Kapitel 41

17 2 0
                                    

"Bitte beruhige dich, Izzy!" Max wollte nach meiner Hand greifen, um mich zu beruhigen, aber ich konnte nicht. Das war mir alles einfach zu viel und ich verstand nichts mehr. Sie hatte sich vermutlich wegen mir losgerissen.
Ich kann mich noch gut an einen Ausflug in den Wald der Menschen erinnern. Es war eine Art Lernausflug und wir sollten eine Woche als Wölfe in einem fremden Gebiet überleben. Doch ein Unwetter übermannte uns und zerrte an unseren Kräften. Ich war zu diesem Zeitpunkt noch ein sehr schwacher Wolf und wenn ich daran zurückdenke, kann ich Liv nur dafür dankbar sein, dass sie damals gegen alle Regeln verstoßen hatte, um mich aus diesem Wald zu bekommen. Sie ist ein sehr impulsives Wesen und wenn sie sich einmal für etwas entschieden hat, dann wird sie das auch bis zum Ende durchziehen und für ihre Familie durch das Feuer gehen. Ich bin diese Familie und es ist meine Schuld, dass Liv entführt wurde. Ich kann mir nicht vorstellen, mir jemals verzeihen zu können, sollte ihr irgendwas geschehen.
"Max, ich..." Zögernd wollte ich mich entschuldigen. Ich wusste, dass es auch für ihn nicht einfach war, da Liv schon seit ich denken kann, seine beste Freundin war und ich stellte mich hier so an, als würde die Welt untergehen und dachte nicht mal daran, nach seinem Leid zu fragen.
Doch ehe ich meinen Satz beenden konnte, wurde meine Zimmertür aufgerissen und eine rothaarige junge Frau stand mittendrin. "Max!"
Tränen sammelten sich in ihren grauen Augen, was Max bestürzt auffahren ließ. Sofort lief er an mir vorbei zu seiner Schwester. "Was ist passiert? Was machst du hier?" Sanft nahm er sie in seine Arme und ich wusste nicht mehr, was ich machen sollte. Ich fühlte mich so leer und fehl am Platz, dass ich nur auf den Boden starren konnte.
"Ich muss dir etwas erzählen und ich weiß nicht, wie du das verkraften wirst." Hauchte seine Schwester gegen sein Brust.
Stumm verließ ich das Zimmer und schloss die Tür, ohne mich umzudrehen. Als ich die Treppe heruntergehen wollte, kam ich jedoch nicht drumherum, die Worte Auralias zu vernehmen. "Max, unsere Eltern... sie sind tot."
Ich spürte förmlich, wie sich sein Herz zusammenzog und zu zerbersten drohte, aber ich hätte nichts dagegen unternehmen können. Ich war auch nur ein gebrochenes Kind, das in eine Welt des Leids geboren wurde. Mein Vater hatte meine Mutter ermordet. Ich hätte nichts sagen können, was Max beruhigt hätte, weshalb ich beschloss, die beiden Geschwister alleine zu lassen.
Träge trottete ich die Treppe herab und merkte nicht, dass ich nicht alleine im Zimmer war. Ich spürte nur, wie warme Tränen meine Wangen herunterliefen und mich eine zierliche Gestalt in den Arm nahm.
Ich fühlte mich so leer und nutzlos in dieser Welt. Ein fremder Junge, den Liv nicht mal leiden konnte, setzte sein Leben aufs Spiel, um sie zu finden. Leon kam nicht mal nach Hause, da er vermutlich auf der Suche nach ihr war. Auraulia ist extra von Nalawe zum Institut gekommen, um ihrem Bruder beizustehen und ich stand hier weinend in den Armen einer Person, die ich nicht mal erkannte. Ich war ein Werwolf und die Adoptivtochter des Alphas. Warum war ich nur zu nichts zu gebrauchen? Warum konnte ich nur weinen und musste von anderen beschützt werden? Warum kann ich nicht mal denen beistehen, die mich schützen? Wieso bin ich nur so nutzlos?
Meine Tränen liefen unaufhörlich meine Wangen herab und ich klammerte mich an die Person vor mir, als sei sie meine einzige Rettung in dieser Welt.
