er in einer eiskalten Landschaft ohne eine einzige Wärmequelle.
"Ich... sie... Yako... ähm." Mein Schwager schaute sich panisch um. Er wirkte extrem schreckhaft und jedes Husten und Röcheln ließ ihn aufschrecken. Wir befanden uns im Sanatorium von Nalawe. Wir waren erschreckend wenige im Raum, aber selbst diese Anzahl von Leuten ließ den Erben der Beaumons zusammenzucken.
"Und ich dachte, Hyakkun könnte nicht richtig sprechen." Mononoke lehnte sich ebenfalls vor und starrte ihm tief in die Augen. "Ich... ähm... öhh... was? Spuck's endlich. Wir sind nicht hier, um deine Beatbox-Talente zu begutachten, die im Übrigen scheiße sind. Zieh am Finger und sag es einfach."
"Er steht unter Schock." Überrascht schauten wir alle auf. Eine Gestalt betrat den Raum, die sich nahezu schwerelos durch die hustenden Kojoten schlängelte.
"Caliria!" Überrascht ließ ich von Henry ab, sprang auf und verbeugte mich. "Ich meine, Lady Miyarayo. Ich bin froh, dass es ihnen gut geht. Wie sieht die Lage aus?"
Lady Miyarayo trat an uns heran und packte mein Kinn, während ich mich noch verbeugte. "Die Allianz wurde zerschlagen. Es gibt keinen Grund mehr, so formal miteinander umzugehen. Nenn mich einfach Caliria." Sanft ließ sie mich los und setzt sich neben Henry.
Sie wirkte so unglaublich sanft und vorsichtig um den verschreckten Henry herum. Wenn ich daran zurückdachte, wie ich mütterliche Liebe kennengelernt habe, fällt mir auf, dass ich sie nie erhalten hatte. Meine Mutter war nicht der Mate meines Vaters. Mir gefiel es nicht, aber ich musste Mononoke Recht geben. Wir Füchse suchten nicht nach unseren Mates im Gegensatz zu den anderen Familien. Unser einziger Sinn im Leben, ist es, stärker, weiser und erfahrener zu werden. Es spielt keine Rolle, ob wir in der Lage sind, menschliche Emotionen zu empfinden. Diese Menschen haben uns verstoßen, da sie nicht mit unserem Aussehen leben konnten. Wieso sollten wir so sein wie die Wesen, die uns ausrotten wollten?
Trotzdem kam ich nicht darum herum, Henry und all die Menschen um Caliria zu beneiden. Sie berührte ihn so sanft, als würde ihr sein Wohlergehen mehr bedeuten als ihr eigenes Leben. Ich wollte das auch- Der Gedanke daran, dass es jemanden gibt, dem man mehr bedeutet als sein eigenes Leben, erfüllte mich mit Wärme. Ich vergas manchmal, dass diese Person nicht immer der Mate sein muss. Eine Mutter konnte ebenfalls diesen Platz einnehmen. Doch nicht mal das war mir vorbestimmt.
"Was ist geschehen," ich zögerte. "Caliria?" Es war komisch nach all der Zeit so vertraut miteinander zu reden.
Die Mutter der Alphakinder richtete ihren Blick von Henry zu mir und atmete aus. Ich hatte das Gefühl, auch ihr Atem würde unregelmäßig klingen, aber nach ihrem Bericht verstand ich auch, warum das der Fall war. "Als du von Lawrence nach Lupus Luna gebracht wurdest, wurden wir angegriffen. Es ist vier Monate her, aber dieser Angriff hat viele Narben hinterlassen. Einer der Drei Könige hat uns hier oben abgelenkt, sodass wir nicht in der Stadt überprüfen konnten, was geschehen ist. Marco Silverstone war der einzige, der sich dorthin gewagt hat, um herauszufinden, dass die Darachs einen Fluch auf die Stadt gelegt haben. Jeder Kojote bei Bewusstsein, der in irgendeiner Weise mit dem verfluchten Blut in Kontakt kam, sei es durch eine Berührung oder durch bloßes Atmen, würde einem brennendem Schmerz erliegen, bis sein Inneres vollständig verbrennt und er daran stirbt. Wir mussten ein Drittel unserer Allianz aus diesem Grund immer schlafend oder bewusstlos halten, damit sie überlebten. Geschwächt versuchten wir die unbeteiligten Werwölfe aus der Gefahrenzone zu bringen. Im Gegensatz zu den Darachs kümmern wir uns um Kollateralschaden. Wir ignorieren nicht einfach Sterbende, die nichts mit unserem Krieg zu tun haben. Dadurch waren wir sehr geschwächt und ungeschützt. Wir dachten erst, dass wir sicher wären, da uns die letzten vier Monate kein Darach angegriffen hat, aber dann brach eine Katastrophe aus. Isabelle und Christopher waren beide ebenfalls von diesem Fluch betroffen. Es scheint, dass die Whitenight auch Kojotenblut in ihren Adern fließen haben. Da sie nur Mischlinge sind, war der Fluch nicht sonderlich stark, aber wir wollten kein Risiko eingehen. Das größte Problem war eigentlich, dass wir Isabelle in einem Komazustand lassen mussten."
