Kapitel 86

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"Izzy." Eine leise Stimme drang an mein Ohr. "Izzy." Sie wurde etwas lauter, aber ich hätte sie schön ignorieren können. Es war so schön warm in meinem Bett. Ich wollte noch ein paar Minuten länger schlafen.
"Lass mich mal." Erklang eine tiefe Stimme und im nächsten Moment spürte ich eine Eiseskälte an meinem ganzen Körper, die mich hochfahren ließ.
"Was zur Hölle!?" Schrie ich und stellte fest, dass mir jemand kaltes Wasser übergekippt hatte und dieser jemand war Marco.
Er stand in einer dunklen Uniform vor mir und schaute mich aus seinen grauen Augen belustigt an. "Es ist soweit. Wir müssen los."
Und mit diesen Worten zog er Lawrence von meinem Bett. Er hatte mich vermutlich versucht, als erstes aufzuwecken, aber mich bekam man nicht so schnell hoch.
Ich wollte aufspringen, aber ein Gewicht drückte mich runter. Alex lag noch immer auf mir und Shang klammerte sich schnarchend an meine Beine. In dieser Position hätte ich niemals aufstehen können, weshalb ich einfach meine morgentliche Energie sammelte und mich mit beiden vom Bett warf. Ich verstand jetzt auch, warum Alex noch ihre Uniform trug, da sie so sofort bereit für ihren Einsatz war.
Ich warf mir schnell was über und wäre dabei fast über meinen Freund gefallen, der anscheinend in der Nacht vom Bett gerollt ist. Aber verübeln konnte ich es ihm nicht, da wir zu vierten nicht wirklich viel Platz hatten. Ich war sehr erleichtert, dass sich Marco und Lawrence nicht auch noch ins Bett gezwängt haben, denn sonst wäre es ziemlich problematisch geworden.
Gerade noch rechtzeitig kamen wir unten an. Als wir das Haus verließen, konnten wir all unsere Verbündeten auf einem Haufen sehen. Füchse und Wölfe standen an der Seite von Kojoten und warteten auf Befehle ihres gemeinsamen Anführers, Thomas Nalio Blackstorm.
Ich stellte mich schnell neben Olivia, die mit ihren leeren Augen nur stumm ihren Bruder anstarrte. Sie trug die Uniform, die sie von Jiaki erhalten hat und das Miyarayo-Schwert ihrer Mutter nahm ihren Rücken ein, der sehr angespannt aussah.
Als ich mich umschaute, konnte ich Jiaki und Tyra sehen, die etwas besprachen und ich entdeckte sogar Christopher, wie er mit Caliria an der Seite stand. Er wirkte abwesend, aber ich wusste, dass er alles sehen und hören konnte. Viele waren immer noch misstrauisch, was ihn anbelangte, da er als junger Alpha schon seit Monaten nicht mehr bei seinem eigenen Rudel war und sie nicht glauben konnten, dass er das alles nur für eine Person tat. Aber ich wusste, dass er die Wahrheit sagte. Er liebte Olivia und würde für sie alles tun.
"Ihr kennt den Plan." Mächtig und erhaben erklang Thomas' Stimme und alle wurden sofort still. "Wir betreten das neutrale Gebiet und suchen den Stützpunkt." Er griff hinter sich und zog eine strauchelnde Auralia in den Mittelpunkt. Sie wirkte nicht sonderlich begeistert, aber sie hielt immer noch nicht besonders viel von ihrem Ex-Freund, nachdem das alles mit Peter geschehen ist. "Dann wird sich der Gray-Druide um die Barrieren kümmern und wir können sie ohne Probleme angreifen. Findet sie, jagt sie und löscht sie aus. Und los."
Das war das Zeichen für uns, sich zu verwandeln. Ich hörte viele brechende Knochen der Wölfe, sah Kojoten sich schütteln und Kitsunes in Feuer und Rauch verschwinden, bis nur noch Tiere auf dem Platz standen. Werkojoten und Werwölfe sehen wie größere Versionen der gleichnamigen Tiere aus, aber Kitunes sehen wie eine Mischung aus Mensch und Fuchs aus. Alle hatten diese typischen Fuchsohren auf dem Kopf, in ihren Augen schien ein Feuer zu brennen und viele besaßen drei bis vier Fuchsschweife.
Ich war nicht überrascht, Hyaku nicht zu sehen, aber mich überraschte schon, dass sich Caliria, Jiaki und Olivia nicht verwandelten. Die Naguals standen mit dem Jäger da, als alle losrannten. Ich wollte mich auch erst in Bewegung setzen, bis ich eine bedrohliche Aura von ihnen ausgehen spürte und wusste, dass ich nicht bei ihnen sein sollte.