Behutsam strich sie mir über meine Haare und summte eine liebliche Melodie, die ich aus meiner Kindheit kannte, aber die ich nie von ihr gehört habe. "Ich weiß nicht, ob das der richtige Zeitpunkt ist, aber ich möchte dir etwas sagen."
Vorsichtig löste die Frau mit der lieblichen Stimme meinen Griff und schob mich etwas von sich. Ich wollte ihr nicht so begegnen, aber sie zwang mich sanft, ihr in die Augen zu sehen. Es waren zwei blaue und liebevolle Augen, die ich nie richtig geschätzt habe. Es waren die Augen Calirias.
Doch ich war für alles bereit. Ich hörte mehrere Schritte, als zwei Personen leise das Zimmer verlassen wollten und als ich aufsah, entdeckte ich Marco, wie er Shangs Hand hielt und sie unbemerkt das Zimmer verlassen wollte. Mit Mühe und Not brachte ich noch ein aufmunterndes Lächeln zustande, als ich merkte, dass Marco und Shang sehr vertraut miteinander umgingen. Aber mein Fokus galt nicht mehr ihnen, sondern der Frau vor mir.
Sie nahm bedacht meine Hand und zog mich an einen ruhigen Ort. Ich konnte das Geräusch ihres Herzens hören, was mich etwas beruhigte. Sie hatte immer einen sehr konstanten Herzschlag, welcher auf Ruhe und Gelassenheit hinwies und mich früher immer beruhigt hatte. Doch meine Angst ihr gegenüber hat mich diese Dinge vergessen lassen. Ich war mir nicht ganz sicher warum, aber erst jetzt wurde mir bewusst, was für eine fantastische Mutter Caliria eigentlich für mich gewesen ist, auch wenn ich kein bisschen mit ihr verwandt war.
"Du erinnerst dich doch bestimmt noch an den Tag, an dem wir dich aufgenommen haben, oder?" Achtsam setzte sie sich neben mich auf eine alte, vermoderte Couch und nahm meine Hände. Ich konnte jedoch nur nicken. Ich verstand nicht genau, worauf sie hinaus wollte, aber ich erinnerte mich daran. Ich erinnerte mich an das Blut meiner Mutter, als mein Vater ihr ihre Kehle herausriss und ich erinnerte mich auch an das kalte Grün, das die Augen der Frau vor mir definierte. "Ich weiß, dass du mich fürchtest."
Erschüttert verkrampfte ich mich. Es stimmte, ich hatte Angst vor ihr, aber ich hätte ihr das niemals gesagt. Einerseits weil ich mich auch vor den Konsequenzen fürchtete und andererseits weil sie immer noch eine liebende Frau ist, vor der ich mich eigentlich nicht zu fürchten brauchte.
"Ich weiß auch, dass du mich genau beobachtet hast. Ich weiß, dass du das Tier in meinem Inneren erblicken konntest und ich will dir erklären, warum ich so gehandelt haben, wie ich es letztendlich getan habe."
Mir fehlten die Worte. Ich hatte niemals damit gerechnet, dass sie mir in Momenten wie diesen die Wahrheit sagen würde. Aber ich würde sie auch nicht aufhalten. Also nickte ich nur kaum merklich.
"Ich habe Peter schon vor vielen Jahren kennengelernt. Ich bin 45 Jahre alt und kenne ihn fast genauso lange. Seine Eltern waren jedoch nicht allzu begeistert von uns, da wir von zwei verschiedenen Familien abstammen und dann auch noch von Gründerfamilien. Aber meine Eltern befürworteten die Idee, da sie jemanden wollten, der auf ihr Mädchen aufpassen könnte, wenn sie nicht mehr da sind. Du musst nämlich wissen, dass Nagual für eine besondere Fähigkeit gehasst sind. Weißt du, von welcher ich rede?" Fragend legte sie ihren Kopf schief und wirkte somit nicht viel älter als Auralia. Ich hatte schon damit gerechnet, dass sie kein Werwolf war und dass sie nun auch noch ein Nagual sein sollte, überraschte mich eher weniger. Es war zwar eine neue Information für mich, aber durch dir Ereignisse der letzten Stunden konnte ich ihr nur stumm in die Augen schauen. Ihre Augen wirkten ehrlich und ich musste ihr plötzlich automatisch antworten.