Sofort überflog ich den Raum. Ich erkannte meine Leute und einige kranke Kojoten, die sich vor Schmerz wanden. Ich konnte auch viele Werwölfe erblicken, von denen ich damals aus dem Fluss hinter dem Haus gezogen wurde, aber ich konnte Isabelle nicht entdecken. "Wo ist sie?"
Ein bitteres Lachen drang aus Calirias Kehle. Es war offensichtlich, dass sie der Gedanke an ihre Adoptivtochter mit Trauer erfüllte. "Sie ist ein Ripper. Sollte sie die Kontrolle verlieren oder nicht mehr bei Bewusstsein sein, würde sie alles und jeden angreifen. Wir konnten sie nicht bei Bewusstsein lassen, da sie sonst gelitten hätte, aber ihr das Bewusstsein zu nehmen, war auch keine Option, da sonst ihr Ripper die Kontrolle übernommen hätte."
Lachend klatschte Mononoke in die Hände. "Habt ihr sie getötet?"
Meine Hand landete in seinem Gesicht, was ein lautes Geräusch erzeugte und einige Alliierte zusammenzucken ließ. Er fiel zu Boden. "Reiß dich zusammen. Das ist nicht lustig."
Mononoke rollte sich weg. "Finde ich schon."
"Ich muss dich enttäuschen." Ein bitterter Unterton übernahm den Klang von Calirias Stimme. "Sie ist nicht gestorben. Sie ist aus ihrem Koma erwacht. Der Ripper erwachte und griff alles und jeden an. Sie schrie immer wieder, sie müsse Levi Michaels finden. Wir wissen durch Maximilian, dass dieser Mann der Darachkönig ist, aber wir wissen nicht, warum sie zu ihm wollte. Sie wollte nur zu ihm und lockte damit die Darachs an. Sie schienen mit diesem Ausbruch gerechnet zu haben. Und als sie versuchte, an den Kitsunes vorbeizukommen und sie ermordete, überrumpelten uns die Darachs mit ihren Druiden, Naguals, Kojoten und Werwölfen. Wir waren mit anderen Dingen beschäftigt und geschwächt. Wir konnten uns nicht verteidigen. Durch den Lärm erwachten zudem auch noch viele Kojoten und erlagen dem Fluch. Nur wenige konnten gerettet werden, da Auralia gradeso noch ein Gegenmittel erschaffen konnte. Wir wurden dennoch um 80% reduziert. Wir haben verloren."
Ich ließ ihren Kopf sinken. Ich wusste, dass sie mit den Tränen kämpfte. Vermutlich gab sie sich die Schuld daran, dass so viele sterben mussten. Aber es war nicht ihre Schuld! Woher hätte sie wissen sollen, dass etwas derartiges geschehen würde? Die Darachs hatten lediglich die Oberhand gewonnen. Es war nicht ihre Schuld. Ich wollte ihr genau das sagen, aber Mononoke kam mir zuvor.