Ich lief los und holte schon bald meinen Cousin ein. Wir waren die einzigen schneeweißen Wölfe, weshalb es nicht schwierig war, ihn zu finden. Es dauerte nicht sonderlich lange, bis wir das neutrale Gebiet erreichten. Jetzt war nur noch die Frage, wo sich der Stützpunkt befand. Jeder schnupperte danach, aber eine Barriere würde nicht einfach den Geruch durchlassen, weshalb es eine reine Zeitverschwendung war.
Jedoch verriet mir das Knurren des Alphas, dass sie was gefunden hatten. Mit einem Knacken verwandelte sich Thomas zurück und ließ Auralia von seinem Rücken rutschen. Sie trat nach vorne und starrte den leeren Platz an. "Seid ihr bereit?" Fragte sie mit einer lauten Stimme und alle reagiert sofort mit Bellen oder zustimmenden Rufen.
Sie streckte ihre Hände aus und drückte sie gegen die Luft. Man konnte nichts sehen, aber ich konnte schon einmal beobachten, wie standhaft Barrieren sein können, weshalb ich nicht eine Sekunde an ihren Kräften zweifelte. Ihre grauen Augen wurde immer dunkler, bis ihre Pupillen nur noch wie schwarze Löcher erschienen. Sie atmete tief ein und mit einem angestrengten Gesichtsausdruck lehnte sie sich gegen die unsichtbare Barriere.
Der Boden schien zu vibrieren und die Luft bekam riss. Verwirrt schauten sich die Kitsunes an, die noch nie einen Druiden bei der Arbeit gesehen habe. Dir Risse wurden immer größer und die Luft schien sich in Glas zu verwandeln und dann brach alles.
Rießige Scheiben fielen zu Boden und offenbarten der Allianz ein Labyrinth aus Häusern. Ein junger Mann ließ einen Krug voller Wasser schockiert fallen, doch für ihn bestand keine Hoffnung mehr. Die Allianz griff ohne zu zögern an.
Wir alle rannte in das Labyrinth und nach wenigen Minuten konnte ich nur noch Blut und Tod riechen. Von jeder Ecke ertönten Schreie und ich hasste es. Ich wollte nicht, dass so viele Gestaltwandler sterben mussten, ohne dass sie die Chance hatten, sich zu rechtfertigen.
Ich wollte nicht, dass sie sterben, aber was hätte ich tun können? Wenn ich auch nur einen beschützte, würde ich als Verräter angesehen werden und viele zweifelten schon an meiner Loyalität, da ich ein Whitenight bin. Ich hasste es, dass ich so eingeschränkt in meinem Handeln war.
Ein junges Mädchen erschien vor meinem Augen und sackte druch den Anblick meiner Wolfsgestalt zusammen. Ich war noch einige Meter von ihr entfernt, aber ich wusste, dass ich jetzt nicht stehenbleiben konnte. Als Verräter gebranntmarkt oder tot könnte ich Olivia nicht beschützen. Das wusste ich.
Ich lief also weiter und hoffte, dass das Mädchen ein Kojote war und schnell weglaufen konnte, aber sie streckte nur ihre Hände aus. Es wirkte, als wollte sie mir etwas überreichen und als ich das sanfte Lächeln auf ihren Lippen sah, wusste ich, dass sie für meine Erbarmung betete. Aber ich konnte jetzt nicht aufhören. Ein Ringen ertönte in meinen Ohren und ich setzte zum Sprung an.
Doch bevor ich sie niederstrecken konnte, riss eine Gestalt sie vor meinen Augen fort. Zum Glück! Dachte ich, aber als ich mich zur Gestalt dreht, konnte ich nur Jiaki sehen. In ihrer Nagual-Form erhob sie sich. Ihr Mund war von Blut verschmiert und ihr furioser Blick ließ keine Gnade zu. Ich schluckte schwer und lief weiter. Die Naguals sind also auch hier angekommen.
Ich war wirklich mies darin, mich in Labyrinthen zu orientieren und war sehr erleichtert deswegen, da ich dadurch kaum auf den Feind traf. Und dann vernahm ich eine Stimmen. Es war ein verzweifelter Ruf nach Hilfe und als ich realisierte, wie jung der Besitzer dieser Stimme sein musste, konnte ich nicht einfach stillsitzen.
Es war nicht fair, dass alle sterben mussten. Wir wussten nicht mal, wie eng sie mit den Darachs im Bunde waren. Wir wussten alle, dass die Läufer nur Kanonenfutter waren, also warum behandelten alle sie so, als wäre sie die Darachs selbst?
Ich folgte der Stimme und gelangte an eine dunkle Sackgasse. Dort stand ein Junge in Jamies Alter, er war vielleicht 13 Jahre alt. Sein Blick war auf die Person vor mir gerichtet und in seinem Blick lag reine Verzweiflung. Ich roch Olivia und wusste, was er sah. Kalte, bodenlose Augen, die dir mit Sicherheit zeigten, wie nahe du doch dem Tode warst.