"Nagual haben ähnlich wie Kojoten einen besonderen Biss. Er sorgt dafür, dass die Gebissenen ein Mal erhalten, mit dem Nagual ihnen ihren Willen aufzwingen können." Ich zögerte. Was hatte das mit meinen Eltern zu tun?
"Das ist korrekt und für diese Fähigkeit wurden meine Eltern gejagt und ermordet. Nagualfell wird zudem auch gerne als Trophäe genutzt. Jedenfalls nahm mich dann Peter auf und zuerst war auch alles gut. Seine Eltern verachteten mich zwar, aber ich überlebte. Selbst als er kaum noch für mich da war, als er das Internat der Werwölfe besuchte. Ich durfte das Gelände eben nicht betreten, aber er versuchte trotzdem immer für mich da zu sein. Ich lernte seine Freunde wie Marcel Nolan, Xavier Gray und Jason Whitenight kennen. Jason kann man aber eher weniger als seinen Freund, sondern viel mehr als seinen Rivalen bezeichnen."
"Jason Whitenight? Soll das Christophers Vater sein?"
"Korrekt. Whitenights und Blackstorms sind bekanntlich nicht sonderlich gut aufeinander zu sprechen und die beiden waren keine Ausnahme. Immer wenn Peter mich in den Ferien besuchte, musste er mir erstmal erklären, wie furchtbar dieses Ekel von Wolf doch sei. Es ging sogar soweit, dass er mich zu ihn nahm, um mir zu beweisen, wie ekelhaft er doch war. Und an dem Tag lernte ich Katharina kennen. Sie war die jüngere Schwester Jasons und im Vergleich zu ihm ein Engel. Sie war liebevoll und von allen im Rudel geliebt, dass sogar Gerüchte in Umlauf kamen, sie würde statt ihres Bruders zum Alpha werden. Du kannst dir bestimmt vorstellen, dass Jason das überhaupt nicht zusagte. Aber Katharina wollte gar kein Alpha werden. Sie wollte nur eine Familie gründen, sich zurückziehen und in Frieden ihren Alltag bewältigen. Ich liebte das Mädchen wie meine eigene Schwester. Ich liebte sie so, wie du Olivia liebst. Sie war meine beste und einzige Freundin. Und eines Tages verschwand sie. Es ist an die zwanzig bis 25 Jahre her, aber ich erinnere mich noch gut an den Gesichtsausdruck Jasons. Wie jedes Wochenende besuchte ich die Whitenights und überschritt dabei die Grenzen unserer Rudel, doch es fühlte sich anders an. Und als ich Jason nach seiner Schwester fragte, winkte er mich nur beiläufig ab und sagte, dass sie gestorben sei. Ich wusste nicht, wie ich damit umgehen sollte, aber ich erfuhr vor einigen Jahren, dass sie nur verbannt wurde und seitdem als Wanderer und Prostituierte über die Runden kommen musste. Ich verfluche mich heute immer noch dafür, sie nicht gesucht zu haben, da sie sonst niemals diesen einen Wolf mit den flammenden Augen getroffen hätte, welcher sie schwängerte. Weil er jedoch eine Hure schwängerte, wurde er von seinem Rudel verstoßen und musste mit dieser Familie durch Ländereien ziehen, bis er eines Tages nicht mehr konnte und der Mutter seines Kindes die Kehle herausriss. Doch wie es der Zufall wollte, ermordete er sie nicht nur irgendwo, sondern im Wald der Blackstorms. Ich konnte alles mitansehen und erst als ihre Leiche den Boden erreichte, erkannte ich in diesem toten Wolf die weiße Prinzessin von damals. Erst dann erkannte ich meine beste Freundin und das einzige, was ich von ihr retten konnte, war ihr einziges Kind. Es tut mir leid, dass ich zu spät reagiert habe. Es ist meine Schuld, dass deine Mutter nicht länger leben konnte. Aber ich habe mir geschworen, dich wie mein eigenes Kind aufzuziehen. Denn das wäre auch genau das gewesen, was Katharina für meine Kinder getan hätte. Ich hoffe, dass du mir diesen Fehler verzeihen kannst, Isabelle Whitenight."

If I hadn't met youWo Geschichten leben. Entdecke jetzt