Kapitel 20

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Ich wusste nicht warum, aber mit diesen Worten erfasste mich das dringende Gefühl, zu ihnen zu gehen. Dafür erntete ich natürlich einen verwirrten Blick von Marco, aber ich blendete alles um mich herum aus.
"Was meinst du damit, Xuezhang?" Fragend stellte ich mich neben ihn, denn ich konnte diesen Jungen mit den weißen Haaren und den goldenen Augen nirgends sehen.
"Schau mal, er steht dort hinten und redet mit Lady Silverstone." Mit einer Hand nahm er meinen Kopf und drehte ihn, bis ich Penelope sah und dann hob er die andere Hand und zeigte auf ihn. Keine fünf Meter von mir entfernt konnte ich ihn sehen.
Dort stand er. Seine weißen Haare wirkten wie Schnee, der vom Himmel auf die Erde herab tanzte. Sein makelloses Gesicht wirkte auch von nahem wie Porzellan, aber ich hatte nicht den Eindruck, dass es eine ungesunde Farbe war. Seine Augen wanderten von Penelope zu jüngeren Schülern, die irgendwelche Spiele spielten, und dann rollte er die Augen. Diese Augen, die mehr glänzten als alles, was ich jemals gesehen hatte. Sie schimmerte in einem so schönen Ton, dass ich dahin schmelzen könnte. Und trotzdem wirkten sie kalt und distanziert. Auch wenn er ein Lächeln auf seine geschwungenen Lippen zauberte, war sein Blick desinteressiert. Er hob eine Hand und kratzte sich am Kopf, wobei ich seine langen, dünnen Finger sah, die elegant und gezeichnet zugleich aussahen. Bei jeder Bewegung zeichneten sich seine Muskeln unter seinem dünnen Hemd ab und ich hätte ihn Stunden lang anstarren können. Er wirkte elegant wie eine Wildkatze, aber so stark und unbändig wie der Wolf, der er war.
"Klein Blackstorm?" Eine Hand erschien vor meinem Sichtfeld und ein Schnipsen brachte mich in die Realität zurück. Ein fragender Ausdruck zierte Shangs Augen.
"Ich- schon gut. Das ist also dein Alpha, den du so liebst und dessen Kinder du austragen würdest?" Ich schüttelte mich, um den Kopf frei zu bekommen, aber irgendwie ließ mich der Anblick des Jungen nicht los. Er sah aus wie eine Puppe und als er mich damals gemustert hatte, fühlte es sich so an, als würde er in mein Innerstes schauen können. Es machte mich besorgt und erfreut. Ich wusste eigentlich nicht, was ich davon halten sollte.
"Ja, das ist Christopher Whitenight der Alpha des gleichnamigen Rudels. Er hat es letztes Jahr von seinem Vater übernommen und er ist das Beste!" Shang sprach mit einer Überzeugung, die mich wundern ließ, ob er für seinen Alpha alles tun würde, wenn er ihn nur darum bitten würde. Komischerweise ignorierte er dabei sogar meinen Kommentar, auf die er normalerweise sehr bissig reagierte.
"Lebt sein Vater noch?"
"Ja, wieso?"
Verwundert blickte ich auf. "Das ist doch nicht möglich. Er muss die Kraft des Alphas von seinem Vater erben und das geht nur mit dem Mord an seinem Vater. die Kraft überträgt sich nur, wenn der Alte stirbt. Das weiß doch jeder. Wenn Christopher Whitenight wirklich der Alpha sein soll, dann kann sein Vater nicht mehr am Leben sein." Äußerte ich verwundert meine Bedenken.
"Das ist das Besondere an ihm. Er wurde mit der Kraft des Alphas geboren. Sein Vater kann leben, da sein Sohn ihm nicht die Kraft nehmen muss. Er besitzt sie von Geburt an." Sein Ton war ehrfürchtig und voller Respekt. Das ist wohl die Art von Rudelmitglied, die sich ein Alpha nur wünschen konnte.
"Von so einem Fall hab ich noch nie gehört, aber gut." Ich winkte ab. Um ehrlich zu sein, wusste ich nicht, wie ich weiterhin mit der Situation umgehen sollte, weshalb ich plante zu gehen.
"Was ist denn?" Die Stimme ließ das Blut in meinen Adern gefrieren. Für einen Moment lang fühlte ich mich wie gelähmt. Ich konnte nicht mal einen Finger rühren, ich konnte weder atmen noch mich umschauen. Ich war für diesen Moment in einem Körper gefangen und hörte nur das Rauschen meines Blutes und das Hämmern meines Herzens.