"Es ist eure eigene Schuld, eure Majestät." Ich stand extrem kurz davor, diesem Nogitsune die Stimmbäder herauszureißen. Maximilian hatte mir erzählt, dass sie schon geschwächt waren, da sie die Chimären an die Darachs verloren hatten und weil Shang Unsicherheit in Thomas' Führungskräfte in die Herzen der Alliierten gesetzt hat. Sie hatte fast all ihre Kinder und ihren Ehemann verloren. Caliria stand alleine da und musste eine Allianz zusammenhalten, die sich dem Ende neigte, da sie sich dafür bereit erklärt hatten, für ihre Familie zu kämpfen. Ich konnte förmlich spüren, wie sie kurz davorstand, innerlich zu zerbrechen. Und hier stand Mononoke, ein Fuchs, der den Darachs bei ihren perfiden Plänen half, und wollte ihr erklären, dass sie die Tode zu verantworten hatte? Ich hielt zwar nichts vom Kämpfen, aber ihm würde ich zu gerne die Fresse einschlagen.
"Wage es ja nicht-"
"Versteh mich nicht falsch, Hyakkun." Er drückte mir seine kalte Hand auf den Mund und brachte mich so zum Schweigen. "Ich meine damit nicht, dass sie Schuld am Tod aller ist. Sie ist schuld daran, dass die Allianz zerschlagen wurde." Ich hob eine Augenbraue. Mononoke lachte leicht und wirkte mit einem Mal viel jünger und unschuldiger, was schon fast niedlich wirkte. "Im Krieg kannst du nicht jeden retten. Wenn du dich darauf konzentrierst, jeden einzelnen ob unbeteiligt oder nicht zu retten, wirst du nicht genügend Kraft haben, den Krieg zu gewinnen. Die Allianz hätte sich darauf konzentrieren sollen, die Darachs auszulöschen. Ihr merkt doch bestimmt selbst, dass sich dieses Konzept sehr oft wiederholt hat. Die Chimären wollte ihren Bruder retten und wurden von den Darachs entführt. Der kleine Makkun - oder wie auch immer - wollte seine Verbündeten in der Stadt retten und ging dabei fast drauf. Die Füchse wollten alle unbeteiligten Werwölfe nach Lupus Luna bringen und wurden deshalb von den Darachs und Ichin - war das ihr Name? Der Ripper halt - angegriffen und getötet. Vermutlich haben noch viele weitere diesen Fehler gemacht, aber alles hat letztendlich dazu geführt, dass eure lächerliche Allianz zerschlagen wurde. Ich würde sogar sagen, dass ihr Potential hattet, den Krieg für euch zu gewinnen, aber ihr habt zu viele Fehler gemacht. Das passiert wohl, wenn man zu lange im Frieden lebt. Euer Druide hätte zum Darach werden sollen, um gegen die Kräfte der Feinde ankommen zu können. Wieso habt ihr das Überleben unwichtiger Unbeteiligter über den Sieg gestellt? Ihr habt förmlich nach einer Niederlage gebettelt."
"Was weißt du denn schon!?" Außer sich vor Wut sprang Henry auf. Ich habe noch nie gesehen, dass sich ein Kojoten so sehr aufregen konnte. Dabei waren sie doch neben den Füchsen die rationalsten und emotionslosesten Gestaltwandler. "Du hast in diesem Krieg nicht mitgekämpft! Du weißt doch gar nicht, wie grausam die Darachs sind! Wenn wir alles andere außer den Sieg ignoriert hätte, hätten wir für eine wüste Welt ohne Leben gewonnen. Die Darachs hätten bis zu ihrem Untergang alle umgebracht, bis die Sieger nur noch eine handvoll Leute gewesen wären. Hätten wir diesen Preis zahlen sollen?"
"Ist diese Situation etwa anders? Habt ihr durch euer irrationales Handeln etwa ein anderes Ergebnis als Tod und Verderben erhalten?" Ich erkannte Mononoke gar nicht mehr wieder. Normalerweise klang er immer sehr verspielt und kindlich. Er lachte über Mord und Todschlag, als hätte man einem Kind ein Eis gekauft. Mononoke war die Art von Fuchs, die bei einer Beerdigung lachte, es aber nicht böse meinte. Ich habe in den letzten Monaten verstanden, dass es nur seine Art war, was seine Taten natürlich nicht rechtfertigte. Mich wunderte es nur, dass er so erwachsen reden konnte. Auf der anderen Seite war er ein Jahrhunderte alter Fuchs, der mehr von der Welt gesehen hat als wir alle zusammen.