Ich verstand, warum Olivia so handelte. Sie hatte ihre Großmutter und ihre große Schwester an die Darachs verloren. Sie wurde gefoltert und tarumatisiert für ihre Zwecke. Ihr wurde jede Möglichkeit auf eine friedliche Kindheit genommen. Auch in ihrer Jugend verfolgten sie die kleine Wölfin ohne Gnade. Man nahm ihr ihren Vater und ihren Bruder. Sie stand kurz vor einem Krieg und musste alles, sogar ihre Menschlichkeit aufgeben, um sie aufhalten zu können. Sie hat durch die Darachs alles verloren, was sie hatte und was sie ausmachte. Ich verstand, warum sie nun alle gnadenlos abschlachten wollte, aber es war nicht richtig. Sie konnte sie nicht einfach töten, denn damit würde sie sich auch selbst verlieren.
Ich wollte ansetzen und sie aufhalten. Ich wollte, dass der Junge lebt, aber sein Blick veränderte sich, als würde er Olivia endlich erkennen. "Was machst du denn hier?"
Das ließ auch meine Schwester verwirrt stoppen. Sie sagte nichts und wartete nur auf eine weitere Erklärung.
"Dieses Basis wurde schon vor Wochen aufgegeben. Ich dachte, das hätten sie getan, da du die Botschaft erhalten hast." Verwundert lehnte sich der Junge gegen die Wand und starrte Olivia so an, als würde sie verstehen, was er meinte.
"Welche Botschaft?" Knurrte Olivia, aber er grinste nur als Antwort. Ich spürte, dass in ihrem Inneren die Wut brodelte, aber ehe sie seine Kehle umschließen und aufschlitzen konnte, brach sie schreiend zusammen. Sie hatte einen Schub.
Schockiert fing ich sie auf und musste sehen, wie sie den Tränen nahe war. Ich konnte mir nicht vorstellen, wie sich das anfühlte. Sie war sogar mal bereit gewesen, sich den eigenen Rücken aufzuschlitzen, da ihrer Meinung dieser Schmerz geringer war als der, der in ihrem Inneren herrschte.
Lachend betrachtete der kleine Junge uns und hob seine Hand. Ich wollte ihn nicht töten. Ich war es satt, ständig Blut an den Händen zu haben, aber als ich seinen Angriff sah, konnte ich nicht anders.
Ich blinzelte einige Male. Was ist passiert?
Ich schaute mich verwirrt um und entdeckte Olivia am Boden, wie sie sich aufzusetzen versuchte. An ihrem Gesicht klebte Blut. Ich wollte ihr helfen und sie beschützen, aber als ich meine Hände ausstreckte, sah ich nur rot.
Meine Hände und meine Arme waren vollkommen in Blut getränkt und ich schmeckte den eisernen Geschmack des Blutes in meinenm Mund. Ich wollte mich nicht umdrehen, da ich ungefähr wusste, was mich erwarten würde, aber ich war es meinem Opfer schuldig.
Ich senkte meinen Blick und sah ihn dort. Die großen grünen Augen eines jungen Naguals waren vor Angst aufgerissen. Er schien gestorben zu sein, als er aufschreien und nach Hilfe rufen wollte. Jedenfalls ging ich davon aus. Ich hatte nämlich nur einen Kopf vor meinen Füßen. Sein Rumpf und seine Gliedmaßen waren über den gesamten Platz verteilt und nur sein Kopf sah einigermaßen unbeschadet aus.
Ich spürte ein Brennen in meiner Kehle und sofort musste ich mich übergeben. Was hatte ich getan? Das wollte ich nicht! Ich wollte nicht, dass es dazu kommt! Ich hörte nichts mehr. Es war so unglaublich still. War das der Klang des Todes?
"Lass uns nach Hause gehen." Eine warme Hand umschloss meine Schulter, während ich hechelnd auf Boden und vor der Leiche saß. "Es ist vorbei. Sie sind alle tot." Und ich war einer dieser Mörder.
Ich hörte ihre Stimme, aber ich wollte ihr nicht folgen. Ich wusste, dass Olivia mich nur mitnehmen wollte, da ich ein starker Kämfper war. Vielleicht wäre es doch besser, wenn ich als Verräter verbannt werde, dann müsste ich bei so was nicht mehr mitmachen. Acht Personen. Ich habe acht Personen getötet, ohne zu wissen, was sie verbrochen haben. Ich war ein Monster!
Ich wollte Olivia von mir stoßen und fliehen. Ich wollte das nicht mehr. Ich konnte das nicht. "Isabelle. Bitte."

If I hadn't met youWo Geschichten leben. Entdecke jetzt