"Nichts. Die Kleine wollte dich nur mal sehen." Shang packte meine Schulter und drehte mich mit dem Gesicht zur Quelle der Stimme. Es fehlten nur wenige Zentimeter und ich wäre mit der Nase gegen eine harte Brust gefallen. Der Geruch umhüllte mich sofort und ließ meine Muskeln entspannen, doch als ich hochschaute, verspannte sich sofort wieder alles.
Von dieser Entfernung aus konnte man die Kälte noch deutlicher sehen, wenn nicht sogar spüren, wie das kalte Glänzen dir einen Schauer über den Rücken jagte. Er war wunderschön und kalt wie das unergründliche Weltall oder die tiefen Ozeane.
"Und wer ist die Kleine?" Abschätzig musterte er mich. Sein Blick verriet, dass er nicht besonders begeistert von mir war, aber ich war genauso wenig begeistert von der Tatsache, dass ich meinen Kopf weit in den Nacken legen musste, um seine Augen sehen zu können. Er war etwas größer als Leon.
"Das ist Leonie Blackstorm... glaub ich." Überlegend fuhr sich Shang durch die Haare, auch wenn ihm bewusst war, wer ich bin. Hoffe ich. In anderen Situationen hätte ich darüber gelacht, dass er einfach nur die weibliche Version des Namens meines Bruder wählte, wenn ihm mein richtiger Name nicht einfiel und er mehr als einen meiner viele Spitznamen nutzen musste, aber mir war nicht nach Lachen zumute.
Weiterhin musterte er mich mit diesen kalten Augen, bis ich es nicht mehr aushielt. "Was starrst du mich denn so an?"
Doch er reagierte nicht auf meinen genervten Ton. Erst als er fertig war, mich zu begutachten, schien er mir bewusst in die Augen zu sehen. "Verschwinde. Leute wie dich brauche ich nicht in meiner Nähe."
Überrascht hielt ich den Atem an. Mit so etwas hatte ich jetzt nicht gerechnet, immerhin ist er zu mir gekommen. "Hör mal zu, Kumpel, DU bist zu MIR gekommen und willst mir erklären, dass ich verschwinden soll? Überleg dir lieber genau, was du sagst."
Sofort lachte Christopher auf. Es war kein amüsiertes Lachen, sondern ein überhebliches oder eher abfälliges Lachen. Er lachte über mich. "Ihr Blackstorms solltet euch nicht so wichtig nehmen. Ich bin hier schon seit Jahren und weiß, wie man sich zu verhalten hat. Die kleine Prinzessin der Blackstorms sollte sich auch lieber dem System fügen. Oder füge dich mir und werde meins. vielleicht überlege ich es mir ja." Er hob leicht eine Augenbraue und musterte mich wieder abschätzend.
Das ließ mich nur verächtlich schnauben. Und so was hielt Shang für den perfekten Alpha? Wir sollten noch mal ganz genau über solche Ansichten reden. "Ich und deins? Wie kommst du darauf, dass irgendjemand zu dieser Art von Freiheitsberaubung ja sagen würde? Etwas weil du hübsch bist? Sorry Süßer, aber damit kommt man nicht überall durch."
Diesmal reagierte er sofort und starrte mir direkt in die Augen. Es fühlte sich an, als würde diese Augen, die kaltem Metall ähnelten, direkt in meine Seele schauen und darin das Verlangen entdecken, ihn in den Arm zu nehmen. "Ich sage das doch nicht zu jedem oder hältst du mich für eine männliche Hure?"
"Ein wenig vielleicht." Platze es mir heraus, ehe ich darüber nachdenken konnte, ob es wirklich so vorteilhaft war, den Zorn eines Alphas auf sich zu ziehen. Auch Shang schien sehr geschockt davon zu sein, denn ihm fiel keine unangebrachte Antwort ein.
Christopher richtete sich auf. Mir war gar nicht aufgefallen, dass er sich etwas zu mir heruntergebeugt hatte. "Na dann wäre das wohl geklärt. Ich hätte dich gerne aufgenommen und als meins behütet und beschützt. Aber wenn es dir lieber ist, mir so blöd zu kommen, dann hilft wohl nichts. Schade eigentlich. Du hättest bestimmt einen guten Mate abgegeben, Olivia Blackstorm."

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