Henry wollte etwas erwidern, doch konnte nicht.
"Ich sage ja nur, dass ihr eure Niederlage selbst zu verantworten habt. Die Darachs haben ihre Prioritäten und können sich deshalb auch gezielt auf den Kampf konzentrieren, ohne auf jede kleinste Bewegung auf dem Schlachtfeld achten zu müssen. Ihr wolltet alleine alles gleichzeitig machen. Das klappt nicht. Sag jetzt bitte noch mal, ich würde es nicht verstehen, Henchan!" Mononoke funkelte Henry mit seinen brennenden blauen Augen an. Ich wusste, dass jeder ihn mindestens einmal deswegen angestarrte hatte. Keiner wagte es jedoch, ihn darauf anzusprechen. "Ich kenne die Darachs besser als ihr. Ich kenne von ihnen viele Geheimnisse, da ich einst auch einer von ihnen war."
Schockiert sprang Henry auf und auch Caliria, die sonst so gesammelt und gelassen war, zuckte zurück. "Wie kannst du nur!?" Schrie Henry mich an und ließ somit alle Alliierten zu uns schauen. "Du hast ein Mitglied der Darachs zu uns geführt? Willst du, dass wir alle sterben!?"
Ich spürte, wie der Raum sich mit Feindseligkeit füllte. Ich wusste auch, dass sie nicht nur Mononoke, sondern auch mir galt.
"Henry, Mochan ist nicht so-"
"Mochan? Ist das dein Ernst? Du hast ihm sogar einen Spitznamen gegeben? Hast du deinen Verstand verloren?" Er kam auf mich zu und packte meinen Kragen. "Ist dir denn alles egal? Du möchtest vielleicht sterben, aber das gilt nicht für uns! Verrotte doch in deiner Ecke, aber wage es ja nicht, das Leben so vieler in Gefahr zu bringen!"
Ein Schatten erstand hinter Henrys Hinterkopf und riss diesen dann nach hinten. Schockiert stieß er die Luft auf und krachte mit einem Knall auf den Boden. "Wieso bist du so wütend auf Hyakkun?" Mononoke ließ seine Hand sinken und der Schatten verschwand. Seine Stimme hatte dinen kindlichen Klang angenommen, der mich in eine Art Schockzustand versetzte. Ich hasste diesen Klang. Damit hatte er uns das erste mal angesprochen, als er auf einem Haufen zerstückelter Leichen stand. "Ohne ihn wäre jeder einzelne Fuchs gestorben, der nach Lupus Luna gebracht wurde. Ich war eine Assassine der Darachs, bis ich Hyakkun kennengelernt habe. Seid ihm lieber dankbar, sonst wärt ihr alle schon viel früher durch meine Hand umgekommen. Ich habe ihm versprochen, nichts zu tun, da ich nur ihn haben will. Reiß dich lieber zusammen, Henchan. Ohne ihn wären alle Leute von Taejun schon lange tot!"
Ich runzelte die Stirn. "Wer ist Taejun?"
Überrascht ließ Mononoke von Henry ab und starrte mich mit großen Augen an. "Hieß dieser platinblonde Wolf nicht so?"
Langsam schüttelte ich den Kopf.
"Oh... es tut mir leid, aber diese westlichen Namen gehen mir so auf die Nerven. Wie soll man sich die merken? Die klingen alle so krumm. Was ist das für ein Namen? Henry? Das klingt wie eine Hautkrankheit. Hilf mir mal auf die Sprünge." Er schnipste mit den Fingern in meine Richtung. "Taejun? Taehyung? Taku? Thorben?"
"Tyler..."
Erfreut zeigte er auf mich. "Tyler war es!" Sofort wurde seine Miene ernst. "Ja, ohne Hyakkun wären alle Leute tot, die Tadashi beschützen wollte."
"Tyler."
"Nerv nicht."
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If I hadn't met you
WerewolfVerstehst du denn nicht, dass es die einzige Chance ist? Töte ihn und ich komme zurück. Töte ihn und ich kümmere mich um das Rudel. Töte ihn und wir werden diesen Feind ein für alle mal los. Es spielt jetzt auch keine Rolle mehr... auch wenn er dein...